Ausländer in Deutschland
2/2000, 16.Jg., 30. Juni 2000
PORTraits |
|
Nancy
de Matos
|
Nancy de Matos aus Brasilien und Otto Bischof aus Chile wussten zu Beginn ihrer Reise nicht, dass sie in Deutschland bleiben würden. Beide sind Lateinamerikaner, beide in Saarbrücken sesshaft geworden, aber wieviel Gemeinsamkeit beschreibt das schon? Beide stehen nicht einmal als typisch für ihr Herkunftsland, geschweige denn für andere Nationalitäten Lateinamerikas. Vielleicht verbindet sie vor allem dieses: Fern vom jeweiligen Heimatland haben sie sich mit ihrer Herkunft in ganz neuer Weise auseinandergesetzt. Mit wiederum unterschiedlichem Ergebnis: zwei spannende (Zwischen-)Ergebnisse. |
![]() |
Otto Bischof ist Architekt und nach Jahren in Paderborn und Mainz inzwischen Wahlsaarländer. Den deutsch klingenden Namen verdankt er seinem Großvater Herrmann Bischof-Wustermann. Der stammte aus Hannover und war im Jahre 1907 einem Stellenangebot nach Chile gefolgt: 19 Jahre jung wollte der ausgebildeter Graveur in der Ferne sein Glück machen. Er heiratete eine Chilenin italienischer Herkunft; der Sohn der beiden, Ottos Vater, heiratete eine deutsch-spanischstämmige Frau. "Wir Chilenen sind ein Mischvolk" erzählt Bischof junior, "Jeder Chilene hat mindestens einen ausländischen Vorfahren, und gleichzeitig ist er stolz darauf, Chilene zu sein." Natürlich gibt es bis heute gewisse Abschottungen ethnischer Gruppen, doch die haben nach Bischofs Beobachtung weniger mit Abstammung zu tun: "Es geht darum, dass so ein Zusammenhalt einfach ein Wirtschaftsfaktor ist." Da im Elternhaus kein Deutsch gesprochen wurde, lernte Otto Bischof dies nur deshalb, weil er eine gute Privatschule besuchen durfte - eine deutsche Auslandsschule. An dieser Schule, die eher konservativ war, fiel Otto Bischof schon früh auf: Als aufmüpfiges Mitglied der Schülerbewegung wurde er mit anderen zusammen als "Kommunist" beschimpft. Die Lage nach dem Putsch 1973 bewog ihn, zum Studium lieber nach Deutschland zu gehen. Da war er 19, genauso alt wie Großvater Herrmann bei seiner Reise über den großen Teich. Dass Otto Bischof in Deutschland so problemlos einreisen und auch arbeiten konnte, hatte er einer Merkwürdigkeit unserer Gesetzgebung zu verdanken: Ein deutscher Großvater väterlicherseits berechtigt zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Anders als der Großvater wollte Otto nicht in Deutschland bleiben, und er kehrte als junger Architekt zunächst auch wieder nach Chile zurück. Doch der engagierte Musiker interpretierte auch gerne und häufig politische Liedermacher aus der Zeit von Allende. Dann wurden in seinem Umkreis Bekannte und Freunde verhaftet, und "ich spürte, dass es gefährlich wurde." Als sich mit dem Abschluss eines beruflichen Projekts ein Einschnitt bot, machte er sich zum zweiten Mal auf den Weg nach Deutschland. Gerade einfach ist es nicht, sich beruflich in Deutschland zu etablieren. "Die Leute hier fragen nicht nur, ob du gut bist. Sie fragen zusätzlich, warum sie denn einen chilenischen Architekten engagieren sollten, wo es ja genug deutsche gibt. Eigentlich musst du ganz besonders gut sein. Jedenfalls dauert es länger, bis du anerkannt wirst." Otto Bischofs Weg heißt: Spezialisierung auf spezielles Fachwissen. Das kommt ganz gut an. Und bei Insidern ist er noch in einem ganz anderen Metier bekannt: als Percussionist, nebenberuflich - wenn auch keinesfalls nebenbei. Otto Bischof hat die doppelte Staatsbürgerschaft, chilenisch und deutsch. Und welche Identität? "In Chile habe ich mich nur als Chilene verstanden, aber als Lateinamerikaner eigentlich nicht. Man reist nicht so viel herum, und der Kontinent ist riesig. Erst während meines Studiums in Deutschland habe ich angefangen, viel mit anderen Lateinamerikanern zu diskutieren. Da ist mir richtig klargeworden, dass wir diese gemeinsame Geschichte haben, und da wurde ich Lateinamerikaner. Inzwischen habe ich den größeren Teil meines Lebens in Deutschland verbracht, und ich sage heute: Vor allem bin ich Weltbürger." |
![]() |
Die Welt entdecken, mit Deutschland erst mal anfangen, das hatte eine dieser Reisen werden sollen, wie sie vor allem junge Menschen unternehmen - als mutige Migranten auf Zeit. Bei Nancy de Matos kam der rationale Grund hinzu, dass ihr eine solche Reise auch beruflich nutzen würde, später, nach der sicheren Rückkehr in ihr geliebtes Salvador da Bahia, Brasilien. Dort würde sie ihre begonnene Karriere in einem internationalen Hotel fortsetzen. 24 Jahre jung war Nancy de Matos, als sie sich entschied: "Ein Jahr. Egal wie", erinnert sie sich, und die damalige Mischung aus Unsicherheit, Abenteuerlust und Entschlossenheit wird noch einmal spürbar. Sie wollte lernen und sehen. Mit wenig Geld in der Tasche, Kleidern für ein Jahr und den Telefonnummern von fünf vertrauenswürdigen Brasilianern - Freunden von Freunden - in Deutschland ging es 1990 los. Bloß nicht zuvor schon durch Warnungen geängstigt und in ihrem Entschluss verunsichert zu werden, telefonierte sie erst vom Frankfurter Flughafen aus. Sie erreichte zuerst eine Saarbrücker Brasilianerin, und sie hätte nie angenommen, dass sie bis heute selbst in dieser Stadt leben würde. Dass es so kam, klingt nur im ersten Moment nach einem eher langweiligen Ausgang der großen Abenteuerreise. |
|
Denn in Deutschland entdeckte Nancy de Matos unerwartete neue Betätigungsfelder für sich, so dass die endgültige Rückkehr immer weiter aufgeschoben wurde. Sie begann, Tanzunterricht zu geben, zunächst Lambada und Samba, Tänze, mit denen sie schon in Brasilien ab und an aufgetreten war. Bald folgten Angebote für Auftritte bei Feten und großen Festen, und sie baute eine eigene Tanzgruppe auf. Dafür schulte und trainierte sie Tänzerinnen und Tänzer verschiedenster Herkunft und Vorbildung, die zum Teil noch nie etwas von Samba gehört hatten. Wenn nun die hell- und dunkelhäutigen Schönen aus Afrika oder Venezuela mit Federschmuck und Paillettenbikinis Rio-Karneval aufführen, ist der Applaus riesig und die Kommentare lauten: "Es liegt euch eben einfach im Blut." Nancy de Matos: "Geld verdienen kannst du damit. Aber ich möchte auch den Samba aus Bahia bekannt machen, der ist wunderschön, nicht so amerikanisiert. Und dann gibt es noch Carimbó, Forró, Frevo, Bumba meu Boi, vieles mehr. Das ist Tradition, Teil unserer regionalen Kulturen - und keine Angst, dass es dabei irgendwie schwerlastig zugeht, nein, das ist super fröhlich!" Nancy de Matos hat viel investiert: bei Heimataufenthalten recherchierte sie Hintergründe und Originalformen bestimmter Bräuche, beschäftigte sich sich mit der Tradition der afrobrasilianischen Religion Candomblé und seiner Tänze zu Ehren der Götter, verschuldete sich gar, als sie eigens für ihr Ensemble "Raizes do Brasil" (Brasiliens Wurzeln) aufwendige Kostüme anfertigen ließ. "Brasilien hat so viel mehr zu bieten als dieses ewigen Bikini-Stereotyp, das will ich deutlich machen," sagt sie. "Klar haben wir diesen besonderen Körperkult, ist Schönheit wichtig. Aber unglücklicherweise leiten Leute hier davon ab: 'Ah, Brasilianerinnen sind käuflich!' Okay, wir flirten gerne, wir sind fröhlich, aber wir haben auch ganz klare Grenzen. Sexuell freizügig sind im Vergleich eher die Deutschen." Ist sie nicht bei all den Nachforschungen über die Heimat brasilianischer geworden als zuvor, frage ich Nancy de Matos. "Zuerst ja", sagt sie nachdenklich, "aber nach einer Zeit bist du heimatlos". Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die Raizes do Brasil-Programme von Nancy de Matos bislang nur von einem vergeichsweise kleinen, besonders interessierten Publikum besucht werden. Und das gilt erst recht für die Lesungen mit in Brasilien bekannten Autorinnen und Autoren, die sie eine Zeitlang organisiert hat. Ihr Einkommen sichert die ausgebildete Lehrerin vor allem durch Sprachunterricht, überwiegend für angehende Auslandsexperten deutscher Unternehmen. |
Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan Fotos: M.-L. Gries u. D. Ohligschläger Kontakt: |
|
[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ] |
|
© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden). Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis. |