Ausländer in Deutschland 2/2000, 16.Jg., 30. Juni 2000

PRojekte


Isolation aufbrechen

Integrationskurse - zum Beispiel in Düsseldorf


Kursleiterin Luisa Hulich (rechts)

 Viele der 3,3 Millionen Frauen und Mädchen ausländischer Herkunft sind beruflich und sozial mehr oder weniger gut in die deutsche Gesellschaft integriert. Andere haben sich vor allem der Familie gewidmet und kaum ausreichende Deutschkenntnisse erworben. Sie müssen größere Anstrengungen unternehmen, wollen sie - gesellschaftlich wie beruflich - ihre Lebenschancen verwirklichen. Ausschlaggebend für ihre schwierige Startposition sind sprachliche Defizite, geringe berufliche Qualifikationen und - vor allem bei älteren Migrantinnen und Heiratsmigrantinnen - die Neigung, im eigenen kulturellen Milieu zu bleiben. Seit 15 Jahren unterstützt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) die bundesweite Durchführung sogenannter "Frauenkurse".

Diese besonderen Integrationskurse kombinieren verschiedene frauenspezifische Programmteile, mit dem Ziel, die Isolation der Frauen aufzubrechen, sie an Sprachkurse heranzuführen, Einblicke in die berufliche Bildung zu ermöglichen, Berufsorientierung anzubieten und sie zur Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen zu motivieren. Begleitend dazu werden kulturelle Besonderheiten Deutschlands vermittelt.

Die ersten solchen Kurse wurden bereits in den 70er-Jahren beim Verein für Internationale Jugendarbeit unter Leitung von Ruth Braun angeboten (gefördert seit 1985). Weitere Träger dieser Integrationskurse sind der Internationale Bund und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (beide seit 1990) sowie die Academia Espanola de Formacion und die Arbeiterwohlfahrt (beide seit 1991). Seit Beginn der Förderung dieser Kurse 1985 hat das BMA rund 30 Mio DM bereitgestellt, mit denen rund 230.000 Frauen erreicht wurden. Das Fördervolumen beläuft sich 2000 auf 4 Mio DM. Betreut werden etwa 28.000 Frauen - darunter rund zwei Drittel Türkinnen - in fast 2.800 Kursen.

Beim Internationalen Familientreff der Arbeiterwohlfahrt in Düsseldorf leitet die Marokkanerin Luisa Hulich (Foto) einen solchen Integrationskurs. "Die meisten Marokkanerinnen hier brauchen keine Unterstützung mehr", erzählt sie. "Sie waren alle auf der Schule, können Arabisch und Französisch, sind selbstbewußt. Viel schwieriger ist das mit Berberfrauen. Sie kommen von Bergdörfern, haben meist keine Schule besucht, können oft weder lesen noch schreiben und sind oft völlig isoliert." Viele sind als Heiratsmigrantinnen gekommen, sprechen meist nur Berberisch und lernen im Alltag kein Deutsch.

Hulich kennt die Probleme muslimischer Frauen zwischen traditioneller Herkunft und westeuropäischer Umgebung. Der Kontrast ist bei den meisten Berberfrauen noch viel stärker, ihre Situation erheblich schwieriger. Viele leben in existenziellen Krisen, sind Opfer dubioser Heiratsvermittler oder der eigenen Verwandtschaft geworden, verlassen sehr selten die Wohnung und leiden unter gewalttätigen Männern - ohne einen Ansprechpartner zu haben.

Schritt für Schritt erfolgt ihre Betreuung: Auf den Integrationskurs folgt ein Sprachkurs und schließlich Bemühungen zur Integration in den Arbeitsmarkt. "Ohne die Integrationskurse kommen wir an diese Frauen nicht heran", sagt Hulich, "sie sind der Auffangbereich zur Integration". Wichtig aus ihrer Erfahrung ist, "dass die Kursleiterin die Sprache spricht und die Kultur kennt, damit wir die Lebenssituation mit allen Schwierigkeiten richtig vorstellen und einordnen können." Aufgrund ihres familiären und kulturellen Hintergrundes können viele Frauen nur über ein Angebot zur Teilnahme gewonnen werden, das dem Frauenbild ihres Herkunftslandes entspricht und die Lebens- und Lernsituation der Teilnehmerinnen berücksichtigt. Daher werden diese Kurse zum Beispiel als Näh-, Koch- oder Bastelkurse angeboten. Das nimmt einerseits den Frauen Schwellenängste und bietet Teilnahmeverboten seitens ihrer Männer keine Begründung. Andererseits macht es eine vertraute und akzeptierte Umgebung möglich, den Frauen die nötigen Lerninhalte nahezubringen. Vor allem bei bildungsungewohnten Frauen werden "Schulsituationen" vermieden. Versucht wird stattdessen, den Frauen in einer ungezwungenen Atmosphäre Zutrauen zu ihrer Lernfähigkeit und ihrer persönlichen wie beruflichen Weiterentwicklung zu geben. Dazu gehört auch die Kinderbetreuung, ohne die viele Mütter nicht kommen könnten.

Oft wird in Alphabetisierungskurse vermittelt, die vom Sprachverband Mainz angeboten werden: "Manche müssen erst einmal lernen, einen Stift zu halten, andere müssen vom Arabischen umschalten und lernen, im Deutschen von links nach rechts zu schreiben". Wichtig ist, das Selbstvertrauen der Frauen zu stärken und als Kursleiterin auch Vorbild für Veränderungen zu sein, betont Hulich. "Ich als geschiedene Mutter von zwei Kindern mit einer ähnlich schwierigen Geschichte kann zeigen, dass es geht." Frau Hulich erfüllt - über ihre eigentliche Aufgabe als Kursleiterin hinaus - auch eine enorm wichtige Beratungsfunktion. Denn in den eigentlich zuständigen Beratungsstellen spricht niemand Berberisch. "Weil ich ihre Sprache spreche, war es nur natürlich, dass sie sich in meinen Kursen auch persönlich haben beraten lassen. So bin ich allmählich zur Kursleiterin und Beraterin geworden. Ich integriere das einfach in die Kurse, begleite sie auf Ämter, fülle Formulare aus, fertige Übersetzungen an, zeige ihnen eine Schule oder besuche das Arbeitsamt, - lauter solcher Kleinigkeiten."

Gemäß der Vorgaben des BMA können im Rahmen der Integrationskurse für ausländische Frauen folgende Teinehmerinnen gefördert werden:

  • in Deutschland lebende, früher angeworbene ausländische Arbeitnehmerinnen und Ehefrauen sowie Töchter ehemaliger angeworbener Arbeitnehmer;

  • ehemalige Vertragsarbeitnehmerinnen und Ehefrauen sowie Töchter ehemaliger Vertragsarbeitnehmer der früheren DDR;

  • Ausländerinnen, die über einen auf Dauer angelegten Aufenthaltsstatus verfügen, d.h. Ausländerinnen mit folgenden Aufenhaltstiteln:
    - befristet Aufenthaltserlaubnis
    - befristete Aufenthaltserlaubnis - EG
    - unbefristete Aufenthaltserlaubnis;
    - unbefristete Aufenthaltserlaubnis - EG und
    - Aufenthaltsberechtigung.

In der Regel wird ein Kurs gefördert, wenn mindestens zehn Teilnehmerinnen dieser Zielgruppe angehören. Darüber hinaus können auch andere, z.B deutsche Frauen teilnehmen, erhalten jedoch keine zusätzliche Förderung.

Mit den Kursen sollen insbesondere angesprochen werden:
- junge Mädchen ab 15 Jahren
- nachgereiste Ehefrauen
- Frauen nach der Familienphase
- alleinstehende Frauen.

Da auch die Kurse des "Sprachverbands Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e.V." durch das BMA gefördert werden, wird darauf Wert gelegt, daß die Teilnehmerinnen motiviert werden, im Anschluß an den Integrationskurs auch einen Sprachkurs zu besuchen. Das AWO-Familienbildungswerk bietet in Kooperation mit dem Sprachverband solche Deutschkurse an. Neben allgemeinen Deutschkursen für Frauen und Mädchen, die ein bis zweimal wöchentlich stattfinden, werden auch Intensivsprachkurse, spezielle Kurse für Frauen mit Kinderbetreuung sowie berufsorientierte Deutschkurse angeboten.

Grundsätzlich sollte die Kurssprache Deutsch sein, die Behandlung komplizierter Sachverhalte oder emotional stark besetzter Themen erfolgt jedoch auch in der Muttersprache. "Es hat sich deshalb bei Kursen mit sprachlich homogener Teilnehmerinnengruppe bewährt, für Kursleitung und Kursbegleitung ein Team aus einer Deutschen und einer Mitarbeiterin aus dem Herkunftsland der Teilnehmerinnen einzusetzen" - so die Erfahrung des Internationalen Bundes. Ziel bleibt trotzdem, Teilnehmerinnen aus möglichst unterschiedlichen Herkunftsländern für einen Kurs zu gewinnen, um einen breiteren Austausch zu ermöglichen und die Teilnehmerinnen zu motivieren, sich auf Deutsch zu verständigen. Sehr sinnvoll ist es, zusätzlich deutsche Frauen in den Kurs zu integrieren.

Neben Sprachkenntnissen können Informationen über bestimmte, für Migrantinnen relevante Berufsbilder vermittelt werden; Einführungen in die Arbeit mit dem PC oder Diskussionen über Fragen der gesellschaftlichen Eingliederung und die persönlichen Probleme damit sind ebenso möglich wie Gespräche über die alltägliche Lebenssituation der ausländischen Frauen in Deutschland.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

Foto: E. Schmidt-Fink

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Anti-Aggressions-
kurse

 

Konflikte gehören zum Lebensalltag. Wenn sie eskalieren - in der Schule, in Kursen und Projekten oder in der Kneipe - reagieren Menschen oft hilflos, unpassend oder auch mit Gewalt. Betroffen sind unter anderem auch junge Migranten und Pädagogen. Einige Projekte bemühen sich um den Abbau von beziehungsweise Umgang mit Aggressionen.

Die Hauptstelle der Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) in Essen hat 1998/99 eine berufsbegleitende Fortbildung zum "Interkulturelle/n Anti-Gewalt-Trainer/in und Coolness-Trainer/in" durchgeführt. Über ein Jahr lang haben sich Sozialpädagogen und Lehrer mit Konflikten, Aggressionen und Gewalt in Gruppen von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Sie haben Strategien erlernt, wie man damit umgeht, vorbeugen und Eskalationen vermeiden kann. Seitdem setzen sie Anti-Gewalt- und Coolness-Training in ihrer beruflichen Praxis um.

"Es fällt auf, daß sehr viele türkische Jugendliche in Konfliktsituationen gewaltbereit sind" sagt Ahmet Toprak von der Arbeiterwohlfahrt München. Er bietet für jeweils sechs bis zehn türkischsprachigen Jugendliche und Heranwachsende zwischen 14 und 21 Jahren, die mit Gewaltdelikten auffällig geworden sind, sogenannte Anti-Aggressionskurse an. Hauptthema des elfwöchigen Kurses ist "Straffälligkeit und Gewalt". Die Teilnehmer werden mit der eigenen Straftat konfrontiert, um sich ernsthaft mit ihr auseinandersetzen. "Viele Jugendliche kommen zu diesem Kurs und kennen den Grund nicht, da sie 'ja nichts Schlimmes getan' haben, 'nur ein bißchen was getrunken und ein Paar Jugendliche zusammengeschlagen'. Sie sollen nun gewaltfreie Verhaltensmuster erlernen, wie zum Beispiel konstruktive Gespräche zu führen, statt zuschlagen. Und sie sollen auch lernen, sensibler mit Mitmenschen umzugehen. Sie lernen, wie sie mit den eigenen Aggressionen umgehen können und wie sie diese am besten kontrollieren können. Die Opferperspektive spielt auch eine wichtige Rolle. Die Kursteilnehmer werden in die Rolle des Opfers versetzt, um ihnen zu zeigen, wie betroffen sich das Opfer fühlen kann. An den bislang fünf Kursen haben 41 türkische junge Männer teilgenommen.

Kontakte:

Hauptstelle der RAA, Tiegelstr. 27, 45141 Essen, Tel.. 0201-8328-302 oder 303, Fax: -333, Internet: www.raa.de

Arbeiterwohlfahrt, Landesverband Bayern e.V., Landesgeschäftsstelle, Ref. Migration, Goethestr. 53, 80336 München, Tel.: 089-54424727.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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