Ausländer in Deutschland 3/2000, 16.Jg., 30. September 2000

Ältere Migranten

Personal-
entwicklung

Zur Nachahmung empfohlen

Wer soll sich um ältere Migranten kümmern: Landsleute oder Deutsche? In Altenarbeit und Altenpflege sind beide Ansätze gefragt. Und wenn dabei Deutsche und Migranten aufeinander zugehen und zusammenarbeiten, kommt das den Akteuren ebenso zugute wie den älteren Migranten, die von verbesserten und zusätzlichen Angeboten profitieren.
Im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil sind ältere Migranten in Alten- und Pflegeheimen ebenso wie in den Freizeit-Angeboten für Senioren unterrepräsentiert. Gleichzeitig bröckeln in der Migration die vielzitierten stützenden Familiengefüge der Herkunftskulturen, da die zweite und dritte Generation mehr und mehr ihre eigenen Wege geht. So drohen gerade im Rentenalter zunehmende Isolierung und unzureichende pflegerische Versorgung. Einige Projekte haben dies erkannt, Ansätze erprobt und nachahmenswerte Erfahrungen gesammelt.


Teilhabe durch Ehrenamt

Seniorentanz, Seniorengymnastik, Vorträge über gesunde Ernährung und über die Rentenreform... Rentner haben oft einen sehr vollen Terminkalender. Natürlich nicht alle und selten die Migranten. Spanischsprachigen Rentnern jedoch hat das Projekt "Adentro! Senior/innen mischen sich ein" zu einem aktiven Alter verholfen. Seit 1994 wurden rund 150 ehrenamtliche Multiplikatoren weitergebildet, die 25 Seniorenclubs für ihre Landsleute ins Leben gerufen haben. Jetzt ist der Adentro-Abschlussbericht herausgekommen. Das Projekt läuft jedoch weiter und wurde sogar in die Schweiz, nach Belgien und Frankreich exportiert.

"In jedem alten Menschen schlafen riesige Potentiale", sagt Vicente Riesgo von der Spanischen Weiterbildungsakademie (AEF) in Bonn. Die Akademie hat als Träger des Projekts sogar einen eigenen Bereich "Seniorenbildung" gegründet. Weitere Träger sind das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und der Verband der spanischen Elternvereine. Fähigkeiten, die im Berufsleben vielleicht gar nicht zum Zuge kamen, gilt es aufzuwecken und zu nutzen. Zu Multiplikatoren wurden Männer und Frauen im Rentenalter aus Spanien und lateinamerikanischen Ländern qualifiziert. Die meisten waren schon in den Migrantenvereinen aktiv. In der Modellphase 1994-97 kamen 45 Senioren aus ganz Deutschland für mehrere Wochenendseminare nach Bonn, um verschiedene Techniken der Gruppenarbeit zu erlernen, sich über soziale und kommunal-politische Themen zu informieren oder zu Übungsleitern für Tanz und Sport ausbilden zu lassen. Die ersten Teilnehmer kommen immer noch nach Bonn - inzwischen, um selbst zu unterrichten.

Einer ist vielleicht eher künstlerisch veranlagt, der zweite organisiert für sein Leben gerne, der dritte kann einfühlsam mit einsamen Menschen reden, sagt Riesgo. So seien die entstandenen Seniorengruppen so verschieden wie die Persönlichkeiten ihrer Gründer. "Maßnahmen nicht für, sondern mit den Menschen machen" ist die wichtigste Lehre auch für Heinz Knoche, Teamleiter "Migration" des DRK. Alte Leute brauchten nicht so sehr neues Wissen, wie die Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe. Will heißen: Sie machen das, was sie selber wünschen und verschaffen sich Gehör. Das DRK unterstützt das Engagement der Adentro-Senioren vor Ort durch Fachkräfte, Räume, Fortbildungen und Lobbyarbeit in den Kommunen.

Riesgo glaubt, dass die Erfahrungen des spanischsprachigen Projekts grundsätzlich auf andere Gruppen übertragbar sind. Probleme wie Altersarmut, zunehmende gesellschaftliche Isolation und das Gefühl, im Leben gescheitert zu sein, sind vielen älteren Migranten gemeinsam. Die spanische Gemeinde ist nur relativ klein und zerstreut, denn in den 70er und 80er Jahren sind viele Gastarbeiter zurückgekehrt. Wichtig sei, so Riesgo, gute Dozenten aus derselben Ethnie zu finden und auch zwei bis drei Teilnehmer aus einem Ort zu haben. Für einen einzigen sei es schwer, sich in der Community durchzusetzen. Außerdem muss die Kontinuität gewährleistet sein, wenn einer der Multiplikatoren durch Tod, Krankheit, Rückkehr oder familiäre Verpflichtungen ausscheidet. Nach Ende der Modellphase wird das Projekt nun aus Mitteln des DRK und des spanischen Arbeitsministeriums finanziert. Der Bericht "Adentro! Spanisch sprechende Senior/innen mischen sich ein. Maßnahmen zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe" kann beim DRK Bonn bestellt werden.

Matilda Jordanova-Duda

Kontakt:
Deutsches Rotes Kreuz, Generalsekretariat,
Team 33, Königswinterer Str. 29, 53227 Bonn


Kompetente Altenpflege

"An was erinnern Sie sich zuerst, wenn Sie an das Haus Ihrer Großeltern denken? Sind es die Geräusche? Die Gerüche? Die besondere Seife, oder die gute Suppe aus der Küche? Welche Gefühle hatten Sie in dem Haus?" Schnell wird aus dem "Sie" ein "Du", wenn die Trainerinnen Rose Derkau und Liss Gehlen aus Darmstadt in ihrem Workshop diese Fragen stellen. Persönliches Vertrauen entsteht, während die Teilnehmerinnen im nordspanischen Kantabrien Grundrisse der Wohnungen ihrer Großeltern malen. Sie versetzen sich zurück in die Zeit als zehnjähriges Kind. Nähe wird hergestellt zwischen den Frauen, die alle in der Altenpflege tätig sind oder dafür ausgebildet werden. "Schlüsselqualifikationen zum biografischen Arbeiten mit alten und pflegebedürftigen Menschen" heißt die Weiterbildung mit vollem Titel. Sie wäre ohne die gemeinsame transnationale Zusammenarbeit zwischen dem aus Mitteln der Gemeinschaftsinitiative Beschäftigung geförderten NOW- Projekt (New Employment Opportunities for Women) des Arbeitszentrums Fort- und Weiterbildung (AFW) Elisabethenstift in Darmstadt und den Partnern im kantabrischen Renedo nicht möglich gewesen. Partnerschaftliche Zusammenarbeit gab es auch mit einer italienischen Organisation, und aus Interviews mit alten Menschen in Spanien und Italien wurden Fortbildungsmaterialien zur interkulturellen Altenpflege entwickelt.

Kultursensible Kompetenzen werden gebraucht, wenn Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Prägungen betreut und gepflegt werden. "Durch meine Teilnahme an der Qualifizierung in interkultureller Kompetenz habe ich eine Form von Wahrnehmung erfahren, die nach innen geht," stellt Ruth Gevert fest, Leiterin des Stadtbereichs West im Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe e.V.: "Sie macht mir deutlicher, was für mich fremd, und was für mich natürlich ist. Oder was ist deutsch, und was ist nicht deutsch." Ruth Gevert ist zuständig für die Anpassung und Entwicklung von Angeboten an die sich ständig ändernden Bedürfnisse älterer Menschen. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören 35 Nationen an. Als eine türkische Frau im Altenheim in Rödelheim verstarb, konnten sie erleben, wie Besucherinnen Klagelieder für die Tote sangen. Bis zu einem Drittel der Einwohner in den westlichen Stadtteilen Bockenheim, Rödelheim und Praunheim sind Ausländer. Für Ruth Gevert ist deshalb selbstverständlich, dass ihre Betreuungsangebote auch ältere Migrantinnen und Migranten erreichen müssen. Personalentwicklung war ein erster Schritt in diese Richtung. Kompetente Hilfe dabei leistete das NOW-Projekt des AFW Elisabethenstift Darmstadt. Gemeinsam wurden Seminare und Workshops organisiert, Ziele und Aktionen erarbeitet. In der derzeit laufenden zweiten Phase wenden sich die Qualifizierungsseminare an einen größeren Kreis aus allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Neuer Ansatz: Probewohnen

Zugleich bietet der Frankfurter Verband im Stadtbezirk West seit etwa vier Monaten ein "Probewohnen für Migranten" an. Es richtet sich an ältere Menschen, die wissen wollen, wie es im Alten- und Pflegeheim zugeht, ohne sich gleich für immer von ihren eigenen vier Wänden verabschieden zu müssen. Um diese Chance bekannt zu machen, wirbt Ruth Gevert u.a. bei Migrantenorganisationen und Moscheen. Die Resonanz ist jedoch noch gering. Häufig nehmen Angehörige gebrechliche ältere Verwandte lieber mit in den Urlaub, als sie Fremden zur Betreuung anzuvertrauen. Ein alter Mann, dessen Wohnung renoviert wird, könnte der erste Kurzzeitbewohner werden. Und das Angebot "Probewohnen" wird weiter aufrecherhalten.

Marianne Lange

Kontakte:

NOW Projekt des AFW - Arbeitszentrum Fort- und Weiterbildung im Elisabethenstift, Elisabeth Gehlen
Stiftstr. 14, 64287 Darmstadt
Tel.: (0 61 51) 40 95 33 0

Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe, Stadtbereich West
Ruth Gevert
Alt-Praunheim 48
60488 Frankfurt
Tel. (0 69) 97 68 06 14

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