Ausländer in Deutschland 3/2000, 16.Jg., 30. September 2000

SCHWERPUNKT:
Migranten in der sozialen Stadt


Migranten in der "Sozialen Stadt"

Ziele und Aufgaben des Bund-Länder-Programms

Sozialarbeiter und Kommunalpolitiker benutzen gerne den Begriff "sozialer Brennpunkt". Was genau mit diesem eingängigen, aber auch stigmatisierenden Begriff ausgedrückt werden soll, bleibt jedoch oft eher diffus. Die Bundesregierung drückt sich hier zurückhaltender aus. Sie hat eine 1996 von der Ministerkonferenz der ARGEBAU beschlossene Bund-Länder-Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt" zum Anlass genommen, die Städtebauförderung ab 1999 um ein eigenständiges neues Bund-Länderprogramm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt" (kurz: "Soziale Stadt") zu ergänzen. Diese Gemeinschaftsinitiative gilt Stadt- und Ortsteilen, "die infolge sozialräumlicher Segregation davon bedroht sind, ins soziale Abseits abzurutschen".

Das Programm ist 2000 mit einer Ausstattung von zunächst 300 Mio. DM (davon 100 Mio. DM Bundesanteil) angelaufen. Bereits 1999 wurden bundesweit 161 solcher Gebiete in 123 Städten in das Programm aufgenommen (vgl. Farbkarte S. 10/11). Es handelt sich dabei meist um hochverdichtete, einwohnerstarke Stadtteile in städtischen Räumen. Hier bestehen in der Regel erhebliche Defizite im Hinblick auf ihre Sozialstruktur, den baulichen Bestand, das Arbeitsplatzangebot, das Ausbildungsniveau, die Ausstattung mit sozialer und stadtteilkultureller Infrastruktur sowie die Qualität der Wohnungen, des Wohnumfeldes und der Umwelt. Folgt man dem Leitfaden der ARGEBAU zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative[1], lassen sich zwei dominierende Gebietstypen unterscheiden:

1. Innerstädtische beziehungsweise innenstadtnahe (oft gründerzeitliche) verdichtete Quartiere in benachteiligten Regionen mit nicht modernisierter Bausubstanz und deutlich unterdurchschnittlicher Umweltqualität. Hier handelt es sich in der Regel um "Quartiere, in denen sich private Investoren seit langem nicht mehr engagieren und Stadterneuerungsprozesse nicht in Gang gekommen sind. Ursachen für die Stagnation sind eine sehr schlechte, hochverdichtete Bausubstanz, fehlende Grün- und Freiflächen, Immissionsbelastungen, Gewerbebrachen mit Altlasten, Beeinträchtigung durch Verkehrs -straßen und -lärm, Mangel an Gemeinschaftseinrichtungen, Planungsunsicherheit und insgesamt fehlende Zukunftsperspektiven". Diese Quartiere sind wegen der mangelhaften Attraktivität und der ausbleibenden Entwick-lungsimpulse von ökonomisch aufstrebenden, vor allem jüngeren Familien nach und nach verlassen worden. Meist sind Haushalte mit sehr begrenzter ökonomischer Leistungs-fähigkeit sowie geringem Integrationsvermögen nachgerückt. "Die 'Spirale nach unten' ist dadurch verstärkt worden, dass die zeitgleich verlaufende Aufwärtsentwickung in anderen Stadtteilen zur Verdrängung der 'Schlechterverdienenden' in die sozial benachteiligten Gebiete beigetragen hat". Diese Altbaugebiete bilden sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern einen Anteil von gut einem Viertel der für das Programm gemeldeten Quartiere. Exemplarisch stellen wir die Neunkircher Innenstadt vor (siehe Stadtportraits).

2. Große Wohnsiedlungen der Nachkriegszeit (vor allem der sechziger bis achtziger Jahre ) und Wohnsiedlungen der abgezogenen Streitkräfte mit wenig individueller Architektur, fehlender Nutzungsmischung und unzureichender sozialer Infrastruktur. "Sowohl im Westen wie im Osten gibt es eine große Anzahl von Neubauquartieren, die wegen erheblicher funktioneller und gestalterischer Mängel eine soziale Abwertung erfahren haben oder abzugleiten drohen." Für die fehlende Attraktivität dieser Neubauquartiere ist ein ganzes Ursachenbündel verantwortlich - von der häufigen Stadtrandlage und unzureichender Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr über fehlende Rücksicht der Planer auf landschaftliche und ökologische Gegebenheiten bis hin zur einfallslosen Architektur. Die Erdgeschosszonen, Eingangsbereiche und Vorgärten sind selten individuell ausgeprägt, sondern austauschbar und erlebnisarm. So fällt es Bewohnern schwer, sich mit ihrem Quartier zu identifizieren. Ferner fehlt eine selbsttragende lokale Wirtschaft und es mangelt an nahegelegenen Arbeitsplätzen (Konzeption als "Schlafstädte"). Diese Siedlungen machen gut die Hälfte aller für das Programm angemeldeten Quartiere aus. Deutlicher noch wird ihre Dominanz in den neuen Bundesländern; dort handelt es sich bei fast 70% der Programmgebiete um Groß- und Plattenbausiedlungen. Exemplarisch stellen wir Stuttgart-Freiberg vor (siehe Stadtportraits).

Schließlich gibt es noch eine Reihe von - hinsichtlich des Baualters - gemischten Gebieten. Sie spielen vor allem in den alten Bundesländern eine Rolle: Sie machen etwa 20% der westlichen, aber nur 5% der östlichen Stadtteile aus.

Stadtteilentwicklung

Wegen der Komplexität der Defizite ist für diese Gebietstypen "eine besonders weitgreifende Stadtteilentwickung mit der Zielsetzung geboten, einen nachhaltigen Aufschwung auf sozialem, wirtschaftlichem, städtebaulichem und ökologischem Sektor im Verbund zu bewirken". Diesem umfassenden Ansatz entsprechend werden die betroffenen Stadtteile und Gebiete als "Stadtteile mit besonderem Entwickungsbedarf" bezeichnet.

Das Programm "Soziale Stadt" erhebt den Anspruch, Quartiersentwicklungsprozesse in Gang zu setzen, welche die sozialen Problemgebiete zu selbständig lebensfähigen Stadtteilen mit positiver Zukunftsperspektive machen sollen. Hauptziel der Anstrengungen im Rahmen des Programms ist die Wiederherstellung einer ausgewogenen Sozialstruktur, die Überwindung städtebaulicher Mängel durch Modernisierung des privaten Wohnungsbestandes und die Neuordnung der Blockinnenbereiche, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Stärkung der Identifikation der Bewohner mit ihrem Quartier durch Partizipation und die Förderung von Sozialkontakten.

Das Besondere am Programm "Soziale Stadt" ist der Versuch, die in den Problemgebieten wohnenden Bevölkerungsgruppen so eng wie möglich an der Entwicklung und Umsetzung der Programme zu beteiligen, und städtebauliche und soziale Maßnahmen eng miteinander zu verknüpfen.
Zur "Philosophie" der Umsetzung des Programms werden fünf Ziele beziehungsweise Strategien genannt:

I. Integrierte Handlungskonzepte städtebaulicher und nicht-investiver Maßnahmen

II. Ressortübergreifende Bündelung von Ressourcen und Förderungsmittel

III. Beteiligung der Betroffenen

IV. Neue Verwaltungs- und Managementstrukturen

V. Aktivierende Programmbegleitung

Wichtig beim Ziel der "Beteiligung der Betroffenen" (III.) ist, dass die Stadt die Problemanalyse wie auch die Maßnahmenplanung unter Beteiligung der Wirtschaft, lokaler Institutionen und der Bürger der Quartiere gemeinsam weiter entwickelt. Hier bieten sich beispielsweise Workshops mit Arbeitsgruppen zur partnerschaftlichen Diskussion von Problemen und Lösungsmöglichkeiten im großen Kreis an. Ein Ziel ist, dass die Bewohner und ansässigen Institutionen verstärkt teilhaben an den kommunalpolitischen Entscheidungen und Aktivitäten im Rahmen des Programmes. Zum Beispiel können sie Antworten auf die Frage nach den größten städtebaulichen und sozialen Problemen der Stadt sowie deren Lösungsmöglichkeiten erarbeiten.

Hinter der Vorgabe der "aktivierenden Programmbegleitung" (V.) steht das Ziel der ressortübergreifenden Bündelung von Ressourcen und Förderungsmitteln. Bundesweit ist zu beobachten, dass Einrichtungen und Projekte - beispielsweise im sozialen Bereich - im Auftrag und mit finanzieller Förderung verschiedener Institutionen (von der EU-Kommission über Ministerien des Bundes und der Länder bis zu Kommunen) oftmals an der Lösung identischer oder verwandter Probleme arbeiten. Hier sind manche Synergieeffekte durch Vernetzungen oder Kooperationen möglich. So kann versucht werden, diese Ressourcen und Förderungsmittel zu bündeln.

Zündstoff aus "sozialen Brennpunkten" entfernen, ehe es knallt - so plakativ könnte man vielleicht das Grundziel umschreiben, die "Defizite der Sozialstruktur" dieser Viertel abzubauen. Denn mancherorts vollzieht sich eine aus unbehobenen Problemen gespeiste spiralförmige Entwicklung des "sozialen Abstiegs" ganzer Viertel. Die Menschen identifizieren sich nicht mehr mit ihrer Wohngegend, engagieren sich nicht mehr, haben aber auch nicht die finanziellen Möglichkeiten, in "bessere" Viertel umzuziehen. Die Hoffnung ist, dass es gelingt, die Menschen zur Mitwirkung an einem schrittweisen Neuaufbau eines funktionierenden nachbarschaftlichen Gemeinwesens zu bewegen. Die Ressourcen hierfür sind vorhanden. Zum Beispiel bei den Migranten. Der Ausländeranteil vieler Viertel ist überdurchschnittlich hoch. Ihre Anwesenheit darf jedoch nicht als Teil des Problems gesehen werden, sondern als Teil der Lösung. Das Potential hierfür haben sie, wie unsere Beispiele stadtteilorientierter Projekte zeigen. Man muss sie nur beteiligen (wollen). Partizipation lautet hier das Stichwort.


[1] Vgl. ARGEBAU, Ausschuss für Bauwesen und Städtebau und Ausschuss für Wohnungswesen (Hg.): Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative 'Soziale Stadt'", zweite Fassung, Stand 1.März 2000, S. 2

Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

Informationen:
Deutsches Institut für Urbanistik
Straße des 17. Juni 112
10623 Berlin
Tel./Fax: 030/39001-100
www.sozialestadt.de 

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Soziale Stadt

Ein Beitrag zur Integration von Ausländern

Die Entwicklung von einer Industrie- zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft sowie die zunehmende Rationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft haben zu hoher Arbeitslosigkeit und einer Auseinanderentwicklung von Einkommensverhältnissen und damit zur Entstehung einer Zwei-Drittel-Gesellschaft geführt. Diese sozioökonomische Polarisierung ist europaweit zu beobachten und schlägt sich räumlich in den Städten nieder.

Denn hier kommt es bedingt durch den Wegzug einkommensstarker Haushalte ins Umland oder "in besondere Wohngegenden" und den Zuzug ökonomisch schlechter gestellter Haushalte (geringes Einkommen, von Arbeitslosigkeit betroffen usw.) zu räumlicher Konzentration ökonomisch Benachteiligter, also zu sozialräumlicher Polarisierung, zu residentieller und sozialer Segregation in bestimmten Stadtvierteln und Quartieren, und zwar in Stadtvierteln mit geringer Wohn- und Wohnumfeldqualität sowie mit Infrastrukturdefiziten. Dies geschieht keineswegs freiwillig, sondern meist aufgrund struktureller Benachteiligungen (Haushaltsgröße, Vermietervorbehalte, Miethöhe usw.). Die Problemlagen der Bewohner in den benachteiligten Wohngebieten überlagern sich, materiell zu fassende strukturelle Mängel vermischen sich mit sozialräumlichen Defiziten. Folge davon ist ein hoher Anteil von sozial und ökonomisch erfolgs- und durchsetzungsschwachen Gruppen, zu denen auch die ausländischen Bevölkerungsgruppen gehören.
Bevor aber auf die dem Programm "Soziale Stadt" zugrunde gelegten Ziele und Handlungsansätze eingegangen und dargestellt wird, welchen Beitrag das Bund-Länder-Programm zur Integration von Ausländern leisten könnte, soll kurz erläutert werden, was unter Integration verstanden wird, und es soll die Frage angerissen werden, ob Segregation von ausländischen Bevölkerungsgruppen als Problem anzusehen ist und ob Durchmischung die Lösung sein könnte für eine bessere Integration ausländischer Bevölkerungsgruppen.

Integration - Segregation

Integration wird weitgehend verstanden als gesellschaftliche Situation, in der die Bevölkerungsgruppen in gleichgewichtigen, spannungsarmen Beziehungen zueinander stehen. Die Spannbreite reicht hier von Assimilation - also einem Angleichungsprozess in der Regel der Minderheiten an die Mehrheit - bis zu einer multikulturellen Gesellschaft, die auch den Migranten die Möglichkeit eröffnet, mit gleichen Rechten und Pflichten zu leben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sich selbst zu organisieren, Benachteiligungen und soziale Ungleichheiten abzubauen. Wenn von Integration gesprochen wird, ist zumeist von sozialer Integration die Rede. Die rechtliche Gleichstellung wird weitgehend außen vor gelassen.

Vielfach besteht die Tendenz, Entstehung und Probleme "benachteiligter Stadtgebiete" mit einem hohen Ausländeranteil - also hoher Segregation - gleichzusetzen. Eine solche Betrachtungsweise vernachlässigt, dass die meisten Benachteiligungen, von denen Ausländer betroffen sind (z.B. Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, soziokulturelle Barrieren usw.), nicht ausländerspezifischer Natur sind, sondern auch bei vielen anderen benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu finden sind. Denn es gibt benachteiligte Quartiere mit geringem Ausländeranteil (vor allem in den neuen Bundesländern) ebenso wie Stadtviertel mit hohem Ausländeranteil, die sowohl sozial wie wirtschaftlich "funktionsfähig" sind.

In der Migrations- und in der Stadtsoziologie wird das Für und Wider segregierten Wohnens kontrovers diskutiert und je nach Perspektive mit den Chiffren "Ghetto" und "Einwanderungskolonie" der Isolations- oder der Sicherheit gebende Integrationscharakter betont. Der die positiven Aspekte des segregierten Wohnens betonende Begriff der Einwandererkolonie zeigt die Ambivalenz von Segregation auf. Die eigene Identität wird gestärkt, Integration in die eigenethnische Kultur durch Orientierung an den Werten und Normen derselben erleichtert, die Integration in die städtische Gesellschaft durch die ethnische Subkultur aber eher behindert. Allerdings wird der Integration in die eigenen sozialen Zusammenhänge ein positiver Faktor für die Integration in die aufnehmende Gesellschaft zugeschrieben (positive Funktion von Binnenintegration).

Gerade der hohe Ausländeranteil im Quartier schafft unter Umständen die Basis für spezifische Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen, die nicht nur Migranten, sondern auch der deutschen Bevölkerung eine vergleichsweise gute Lebenssituation sichern. Ein hoher Ausländeranteil ist also nicht per se ein Indikator für benachteiligte Quartiere.

Eine "zwangsweise" Durchmischung, also eine Auflösung residentieller Segregation und eine Verteilung benachteiligter Gruppen im Stadtgebiet bedeutet keine unmittelbare Verbesserung ihrer sozioökonomischen Situation, sondern zieht bei "Umsetzung" den Verlust von sozialen Netzen, die ihnen eine gewisse Stabilisierung ermöglicht haben, nach sich.

Soziale Stadt und Integration

Das Programm Soziale Stadt soll als umfassend integrierter Ansatz alle Lebensbereiche der Bevölkerung in einem Stadtviertel berücksichtigen. Seine zentralen Handlungsfelder umfassen die Bereiche Bündelung der Ressourcen, Aktivierung der Quartiersbevölkerung sowie Management und Organisation.

Fragt man sich, was das Programm "Soziale Stadt" zur (besseren) Integration von Ausländern beitragen kann und sollte, so ist vorauszuschicken, dass ein großer Teil der Migranten erhebliche Probleme in vielen Lebensbereichen (Arbeitsmarkt, Wohnung und Wohnumfeld, Bildung und Ausbildung) hat und diese Probleme größer sind als bei der durchschnittlichen Bevölkerung. Dazu kommen aber noch "ausländerspezifische" Probleme. Sie reichen von Sprachproblemen über Identifikationskonflikte und Benachteiligungen bis hin zu Schwierigkeiten, die sich aus dem Ausländerrecht ergeben.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die drei zentralen Handlungsfelder des Programms "Soziale Stadt" ergeben sich eine Fülle von Möglichkeiten und Maßnahmen, die dazu beitragen können, die Lebenssituation ausländischer Bevölkerungsgruppen zu verbessern und so Integration zu fördern.

Ressourcenbündelung: Wichtig und notwendig ist eine ressortübergreifende Ausländerpolitik, die bei allen Planungen die jeweiligen Belange der ausländischen Bevölkerungsgruppen mit einbezieht und die Auswirkungen einzelner Planungen aufeinander abstimmt und optimiert. Dazu gehört zum einen die Ressourcenbündelung, zum anderen der Einsatz von nicht-investiven Maßnahmen zusammen mit investiven Maßnahmen, um Synergieeffekte zu erzielen und den Einsatz von Mitteln zu optimieren. Denn die Verbesserung von Wohn- und Wohnumfeldqualität in einem Gebiet verändert nur einen Teil der Lebenslagen der Bewohner und kann damit keine nachhaltig positive Auswirkung auf das Quartier haben, sondern sogar schlimmstenfalls zur Verdrängung benachteiligter Bevölkerungsgruppen führen. Bauliche Maßnahmen müssen/sollten deshalb immer gekoppelt werden mit Arbeitsmarkt- und Ausbildungsmaßnahmen, mit Maßnahmen der Verkehrs-, Freiraum- und Infrastrukturplanung. Bezogen auf die ausländischen Bevölkerungsgruppen heißt das, dass ihre Belange bei der ressortübergreifenden Planung mit zu berücksichtigen sind, dass sie ebenso wie die deutsche Bevölkerung in die Planungsprozesse frühzeitig mit einzubeziehen sind und möglichen Sprachbarrieren dabei Rechnung zu tragen ist (mehrsprachige Information über Planungsprozesse, aktivierende Ansprache über ausländerspezifische Sozialdienste, über ethnische Vereine usw.).

Aktivierung der Quartiersbevölkerung: Soll eine nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung in benachteiligten Stadtgebieten erreicht werden, muss die Aktivierung und Beteiligung der Quartiersbevölkerung bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen gefördert werden. Das bedeutet, dass die vorhandenen Potentiale auf Quartiersebene genutzt und aktiviert werden müssen, dass Befragungen der ausländischen Bevölkerung auch mit muttersprachlichen Interviewern durchgeführt werden, dass vorhandene ethnische Strukturen mit in die Planung und Umsetzung einbezogen werden und durch Beratung und finanzielle Hilfen zu fördern und zu etablieren sind. Dabei kommt der Unterstützung von Existenzgründungen, der Beratung bei ausländischen Gewerbebetrieben und der Unterstützung von Ausbildungsmöglichkeiten ethnischer Betriebe eine große Rolle zu. Zur Aktivierung und zur Förderung eines multikulturellen Klimas im Quartier sollten gezielt Öffentlichkeitsarbeit und gemeinsame Aktivitäten deutscher und ausländischer Bevölkerung durchgeführt werden, um Barrieren abzubauen und Nachbarschaften aufzubauen und zu stärken.

Organisation und Management: Neben ressortübergreifender Stadtentwicklungspolitik ist vor allem die Kooperation zwischen kommunalen sozialen Diensten und den Migrationsdiensten der Wohlfahrtsverbände sicherzustellen. Deutsche Fach- und Regeldienste müssen sich noch stärker interkulturell öffnen. Insgesamt sind bei den sozialen Diensten die Belange von Migranten noch stärker zu berücksichtigen, sei es in der Kinder- und Jugendarbeit, dem kulturellen Bereich, dem Bereich Ausbildung und Arbeitsmarkt oder in der Altenarbeit.

Resümee

Stadtteilentwicklung, die sich am sozialen Ausgleich orientiert, muss eine politisch-planerische Strategie entwickeln (integriertes Handlungskonzept), die vom Quartier als wesentlicher Integrationsinstanz ausgeht, die die Entwicklung der benachteiligten Gebiete vorrangig an den Interessen und Bedürfnissen der dort Wohnenden und Arbeitenden ausrichtet und den sozialen Ausgleich als Querschnittsaufgabe mit horizontaler (Fachressorts) und vertikaler (zwischen kommunaler Verwaltung, Vor-Ort-Akteuren und Quartiersbevölkerung) Vernetzung begreift.


Autorin: Ulla-Kristina Schuleri-Hartje, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin. Mitarbeiterin der Projektgruppe "Soziale Stadt"

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Beispiele stadtteilorientierter Projekte

Seminare "Muslimische Migranten im Stadtteil"

Bei der Umsetzung des Programms "Die Soziale Stadt" spielt in vielen Kommunen und Stadtteilen die Integration von Migranten eine zentrale Rolle. Das isoplan-Institut bietet den Personen und Institutionen, die an der Umsetzung beteiligt sind, daher die Durchführung von Seminaren "Muslimische Migranten im Stadtteil" und "Stadtteilarbeit und Integration von Migranten" an. Es handelt sich um Spezialseminare aus dem Seminarprogramm, das das isoplan-Institut seit Anfang der 80er-Jahre im Auftrag des BMA bundesweit durchführt. Diese "Länderkundeseminare" zu den wichtigsten Herkunftsländern sind ein wesentlicher Bestandteil der integrationsfördernden Maßnahmen des BMA. Viele Angestellte und Mitarbeiter der kommunalen Verwaltungen, Schulen, Polizei und Justiz bis hin zu Trägern der freien Wohlfahrtspflege, Betrieben und anderen Institutionen sind in ihrem Berufsleben täglich direkt oder indirekt mit Fragen konfrontiert, die sich unter anderem aus der unterschiedlichen, im jeweiligen Heimatland zu suchenden kulturellen Prägung und Erziehung der in Deutschland lebenden Migranten ergeben. Ziel der Seminare ist es, die Teilnehmer möglichst umfassend über die Situation in den Herkunftsländern sowie Integrationsfragen in Deutschland zu informieren, um dadurch zu einem besseren Verständnis der Integrationsprobleme der jungen und älteren Migranten beizutragen und den Umgang mit ihnen zu erleichtern. Das Spezialseminar zur "Sozialen Stadt" bietet über diese Inhalte hinaus Informationen zu städtebaulichen Themen, Fragen der Segregation und praxisorientierte Arbeitsgruppen mit jeweiligem lokalem Bezug an. Am 21./22. August 2000 hat ein erstes solches Seminar in Neunkirchen stattgefunden. Weitere Seminare sind geplant in Kassel, Berlin, Hagen, Oldenburg und Stuttgart. 

Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan


Wohnumfeldprojekt in der Kölner Keupstraße


Die drei von der IG (v.l.n.r.): Yasar Kogus, Marlis Buesching und Ali Demir

Die Keupstraße in Köln-Mülheim liegt zwar nicht in einem Programmgebiet "Soziale Stadt", doch sind die Aktivitäten der dort schon 1978 entstandenen "Interessengemeinschaft (IG) Keupstraße" durchaus auf andere Migrantenviertel übertragbar. Ursprünglich haben sich in der IG die verbleibenden deutschen Einwohner zusammengeschlossen, als die ehemalige leicht heruntergekommene deutsche Geschäftsstraße im rechtsrheinischen Kölner Viertel Mülheim sich in ein quirliges Klein-Istanbul zu verwandeln begann. Der Steuerberater Ali Demir war der erste türkische Geschäftsmann, der zur IG kam - und das ist auch schon über 15 Jahre her. Heute machen die türkischen Geschäftsleute die Hälfte der 33 IG-Mitglieder aus und Ali Demir ist erster Vorsitzender. Einen großen Erfolg feierte die IG 1993: Die Drogenszene wurde durch einen gemeinsamen Kraftakt der Bürger und der Polizei weggedrängt.

Mit Müll, Lärm und Parkplatznot wollten die IG-Mitglieder auch fertig werden und gründeten mit der Unterstützung des Interkulturellen Dienstes der Stadt Köln 1998 ein Wohnumfeldprojekt. Die Sozialpädagogin Marlis Büsching und der Kaufmann Yasar Kogus mit ABM-Stellen sollen mit Aufklären und Schlichten das vergiftete Nachbarschaftsklima bessern. Die Polizei, das Bauamt, die Müllabfuhr und andere städtische Einrichtungen sitzen mit am Tisch. Einige spektakuläre Aktionen hat das Projekt schon zustande gebracht. So fegten Kindergartenkinder mit viel Tamtam die Straße, Zweitklässler einer Sonderschule bemalten die Mülltonnen und Hauptschüler knipsten einladende Obststände und zermüllte Hauseingänge. Zum ersten Mal hatte die Keupstraße einen eigenen Nikolaus mit "multikulturellen" Gaben: deutsche Plätzchen und türkische Mandarinen. Die Geschäftsleute spendeten für ein Keupstraßen-Kochbuch mit Lebensgeschichten und Lieblingsrezepten, für Festschmuck und für Grün. Die alltägliche Arbeit ist weniger spektakulär: an die Stadtverwaltung wegen fehlender Parkplätze schreiben, Zettel über die richtige Müllentsorgung verteilen...

Das Wohnumfeldprojekt ist nun zu Ende. "Die Straße muß ihre Probleme selbst erkennen", sagt Marlis Büsching zum Abschied. Es stimmt nicht, daß Türken ein anderes Verhältnis zu Lärm und Dreck haben, betont Demir. Den Ärger machten die Leute von außerhalb. Aber das Schmuddel-Image wird man so schnell nicht los: Die Keupstraße sei ein beliebter Krimi-Standort, ärgert er sich. Die Straße eigne sich doch besser für eine Liebesgeschichte. Kürzlich hat sich eine Film- und Produktionsgesellschaft in der Keupstraße angesiedelt. Vielleicht dreht sie diese ja noch.

Matilda Jordanova-Duda


Nachbarschafts-TV in Dietzenbach

Die Wohnanlage Rosenpark im östlichen Spessartviertel der Gemeinde Dietzenbach ist eins von 15 hessischen Programmgebieten. In der Kleinstadt im Süden von Frankfurt/Main läuft schon seit bald vier Jahren das Projekt "Nachbarschafts-TV". Es hat alles, was ein gefeiertes Projekt ausmacht: moderne Kommunikation, sozialer Brennpunkt und Jugendarbeit. Fernsehen von Bewohnern für Bewohner, das regelmäßig und mehrsprachig über Mülltrennung, Sanierungsvorhaben, Ärger mit dem Putzplan oder einfach über das Lebensgefühl der jungen Filmemacher informiert. Die Plattenbauten beherbergen 3300 Menschen - ein Zehntel aller Dietzenbacher. Die allermeisten sind Nicht-Deutsche, etwa 40 Prozent Kinder unter 16 Jahren. Viele sind selbstnutzende Eigentümer, sie müssen aber horrende Nebenkosten zahlen, weil die Anlage sehr oft mutwillig beschädigt wird. 1996 kam die Interessengemeinschaft der Eigentümer auf die Idee, Informationen über die Müllentsorgung direkt in die Wohnzimmer zu senden. Gedrucktes Papier machte keinen Sinn bei den schlechten Deutschkenntnissen. Es fanden sich Förderer aus der Stadt, dem Land und gar aus der EU-Kommission, Filmemacher und Übersetzer wurden unter den Bewohnern ausgesucht. Der Kabelbetreiber der Anlage erklärte sich bereit, die Sendungen einzuspeisen.

Nun ist Fernsehen kostspielig und arbeitsintensiv, es braucht Fachkräfte sowie viel Disziplin und Ausdauer, um regelmäßig zu fester Stunde ein qualitatives Programm zu produzieren. Dazu waren die ehrenamtlichen Macher nicht immer in der Lage. Eine Zeit lang sah es so aus, dass das Projekt zugrunde geht: Die Finanzierung lief aus. Zwar gab es noch den dreisprachigen Videotext, ohne bewegte Bilder ließ das Interesse aber nach. Jetzt sei die Förderung jedoch mindestens bis Ende 2001 gesichert, und ab September stehen zwei Freiberufler unter Vertrag, die zusammen mit den Einwohnern Sendungen produzieren sollen, so der Leiter des Sozial- und Jugendamtes Walter Fontaine. Da die Anlage zur Zeit saniert wird, wollen die Leute wissen, wie es weiter geht und wieviel das kostet. Das Nachbarschafts-TV informiert.

 Matilda Jordanova-Duda


Lutherstadt Wittenberg

Von den durch das Grundprogramm des Bund-Länder-Programms "Die soziale Stadt" vorgesehenen Bundesfinanzhilfen in Höhe von insgesamt 600 Mio. DM entfallen allein 520 Mio. DM auf die neuen Bundesländer. Eins von neun Programmgebieten in Sachsen-Anhalt ist der Stadtbezirk Lerchenberg / Trajuhnscher Bach in Lutherstadt Wittenberg. Die Stadt liegt im östlichen Teil Sachsen-Anhalts an der Elbe, auf einer Linie zwischen Berlin (80 km) und Leipzig (70 km). Derzeit leben hier 54.000 Einwohner. Für die Stadt sind freilich nicht nur die Thesen von Martin Luther charakteristisch, sondern auch die der Maler Lucas Cranach (der Ältere und der Jüngere) und - viele Jahrhunderte später - des Künstlers Friedensreich Hundertwasser, der den Stadtbezirk Lerchenberg / Trajuhnscher Bach ganz besonders geprägt habe, so der Bundestagsabgeordnete aus Lutherstadt Wittenberg, Engelbert Wistuba. Hundertwasser übernahm vor wenigen Jahren die künstlerische Umgestaltung des Martin-Luther-Gymnasiums. Im Rahmen der parallel laufenden "Urban 21"-Initiative hat die Stadtverwaltung einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für diesen Bezirk erarbeitet. Die Projekte wurden dem Landesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr, Jürgen Heyer, im August 2000 vorgestellt. Im betreffenden Gebiet ist der Ausbau einer Jugendwerkstätte geplant. Wie wichtig diese Anlaufstellen für die Jugendlichen sind, wird gerade jetzt bewusst, wo die Ausschreitungen junger Menschen gegen Fremde zunehmen und sich rechtsgerichtete Vereinigungen starken Zuspruchs erfreuen. Ebenso vielversprechend erscheinen die Entwicklungen eines Geschäftshauses, eines Schul- und Erholungsparkes an der "Hundertwasserschule". Die Grünflächen am Trajuhnschen Bach entwickelten sich zu einem beliebten Erholungsraum, die ökologische Erneuerung der benachbarten Landschaftsräume soll zu mehr Wohn- und Lebensqualität und der Vernetzung dieses Stadtteiles mit den anderen Wohngebieten beitragen. Die Wohnungen im Senioren- und Pflegezentrum Lerchenberg sollen entsprechend den Wünschen der BewohnerInnen hergerichtet werden. Es können nicht nur Dauerarbeitsplätze geschaffen werden, zusätzlich werden die leeren Wohnungen durch den Umbau wieder nutzbar gemacht. Von den bisher 18 Projekten, mit denen die Verwaltung Lutherstadt Wittenbergs neue Wege in der Stadtverwaltung zu gehen sich vorgenommen hat, wird nun als erstes der "Wittenberger Spiele-Boden" umgesetzt. Im ehemaligen Tanzsaal der Gaststätte "Zwei Linden" wird nach den erforderlichen Umbauarbeiten eine Bühne mit einem zusätzlichen Raum für Kindern und Eltern geschaffen. Ganz und gar wetterunabhängig kann hier mit allen Sinnen Freizeit erlebt werden.

Yasemin Sevindi, MdB-Mitarbeiterin 

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