Ausländer in Deutschland 4/2000, 16.Jg., 1. Dezember 2000

FORSCHUNG


Familien besser integriert als vermutet?

Der 6. Familienbericht der Bundesregierung

Zum ersten Mal beschäftigt sich ein Familienbericht einer Bundesregierung gezielt mit der Situation ausländischer Familien in Deutschand. Der Ende Oktober erschienene Bericht (6. Familienbericht der Bundesregierung: "Familien ausländischer Herkunft in Deutschland Leistungen - Belastungen - Herausforderungen") enthält auf 250 Seiten umfangreiches Material zur Lage der Migrantenfamilien und könnte die aktuelle Diskussion um Einwanderungspolitik, Zuzugszahlen und "Leitkultur" versachlichen helfen.


Alleinerziehende türkische Mutter mit ihren Kindern

Bereits einleitend weist der von einer Sachverständigenkommission erstellte Bericht darauf hin, daß der öffentliche Diskurs von extremer Vereinfachung geprägt sei. Dabei sei sogar die Reichweite statistischer Kenntnisse begrenzter als erwartet. Die Autoren schreiben wörtlich:"Wie viele Familien ausländischer Herkunft in Deutschland leben, wissen wir nicht..." Alles in allem räumt das Werk mit weiteren Desinformationen und Vorurteilen auf. So wird auf die Integrationsleistungen der Migrantenfamilien hingewiesen, die die Aufnahmegesellschaft entlasten. Religiöser Fundamentalismus und ethnische Mobilisierung seien eben nicht weit verbreitet. Auf deutscher Seite bestehen offensichtlich nach den Erkenntnissen des Expertenberichts erheblich größere Vorbehalte gegenüber deutsch-türkischen Ehen als auf türkischer Seite. Die Alters- und Sozialstruktur der ausländischen Bevölkerung gleicht sich der deutschen an, wie der Bericht weiter festhält.

Die Integrationsprobleme können aber keineswegs abgehakt werden. Ausländische Männer und Frauen sind von Arbeitslosigkeit doppelt so stark betroffen als Deutsche. Schulische Probleme sind keineswegs gelöst. Die Familienbericht stellt auf der einen Seite eine zunehmende Bereitschaft der deutschen Bevölkerung fest, die Integration der ausländischen Bevölkerung zu unterstützen. Auf der anderen Seite breitet sich bei den ausländischen Familien immer mehr Sorge wegen erhöhter Ausländerfeindlichkeit aus. Bei einzelnen Nationalitäten hat sich der Anteil verdoppelt, der angibt, von Ausländerfeindlichkeit betroffen zu sein. Vorurteile bestehen allem Anschein nach auf beiden Seiten. So hegen und pflegen deutsche und türkische Frauen gegenseitig ihre Klischeevorstellungen. Deutsche glauben, daß Türkinnen viele Kinder haben, nicht körperlich freizügig, "religiös" und wenig gleichberechtigt sind. Auch das Bild der Türkinnen über die deutschen Frauen ist falsch. Dabei sind beispielsweise die Unterschiede in der häuslichen Aufgabenverteilung bei Deutschen und Migranten sehr gering. Geputzt wird in der Mehrzahl der Familien unabhängig von der Nationalität meist allein von den Frauen. Die Entscheidung über die Schulwahl der Kinder treffen deutsche und ausländische Eltern überwiegend gemeinsam. Und noch ein Vorurteil wird ausgeräumt: türkische Frauen können häufiger mit ihren Männern rechnen, was die Bertreuung der Kinder angeht, als Aussiedlerfrauen oder Deutsche.

Der Bericht schließt mit einem Ausblick auf die Zukunft und einem Forderungskatalog an die Politik. Zum Beispiel wird eine qualifizierte Infrastrutur , insbesondere eine Internationalisierung des Bildungssystems gefordert, um hochqualifierte ausländische Kräfte zur Investition und Niederlassung in Deutschland zu veranlassen. Weitere Informationen über den 6. Familienbericht, den wir für AiD weiter auswerten werden, gibt es bei der Pressestelle des Bundesfamilienministeriums, Tel. 030/20655161 oder unter www.bmfsfj.de.


Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, SWR-International

[ Seitenanfang ]

AWO-Armutsbericht

 

Berlin. Jedes siebte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Dies zeigt eine Ende Oktober 2000 vorgestellte Studie der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Armut bedeutet für die zwei Millionen Betroffenen nicht nur Geldknappheit. Sie haben im Schnitt auch schlechtere Bildungschancen und weniger soziale Kontakte als ihre Altersgenossen. Das Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik untersuchte in mehr als 2.700 AWO-Einrichtungen der Jugend- und Familienhilfe die Lebenssituation der betreuten Kinder. Schwerpunkt waren Kindertagesstätten. In der Sozialforschung gilt nach einer EU-Definition derjenige als arm, der mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Einkommens auskommen muss. Bei einer vierköpfigen Familie bedeutet dies weniger als 3.000 Mark verfügbares Einkommen im Monat. 8,6% der Kinder unter sieben Jahre bekommen Sozialhilfe - siebenmal so viel wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Bereits im Vorschulalter ist jedes dritte Kind aus "armen" Haushalten in zentralen Lebensbereichen benachteiligt, stellt die Studie fest. Nur 70% von ihnen werden mit sechs Jahren eingeschult (Nichtarme: 88%). 31% der armen Kinder hätten gesundheitliche Probleme, aber nur ein Fünftel der besser gestellten. 38% der armen Kinder sind in ihrem Spiel- und Sprachverhalten gestört. Laut Untersuchung sind Kinder von Alleinerziehenden und Migranten überdurchschnittlich von Armut betroffen.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.