Ausländer in Deutschland 4/2000, 16.Jg., 1. Dezember 2000

GLOSSE

Mein Hund

 

Meine Ella hat eine große Schnauze, und das ist nicht zu überhören. Kein Wunder, sie ist ja eine Riesenschnauzerin. Eine ur-deutsche Rasse. Ihre Vorfahren wurden - so spielt das Schicksal - vor Jahrzehnten nach Rußland exportiert. So ist sie in Sankt Petersburg geboren worden und kam - mit mir zusammen - im Alter von zwei Jahren nach Deutschland, zurück in die "historische Heimat", wie Aussiedler sagen. Ich spreche Russisch mit ihr, aber wenn es sein muß, versteht sie auch deutsche Befehle. Vor allem "Platz" und "Raus!" Geht es ums Fressen, verstehen wir uns ohne Worte.

Für einen Wachhund war Rußland ein Paradies. Seine Existenz hatte dort einen Sinn und eine Berechtigung. Mehrfamilienhaus hin, Plattenbausiedlung her, der Hund durfte bellen, soviel er wollte. Ella hat ihr Recht ausgiebig genutzt. Ich bin mir sicher, daß sie der Familie einige unangenehme Besucher ersparte. Einmal standen zwei Polizisten an der Tür und zuckten auf ihr unwirtliches Knurren hin die Pistolen: "Weg mit dem Hund, sonst erschiesse ich ihn!" Bei einem Spaziergang durch die nächtliche Sankt Petersburg schlug ein Fußgänger bei Anblick der schwarzen Bestie drei Kreuze und wechselte die Straßenseite. In Rußland darf ein Hund Angst und Panik nach Belieben verbreiten und schon mal ein paar Omas oder küssende Pärchen auseinanderjagen. Auf eigene Gefahr, versteht sich. In Deutschland hingegen braucht man dafür eine Hundehaftpflichtversicherung.

Und überhaupt, hier gelten andere Regeln. Das Tier darf nach gerichtlicher Entscheidung nur fünf Minuten am Stück, insgesamt eine halbe Stunde pro Tag bellen und hat dabei die Ruhezeiten zu berücksichtigen. Damit hatten wir beide schon ein Integrationsproblem. Nachdem der Nachbar ein paar empörte Zettel an meine Tür geklebt hatte, suchte ich einen Hundetrainer auf. "Kann man lösen" tröstete er mich über mein Problem hinweg, "dann wird Ihr Hund nie mehr bellen". So weit wollte ich mit der Integration nun doch nicht gehen. Stattdessen zog ich aus meiner Etagenwohnung aus und kaufte der Riesenschnauzerin ein Reihenhäuschen zwischen einer belebten Straße und einer Bahnlinie.

Sehr integrationsfördernd, so ein Hund. Wenn ich rot-grüne Innenministerin wäre, würde ich jedem Ausländer einen verordnen. Mit einem Vierbeiner an der Leine kommt unsereiner schnell mit der einheimischen Bevölkerung ins Gespräch. Schon aus hundert Metern Entfernung tönt es: Mädchen oder Junge? Anfangs rief ich wahrheitsgetreu zurück: Frau! Bald begriff ich jedoch, daß sie nicht mich damit meinen. Jetzt kann ich stundenlang mit den anderen Hundebesitzern plaudern, welches Weibchen in der Gegend gerade läufig ist, welcher Rüde eine Beruhigungsspritze kriegt und welche Marke Trockenfutter der molligen Biggi empfohlen wurde. Plötzlich ist der Ausländer unter Gleichgesinnten, selbst der Akzent spielt keine Rolle mehr. Auch ohne Wahlrecht interessiert sich der Eingewanderte für kommunale Angelegenheiten und geht zusammen mit den Deutschen gegen die Bebauung der geliebten Hundewiese Unterschriften sammeln.

Ein Imagewandel für die Öffentlichkeit täte der Integration von uns beiden jedoch gut. Aber da bin ich kläglich gescheitert: Meine Ella will sich einfach nicht, vom Wachhund zum Schoßhündchen verwandeln! Und ich bringe es nicht übers Herz, ihr die freie Meinungsäußerung zu verbieten und ein Maulkorb anzulegen. Deshalb habe ich jetzt die Hundehaftpflichtversicherung abgeschlossen.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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