Ausländer in Deutschland 4/2000, 16.Jg., 1. Dezember 2000

MEDIEN

Radio Multikulti

Weltkultur "am Ende der Skala"

Aziza A., die Rapperin mit der Power-Stimme, beim MultiKulti-Geburtstagsfest "Völkerball" im Haus der Kulturen der Welt. Jeden zweiten Samstag ab 17 Uhr moderiert sie das türkische Szene-Magazin Haydi Hop.

Als Experiment (Modellprojekt) hatte es 1994 begonnen: in Containern auf dem Gelände des Hauses des Kulturen, Berlin. Inzwischen ist Radio MultiKulti nicht mehr wegzudenken, trägt es doch erheblich zum Weltstadt-Image Berlins bei. "Völkerball", das Motto der Geburtstagsfete im September 2000, könnte für den kleinen Sender insgesamt gelten: Musik der Völker der Welt, die in der multikulturellen Hauptstadt repräsentiert sind, dazu informative Wortbeiträge Sendungen in 20 verschiedenen Sprachen - der David unter den Berliner Radioprogrammen beweist mit sportlichem Ehrgeiz, dass man auch mit wenig Geld Qualität liefern kann - ohne Werbung. Radio MultiKulti ist übrigens nicht nur in Berlin zu hören, sondern im Internet weltweit: unter www.multikulti.de 

Redaktionssitzung bei SFB 4, Radio MultiKulti, 10 Uhr. Kritischer Rückblick auf die Sendungen des Vortags, Besprechung der Wortbeiträge heute und morgen. Aktuelle Meldungen zum Thema Rechtsradikalismus sind eingetroffen, aber die Sendezeit ist schon dicht verplant mit anderen wichtigen Themen. Was tun? Die zehn Radio-Macherinnen und Macher aus der deutschsprachigen Redaktion und Moderation, darunter Chefin vom Dienst Ilona Marenbach und Wort-Chef Wolfgang Holler, finden eine Lösung: Die Meldungen werden gesammelt, ein Moderator baut sie in die Präsentation seiner Sendung ein. Von sechs bis 17 Uhr sendet Radio MultiKulti in deutscher Sprache. Besonders dichte Information und Diskussionsstoff bietet dabei die Sendung Viadukt, täglich von 15 Uhr 5 bis 16 Uhr, mit Studiogästen und, seltener, auch mit aufwendigen, also relativ teuren Features. Dass das finanzierbar ist, dafür sorgt eine Förderung durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.

An Themen mangelt es weder der deutschsprachigen noch den fremdsprachigen Redaktionen von Radio MultiKulti. Die fremdsprachigen Sendungen bieten manchen Migrantengruppen die einzige Chance - und den einzigartigen Service - Aktuelles aus ihren Herkunftsländern zu erfahren. Wochentags beginnt der fremdsprachliche Teil um 17 Uhr mit Türkisch, ab 18 Uhr geht es weiter mit Serbisch (Mo./Mi./Frei.) bzw. Bosnisch (Di./Do.), ab 18 Uhr 30 folgen im 30-Minuten-Rhythmus Kroatisch, Russisch, Polnisch, Arabisch (Mo./Mi./Frei.) bzw. Kurdisch (Di./Do.), danach Italienisch, Griechisch und Spanisch. Und wer bislang den Besuch von Sprachkursen versäumt hat, kann das mit MultiKulti nachholen: "Deutsch als Fremdsprache" wird ab 21 Uhr 50 ausgestrahlt, übernommen von der Deutschen Welle.

Dabei ist die Zeit für die informativen Wortsendungen begrenzt - schließlich liebt die Hörerschaft gerade auch die mal packende, mal entspannende, immer aber anspruchsvolle Musik aus den vielfältigen Kulturen der Welt, die bei Radio MultiKulti von Experten dieser Länder ausgewählt wird. Nicht alle Sendezeit füllt der kleine Sender selbst. So klinkt man sich auch in Programme anderer Sender der ARD ein - und ab Mitternacht bei YLE Radiomafia, Helsinki (Montags), Flash Radio Athen (Dienstag), Polskie Radio 3, Warschau (Mittwoch), Acik Radyo, Istanbul (Donnerstag) und VRT-Radio 1, Brüssel (Freitag).

Migranten als Hörer - blinder Fleck in Medienanalysen

SFB 4, Radio MultiKulti sendet in 20 Sprachen, rund um die Uhr. Wird das Programm auch gehört? Die Frage mag abwegig klingen, doch die Statistiken aus regelmäßigen Medienanalysen weisen für das Programm "am Ende der Skala" tatsächlich nur sehr geringe Einschaltquoten aus. Damit scheint Radio MultiKulti zunächst einfach das Schicksal anderer Kulturwellen der ARD zu teilen: Sie erfüllen den gesetzlichen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein anspruchsvolles Kultur- und Bildungsprogramm anzubieten, doch die Hörerschaft dieser Wellen ist weit entfernt von der der Massen- und Mainstream-Programme. Sie kosten Geld - Rundfunkgebühren - bringen jedoch keine Werbeeinnahmen und sind auf Sponsoren und öffentliche Förderung angewiesen. Wollte man aber Radio MultiKulti die statistisch gemessenen Hörerquoten vorhalten, so würde man sich eine wenig bekannte Diskriminierung zu eigen machen: Die klassischen Medienanalysen blenden Migranten in der Hörerschaft systematisch aus: Erfasst und befragt werden dabei nur deutsche Haushalte, nicht aber zum Beispiel die 440.000 Migranten aus 184 Nationen, die allein in Berlin leben.

Dass Radio MultiKulti viele von ihnen erreicht, und durchaus auch mit den deutschsprachigen Sendungen, das stellen die Programmmacher sehr wohl fest. Da fragen Moderatoren: "Wie heißt 'Gute Nacht' auf Albanisch?" oder auch anderes, wofür Migranten kompetent sind - und viele Hörer rufen an. Briefe treffen ein, auch aus dem Umland Brandenburg, und Migranten bestellen Kassettenmitschnitte von besonders interessanten Sendungen. Aus vielen Anzeichen schließt man, dass der Anteil von Migranten unter den Hörern bei etwa 60% liegt. "Für die 20 bis 25.000 Berliner Vietnamesen", so Wort-Chef Wolfgang Holler, "gibt es keine Alternative, wenn sie Aktuelles über Vietnam erfahren wollen. Man berichtet uns, sie hören alle unsere vietnamesische Sendung. Wenn das stimmt, dann bedeutet das nahezu 100% - eine Traumquote." Radio MultiKulti geht außerdem auch direkt auf seine Hörer zu: Seine Konzerte mit den Besten der Musik der Welt sind als Bestandteil der Berliner Weltstadtkultur äußerst gefragt. (Tipps fürs neue Jahr: Juan José Mosalini, Tango Nuevo: 27.02.01 Philharmonie; Rabih Abou-Khalil, Arabian World Jazz: 20.01.01, Kulturbrauerei Berlin; jeweils 20 Uhr).

Wenig bekannt ist außerdem, dass Funkhaus Europa, die bekannte Migrantenwelle des Kölner WDR, täglich bis zu elf Stunden Programm von Radio MultiKulti übernimmt: von dem täglichen Musikmagazin Meridian 12 über das FrühStück am Samstag und dem türkischen Szene-Magazin Haydi Hop bis hin zur World Music Night.

Leider ist der eigene Sendebereich von des Berliner SFB 4 räumlich sehr begrenzt. Zu Hollers größten Wünschen gehört daher die Zuweisung einer stärkeren Sendefrequenz. Auch dass MultiKulti auf UKW 106,8 sendet und damit wortwörtlich "am Ende der Skala" liegt, hat einen Nachteil: Die Skala älterer Empfangsgeräte, die wohl am ehesten von Einkommensschwächeren noch benutzt werden, endet schon vor MultiKulti. "Die ganze Welt am Ende der Skala", so ein MultiKulti-Slogan, hat besseres verdient.


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

SFB 4 MultiKulti ist in Berlin und Umgebung zu empfangen auf UKW 106,8, außerdem MW 567 kHz und Kabel 91,6 MHz.
Im Internet unter www.multikulti.de kann online mitgehört werden, außerdem sind die Sendungen einer Woche abrufbar - und damit ist auch die wunderbare Musik der Nachtsendungen tagsüber verfügbar.

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