Ausländer in Deutschland 1/2001, 17.Jg., 30. März 2001

Portraits


Margarete Pastuszak

Zum Titelfoto
Der Fotograf unseres Titelfotos, Valeri Krupski, hat mehr als 30 Jahre als Fotograf in Moskau gearbeitet - zuerst für eine Kinderzeitschrift, später für den Bild-Verlag "Planeta". Wegen der Leidenschaft, Bilder mit der Kamera festzuhalten, hat er sein Ingenieur-Diplom an die Nagel gehängt. Seit 1997 lebt der 62jährige als jüdischer "Kontigentflüchtling" in Köln und hat dort zwei Fotoausstellungen gemacht.

Margarete Pastuszak (Titelfoto) lebt seit 11 Jahren in Deutschland und wartet auf die eine Frage: "Hör mal, wie ist es dort? Wie ist dies oder jenes in Polen?" Vergeblich. Stattdessen würden sogar Menschen, die niemals in Polen waren, ihr erklären, was in ihrer Heimat vor sich geht. "Und wenn ich da mal was sage, dann heißt es: Na ja, du bist indoktriniert, du lebtest in einer Diktatur, also du kannst nicht richtig denken und und und..." Irgendwann hat sie die Besserwisserei doch resignieren lassen. Deshalb sieht die Aussiedlerin auch die Osterweiterung mit einer gewissen Skepsis: Sicher, das muss kommen, aber sie fürchtet, dies wird kein Austausch, keine wirkliche Partnerschaft sein, sondern der ignorante Versuch, alles Westliche aufzudrängen. "Ich musste selber jahrelang kämpfen, bis mir jemand glaubt, dass ich etwas kann", sagt die 52jährige EDV-Beraterin und Systemprogrammiererin. Nach der Flucht aus dem damals sozialistischen Land suchte sie Arbeit in Bonn. Vor dem Arbeitsamt galten jedoch ihr Informatik- und Wirtschaftsstudium sowie 18 Jahre Berufserfahrung in EDV-Projektzentren wenig: Sie wurde in einen Kurs "Programmieren für Anfänger" geschickt. Um es auf Deutsch zu lernen, hieß es. Obwohl Programmiersprachen eigentlich universell sind... Danach schrieb sie Bewerbungen, rund 200 Stück - ohne Antwort, trotz des akuten Mangels an IT-Spezialisten. Wahrscheinlich hat kein Personalchef weiter als die ersten Zeilen gelesen, vermutet sie: den Namen, den Geburtsort, das Alter. Sie war Einwandererin, Frau in einem für hiesige Begriffe männlichen Beruf und obendrein behindert - "da ist wohl keiner bis zu den Zeugnissen und Referenzen vorgedrungen". Und wenn schon, dachte sie, "du musst unter Leute, damit sie sehen, was du kannst". Sie machte sich selbständig, übernahm auch kleinste Aufträge für wenig Geld, um sich einen Namen in der Branche zu erarbeiten. Seit einigen Jahren läuft das Geschäft gut. Margarete Pastuszak entwickelt Computerprogramme und Datenbanken für Unternehmen, schult das Personal im Umgang mit der neuen Software und macht Computerkurse für Frauen. (mjd)


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Robert Gernhardt

Bekannt wurde er als Mitbegründer der Satirezeitschrift Titanic und Mitarbeiter bei Pardon, als Zeichner, Karikaturist und Autor frech-frivoler Gedichte. Heute zählt Robert Gernhardt zu den großen Sprachkünstlern und -kritikern Deutschlands, er erhielt mehrere Auszeichnungen. Kleingedruckt findet man in den Umschlagtexten seiner Bücher den Hinweis "geboren 1937 in Reval, Estland, 1939 bis 1945 Posen (Poznan, Polen)". - Ein Migrant? Man frage ihn selten danach, sagt er. Wenn er von seiner Kindheit erzählt, lebt ein fast vergessenes Kapitel deutsch-baltischer Geschichte auf. Familie Gernhardt gehörte in Estland zur baltendeutschen Minderheit. Auch nach der politischen Unabhängigkeit Estlands 1917, mit dem Aufkommen estnischer Politik, "gab es für die Baltendeutschen keinen Grund, umzusiedeln. Unserer Familie ging es gut." Der Einschnitt erfolgt 1939 mit dem Hitler-Stalin-Pakt und dessen geheimen Zusatzabkommen: Die Vertragspartner legen fest, welche Seite welches der Länder zwischen Ostsee und Schwarzem Meer annektieren könne. Polen wird geteilt, die Sowjetunion beansprucht Estland, Lettland, Finnland, Bessarabien und später auch Litauen. Vor 1939 hatten die Nazis verhalten vom deutschen "Kulturauftrag im Osten" gesprochen; nun heißt ihre Parole "Heim ins Reich", Umsiedlungen beginnen. Familie Gernhardt gelangt mit einer großen Zahl von Deutschbalten nach Posen, in den nunmehr "deutschen" Teil Polens. "Ich war gerade zwei Jahre alt; das Grässliche konnte ich erst im Nachhinein begreifen: Man teilte den Deutschbalten Wohnungen von Polen und Juden zu, die ins polnische Generalgouvernement verschickt worden waren. Augenscheinlich überstürzt - in manchen Wohnungen fand man noch die ungemachten Betten vor." Im Erleben der Kinder folgen dennoch einige Jahre relativer Normalität: "Wir spielten mit den neuen Nachbarn, ich weiß noch, dass Do domu 'Ab, nach Hause' heißt." Wie andere deutschstämmige Familien stellen auch die Gernhardts polnisches Personal ein, das so der Verschickung in Zwangsarbeit entgeht. "Der Krieg war noch weit weg; vereinzelte Bombenangriffe waren eher ein Abenteuer für uns Kinder. Nach den Entwarnungen zogen wir los, um Bombenspuren und Einschläge zu finden." Die Mutter gibt ihm die Adresse einer gewissen Tante Meta, er soll sie auswendig lernen. "Das Aufregende daran war, dass eine echte Verwandte von mir in dem fernen, unbekannten Schweden wohnen sollte." Sie hatte sich, wie ein kleinerer Teil der Baltendeutschen, frühzeitig für ein Weiterwandern entschieden, um den Preis der Trennung von Familie und Freunden. Der Krieg ergreift Posen, es wird zur "Festung" erklärt. Gernhardts Vater fällt. 1945 flieht die Mutter mit drei kleinen Söhnen; ein paar Habseligkeiten passen auf den Schlitten der Kinder. Nach mehreren Zwischenstationen gelangen sie schließlich vor die Tore Göttingens. Das ist für Flüchtlinge gesperrt, "das Boot Göttingen war voll," schreibt Robert Gernhardt. In einer liebevollen Erzählung hat er im vergangenen Jahr die "Lügen meiner Mutter" gewürdigt, listenreichen Strategien einer Flüchtlingsfrau im Kampf um Unterkunft und Broterwerb. Und er folgert, er jedenfalls habe kein Recht, über Flüchtlinge, die heute das "vorgeblich volle Boot Bundesrepublik entern" auch nur "streng zu denken". "Wenn ich aktuelle Bilder von Kriegsflüchtlingen sehe, tauchen die Erinnerungen auf. Nicht als Gedanken an frühere Schrecken, nein. Es ist eher Mitgefühl: Hoffentlich überstehen sie es gut," sagt der heute 64jährige. Und: "Es war die Politik, die uns in Bewegung hielt, die Zwänge schuf. Wie bei vielen Migranten heute." (mlg)

Biografisches von Robert Gernhardt:
Die Lügen meiner Mutter, in Kursbuch 141, 9/2000;
Tübingen oder Belegte Seelen, in R. G.: Lug und Trug, Diana Verlag 2000


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Krystyna Korwin-Niemeyer

Krystyna Korwin-Niemeyer fing 1981 an, als polnische Korrespondentin für das japanische Fernsehen zu arbeiten. Das war unmittelbar nach Erklärung des Kriegszustandes in Polen. Die Journalistin und ihr Kameramann wurden mehrmals verhaftet: "Wenn wir zum Beispiel eine Solidarnosc-Demonstration filmen wollten, wurden wir plötzlich zur Polizeistation verschleppt und dort festgehalten, bis es vorbei war". Oft musste sie heimlich drehen und die Kassetten durch die Absperrung schmuggeln. Der Tag, an dem Solidarnosc 35 Prozent der Parlamentssitze im Wendejahr 1989 gewonnen hatte, war einer der schönsten in ihrem Leben. Im Januar 1991 war die TV-Journalistin in Litauen, das damals um die Unabhängigkeit von der Sowjetunion kämpfte. Sie saß fast zwei Wochen im verbarrikadierten Parlament fest. "Das war für mich ein sehr wichtiges Erlebnis: Wie man für die Unabhängigkeit kämpft. Es war ein extrem kalter Winter, 20 Grad minus, die Leute haben dort ganze Nächte gesessen. Sie haben Feuer gemacht, gesungen und haben das Parlament bewacht, damit kein Panzer durchkommt". Als dann der Putsch in Moskau geschah, sollte Korwin-Niemeyer mit einem deutschen Team hinfahren, die Russen ließen die Fernsehleute jedoch nicht über die Grenze. Aus der Reportage wurde nichts, aber sie hat ihren Mann kennen gelernt. Die beiden heirateten, und seitdem lebt die Polin in Königswinter. Sie arbeitet für eine amerikanische Marktforschungsfirma, fährt dennoch regelmäßig in die Heimat, um weiterhin von dort für den japanischen Sender zu berichten. "Der Eintritt Polens in die EU würde für mich persönlich das ständige Hin und Her viel leichter machen", sagt die 51jährige. Ihr erwachsener Sohn aus der ersten Ehe möchte nicht in Deutschland leben. Er fühle sich nicht benachteiligt dadurch, daß er Pole sei. "Früher waren wir immer Bürger zweiter Klasse. Man konnte nicht ohne Hindernisse reisen und durfte nur 10 Dollar mitnehmen. Jetzt fühlt man sich frei, man kann ausreisen und soviel Geld mitnehmen, wie man will". (mjd)


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Terézia Mora

Terézia Mora, 1971 in Ungarn geboren, lebt seit 1990 in Berlin, wo sie Drehbuchschreiben studiert und aus dem Ungarischen übersetzt. Als Preisträgerin des renommierten Ingeborg-Bachmann-Preises wurde sie 1999 bekannt. Mora beschreibt die Bewohner des abseits an der österreichischen Grenze liegenden ungarischen Dorfes Petöhàza. Sie beherrschen das Trinken ebensogut wie den zumeist hoffnungslosen Traum von einer Flucht aus den ärmlichen Verhältnissen in ein besseres Leben. In faszinierend skurillen - aber realitätsnahen - Geschichten hat Mora ihre Erinnerung an dieses erzkatholische Dorf mit seinen manchmal liebenswerten, meist aber brutal-derben Einwohnern, die von zuweilen archaischen Gewohnheiten und verbissenen Überzeugungen beherrscht werden, zu Papier gebracht. In der Beschreibung der vertrauten Landschaft der Kindheits-Heimat am sumpfigen Neusiedlersee und der Seelenwelten der in Elend, Melancholie und Einsamkeit lebenden Arbeiter, Handwerker und Grenzwächter bringt Mora inneren Abstand und Fremdheitsgefühle zum Ausdruck. Mehr noch als die Grenze schränken die Menschen sie ein. "Wie kleine Erdgnome" leben sie in diesem verregneten und sumpfigen Winkel zwischen Voralpen, See und Puszta. "Seltsame Materie" heißt denn auch ihr Erstlingswerk, erschienen 1999 beim Rowohlt-Verlag. "Wenn man aus der Stadt kommt und aus dem Bus auf sie hinausblickt, scheint meine Heimat wie aus einer einzigen zusammengesetzten Materie zu sein. Aus Fasern, so braun und so unauftrennbar wie die Wolle unserer Kleidung." Mora, die aus der Perspektive männlicher wie weiblicher Jugendlicher schreibt - ist mit dieser Materie verwachsen. Ihren eigenen Weg suchend, fühlt sie sich zugleich ausgestoßen - auch als Kind der deutschsprachigen Minderheit. Dass Sie später aus diesen Verhältnissen flüchtet - zuerst nach Budapest, dann nach Berlin - , erscheint da nur folgerichtig. Zumal in den Erzählungen immer wieder die nahe Grenze und nächtlich durchziehende Flüchtlinge eine Rolle spielen. Bei der Beschreibung von Alkoholismus, psychischen Abstürzen und Mißbrauchserfahrungen wird Ihr klarer und konkreter Schreibstil nüchtern und hart. Denn es ist die Perspektive des erschrockenen Kindes, das sich hier autobiografisch erinnert und heute sagt: "Ich bin erst glücklich, seitdem ich schreibe".(esf)


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Jiri Nemec

Jiri Nemec ist anders als alle. Keiner ist wie er, und wenn man ihn einfach übersehen würde, wäre ihm das wohl am liebsten. Aber wer weiß das schon? Man weiß ohnehin fast nichts über ihn - abgesehen von seinen Erfolgen: zweimal tschechischer Meister, 1997 UEFA-Cup-Sieger mit Schalke 04 und zweimal Tschechiens Fußballer des Jahres. Denn Jiri Nemec, der - wie Eingeweihte munkeln - ziemlich gut Deutsch spricht, kriegt kaum je ein Journalist vor ein Mikrofon. Jiri Nemec spielt einfach Fußball. Und schweigt - felsenfest, abgrundtief und meisterhaft. Immerhin ein Zitat haben wir gefunden. Sein Name sei für Deutsche doch ein ein ziemlicher Zungenbrecher? Ach was: "Tschechisch ist doch ganz einfach: Jiri Nemec, das spricht sich Jirschi Njemez." Zu schweigen passt momentan allerdings ganz gut. Denn seit Wochen ist es den Spielern des inoffiziellen "Herbstmeisters" der Fußball-Bundesliga laut Dienstanweisung verboten, in der Öffentlichkeit Begriffe wie "Meister" oder "Meisterschaft" zu verwenden. Nur wenn man über Nemec spricht - wenn er es schon selbst nicht tut -, darf man das verbotene Wort benutzen. Das ist Gewohnheitsrecht - schließlich trägt der Schweiger seit langem einen zweiten Spitznamen: "Der Meister". Aus dem Schalker Team ist der 34jährige kaum noch wegzudenken. Ebenso wenig aus der tschechischen Nationalelf, die der kämpferische Mittelfeldspieler als Kapitän anführt und für die er 82 Länderspiele bestritt. Unvergessen die Niederlage im EM-Finale gegen Deutschland 1996. Aber jedes Jahr aufs Neue will der hierzulande - nach Vaclav Havel und Milan Kundera - vielleicht bekannteste Tscheche für immer zurück nach Prag. Aber dann trägt er doch immer wieder neu das königsblaue Trikot auf, nun schon in der achten Saison. Seit 1993 rackert er in über 225 Bundesligaspielen unermüdlich im Schalker Mittelfeld, auch wenn es oft so aussieht, als gehe das alles weit über seine Kräfte. Etwa, wenn er sich nach einem Foul nur mühsam und mit sehr müdem Blick zum Gegner wieder aufrappelt. Und wenn er mit hängenden Schultern und Fünftagebart über den Platz trottet, könnte man meinen, die Schwermut würde ihn noch vor dem Schlusspfiff dahinraffen. Als grübele er seit Jahren, wieso er ausgerechnet Fußballspieler geworden ist und in diese lärmige Welt verschlagen wurde, in der erwachsene Männer mit kindlicher Begeisterung Bälle in ein Netz dreschen und dies mit wildem Geschrei und derben Gesten bejubeln. Jiri Nemec täte so etwas nie und nimmer. Die Gefahr, emotionale Wogen der Ehrerbietung auszulösen, vermeidet er konsequent. Nur wenn es nicht anders geht, schießt er selbst ein Tor. Erst sieben Mal musste das sein, zuletzt zum Auftakt der Rückrunde. Falls er am liebsten unsichtbar wäre, so ist er grandios gescheitert - auch darin irgendwie meisterlich. (esf)


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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István Seidel

 

Der Goethe-Fan István Seidel ist in seinen Lehr- und Wanderjahren schon weit herum gekommen. Geboren 1972 in Budapest siedelte seine Familie 1980 nach Deutschland um. In der Oberpfalz besuchte István 1983 - 1985 das ungarische Gymnasium / katholisches Internat Kartl über Amberg, machte dann aber 1992 in Wiesbaden sein Abitur. Nach der Zivildienstzeit in einem Krankenhaus zog er nach Berlin und begann ein Studium der Archäologie und Philosophie. 1997 wechselte er an die Hochschule für Kunst und Design Halle an der Saale. Hier, an der Burg Giebichenstein, belegt er den Studiengang Malerei/Textil. Eines seiner Aquarelle - eine Auseinandersetzung mit Goethes Farbenlehre - zierte den letztjährigen Kunstkalender ausländischer Studierender der Burg Giebichenstein. (esf)


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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