Ausländer in Deutschland 2/2001, 17.Jg., 30. Juni 2001

KULTUR

Ein neuer Orientboom?

Vielleicht kein Zufall ist es, dass im neuen Arbeitszimmer des Bundeskanzlers das Bild "Orientalisches Märchen" von August Macke hängt - in Westeuropa ist ein neues Orientinteresse zu beobachten. Mit dem kolonialen Orientalismus des 18. und 19. Jahrhunderts ist es zwar nicht vergleichbar, aber es tut sich einiges.

1792 wurde in Schwetzingen eine Moschee gebaut, Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in Stuttgart-Bad Cannstatt die maurische Villa "Wilhelma", in Potsdam ließ sich der Bankier Gutmann - Gründer der Dresdner Bank und Direktor der Deutschen Orientbank - die Innenraumdekoration eines syrischen Hauses in seine Villa einbauen und das Dresdner Schloß Albrechtsberg wurde mit einem "arabischen Bad" ausgestattet. Dies sind rare Beispiele einer früheren Orientbegeisterung. Deutschland hatte und hat jedoch - im Gegensatz zur alten Kolonialmacht Frankreich - mit dem Orient historisch kaum Berührungspunkte. So sind bei uns das Wissen und auch das Interesse am Orient relativ gering geblieben. Was es jedoch gibt, ist eine romantische Orientierung. Zwar trachtet es nur danch, die übersteigerten Klischeebilder aus Kindheitstagen - geprägt von 1001 Nacht, Hauffs Märchen und Karl May - wiederzufinden. Es hat aber zu Ansätzen eines neuen Orientbooms geführt. Dazu zählen nicht nur der orientalische Tanz und das schon sehr alte Interesse an Teppichen.

Im Zuge des Trends zum Ethno-Design sind orientalisch-mediterrane Dekoartikel und Nippes in Mode gekommen. Hoch im Kurs stehen dezente Folkore-Muster auf Lampen, Bilderrahmen, Vasen, handbemalter Keramik, Geschenkboxen und Stoffen. Bezeichnend ist die aktuelle "Spinnrad"-Werbung: "Der Zauber des Orients für Ihr Zuhause - fühlen Sie sich wie in 1000 und 1 Nacht". Groß im Kommen sind wieder Babuschen. Die orientalischen Leder-Pantoffeln - spitze Schuhe ohne Absatz und an der Ferse offen - werden jetzt knallbunt oder im Ethnolook bestickt angeboten. In den Geschäften arabischer Migranten bekommt man orientalische Gewürze, Weihrauch, Falafel zum Selberbacken, Henna zum Haarefärben oder Wasserpfeifen. Viele Touristen interessieren sich nach einem Urlaub für solche Produkte. So wird in Berlin nun sogar ein eigenes Kaufhaus für diese Waren geplant. "Orienta" soll es heißen.

A propos Wasserpfeifen: die beste Auswahl bieten Birgit und Bernd Lassen aus Glücksburg (www.wasserpfeifen-shop.de). Und allen, denen die Sonne im Orient aufgeht, bietet die Website www.ex-oriente-lux.de alles was das Herz begehrt. Jedenfalls virtuell. Wer nach dem Sanddünen-Surfen dort reiselustig geworden ist, kann unter einigen Spezial-Reisebüros wählen. Mit Trekking- und Karawanentouren oder auch LKW- und Motorradtrips durch die Sahara locken Oase Reisen in Freiburg (www.oasereisen.de), suntours in Langgöns (www.suntours.de), Erika Därr in München (www.daerr.de) oder auch Jürgen Schulz (www.erlebnisreisen-schulz.de). Wer Interesse an Arabisch-Sprachreisen hat, ist bei Fokus gut aufgehoben (www.arab-isch.de). Und bei Al Hoceima in Frankfurt können Marokkaner für Ihren Heimaturlaub Flüge zu "Gastarbeitertarifen" oder Fährverbindungen buchen.

Im Urlaub kennengelernt haben viele Deutsche auch die Lust am "orientalischen Bad". Ein Dutzend gibt es hierzulande bereits. Zumeist sind sie türkisch-osmanischen Stils - wie das Hamam für Frauen und das Sultan Hamam in Berlin, die Oase im Weserpark in Bremen, das Syltness-Center auf Sylt, das Hamam in Frankenthal, die Schwabenquellen in Stuttgart oder das Mathilden Hamam in München. Es gibt aber auch die ersten im spanisch-maurischen Stil - wie das "Mediterrana" in Bergisch Gladbach oder das arabische Bad im "Fit & Fun" in St. Wendel. Diese Angebote schwimmen auf der aktuellen "Wellness"-Welle.

Viele arabische Künstler hierzulande verbinden orientalische und europäische Einflüsse und lassen etwas neues entstehen. So wuchs die in Syrien geborene Tänzerin Mouna Sabbagh in Deutschland in beiden Kulturen auf und verarbeitet deren Gegensätzlichkeiten tänzerisch, indem sie das orientalische Lebensgefühl der Freude und Hingabe mit der Spannung und Expressivität westlicher Stilelemente verknüpft. Auch der Kasselaner Musiker Hamid Baroudi wandert zwischen den Welten - in den 80ern als Sänger der "Dissidenten"und nun solo. Rabih Abou-Khalil, der in München lebende libanesische Musiker von Weltruhm, führt Musiker aus verschiedensten Kulturkreisen zusammen, ohne "Weltmusik" zu machen. Er spielt Stücke zwischen Jazz und zeitgenössischer arabischer Musik, ohne dass man ihn auf den Allerweltstitel "Weltmusik" festlegen könnte. Diese allerdings ist durchaus stark von arabischer Musik beeinflusst, wie man bei den regelmäßigen Orient-Asia-Feten an der Uni Bonn, den Orient-Discos an der Werkstatt der Kulturen in Berlin, am eindrucksvollsten aber bei den "Yalla-Parties" in Köln erleben kann, wo man seit 1993 einmal im Monat zu oriental grooves abtanzen kann. Darüber hinaus hat sich vor allem in Berlin eine große Szene eher traditioneller Musiker entwickelt, von denen exemplarisch der ägyptische Percussionist Sayed Balaha mit seiner Band "Egypt Stars" und der ägyptische Flötenmusiker Mohamed Askari genannt werden können. Arabische Musik findet man in spezialisierten CD-Läden, zum Beispiel bei Kaukab oder Oriente Musik/Canzone (www.oriente.de, www.canzone.de) in Berlin.

Von einem gestiegenen Interesse an arabischer Kunst profitieren Arabisch-Übersetzer und Dolmetscher, von denen Chérifa Magdi und Suleman Taufiq die vielleicht bekanntesten sind. Als Vermittlerin - sprachlich, wie auch in Sachen Kunst und Kultur arabischer Länder - versteht sich Dagmar Stelkens von Arabic Translation, Trade and Arts/ATTA in Bonn. Ihnen allen wäre ein neuer Orientboom zu wünschen, der über Weltmusik, Kitsch und Nippes hinausgeht.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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