Ausländer in Deutschland
2/2001, 17.Jg., 30. Juni 2001
MOBILITÄT UND INTEGRATION |
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*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht! |
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"Deutschländer" in der TürkeiDie unbeachteten Remigranten
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Deutschland präsentiert sich im neuen Jahrtausend als Einwanderungsland: Politik und Medien setzen auf Zuwanderung und bessere Integrationsangebote. Allerdings sind die ideologische Widerstände dagegen noch nicht abgebaut. Gerade in dieser Situation gerät ein Thema leicht ins schiefe Licht, das gleichwohl zur Einwanderung hinzugehört: Die Rückwanderung von Arbeits-Migranten, oder, was die zweite und dritte Generation angeht, eher ihre Auswanderung ins Herkunftsland der Familie. Integrations-Praktiker wie Politiker reagieren oftmals befremdet auf das Thema. Doch Deutschlands Probleme mit einer alternden Gesellschaft oder sein Fachkräftemangel sind für eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Arbeits-Migranten nicht relevant. Sie träumen von einer glückliche(re)n Zukunft im Herkunftsland der Familie, und Zehn-Tausende jedes Jahr wagen den Wechsel tatsächlich, aus eigenem Wunsch und auf eigenes Risiko. In der Türkei hat AiD mit einigen Re-Migrierten gesprochen: über ihre Beweggründe und ihre Erfahrungen im Prozess der Re-Integration. Es gibt ihn tatsächlich: Adem G., vormals
"Gastarbeiter" der ersten Anwerbezeiten in Deutschland, genießt
am sonnigen Strand Alanyas seinen frühen Ruhestand. Der Ende 50-Jährige
liebt es, kulturvergleichende Beobachtungen anzustellen: "Ich bin
scheinbar der einzige verheiratete Mann am Strand! Viele Männer von hier
nehmen den Ehering ab. Aber ich war meiner Frau immer treu, auch schon in
Deutschland." Dass er seine Privatforschungen zum tagefüllenden Hobby
machen kann, dafür hat er in Deutschland lange hart gearbeitet und sparsam
gelebt. Beneidenswert: der wahrgewordene Traum so manches türkischen
Migranten in Deutschland. Glücklicher Lebensabend?Weniger glücklich ist etwa Abel C. Von der türkischen Versicherung SSK, in die er nur wenige Jahre einzahlen konnte, erhält er gerade einmal 350 Mark. Im teuren Ankara reicht das kaum für das absolute Lebensminimum. Auf Nachfrage bestätigt die für ihn zuständige LVA in Deutschland, was leider fast zu erwarten war: Der ehemalige Facharbeiter hat sich bei seiner Rückkehr vor etwa 10 Jahren den Arbeitnehmeranteil der Rentenbeiträge komplett auszahlen lassen. Mit dem Geld wollte er sich in der Türkei selbständig machen und scheiterte. Hätte er seine Beiträge für später stehen lassen - und sich damit auch die deutschen Arbeitgeberanteile erhalten -, so käme zur türkischen SSK-Rente heute eine deutlich höhere aus Deutschland hinzu. Dürftige Forschungslage:
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Wie gefragt aber ist eine aus Deutschland mitgebrachte Qualifikation in der Türkei? Rückkehrerin Nilüfer B. hatte in Deutschland schlechte Ratgeber. Der Liebe wegen zog sie vor drei Jahren in die Türkei zu ihrem heutigen Ehemann nach Ankara. Eine herbe Enttäuschung wartete auf sie: "Ich habe Allergien bekommen, vor Langeweile oder vielleicht auch vor Stress. " Sie kann es noch immer nicht fassen: "Als gelernte Hauswirtschafterin mit Berufserfahrung hatte ich plötzlich keinen Beruf mehr, weil es das hier gar nicht gibt. Warum sagt einem das in Deutschland niemand?" Es ist kein Trost, dass es ihrer Freundin Amka N., einer medizinisch-technischen Assistentin, ähnlich geht: "Ich werde gefragt: Sind Sie Sekretärin? Nein? Krankenschwester auch nicht? Was sind Sie denn eigentlich?" Als sie noch Schülerin war, hatte man ihr in Deutschland gesagt, etwas Ähnliches wie Arzthelferin müsse es überall geben. Doch deren Arbeit machen in der Türkei überwiegend Angelernte, entsprechend gering bezahlt. Berufserfahrung in Deutschland plus Sprachkenntnisse sind keine Ersatzqualifikation. Erwartungen vor Ort prüfen!Es geschieht offenbar Personen jeglichen Bildungs- und Qualifizierungsniveaus, dass sie schlecht informiert zurückkehren. Noch häufiger und heftiger trifft das diejenigen, die etwas ganz Neues beginnen wollten: "Endlich mein eigener Chef sein" ist eine der verbreitetsten Motivationen für eine Rückkehr: ein Café in Istanbul, ein Schmuckgeschäft oder ein Restaurant in den Urlaubsregionen. Bei Ferienreisen hatte man ja zu erkennen geglaubt, das sei vielversprechend. Und dabei nicht genau genug hingeschaut: denn harte Konkurrenzbedingungen, vor allem aber mangelnde Fachkenntnisse in der neuen Branche und auf dem "fremden" Markt sind ein (weiterer) Grund dafür, dass die Ersparnisse bei vielen Existenzgründern weitaus rascher dahinschmelzen als geglaubt. Hinzu kommt, dass die Preise generell meist unterschätzt werden: Lebensmittel, Schulgeld, Infrastrukturangebote, Steuern - all das erschließt sich bei Ferienreisen nicht von selbst, zumal, wenn man bei Verwandten zu Gast ist. Von oft großen Problemen gerade im finanziellen Bereich erfährt man überwiegend dann, wenn man längere Gespräche in von Vertrauen geprägter Atmosphäre führt. Landsleuten gegenüber sind Rückkehrer da zurückhaltend, sowohl bei denen, die die Türkei nicht verlassen haben, als auch bei denen, die aus Deutschland mal vorbeischauen. Es ist eh schon schwer, das Scheitern wesentlicher Lebenspläne zuzugeben, umso schwerer aber, wenn das Gegenüber eigene, nicht erfüllte Sehnsüchte nach dem jeweils anderen Land erkennen lässt. Erfolgserwartungen, "sozialer Druck", das war nach einer isoplan-Studie von 1994 für etwa jeden Dritten der Befragten ein Problem - und damit das am häufigsten genannte - mit den Landsleuten in der Heimat. Das ist anscheinend sogar stärker geworden. Zu den ganz großen Enttäuschungen beim Neubeginn gehört, dass die Landsleute in der alten Heimat der Familie durchaus nicht nur mit offenen Armen oder "türkischer" Freundlichkeit auf die Neuankömmlinge zugehen. Im Gegenteil: Stellt sich heraus, dass Rückkehrer doch nicht so wohlhabend sind, wie erwartet, reagiert das Umfeld oft mit Häme: Warum sind sie dann nicht in Deutschland geblieben? Überhaupt hatten "die" es in Deutschland ja sehr leicht, an Geld zu kommen, heißt es. Vielfältig und zahlreich sind denn auch die Berichte Betroffener darüber, wie sie finanziell betrogen wurden: Beim alltäglichen Einkauf, beim Kauf eines Grundstücks, vor allem aber durch den "guten Bekannten" eines lieben Verwandten, der als Teilhaber und lokaler Experte für die neue Geschäftsgründung des Rückkehrers von dessen mühsam ersparten Geld einen erheblichen Teil veruntreute. Dass Rückkehrer besonders leicht Opfer von schwarzen Schafen unter den Einheimischen werden, liegt auch daran, dass diese die "Deutschländer" schnell erkennen. Denn viele Rückkehrer sprechen erst einmal mit deutlichem Akzent und auffälliger Grammatik: In Deutschland hat die "Muttersprache Türkisch" längst eine andere Entwicklung genommen als in der Türkei. |
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Doch trotz umfangreicher und verbreiteter Schwierigkeiten - wieder nach Deutschland zurück zu wandern scheint eine Mehrzahl nicht zu wünschen. Bei dem Rückkehrerverein ADA in Antalya und auch andernorts trifft man durchaus zufriedene, ja glückliche Rückkehrer. Da ist die innovative Gründerin eines zweisprachigen Kinderhorts in dem beliebten Urlaubsort - noch kämpft sie gegen restriktiv gehandhabte Vorschriften, aber mit Sachlichkeit und dem Beistand wirklicher Freunde hält sie durch. Da sind die drei jungen Rückkehrerinnen, die derzeit ein gemeinsames Kleinunternehmen für die pflegerische Betreuung älterer Migranten und deutscher Dauertouristen aufbauen - mit ersten Erfolgen. Da sind die Facharbeiter und Ausbilder oder die Ingenieure in (oft deutsch-türkischen) Industriebetrieben, geschätzt wegen ihrer als "deutsch" geltenden Selbständigkeit und Kreativität. Und nicht zuletzt die ebenso gut qualifizierten wie motivierten, bi-kulturellen Hotelmanager. Ihr jetziges gegen das frühere Leben in Deutschland eintauschen möchten diese Erfolgreichen nicht. Aber einen leichten Weg ist keiner von ihnen gegangen, vor allem nicht leichter als in Deutschland, sagen sie mir übereinstimmend. Wo genau liegen gute Berufschancen, was sind chancenreichen Qualifikationen, die einen guten Start in der Türkei erwarten lassen? Die Arbeitsverwaltung in Ankara nennt dazu keine Tipps; sie weiß schon für die Vielzahl der einheimischen Arbeitslosen keine aussichtsreichen Lösungen. Zumindest eine systematische Erhebung des von Unternehmerseite in der Türkei durchaus konstatierten Fachkräftebedarfs täte not. Will man darüber hinaus unnötigen Härten vorbeugen, so muss vor allem die Öffentlichkeitsarbeit über bestehende Reintegrationsprobleme durch in Deutschland deutlich verbessert werden. Siehe auch: |
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Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan |
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Rückkehrträume ernst nehmenVoraussetzung für Integration in Deutschland |
Die jährlich etwa 40.000 Türkei-Rückkehrer bilden mit zwei Prozent eine kleine Gruppe, die leicht aus dem Blickfeld gerät - umso eher, wenn die Bemühungen um Integration in Deutschland mehr Kräfte binden als bisher. Doch gerade für Integrationsbefürworter gibt es gute Gründe, Rückkehrer, ihre Motive und die Probleme der Reintegration genauer in den Blick zu nehmen. Nicht zuletzt um derer willen, die - mit ihren Träumen - in Deutschland bleiben. Nach einer Befragung des Zentrums für Türkeistudien in Nordrhein-Westfalen fasste noch im Jahr 2000 jeder Fünfte türkische Befragte eine Rückkehr ins Auge (22 %), und weitere 18 % bezeichnen sich als unentschieden. Die Folgen sollten nicht unterschätzt werden. So macht der Politikwissenschaftler Professor Dr. Hakki Keskin selbst vage Rückkehroptionen als einen Grund dafür aus, dass Einbürgerung in Deutschland weniger attraktiv ist, als von Integrationspolitikern erwartet: "Die Überlegung ist: Wenn ich meine bisherige Staatsbürgerschaft aufgebe, dann bin ich selbst in meinem Herkunftsland ein Ausländer. - Man kann nicht einen Teil der Biografie wegwerfen; das ist nicht rational zu erklären, da spielen Emotionen eine große Rolle." Es gilt daher, das Thema bei Migranten offen anzusprechen. Gerade auch "basisnahe" Multiplikatoren und Vertreter von Migranten-Initiativen in Deutschland sind hier gefragt. Nicht weniger wichtig ist Öffentlichkeitsarbeit für bestehende Beratungsangebote, insbesondere durch die "Mobilitätsberater für Ausländer" bei den Arbeitsämtern (Adressen siehe www.isoplan.de/mi). Sachkundiges Abwägen der Chancen und Risiken eines künftigen Lebens im Herkunftsland gegenüber denen in Deutschland dürfte in manchem Fall dazu führen, sich bewusster als bisher für Deutschland zu entscheiden - und mit neuer Motivation Integrationsangebote anzunehmen. Und wer nach wohlinformiertem Abwägen den Wechsel wählt, kann sich dann zumindest umfassender darauf vorbereiten. Darüber hinaus stellt die Vielzahl von Rückkehrer-"Einzelfällen" auch ein Potenzial auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene dar. Zukunftsszenario: Die vielzitierte bi-kulturelle Kompetenz von Migranten, ergänzt durch gezielte berufliche und bei Bedarf unternehmerische Qualifizierungen, dazu Unterstützung bei der Erschließung chancenreicher Marktsegmente - davon können die interkulturellen und insbesondere wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei profitieren. Sofern beide Länder dies (besser) fördern. |
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Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan Quelle: Zentrum für Türkeistudien: "Die Lebenssituation und Partizipation türkischer Migranten in Nordrhein-Westfalen". Essen 2000. Eine Kurzfassung der Studie steht unter www.uni-essen.de/zft zum Download zur Verfügung. |
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Der Verein ADASolidarität der Bi-Kulturellen
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Saadet Cakirs ist Leiterin des Rückkehrervereins ADA in Antalya. Ihre Arbeit wird zwei Jahre lang aus deutschen Entwicklungsgeldern gefördert, dann muss sie sich neu orientieren. Doch einstweilen betreibt sie mit größtem Elan ihre Aufgabe: Sie recherchiert, organisiert und hilft anderen Rückkehrern, wo sie gebraucht wird, und das, wie es scheint, rund um die Uhr. Hunderte von Rückkehrern führt sie durch gemeinsame Unternehmungen zusammen; sie kommen aus der Region Antalya und von weiter her. ADA steht für Almanya'dan Kesin Dönüs Yapan Ailelerin Kültür, Dayanisma ve Yardimlasma Dernegi (deutsch: Verein von Rückkehrerfamilien aus Deutschland - für Kultur, gegenseitige Hilfe und Solidarität.) Neben der gegenseitigen Hilfe schätzen die ADA-Freunde besonders den Austausch, sei es über Behördenärger oder den sorglosen Umgang der Nachbarn mit dem Müll, an den sie sich nicht gewöhnen wollen. Immer wieder höre ich bei den Besuchern von ADA Sätze wie diesen: "Wir leben hier zwischen zwei Kulturen. Wenn es gut läuft, dann leben wir in beiden." Kontakt: |
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Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan |
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Empfehlungen für Berater und Ratsuchende
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Wer in der Integrationsarbeit tätig
ist, Wer über eine Rückkehr nachdenkt oder
sie bereits plant sollte bedenken: Ein Schulwechsel in die Türkei (acht Jahre Schulpflicht, Gymnasium/Lise weitere fünf bis sechs) kann erhebliche Probleme mit sich bringen. Zwei Jahre dauert es meist, bis Kinder und Jugendliche wieder Fuß fassen, oft verlieren sie ein Schuljahr. Sie sollten unbedingt in die Entscheidung einbezogen werden, dann fällt die Umgewöhnung leichter. Besonders ungünstig: Schulwechsel vor Abschluss einer Schulstufe. Türkischkenntnisse in Wort und Schrift sollten frühzeitig in Deutschland aufgebessert werden. Übrigens: In naturwissenschaftlichen Fächern sind türkische Lehrpläne den deutschen weit voraus. Die Gründung einer selbständigen Existenz in der Türkei ist beliebter Inhalt von Rückkehrträumen. Leider scheitern sehr viele, die dies versuchen. Die Hauptgründe dafür: Betrug durch angebliche "gute Freunde", Fehleinschätzung von Markt und Konkurrenz, fehlende Qualifikation im neuen Betätigungsfeld, zu geringe Finanzdecke. Im finanziellen und fachlichen Bereich lassen sich entsprechende Vorbereitungen in Deutschland treffen. Marktfragen in der Türkei sollten bei vorläufigen Aufenthalten geprüft werden. Vorsicht vor Geschäftsbeziehungen auf Empfehlung von Bekannten! Bei Rentenrückzahlungen verlieren viele: Den Anteil des Arbeitgebers erhalten Sie nicht zurück, nur Ihre eigenen. Vor allem aber verlieren Sie mit Ihrer Rückzahlung eine soziale Absicherung für später. Die Investition der zurückgezahlten Rentenbeiträge in ein Geschäft ist keine Sicherheit. In jedem Fall sollten alle Möglichkeiten zu Beratung genutzt und Qualifizierung in Deutschland angestrebt werden. Erste Ansprechpartner für alle hier skizzierten Fragen gibt es bei jedem Arbeitsamt. Oder fragen Sie besondere Experten - für Rückkehrthemen und für Alternativen in Deutschland. Das sind unter anderem die Mobilitätsberater, die in der Datenbank M und I vorgestellt werden. Siehe
auch: |
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Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan |
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Informationsquellen und Kontakte |
Informationen online:
Internationale Arbeitsvermittlung,
finanzielle Förderungen für rückkehrende Arbeitnehmer bei
"entwicklungspolitischer Relevanz": Türkei-Kontakt: Der
Rückkehrer-Verein ADA |
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Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan |
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