Ausländer in Deutschland 2/2001, 17.Jg., 30. Juni 2001

MOBILITÄT UND INTEGRATION

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


"Deutschländer" in der Türkei

Die unbeachteten Remigranten


Vom "Gastarbeiter" zum Kulturforscher: Adem G.

Rückkehrer-
Erfahrungen

Mit etwa 30 türkischen Migranten aus Deutschland habe ich Ende letzten Jahres in der Türkei (Istanbul, Ankara, Antalya) intensive Einzel- und Gruppengespräche geführt, ergänzt durch Expertengespräche mit Lehrern, Ausbildern, Vor-Ort-Experten. Die kleine "Stichprobe" der Re-Migrierten setzte sich aus allen Altersklassen und allen Schichten zusammen. Die Gespräche zeigten vor allem eines: Der Neubeginn war bei fast allen schwieriger, als sie es vorausgesehen hatten. Und oft hörte ich: "Bitte erzählen Sie in Deutschland meine Geschichte weiter! Vielleicht hilft das anderen." 

In vielen Gesprächen klang eine gewisse Bitterkeit darüber an, dass weder der deutsche, noch der türkische Staat Rückkehrern bei der Bewältigung der vielen, unerwarteten Schwierigkeiten helfe - eine Klage, die Selbstkritik über eigene Blauäugigkeit, mit der man den Wechsel angegangen hatte, keineswegs ausschließt. (mlg)

 

Deutschland präsentiert sich im neuen Jahrtausend als Einwanderungsland: Politik und Medien setzen auf Zuwanderung und bessere Integrationsangebote. Allerdings sind die ideologische Widerstände dagegen noch nicht abgebaut. Gerade in dieser Situation gerät ein Thema leicht ins schiefe Licht, das gleichwohl zur Einwanderung hinzugehört: Die Rückwanderung von Arbeits-Migranten, oder, was die zweite und dritte Generation angeht, eher ihre Auswanderung ins Herkunftsland der Familie. Integrations-Praktiker wie Politiker reagieren oftmals befremdet auf das Thema. Doch Deutschlands Probleme mit einer alternden Gesellschaft oder sein Fachkräftemangel sind für eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Arbeits-Migranten nicht relevant. Sie träumen von einer glückliche(re)n Zukunft im Herkunftsland der Familie, und Zehn-Tausende jedes Jahr wagen den Wechsel tatsächlich, aus eigenem Wunsch und auf eigenes Risiko. In der Türkei hat AiD mit einigen Re-Migrierten gesprochen: über ihre Beweggründe und ihre Erfahrungen im Prozess der Re-Integration.

Es gibt ihn tatsächlich: Adem G., vormals "Gastarbeiter" der ersten Anwerbezeiten in Deutschland, genießt am sonnigen Strand Alanyas seinen frühen Ruhestand. Der Ende 50-Jährige liebt es, kulturvergleichende Beobachtungen anzustellen: "Ich bin scheinbar der einzige verheiratete Mann am Strand! Viele Männer von hier nehmen den Ehering ab. Aber ich war meiner Frau immer treu, auch schon in Deutschland." Dass er seine Privatforschungen zum tagefüllenden Hobby machen kann, dafür hat er in Deutschland lange hart gearbeitet und sparsam gelebt. Beneidenswert: der wahrgewordene Traum so manches türkischen Migranten in Deutschland.
- Wie häufig sind solche Geschichten?

Glücklicher Lebensabend?

Weniger glücklich ist etwa Abel C. Von der türkischen Versicherung SSK, in die er nur wenige Jahre einzahlen konnte, erhält er gerade einmal 350 Mark. Im teuren Ankara reicht das kaum für das absolute Lebensminimum. Auf Nachfrage bestätigt die für ihn zuständige LVA in Deutschland, was leider fast zu erwarten war: Der ehemalige Facharbeiter hat sich bei seiner Rückkehr vor etwa 10 Jahren den Arbeitnehmeranteil der Rentenbeiträge komplett auszahlen lassen. Mit dem Geld wollte er sich in der Türkei selbständig machen und scheiterte. Hätte er seine Beiträge für später stehen lassen - und sich damit auch die deutschen Arbeitgeberanteile erhalten -, so käme zur türkischen SSK-Rente heute eine deutlich höhere aus Deutschland hinzu.

Dürftige Forschungslage:
Was sind "typische" Rückkehrer?

Leider sind allem Anschein nach Geschichten wie die von Abel C. weitaus häufiger, als die von Adem G. Darauf lassen frühere Untersuchungen, Aussagen von Beratern und viele Einzelbeobachtungen schließen. Wie häufig aber sind sie tatsächlich? Quantitative Aussagen dazu sind nicht möglich, nicht einmal zu der Frage, ob eher Senioren oder eher Jüngere die Mehrzahl der Rückkehrer stellen. Dergleichen wird weder von einer deutschen noch einer türkischen Institution erfasst, geschweige denn gibt es neuere systematische Untersuchungen zu den Bedingungen der Reintegration im Herkunftsland.

Selbst exakte Aussagen über die Gesamtzahl der jährlichen Rückkehrer sind schwierig. Die Wanderungen in die Türkei (Rang 1 bei der Rückkehr von Arbeitnehmern) bewegen sich seit Jahren um die 40.000. Diese Zahl offizieller Abmeldungen am Wohnort in Deutschland mit Ziel Türkei wird behördlich erfasst. Hinzu aber kommt eine Dunkelziffer, und auch Mehrfach-Wanderungen (Wiederkehr nach Deutschland, evtl. erneute Rückkehr) werden nicht erfasst. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stellen Arbeitsmigranten bzw. deren Familienangehörige die überwiegende Zahl der Türkei-Rückwanderer. Viele Fragen bleiben offen: Wie lange haben sie zuvor in Deutschland gelebt? Wie gut sind sie auf die "fremde Heimat" vorbereitet? Welche Probleme mit der Integration in der Türkei sind die schwersten, und wie ließe sich da schon in Deutschland vorbeugen?

Schulwechsel fordert Höchstleistungen

Zum Beispiel bei Emel. Als ich die gerade 18-Jährige treffe, ist sie bleich, hat Ringe unter den Augen, wirkt erschöpft. Die Schülerin eines Gymnasiums in Ankara ist "hoch begabt und motiviert", sagen ihre Lehrer. Dieses Schuljahr, ihr letztes, entscheidet, ob sie die hochgesteckten Voraussetzungen für einen guten Studienplatz schaffen wird: einen Super-Notendurchschnitt und die korrekte Beantwortung Hunderter von Fragen im Multiple-Choice-Verfahren. Schule und Zusatzunterricht kosten sie seit ihrer "Rückkehr" vor ein paar Jahren fast alle Freizeit. Denn da ging es gleich los mit Nachholen, zum Beispiel in den naturwissenschaftlichen Fächern, weil da die türkischen Lehrpläne den deutschen weit voraus sind. Das Ganze auf Türkisch, denn das ist auch an deutschsprachigen Gymnasien die wichtigere Unterrichtssprache. "Ich halte durch," sagt Emel, "ich arbeite für meine Zukunft, und das geht hier nicht anders." Sie fügt hinzu: "Ich möchte, dass die Leute in Deutschland erfahren, wie die Schulausbildung hier ist: Pauken, Disziplin, freudlos. Ich habe das nicht geahnt."

Ihre bemerkenswerte Energie mag Emel aus der Mehrheit herausheben. Doch den ersten Schock und die folgende Schwerstarbeit - das teilt sie offensichtlich mit vielen Jugendlichen und schon Kindern im Grundschulalter, die einen Wechsel ins türkische Schulsystem verkraften mussten. Lehrerinnen und Lehrer verschiedener Schulen berichten davon, manche mit Mitgefühl, andere eher abwehrend: Was soll man tun? Nun sind sie da, nun gelten die Vor-Ort-Regeln. Auch für Eltern: Der Zusatzunterricht kostet sie Tausende von Mark, je nach Stadt. Die Tausende für den Platz an einer guten Privatschule noch nicht eingerechnet.

Unfreiwilligkeit schadet Jugendlichen

Nach zwei Jahren, sagen die Lehrer, haben die meisten Kinder den Übergang geschafft. Doch sie stellen fest, dass die Kinder oft zu spät auf das neue Leben vorzubereitet werden. "Manche, vor allem, wenn sie gegen ihren Willen hierher gebracht wurden, schaffen es nie. Sie ziehen sich in sich selbst zurück, oder sie werden, je nach Temperament, aufsässige kleine Besserwisser - ohne Freunde und ohne Sympathie bei den überforderten Lehrern."

Manchmal finden auch glückliche und weniger glückliche Rückkehrer zusammen, und Hilfe zur Selbsthilfe wird möglich. Safak A. gehört zu den Glücklichen. Aus eigenem Antrieb ging sie als Jugendliche in die Türkei, sorgte selbst dafür, dass sie bei einer Tante in Ankara wohnen konnte. Die Schwierigkeiten des Wechsels bewältigte die in Deutschland Geborene in dem tiefen Gefühl: "Die Türkei war und ist mein Land!" Das, erzählt sie, hatte sie in der Pubertät gespürt; sie war jedoch rational genug, sich bei einem längeren Test-Aufenthalt ihre Schule intensiv anzusehen und behielt dann auch die Option einer Wiederkehr nach Deutschland eine Weile bei. Heute arbeitet die junge Juristin und Germanistin in einem Anwaltsbüro mit internationalem Kundenstamm. Dort hat sie auch ihrem Freund einen Job besorgen können. Der war unfreiwillig mit seinen Eltern mitgegangen, hatte dann nach der Schule die gemeinsame Wohnung und familiäre Sicherheit verlassen, um sich der noch immer ungeliebten neuen Heimat alleine zu stellen. Nun studiert er Germanistik, weil das "eine Verbindung zu Deutschland ist." Seine neue Freundin versucht, ihm die Vorzüge des Lebens in der Türkei zu zeigen, ihm andere berufliche Wege nahe zu bringen, noch zögernd nimmt er etwas von ihrer positiven Lebenseinstellung an.

Chancen(los) nach Germanistikstudium

Ein Germanistikstudium, das ist für viele junge Rückkehrer ein verlockender Ausbildungsgang, zumal die Zugangsvoraussetzungen zu anderen Studiengängen nur von einer absoluten Minderheit zu schaffen sind. Immerhin: Während des Studiums leben die jungen Leute auf: "Das Leben ist so frei hier," sagen Studentinnen wie Studenten in den Großstädten, "freier als in Deutschland! Man kann ausgehen, Freunde treffen, und kein Nachbar meckert darüber." Nach einiger Zeit aber stellt sich bei Germanistik-Studenten auch die Erkenntnis ein, dass die Mehrzahl von ihnen keine Stelle finden wird. Der Deutschunterricht nimmt an Bedeutung ab; erste Fremdsprache und wichtigste Handelssprache ist Englisch. Demzufolge kämpft eine Vielzahl freiberuflicher deutsch-türkischer Übersetzer um Marktnischen. Mindestens eine Zusatzqualifikation wird schon gebraucht, dazu immense Energie, Durchhaltevermögen und ein Quäntchen Glück, wenn man, wie Dr. Metin T. etwa, als Dolmetscher für Diplomaten und Consultant für ausländische Investoren erfolgreich einen lukrativen Kundenkreis aufbauen will.

Berufsausbildung erfolgversprechender

Generell gilt es, die hohe Akademikerarbeitslosigkeit in der Türkei zu beachten. Das liegt an dem hohen sozialen Status von Akademikern - solange sie nicht offensichtlich in Armut fallen. Eine Berufsausbildung dagegen genießt wenig Ansehen, vor allem dann nicht, wenn sie theoriearm in einem Betrieb oder praxisfern in einem Berufsgymnasium der Türkei absolviert wird. Und nur wenig attraktiver erscheint es bisher vielen, einen der allmählich aufgebauten dualen Ausbildungsgänge zu nutzen. Dabei sind sich Experten einig: Die Berufsaussichten für Qualifizierte auf Facharbeiterniveau sind relativ gut, und die Verdienstmöglichkeiten oft besser als die eines Hochschuldozenten.

Viele Jüngere wagen den Neubeginn

Experten beobachten, dass die Zahl derer wächst, die in jüngeren Jahren den großen Schritt wagen. Darunter sind auch viele, die in Deutschland geboren sind, oder die meiste Zeit ihres Lebens dort verbracht haben - eigentlich nicht Rück-, sondern Auswanderer. Das beobachtet zum Beispiel Saadet Cakir, selbst eine Rückkehrerin und Leiterin des Rückkehrervereins ADA in Antalya. Sie stellt fest: "Es sind heute eher die Jüngeren, die in die Türkei kommen. Sie haben sich in Deutschland gesagt: Bis Mitte 30, spätestens 40 müssen wir den neuen Anfang machen. Sonst verkraften wir so einen Wechsel schlechter, man muss ja Geschäft, Arbeit, Freunde und all diese Dinge neu aufbauen."

 

Wie gefragt aber ist eine aus Deutschland mitgebrachte Qualifikation in der Türkei? Rückkehrerin Nilüfer B. hatte in Deutschland schlechte Ratgeber. Der Liebe wegen zog sie vor drei Jahren in die Türkei zu ihrem heutigen Ehemann nach Ankara. Eine herbe Enttäuschung wartete auf sie: "Ich habe Allergien bekommen, vor Langeweile oder vielleicht auch vor Stress. " Sie kann es noch immer nicht fassen: "Als gelernte Hauswirtschafterin mit Berufserfahrung hatte ich plötzlich keinen Beruf mehr, weil es das hier gar nicht gibt. Warum sagt einem das in Deutschland niemand?" Es ist kein Trost, dass es ihrer Freundin Amka N., einer medizinisch-technischen Assistentin, ähnlich geht: "Ich werde gefragt: Sind Sie Sekretärin? Nein? Krankenschwester auch nicht? Was sind Sie denn eigentlich?" Als sie noch Schülerin war, hatte man ihr in Deutschland gesagt, etwas Ähnliches wie Arzthelferin müsse es überall geben. Doch deren Arbeit machen in der Türkei überwiegend Angelernte, entsprechend gering bezahlt. Berufserfahrung in Deutschland plus Sprachkenntnisse sind keine Ersatzqualifikation.

Erwartungen vor Ort prüfen!

Es geschieht offenbar Personen jeglichen Bildungs- und Qualifizierungsniveaus, dass sie schlecht informiert zurückkehren. Noch häufiger und heftiger trifft das diejenigen, die etwas ganz Neues beginnen wollten: "Endlich mein eigener Chef sein" ist eine der verbreitetsten Motivationen für eine Rückkehr: ein Café in Istanbul, ein Schmuckgeschäft oder ein Restaurant in den Urlaubsregionen. Bei Ferienreisen hatte man ja zu erkennen geglaubt, das sei vielversprechend. Und dabei nicht genau genug hingeschaut: denn harte Konkurrenzbedingungen, vor allem aber mangelnde Fachkenntnisse in der neuen Branche und auf dem "fremden" Markt sind ein (weiterer) Grund dafür, dass die Ersparnisse bei vielen Existenzgründern weitaus rascher dahinschmelzen als geglaubt. Hinzu kommt, dass die Preise generell meist unterschätzt werden: Lebensmittel, Schulgeld, Infrastrukturangebote, Steuern - all das erschließt sich bei Ferienreisen nicht von selbst, zumal, wenn man bei Verwandten zu Gast ist.

Von oft großen Problemen gerade im finanziellen Bereich erfährt man überwiegend dann, wenn man längere Gespräche in von Vertrauen geprägter Atmosphäre führt. Landsleuten gegenüber sind Rückkehrer da zurückhaltend, sowohl bei denen, die die Türkei nicht verlassen haben, als auch bei denen, die aus Deutschland mal vorbeischauen. Es ist eh schon schwer, das Scheitern wesentlicher Lebenspläne zuzugeben, umso schwerer aber, wenn das Gegenüber eigene, nicht erfüllte Sehnsüchte nach dem jeweils anderen Land erkennen lässt. Erfolgserwartungen, "sozialer Druck", das war nach einer isoplan-Studie von 1994 für etwa jeden Dritten der Befragten ein Problem - und damit das am häufigsten genannte - mit den Landsleuten in der Heimat. Das ist anscheinend sogar stärker geworden.

Zu den ganz großen Enttäuschungen beim Neubeginn gehört, dass die Landsleute in der alten Heimat der Familie durchaus nicht nur mit offenen Armen oder "türkischer" Freundlichkeit auf die Neuankömmlinge zugehen. Im Gegenteil: Stellt sich heraus, dass Rückkehrer doch nicht so wohlhabend sind, wie erwartet, reagiert das Umfeld oft mit Häme: Warum sind sie dann nicht in Deutschland geblieben? Überhaupt hatten "die" es in Deutschland ja sehr leicht, an Geld zu kommen, heißt es. Vielfältig und zahlreich sind denn auch die Berichte Betroffener darüber, wie sie finanziell betrogen wurden: Beim alltäglichen Einkauf, beim Kauf eines Grundstücks, vor allem aber durch den "guten Bekannten" eines lieben Verwandten, der als Teilhaber und lokaler Experte für die neue Geschäftsgründung des Rückkehrers von dessen mühsam ersparten Geld einen erheblichen Teil veruntreute. Dass Rückkehrer besonders leicht Opfer von schwarzen Schafen unter den Einheimischen werden, liegt auch daran, dass diese die "Deutschländer" schnell erkennen. Denn viele Rückkehrer sprechen erst einmal mit deutlichem Akzent und auffälliger Grammatik: In Deutschland hat die "Muttersprache Türkisch" längst eine andere Entwicklung genommen als in der Türkei.


Rückkehrer-Ausstellung beim Verein ADA, Antalya: Aldi ist unvergessen

Doch trotz umfangreicher und verbreiteter Schwierigkeiten - wieder nach Deutschland zurück zu wandern scheint eine Mehrzahl nicht zu wünschen. Bei dem Rückkehrerverein ADA in Antalya und auch andernorts trifft man durchaus zufriedene, ja glückliche Rückkehrer. Da ist die innovative Gründerin eines zweisprachigen Kinderhorts in dem beliebten Urlaubsort - noch kämpft sie gegen restriktiv gehandhabte Vorschriften, aber mit Sachlichkeit und dem Beistand wirklicher Freunde hält sie durch. Da sind die drei jungen Rückkehrerinnen, die derzeit ein gemeinsames Kleinunternehmen für die pflegerische Betreuung älterer Migranten und deutscher Dauertouristen aufbauen - mit ersten Erfolgen. Da sind die Facharbeiter und Ausbilder oder die Ingenieure in (oft deutsch-türkischen) Industriebetrieben, geschätzt wegen ihrer als "deutsch" geltenden Selbständigkeit und Kreativität. Und nicht zuletzt die ebenso gut qualifizierten wie motivierten, bi-kulturellen Hotelmanager. Ihr jetziges gegen das frühere Leben in Deutschland eintauschen möchten diese Erfolgreichen nicht. Aber einen leichten Weg ist keiner von ihnen gegangen, vor allem nicht leichter als in Deutschland, sagen sie mir übereinstimmend.

Wo genau liegen gute Berufschancen, was sind chancenreichen Qualifikationen, die einen guten Start in der Türkei erwarten lassen? Die Arbeitsverwaltung in Ankara nennt dazu keine Tipps; sie weiß schon für die Vielzahl der einheimischen Arbeitslosen keine aussichtsreichen Lösungen. Zumindest eine systematische Erhebung des von Unternehmerseite in der Türkei durchaus konstatierten Fachkräftebedarfs täte not. Will man darüber hinaus unnötigen Härten vorbeugen, so muss vor allem die Öffentlichkeitsarbeit über bestehende Reintegrationsprobleme durch in Deutschland deutlich verbessert werden.

Siehe auch: 
Informationsquellen und Kontakte


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Rückkehrträume ernst nehmen

Voraussetzung für Integration in Deutschland

Die jährlich etwa 40.000 Türkei-Rückkehrer bilden mit zwei Prozent eine kleine Gruppe, die leicht aus dem Blickfeld gerät - umso eher, wenn die Bemühungen um Integration in Deutschland mehr Kräfte binden als bisher. Doch gerade für Integrationsbefürworter gibt es gute Gründe, Rückkehrer, ihre Motive und die Probleme der Reintegration genauer in den Blick zu nehmen. Nicht zuletzt um derer willen, die - mit ihren Träumen - in Deutschland bleiben.

Nach einer Befragung des Zentrums für Türkeistudien in Nordrhein-Westfalen fasste noch im Jahr 2000 jeder Fünfte türkische Befragte eine Rückkehr ins Auge (22 %), und weitere 18 % bezeichnen sich als unentschieden. Die Folgen sollten nicht unterschätzt werden. So macht der Politikwissenschaftler Professor Dr. Hakki Keskin selbst vage Rückkehroptionen als einen Grund dafür aus, dass Einbürgerung in Deutschland weniger attraktiv ist, als von Integrationspolitikern erwartet: "Die Überlegung ist: Wenn ich meine bisherige Staatsbürgerschaft aufgebe, dann bin ich selbst in meinem Herkunftsland ein Ausländer. - Man kann nicht einen Teil der Biografie wegwerfen; das ist nicht rational zu erklären, da spielen Emotionen eine große Rolle."

Es gilt daher, das Thema bei Migranten offen anzusprechen. Gerade auch "basisnahe" Multiplikatoren und Vertreter von Migranten-Initiativen in Deutschland sind hier gefragt. Nicht weniger wichtig ist Öffentlichkeitsarbeit für bestehende Beratungsangebote, insbesondere durch die "Mobilitätsberater für Ausländer" bei den Arbeitsämtern (Adressen siehe www.isoplan.de/mi). Sachkundiges Abwägen der Chancen und Risiken eines künftigen Lebens im Herkunftsland gegenüber denen in Deutschland dürfte in manchem Fall dazu führen, sich bewusster als bisher für Deutschland zu entscheiden - und mit neuer Motivation Integrationsangebote anzunehmen. Und wer nach wohlinformiertem Abwägen den Wechsel wählt, kann sich dann zumindest umfassender darauf vorbereiten.

Darüber hinaus stellt die Vielzahl von Rückkehrer-"Einzelfällen" auch ein Potenzial auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene dar. Zukunftsszenario: Die vielzitierte bi-kulturelle Kompetenz von Migranten, ergänzt durch gezielte berufliche und bei Bedarf unternehmerische Qualifizierungen, dazu Unterstützung bei der Erschließung chancenreicher Marktsegmente - davon können die interkulturellen und insbesondere wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei profitieren. Sofern beide Länder dies (besser) fördern.


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

Quelle: Zentrum für Türkeistudien: "Die Lebenssituation und Partizipation türkischer Migranten in Nordrhein-Westfalen". Essen 2000. Eine Kurzfassung der Studie steht unter www.uni-essen.de/zft zum Download zur Verfügung.

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Der Verein ADA

Solidarität der Bi-Kulturellen


Glückliche Rückkehrerinnen: Saadet Cakir (li.), Leiterin von ADA, und ihre Mutter

 Saadet Cakirs ist Leiterin des Rückkehrervereins ADA in Antalya. Ihre Arbeit wird zwei Jahre lang aus deutschen Entwicklungsgeldern gefördert, dann muss sie sich neu orientieren. Doch einstweilen betreibt sie mit größtem Elan ihre Aufgabe: Sie recherchiert, organisiert und hilft anderen Rückkehrern, wo sie gebraucht wird, und das, wie es scheint, rund um die Uhr. Hunderte von Rückkehrern führt sie durch gemeinsame Unternehmungen zusammen; sie kommen aus der Region Antalya und von weiter her. ADA steht für Almanya'dan Kesin Dönüs Yapan Ailelerin Kültür, Dayanisma ve Yardimlasma Dernegi (deutsch: Verein von Rückkehrerfamilien aus Deutschland - für Kultur, gegenseitige Hilfe und Solidarität.) Neben der gegenseitigen Hilfe schätzen die ADA-Freunde besonders den Austausch, sei es über Behördenärger oder den sorglosen Umgang der Nachbarn mit dem Müll, an den sie sich nicht gewöhnen wollen. Immer wieder höre ich bei den Besuchern von ADA Sätze wie diesen: "Wir leben hier zwischen zwei Kulturen. Wenn es gut läuft, dann leben wir in beiden."

Kontakt:
ADA Dernegi
Saadet Cakir
Hasim Iskan Mah.
Atatürk Cad., Coskim Apt. D 4
TR Antalya
Tel. = Fax: 0090 - 242 - 244 20 38


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Empfehlungen für Berater und Ratsuchende

Von der Rückkehr- beratung zur modernen Mobilitätsberatung

Paragraph 7 des alten Rückkehrhilfegesetzes garantiert ausländischen Arbeitnehmern, die an einer Rückkehr interessiert sind, das Recht auf umfassende Beratung. Diese Aufgabe wird von der Bundesanstalt für Arbeit wahrgenommen. 1997 wurde die ursprüngliche "Rückkehrberatung" neu strukturiert und organisatorisch gestrafft: In Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart wurden sogenannte Schwerpunktarbeitsämter definiert; Beratungsexperten wurden in Rückkehrfragen geschult und gehen aktiv auf Ratsuchende zu.

Vor allem das Beratungsziel hat sich seit Inkrafttreten des Gesetzes stark verändert. Sollte ursprünglich "Förderung der Rückkehr" gewährleistet werden, so steht seit Jahren explizit eine Verknüpfung von Beratung über die Chancen und Risiken einer Rückkehr mit der Beratung über Integrationsangebote in Deutschland im Vordergrund. Finanzielle Zuschüsse für Rückkehrer - gibt es nur noch in Ausnahmefällen: Wenn etwa in einem "Entwicklungsland" (die Türkei etwa zählt dazu, nicht aber das ehemalige Jugoslawien) eine Arbeitsstelle angetreten wird. Diese Zuschüsse (Kann-Leistungen) für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlt auf Antrag die Zentralstelle Arbeitsvermittlung (ZAV); die Gelder stellt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Verfügung.

Mit der Verknüpfung von Integrations- und Reintegrations-Beratung soll eine individuell gut informierte Entscheidung ermöglicht werden, das heißt in Kenntnis der Chancen in Deutschland und der Chancen im Herkunftsland. In vielen Fällen bedeutet dies die Abkehr von unrealistischen Rückkehrträumen und aktive Inanspruchnahme von Angeboten zur beruflichen und sprachlichen Integration in Deutschland. In diesem Sinne ist eine frühzeitige Beratung empfehlenswert - für alle, die an eine "Rückkehr" - einen Neubeginn im Herkunftsland denken, oder die dies nicht ausschließen.

Wer in der Integrationsarbeit tätig ist,
sollte auch einmal das Thema Rückkehr ansprechen. Eine offene und realistische Auseinandersetzung damit gehört zu den Voraussetzungen von Integration. Nur so werden Chancen und Angebote wahrgenommen. Das gilt für Bleiben ebenso wie für Rückkehr.

Wer über eine Rückkehr nachdenkt oder sie bereits plant sollte bedenken:
Reine Urlaubsreisen in die Heimat der Familie sind kein guter Maßstab für das Alltagsleben. Längere Aufenthalte können aber sehr gut genutzt werden: Was kosten Lebensmittel, ärztliche Behandlung, Kleidung, Schule und erforderlicher Zusatzunterricht wirklich? Gibt es eine passende Arbeitsstelle? Wie tragfähig sind die "guten Beziehungen", die Bekannte empfehlen, wirklich?

Ein Schulwechsel in die Türkei (acht Jahre Schulpflicht, Gymnasium/Lise weitere fünf bis sechs) kann erhebliche Probleme mit sich bringen. Zwei Jahre dauert es meist, bis Kinder und Jugendliche wieder Fuß fassen, oft verlieren sie ein Schuljahr. Sie sollten unbedingt in die Entscheidung einbezogen werden, dann fällt die Umgewöhnung leichter. Besonders ungünstig: Schulwechsel vor Abschluss einer Schulstufe. Türkischkenntnisse in Wort und Schrift sollten frühzeitig in Deutschland aufgebessert werden. Übrigens: In naturwissenschaftlichen Fächern sind türkische Lehrpläne den deutschen weit voraus.

Die Gründung einer selbständigen Existenz in der Türkei ist beliebter Inhalt von Rückkehrträumen. Leider scheitern sehr viele, die dies versuchen. Die Hauptgründe dafür: Betrug durch angebliche "gute Freunde", Fehleinschätzung von Markt und Konkurrenz, fehlende Qualifikation im neuen Betätigungsfeld, zu geringe Finanzdecke. Im finanziellen und fachlichen Bereich lassen sich entsprechende Vorbereitungen in Deutschland treffen. Marktfragen in der Türkei sollten bei vorläufigen Aufenthalten geprüft werden. Vorsicht vor Geschäftsbeziehungen auf Empfehlung von Bekannten!

Bei Rentenrückzahlungen verlieren viele: Den Anteil des Arbeitgebers erhalten Sie nicht zurück, nur Ihre eigenen. Vor allem aber verlieren Sie mit Ihrer Rückzahlung eine soziale Absicherung für später. Die Investition der zurückgezahlten Rentenbeiträge in ein Geschäft ist keine Sicherheit.

In jedem Fall sollten alle Möglichkeiten zu Beratung genutzt und Qualifizierung in Deutschland angestrebt werden. Erste Ansprechpartner für alle hier skizzierten Fragen gibt es bei jedem Arbeitsamt. Oder fragen Sie besondere Experten - für Rückkehrthemen und für Alternativen in Deutschland. Das sind unter anderem die Mobilitätsberater, die in der Datenbank M und I vorgestellt werden. 

Siehe auch: 
Informationsquellen und Kontakte


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Informationsquellen und Kontakte

Informationen online:
Datenbank Mobilität und Integration
Umfangreiche und aktuelle Informationen über den Neubeginn in ehemaligen Anwerbestaaten (Türkei, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina), dazu auch Hinweise zu Integrationsfragen in Deutschland finden Sie online in der isoplan-Datenbank Mobilität und Integration: www.isoplan.de/mi:

  • Beratungsangebote, rechtliche Fragen, Adressen in Deutschland (Integration und Re-Integration) und vieles mehr 
    siehe Abschnitte "Deutschland", insbesondere "Mobilitätsberatung für Ausländer"

  • Informationen zum Neubeginn in den Herkunftsstaaten Türkei, Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina siehe entsprechende Länder-Kapitel

Internationale Arbeitsvermittlung, finanzielle Förderungen für rückkehrende Arbeitnehmer bei "entwicklungspolitischer Relevanz":
Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV)
Auslandsabteilung
Herr Gerd Müller
Barckhausstraße 16
60325 Frankfurt/M.
Tel.: (0 69) 71 91 21 - 93; Fax: - 81
e-mail: gerd.mueller@arbeitsamt.de 
www.zav-reintegration.de

Türkei-Kontakt: Der Rückkehrer-Verein ADA
ADA Dernegi
Saadet Cakir
Hasim Iskan Mah.
Atatürk Cad., Coskim Apt. D 4
TR Antalya
Tel. = Fax: 0090 - 242 - 244 20 38


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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