Ausländer in Deutschland 3/2001,17.Jg., 30. September 2001

ASYLPOLITIK

Flüchtlingsschutz soll verbessert werden

 

Im Gesamtkonzept einer neuen Politik der Zuwanderung und Integration nimmt die Aufnahme von Flüchtlingen - die Schutzgewährung für politisch Verfolgte - neben der arbeitsmarktbezogenen Migration eine zentrale Position ein. Die unabhängige Kommission "Zuwanderung" bekennt sich in ihrem Bericht vom 04. Juli 2001 zu dem im Grundgesetz verankerten Asylgrundrecht "als Ausdruck der historischen und humanitären Verpflichtung Deutschlands" im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft und einer noch weiterzuentwickelnden Asyl- und Menschenrechtspolitik auf europäischer Ebene. Der Kommissionsbericht benennt die Mängel und Unzulänglichkeiten der bisherigen Asylpraxis in Deutschland und spricht unter dem Leitmotiv "humanitär Handeln" eine Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes, aber auch zur Beschleunigung der Asylverfahren aus. Einige dieser Vorschläge hat der Referentenentwurf des Bundesinnenministers für ein neues Zuwanderungsgesetz aufgegriffen.

Vor der Diskussion der juristisch teilweise komplizierten Fragen, wie der Schutz der tatsächlich politisch Verfolgten zu verbessern und der Missbrauch des Asylrechts zu verhindern sei, stellt die Kommission ein wichtiges Warnschild auf: der Begriff "Asylmissbrauch" ist mehrdeutig und muss differenziert verwendet werden, nämlich nur zur Bezeichnung "bestimmter missbilligenswerter Verhaltensweisen", die auf die missbräuchliche Inanspruchnahme von Rechten und sozialen Leistungen oder auf die bewusste Verschleppung von Verfahren ausgerichtet sind. Er darf jedoch nicht pauschal auf Asylbewerber angewandt werden, deren Asylbegehren nicht anerkannt wird, oder gar in grob vereinfachender Weise auf Flüchtlinge und Asylsuchende insgesamt. Damit werde er zu einem der Diffamierung dienenden "Kampfbegriff", der die tatsächlich existierenden Probleme in diesem Bereich eher verdecke als erhelle. In diesem Zusammenhang räumt der Kommissionsbericht mit einem in der Öffentlichkeit verbreiteten Vorurteil auf: Die "Ablehnungsquote" bei Asylanträgen liegt nicht etwa über 90 % - dem Kehrwert einer Anerkennungsquote von unter 10 % (diese beziehen sich nur auf Anerkennungen nach Artikel 16a GG) -, sondern die förmlichen Ablehnungen lagen im Jahr 1999 laut Angaben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) bei 56,8 % (90.142 Ablehnungen von 158.777 Entscheidungen insgesamt). Der Rest entfiel auf die Gewährung von Abschiebungsschutz (9 %), sonstige Abschiebungshindernisse (5,2 %) und sonstige Verfahrenserledigungen (z.B. Einstellung wegen Antragsrücknahme). Die "Gesamtanerkennungsquote" lag im Jahr 1999 bei 21 %.

Die wichtigsten Empfehlungen der Zuwanderungskommission zielen auf folgende Punkte:

Asylverfahren beschleunigen. Die Verwaltungsgerichte müssen davon entlastet werden, Defizite des Verwaltungsverfahrens aufzuarbeiten. Die Sachverhaltsaufklärung durch das BAFL muss intensiviert und die Begründung der Bescheide verbessert werden. Die Kommission empfiehlt, das Amt des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten und die Weisungsunabhängigkeit der Einzelentscheider des Bundesamtes abzuschaffen, um eine einheitliche Entscheidungspraxis innerhalb der Behörde zu erreichen. Diese und weitere Vorschläge haben zum Ziel, die Asylverfahren insgesamt effektiver und transparenter zu gestalten und die Verwaltungsverfahren und anschließende Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in der Regel innerhalb eines Jahres abzuschließen.

Missbrauch erschweren. Mit dem deutlichen Hinweis, das Problem des Asylmissbrauchs nur auf die wirklichen Missbrauchstatbestände zu konzentrieren, entwickelt die Kommission verschiedene Empfehlungen zur Bekämpfung unlauterer Verhaltensweisen (z.B. Verschleierung der wahren Identität, Vorlage gefälschter Dokumente, offensichtliche Verschleppung des Verfahrens usw.). Die Vorschläge weisen in Richtung arbeits- und sozialrechtlicher Sanktionen, aber auch in Richtung einer effizienteren Rückführungspraxis. Dabei ist keineswegs nur an Zwangsmaßnahmen gedacht - Rückführungsaufgaben sollten auf Bundes- und Landesebene stärker konzentriert werden -, sondern insbesondere auch an die Förderung der freiwilligen Rückkehr von Asylbewerbern, die nicht anerkannt wurden.

Schutzgewährung verbessern. Neben den eher restriktiven Vorschlägen der Kommission zur Beschleunigung der Verfahren und zur Erschwerung des Missbrauchs enthält der Bericht aber auch Empfehlungen, die auf die Schließung bestehender "Schutzlücken" und auf die Beseitigung von Nachteilen für bestimmte Flüchtlingsgruppen zielen. Konkret geht es um die Schutzgewährung bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung - einer Forderung, die von Menschenrechtsorganisationen schon lange erhoben wird. Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention gewähren politisch Verfolgten Schutz. Darunter wird nach üblicher Rechtsprechung jede vom Staat ausgehende Verfolgung verstanden. Diese Definition greift aber nicht in Situationen, in denen Leben und Freiheit von Menschen dadurch bedroht sind, dass staatliche Strukturen nicht oder nicht mehr existieren. Die Kommission bejaht die Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen aus derartigen Ländern, wobei eingeräumt wird, dass eine einheitliche Auslegung des Flüchtlings- und Verfolgungsbegriffs der Genfer Konvention auf europäischer Ebene noch anzustreben sei. Die Kommission spricht sich auch für die Schutzbedürftigkeit von Frauen aus, die ihres Geschlechts wegen verfolgt werden. Hierunter fallen unterschiedliche Sachverhalte wie sexuelle Gewalt, Zwangsabtreibungen, Genitalverstümmelungen etc. Sie können als geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen anerkannt werden, wenn sie mit Persönlichkeitsmerkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, sozialer Gruppe oder politischer Überzeugung verknüpft sind und wenn die Verfolgung von staatlicher (oder quasi staatlicher) Seite ausgeht.

Politisch Verfolgte nach der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 51 Abs. 1 AuslG) waren bisher in ihren Rechten (Familienasyl, Familiennachzug, Aufenthaltsrecht) und damit auch in ihren Integrationschancen gegenüber den gemäß Art. 16a Abs. 1 GG anerkannten Asylberechtigten benachteiligt. Die Kommission hält die rechtliche Schlechterstellung von Konventionsflüchtlingen (sog. "kleines Asyl") für nicht gerechtfertigt und setzt sich für eine weitgehende Angleichung ihrer Rechte an jene von Asylberechtigten ein.

Rechtsstellung geduldeter Ausländer verbessern. Eine sogenannte Duldung erhalten Asylbewerber, deren Asylantrag abgelehnt wurde, deren Abschiebung jedoch aus humanitären Gründen nicht erfolgt. Die Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich die befristete Aussetzung der Abschiebung. Faktisch ist sie mit erheblichen Einschränkungen für die betroffenen Ausländer verbunden: Sie können frühestens nach einem Jahr eine Arbeitsgenehmigung erhalten, unterliegen dabei aber dem Nachrangprinzip. Somit sind viele geduldete Ausländer aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Um die bisher üblichen "Kettenduldungen" zu vermeiden, empfiehlt die Kommission, nach Ablauf der Duldungsfrist zu prüfen, ob die Duldung in eine Aufenthaltsbefugnis umgewandelt werden kann.

Ein gemeinsames europäische Asylsystem. Angesichts der Herausforderungen, die im Bereich der Asylpolitik in Zukunft auf die europäischen Länder zukommen werden, plädiert die Kommission für ein einheitliches europäisches Asylsystem. Zwischen den europäischen Ländern gibt es erhebliche Unterschiede in den Asylverfahren, ein Beleg dafür sind die unterschiedlichen Anerkennungsquoten. Auch die Verteilung der Asylbewerber auf die Länder ist keineswegs ausgewogen. Fünf Länder (Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Frankreich und Belgien) haben rund 80 % der Asylbewerber im Jahr 2000 aufgenommen. Deshalb empfiehlt die Zuwanderungskommission ein zügige Umsetzung der im Amsterdamer Vertrag festgelegten asylpolitischen Ziele. Eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der europäischen Union muss auf den Ausgleich der Interessen und Lasten der Mitgliedsländer gerichtet sein, um Effektivität und die erforderliche Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen.


Autor: Martin Zwick, isoplan

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