Ausländer in Deutschland 3/2001,17.Jg., 30. September 2001

EUROPA

Aufstand im Ghetto

Großbritanniens Neo-Nazis profitieren von verfehlter Integrationspolitik

Seit dem Frühjahr kommt es in den nordenglischen Industriestädten immer wieder zu Unruhen. Sogenannte 'Asian youth', in Großbritannien geborene Jugendliche, deren Eltern aus Pakistan, Bangladesch oder Indien eingewandert sind, liefern sich Straßenschlachten mit weißen Jugendlichen, Neo-Nazis und der Polizei. Die britische Regierung fordert härtere Strafen und diskutiert den Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas. Nach den Ursachen für Hass und Gewalt wird nicht gefragt.


"Don't panic" - Markt in Brixton/ London

Ein warmer Sommerabend in Oldham. Mitten auf der Straße findet ein Cricket Match statt, ein junges Mädchen in Shalwar Kameez, den weiten pakistanischen Hosen und dem langen Hemd darüber, gleitet elegant auf Inline Skates zwischen den Spielern hindurch. Frauen, die Dupata, ein leichtes, langes Baumwolltuch , elegant um Kopf und Schultern geschlungen, sitzen in kleinen Gruppen vor den Häusern zusammen und genießen die Abendsonne. Ein trügerisches Idyll. Glodwick ist ein Stadtteil von Oldham, in dem fast alle Familien ursprünglich aus Pakistan oder Bangladesh stammen, und nur zwei Querstraßen weiter haben sich Ende Mai asiatische Jugendliche, Neo-Nazis von der National Front und der British National Party (BNP) und die Polizei erbitterte Straßenschlachten geliefert. Es war der Kulminationspunkt wochenlanger Provokationen.

Koloniales Erbe

Noch vor 30 Jahren gehörte Oldham, 30 km östlich von Manchester gelegen, zu den reichen Industriestädten Nordenglands. In den 150 Baumwollfabriken wurde rund um die Uhr gearbeitet, und um die Nachtschichten überhaupt fahren zu können, nutzte man die in der Baumwollindustrie bestehenden alten kolonialen Kontakte und rekrutierte Arbeiter in Pakistan und Bangladesch. Die Stadtverwaltung hat von Anfang an viele Fehler gemacht, erzählt Michael Luft von 'Oldham against racism', einer Organisation, die sich seit Jahren um die Integration der nicht-weißen Bürger in Oldham bemüht. Die British Asians bekamen die schlechtesten Wohnungen zugewiesen; Schimmel an den Wänden, Ratten, Kakerlaken und selbst nur eine Toilette im Hof sind keine Seltenheit. Durch die Trennung der Wohngebiete ergab sich im Laufe der Jahre auch eine fast völlige Trennung der verschiedenen Ethnien. Keine Seite hat Erfahrungen mit der anderen; Vorurteile, Hass und Abneigung gedeihen, und das schon im Schulalter. Gerüchte verbreiten sich schnell und werden in den Köpfen zu Fakten.

Völlig übersehen wird die Tatsache, dass der wirtschaftliche Niedergang alle in Oldham trifft. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der größte Arbeitgeber ist inzwischen die Stadtverwaltung und vor allem Jugendliche haben kaum Aussichten, je eine Anstellung zu finden. Viele schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Unter den British Asians beträgt die Jugendarbeitslosigkeit bis zu 40%. 1997 hatten viele auf Tony Blair und New Labour gesetzt, doch verändert hat sich bislang wenig. Rund um London boomt die Wirtschaft, im Norden scheint der Niedergang unaufhaltsam.

Rechte sehen ihre Chance

Arbeitslosigkeit, Armut, schlechte Wohnverhältnisse und - bedingt durch die Segregation - die Unkenntnis der Tatsache, dass es den British Asians im Nachbarstadtteil genauso geht - nicht nur in Oldham finden Neo-Nazi-Gruppen geradezu ideale Bedingungen vor. Schon eine Flugblattkampagne am Wochenende reicht, um den Hass und die Frustration weißer Jugendlicher so weit zu schüren, dass sie ein paar Tage später Schüler einer asiatischen Schule in der Pause mit Steinen bewerfen oder in pakistanischen Läden die Scheiben zertrümmern. Es waren solche relativ kleinen Zwischenfälle, die in Oldham Ende Mai schließlich nächtelange Straßenschlachten provozierten.

Eine häufig sehr unrühmlich Rolle in den Unruhen dieses Sommers spielte die Polizei. Bei den Steinwürfen auf die Schüler in Oldham nahmen die Beamten zunächst die asiatischen Jugendlichen fest und nicht die Neo-Nazis. Kaum jemand in der British Asian community vertraut darauf, dass die Polizei ihn oder sein Eigentum schützen wird. Ein anderes, gravierendes Problem ist die Kriminalitätsstatistik, die inzwischen mehr rassistisch motivierte Straftaten gegen Weiße ausweist als gegen Nicht-Weiße, dabei aber die Tatsache ignoriert, dass die meisten British Asians nach einer Attacke in der Regel keine Anzeige erstatten, weil sie sowieso kein Vertrauen in die Polizei haben, zudem meist Weiße. Fakten, die die BNP geschickt zu nutzen wusste. In Oldham erreichte die Partei bei den Unterhauswahlen durch Protestwähler einen Stimmenanteil von über 10%. Die Ausschreitungen dieses Sommers haben gezeigt, dass die Szene gut organisiert ist und kleine umherreisende Gruppen, die enge Verbindung zur Fußball Hooligan Szene haben, gezielt Provokationen organisieren.

Rassistische Übergriffe hat es in Großbritannien gegeben, seit in den 50er-Jahren die ersten Einwanderer aus der Karibik kamen. Doch was die Generation der Eltern und der Großeltern noch hinzunehmen bereit war, das wollen die Jugendlichen inzwischen nicht mehr tolerieren. 'Wenn uns die Polizei nicht schützt, dann schützen wir uns und das Eigentum unserer Nachbarn selbst", heißt die Devise. In den nächtlichen Ausschreitungen brechen sich Wut und Hilflosigkeit Bahn - über die Diskriminierung im Alltag, Armut, Arbeitslosigkeit, Polizeiwillkür und das Fehlen jeglicher Perspektive. Exakt dieselben Gründe hatten im Sommer vor 20 Jahren zu Straßenschlachten in Brixton, Manchester und Liverpool geführt. Damals waren es die Kinder der Einwanderer aus der Karibik, inzwischen ist es die Generation der in Großbritannien geborenen British Asians, die das Selbstbewusstsein gefunden hat, sich aktiv zu wehren. Nach den Ursachen der Gewalt fragen die Politiker nicht, die konservative Regierung 1989 so wenig wie die Regierung Blair heute.

Die Alternative Leicester

Was engagierte Politik gegen Rassismus und Segregation zu bewirken mag, das zeigt sich am Beispiel von Leicester, einer Industriestadt in den Midlands östlich von Birmingham. Schon jetzt beträgt der Anteil der nicht-weißen Einwohner 35%, innerhalb der nächsten 10 Jahre werden die Weißen in Leicester in der Minderheit sein - was niemanden stört. Die Einwanderer sind überwiegend Inder aus Ost-Afrika, Menschen, die in Leicester bereits zum zweiten Mal in einem anderen Land eine Existenz aufbauten. In der Regel deutlich besser gebildet als die in den 60er-Jahren in Pakistan Angeworbenen, gründeten die meisten in Leicester schon bald eigene Unternehmen und sind heute wichtige Arbeitgeber auch für die weiße Bevölkerung. Doch dass in Leicester inzwischen Englisches und Indisches so harmonisch nebeneinander existiert, das ist auch der aktiven Integrationspolitik des Stadtrats zu verdanken, sagt Professor Gurharpal Singh. Bis Mitte der 70er-Jahre waren auch in Leicester rassistische Übergriffe z.B. durch die National Front an der Tagesordnung. Doch dann begann sich die Labour Party in Leicester zu verändern: Junge Mitglieder, die aus der Studenten- und der Anti-Apartheid Bewegung kamen, versuchten eine aktive Integrationspolitik im Stadtrat durchzusetzen - mit Erfolg. Heute organisiert der Polizeipräsident jedes Jahr ein Multi-Kulti Fest, an der Volkshochschule laufen stets ausgebuchte Kurse, die in Grundzügen Wissen über die in Leicester lebenden Ethnien vermitteln - indisches Essen und der Besuch eines Tempels eingeschlossen. Und alle zwei Monate tagt der council of faiths, ein ökumenischer Rat, in dem die verschiedenen Religionen vertreten sind.

Konzepte für eine aktive Integrationspolitik gibt es auf nationaler Ebene auch unter New Labour nicht, schlimmer noch, bislang sieht man nicht einmal deren Notwendigkeit. Der vor kurzem vorgelegte Bradford-Bericht des Vorsitzenden der Kommission für ethnische Integration, der vor allem die Segregation an den Schulen und die Polizeiwillkür kritisierte, verschwand kommentarlos in den ministeriellen Schubladen.


Autorin: Marianne Landzettel, SWR Studio London

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