Ausländer in Deutschland 3/2001,17.Jg., 30. September 2001

GLOSSE

Ein besserer Mensch

 

Du siehst gut aus, seufzt meine Freundin neidisch, während ich im Heimaturlaub ihr im Café gegenübersitze, das ist von dem schönen Leben dort in Deutschland! Meine Freundin hat drei Kinder und einen schlauchenden Job, sie verdient nicht schlecht. Für bulgarische Begriffe geht es ihr gut. Aber sie beneidet mich wegen der deutschen Ruhe und der deutschen Ordnung. Ich nehme ein-, zweimal Anlauf, um mich zu beklagen: das Klima, der Stress, keine Kinderfreundlichkeit, keine Spontaneität und diese unmöglichen Schulzeiten... Ach was, schmettert sie ab, deine Probleme möchte ich haben!

Zurück nach Deutschland. Ein Bekannter bedauert, dass mein Sohn immer noch kein Bulgarisch gelernt hat. Aber sicherlich hat er eure Warmherzigkeit und Spontaneität geerbt, fügt er hinzu. Ach ja? Wenn du wüsstest, denke ich, wenn du nur wüsstest, wie preußisch ich eigentlich bin, wie pflichtbewusst, zuverlässig und perfektionistisch... und meine Freunde müssen sich ebenso in den Terminkalender eintragen wie deine auch. Aber will er es so genau wissen?

In der U-Bahn sucht vergeblich eine Frau im adretten Kostümchen jemanden, der ihr 20 DM für den Fahrkartenautomaten wechselt. Sie hat drei Kinder und eine alte Frau mit Kopftuch dabei. Der Automat nimmt keine Geldscheine an, erklärt sie den Kindern auf Deutsch und vermutlich dasselbe der Oma auf Türkisch. An der nächsten Station steigen sie aus: Dort wollen sie korrekt Karten kaufen. Ach Gott, denke ich, noch so eine, die perfekt sein will. Die es jedem - Ausländerfreund und Ausländerfeind - recht machen will. Ein besserer Mensch per Definition. So eine, die nie ohne Ticket fährt, nie das Unkraut kniehoch wachsen lässt, pünktlich zu jedem Termin erscheint, kleine Kinder mag und jeden unerwarteten Gast mit leckerem Essen bewirtet, sich am Kochherd in einem exotischen Tanzrhythmus wiegend.

Jetzt reicht's. Ab heute lasse ich die Sau raus - oder steht das nur den Einheimischen zu? Vor meinem Haus wird kein Unkraut mehr gejätet. Und wenn jemand unangemeldet bei mir klingelt, gibt es nur Kekse. Ich warte nur darauf, dass sich einer beschwert. Dann werde ich ihn "ausländerfeindlich" schimpfen. Mein türkischer Nachbar hat übrigens das Bessersein auch satt und will die Aufnahmegesellschaft mit ihren eigenen Waffen bekämpfen. Den Hauseigentümer nebenan hat er wegen der Mülltonnenplatzierung und der Ästhetik des Flechtzauns verklagt. Den teuren Prozess hat er bereits in zwei Instanzen verloren. Aber er ist fest entschlossen bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen. Dort, meint er, wird man ihm als Ausländer endlich Recht geben.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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