Ausländer in Deutschland 3/2001,17.Jg., 30. September 2001

STADTPORTRAIT

"Grünes Herz und starke Mitte"

Migranten in Erfurt

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Keine "neue Mitte" und auch nicht grünes Wählerpotential ist gemeint: der Freistaat Thüringen präsentiert sich auf seiner Website als "Deutschlands starke Mitte" und hat ein "grünes Herz", wie es in den Stadtmagazinen heißt, denn in und um Erfurt herum gibt es vielerlei Parks und Gärten, wie zum Beispiel die Gartenausstellung ega auf der Cyriaksburg. Durch das Bemühen der Landeshauptstadt um Touristen und ein eigenes Image gelingt es zunehmend, sich aus dem provinziellen Schattenplatz zwischen den beiden Nachbarstädten zu befreien: Neben Goethes Weimar und dem Hightech-Standort Jena hat Erfurt einen festen Platz auf dem Programm der Thüringen-Besucher eingenommen.

Erfurt will eine weltoffene Kulturstadt sein. Neben vielen Sehenswürdigkeiten und zahlreichen Museen, trägt zu diesem Ruf auch die 1994 neugegründete Universität bei, die sich als Reformuniversität versteht und deren international anerkanntes Max Weber Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftlichen Studien unter anderem mit der Hebrew University Jerusalem kooperiert. Damit hat sich Erfurt wieder als Hochschulstandort etabliert: Bereits 1392 war hier die dritte Universität Deutschlands gegründet, 1816 jedoch wieder geschlossen worden. Hier studierte auch der junge Luther, bevor er als Mönch in das noch heute erhaltene Augustinerkloster ging.

Ein Anhaltspunkt für Weltoffenheit und Toleranz - jenseits aller Hochglanzprospekte - ist der Umgang der Stadt nicht nur mit ihren in- und ausländischen Gästen, sondern auch mit ihren ca. 2,2% ausländischen Bewohnern. Als ihre Interessenvertretung wurde im März 1992 in Erfurt einer der ersten Ausländerbeiräte in den Neuen Ländern gegründet. Die Ausländerbeauftragte sieht ebenfalls als vornehmliches Ziel die Förderung der Integration. Diese "bedürfe auch weiterhin großer Anstrengungen", heißt es im 2. Sozialbericht der Stadt Erfurt vom April 2001. Dazu werden nicht nur Beratungs- und Orientierungshilfen angeboten und die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt, auch die Durchführung von Veranstaltungen wie der Interkulturellen Woche und dem "Patchworkfest" zweimal jährlich zählen dazu.

Dem unvoreingenommenen Besucher fällt zunächst wohltuend die Abwesenheit von Jugendlichen mit kahlrasierten Köpfen auf, die auch in Thüringen mancherorts das Stadtbild prägen. Aber auch hier haben sie in der Vergangenheit hin und wieder für Schlagzeilen gesorgt. Ein Gefühl der Angst hat sich daher bei einigen Migranten gehalten. So empfiehlt eine Mitarbeiterin der jüdischen Landesgemeinde, die für viele der 459 in Erfurt lebenden jüdischen Emigranten (Kontingentflüchtlinge, zumeist aus der Russischen Föderation und der Ukraine) die wichtigste Anlaufstelle darstellt, sich in der Straßenbahn abends lieber in Fahrernähe zu setzen und nicht russisch zu sprechen. Ähnlich klingen auch Bedenken der Mitarbeiterin der Beratungsstelle für ehemalige Vertragsarbeitnehmer des Evangelischen Kirchenkreises. Die meisten Vietnamesen hier würden das Auto der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel vorziehen. Sie bilden mit 900 Menschen auch heute noch die größte Zuwanderergruppe, mehr als die Hälfte von ihnen lebt schon länger als acht Jahre hier, viele jedoch nur mit befristeten Aufenthaltstiteln. Ihre Geschäfte und China-Restaurants findet man in ganz Erfurt.

An diesen Beispielen wird deutlich, dass der Weg zur Integration auf kommunaler Ebene noch weiterer Anstrengung bedarf. Das sieht auch das seit 1999 vom Bundesinnenministerium geförderte "Netzwerk für Integration" als seine Hauptaufgabe an. Ursprünglich für jugendliche Aussiedler geplant, wird momentan das Konzept überarbeitet, so Frau Tröster vom Internationalen Bund Erfurt. Neue Schwerpunkte sollen gesetzt werden und die Zielgruppe auf alle Zuwanderer, einschließlich der Kontingentflüchtlinge und Asylbewerber, erweitert werden. Neben freien Trägern, der Ausländerbeauftragten, der jüdischen Landesgemeinde und anderen ist auch das Sozialamt Erfurt Mitglied der Arbeitsgruppe. Das Sozialamt geht bei der Unterbringung von Asylsuchenden neue Wege: Nach der Schließung einer großen Gemeinschaftsunterkunft außerhalb der Stadt Ende 2000 unterhält es nun neben einem größeren Gebäude drei Wohnhäuser im Zentrum der Stadt. Trotz anfänglicher Bedenken der Anwohner in einem Fall funktioniert das geradezu unauffällig.

Dennoch: Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus wird als nötig erachtet. Zwei neue Projekte, finanziert aus Mitteln des CIVITAS Aktionsprogramms des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, befinden sich in der Startphase: zum einen "Mobile Beratungsteams für Thüringen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit" (MOBIT e.V.), zum anderen eine Anlaufstelle für Betroffene rechtsextremer und rassistischer Angriffe und Diskriminierungen (ABAD). Es sind dies Themen, die für die Besucher der über 1250-jährigen Stadt weit weg zu sein scheinen. Große und kleine Touristengruppen tummeln sich im Zentrum, das zwischen Anger, Fischmarkt und Domplatz in neuem Glanz erstrahlt. Der eine oder andere hält eine Thüringer Rostbratwurst in der Hand, und auch die Tübinger Senioren finden alles ganz wunderbar und fast wie daheim.


Autorin: Katrin Barth

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