Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

EUROPA

Multi-Kulti auf hohem Niveau?

Migranten und Integrationspolitik in Luxemburg

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Ausländische Beschäftigte in den EU-Staaten nach Nationalität

"Nationalgefühl und Identität? ... Darüber lächeln wir", sagt der luxemburgische Schriftsteller Roger Manderscheid und erzählt in seinem Buch "Schwarze Engel" von der schwarzen Isländerin, die bei der Iceland-Air in Luxemburg, dem Zentralflughafen der Iceland-Air in Europa, als Stewardess arbeitet. "Selbstbewusstsein haben wir nicht, wir haben nämlich keine Macht und keine Waffen," so Manderscheid weiter. Zähigkeit und Widerstandskraft, das seien die Eigenschaften der Luxemburger, die schon immer zwischen den Kulturen lebten. Ein wenig untertrieben hat er da wohl schon. Kein Land in Europa geht mit so viel Selbstbewusstsein und Selbstverständlichkeit mit der Zuwanderung und Integration von Ausländern um wie das kleine Großherzogtum im Zentrum der Großregion Saar-Lor-Lux.

Ausländeranteile: 
Gemischte Gesellschaft

Mit einem Ausländeranteil von über 35 % (35,6 %) liegt Luxemburg mit Abstand an der Spitze der Mitgliedstaaten der Union (vgl. Grafik). Bei einer Gesamteinwohnerzahl von rund 430.000 beläuft sich die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung auf rund 153.000 (1999) - und dies bei steigender Tendenz. Der größte Anteil hiervon entfällt freilich auf EU-Ausländer (rund 90 %), in erster Linie Portugiesen (rund 53.900) und Italiener (20.000), Franzosen (17.500), Belgier (13.800) und Deutsche (10.300)[1].

Angesichts der demografischen Entwicklung und weiteren Zuwanderung ist der Zeitpunkt abzusehen, an dem die Einheimischen eine Minderheit darstellen werden. Bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen ist dies bereits geschehen. Rund 42 % der in Luxemburg sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer haben einen ausländischen Pass. Zählt man die sonstigen Erwerbstätigen hinzu, so liegt dieser Anteil bei über 50 %.

Bei einer Arbeitslosenquote von seit Jahren um 3 %, einem nicht geringen Wirtschaftswachstum und einer wie in Deutschland zunehmend vergreisenden einheimischen Bevölkerung stellen ausländische Arbeitskräfte seit langem ein unverzichtbares Reservoir dar. In den fünfziger Jahren bevorzugten die Stahlbarone des Landes Italien als Anwerbeland, in den sechziger und siebziger Jahren wurden vor allem Portugiesen für die Gastronomie, die Landwirtschaft sowie "einfache Dienstleistungen" angeheuert, in den achtziger Jahren ebbte die Anwerbung südeuropäischer Hilfsarbeiter ab. Es folgten Finanzfachleute aus ganz Europa dem Lockruf des Geldes, vornehmlich Franzosen, Belgier und Deutsche und schließlich zuletzt ein Heer von Eurokraten. Im Ergebnis entstand eine äußerst heterogene Sozialstruktur, in der keiner im engeren Sinn "arm" ist, aber doch große soziale Unterschiede bestehen.

Stille Mehrheit Eurokraten, Banker und Grenzgänger

Neben der stillen Mehrheit der eher am unteren Ende der Sozialskala stehenden Ausländer aus Südeuropa arbeiten heute rund 7.000 Eurokraten aus den unterschiedlichsten EU-Mitgliedstaaten in einer Reihe europäischer Institutionen auf dem Kirchberg-Plateau (so das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments, der Europäische Gerichtshof, der Europäische Rechnungshof, Eurostat, das Amt für amtliche Veröffentlichungen, die Europäische Investitionsbank u.a.). Hinzu kommen zahlreiche Mitarbeiter ausländischer Bankinstitute, die einen zentralen Wirtschaftsfaktor in der angeblichen Steueroase Luxemburgs darstellen. Erwähnenswert sind nicht zuletzt die über 100.000 Grenzgänger aus Deutschland (Raum Trier, Saarland), Lothringen und Wallonien, die täglich zur Arbeitsaufnahme über die Grenze nach Luxemburg pendeln. Die so genannte Großregion Saar-Lor-Lux ist damit die europäische Region mit der größten Grenzgängermobilität überhaupt.

Pragmatische Integrationspolitik

Eine ausformulierte "Integrationspolitik" oder gar eine kontroverse Debatte um unterschiedliche Formen der Integration und/oder Assimilation gab es und gibt es in Luxemburg nicht, dafür einen ausgesprochenen Pragmatismus. Erleichtert wird dabei die Integration von Ausländern zweifellos durch die Vielsprachigkeit im Land, in dem praktisch jeder fließend drei Sprachen spricht. Bewusst, so ein Regierungsvertreter, betreibe man keine aggressive Politik der Assimilierung, sondern setzt auf Integration im Sinne einer gegenseitigen Durchmischung der Kulturen. Vertreter ausländischer Gruppen wittern freilich hinter dem Bekenntnis zur multikulturellen Vielfalt eher Gleichgültigkeit. Betroffen hiervon seien dabei nicht die Grenzgänger, Eurokraten und sonstigen Hochqualifizierten, sondern die in letztlich ärmlichen Verhältnissen lebenden Immigranten aus Südeuropa. Die hohen Abbrecherquoten an den Schulen und die Mühe, die die Kinder der Immigranten hätten, sich in dem mehrsprachigen Schulsystem zurechtzufinden, seien, so Kritiker, ein Indiz dafür, dass auch im Wirtschaftswunderland Luxemburg die Integration nicht reibungslos verläuft.

Euro-Nachwuchs für die Armee Luxemburgs

Ein geradezu klassisches Beispiel für die pragmatische Ausländerpolitik Luxemburgs und absolut undenkbar in anderen EU-Staaten ist die für 2002 geplante Aufstockung der Armee des Nato-Mitglieds Luxemburg durch die Anwerbung von EU-Ausländern. 1.131 Soldaten ist laut Gesetz die Sollstärke der luxemburgischen Armee. Weil diese aus der einheimischen Bevölkerung Luxemburgs selbst nicht rekrutiert werden können, sollen nun Deutsche, Franzosen, Spanier oder andere angeworben werden. Einzige Voraussetzung: Die Bewerber müssen mindestens ein Jahr im Großherzogtum leben und von den drei Amtssprachen Deutsch und Französisch beherrschen und Lëtzebuerger Platt verstehen. Wer will, bekommt Nachhilfeunterricht. Nach fünf Jahren in Uniform können die "europäischen Söldner" luxemburgische Staatsbürger werden und in den Staatsdienst wechseln. Pragmatismus pur, zur Nachahmung empfohlen.


[1] Vgl. auch IAB-Werkstattbericht Nr. 10/2001 von Heinz Werner und Ingeborg König: Integration ausländischer Arbeitnehmer in die Arbeitsmärkte der EU-Länder.

Autor: Dr. Manfred Werth, isoplan

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