Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

INTERVIEW

Konstruktive Auseinandersetzung mit dem Islam

Udo Steinbach im Gespräch

Professor Dr. Udo Steinbach ist Leiter des Orient-Instituts in Hamburg (www.doihh.de) , Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift ORIENT und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Islam. Seit 1999 ist das Orient-Institut Koordinator des Forschungsprojekts "Dialog Westen-Islam", das unter der Schirmherrschaft von 12 Staatsoberhäuptern muslimischer und nicht-muslimischer Staaten durchgeführt wird. Im AiD-Interview warnt Professor Steinbach vor undifferenzierten Reaktionen auf den 11. September und plädiert für eine praxisnahe Beschäftigung mit dem Islam in Deutschland.

AiD: Herr Steinbach, nach dem 11. September sind Sie als Islam-Experte ein besonders gefragter Interviewpartner. Werten Sie das eher als Ausdruck von Angst oder als Versuch, die Entstehung neuer Gräben zwischen den Kulturen zu vermeiden?

Steinbach: Zunächst einmal sehe ich ein ungeheures Interesse an Entwicklungen auch in unserer Region. Ich würde das neutral werten; es ist ein Versuch zu verstehen, was am 11. September geschehen ist. Dahinter steht jedoch eher eine konstruktive Tendenz als etwa eine Tendenz zur Abschottung gegenüber dem Islam oder Muslimen. Außerdem nehme ich eine Suche nach Möglichkeiten wahr, einen konstruktiven Zugang zur islamischen Welt insgesamt zu finden.

Haben auch Muslime verstärkt das Gespräch mit Ihnen gesucht?

Durchaus! Muslimische Medien haben mehrfach mit mir gesprochen, und gerade habe ich auf Einladung einen Vortrag in einer Moschee in Bremen gehalten - so etwas ist dort zum ersten Mal geschehen. Das Thema war "Respektvoller Umgang mit der muslimischen Minderheit in Deutschland". Das ist auf sehr großes Interesse gestoßen. (Übrigens war es für alle, Zuhörer wie Referenten, selbstverständlich, dass wir als Gäste der Moschee die Schuhe ausgezogen haben.) Zu dem gleichen Thema hat mich gerade auch die Patriotische Gesellschaft eingeladen, eine Hamburger Stiftung aus dem Jahre 1765. Hier im Büro besuchen mich Vertreter islamischer Gemeinden, teilweise auch aus weiter entfernten Städten. Sie haben große Sorge, nun in eine Ecke gedrängt zu werden durch den pauschalisierenden Gewaltvorwurf, der ja zu hören ist. Sie haben auch Angst vor dem Verbot von Institutionen, dass es auch Gemeinden betreffen kann. Es kommen nicht nur die Jüngeren, die Generation der Migrantenkinder, sondern auch Muslime, die seit vielen Jahren in Deutschland ansässig sind.

Derzeit bemüht man sich vielfach, ein allgemeines Interesse für "die" Muslime oder "den" Islam zu wecken. Müsste man nicht stärker unterscheiden, etwa zwischen türkischem, bosnischem oder arabischem Islam?

Natürlich sollte man eigentlich differenzieren. Aber das ist nun wirklich nicht leicht. Es gibt wenig Literatur, die das auf den Punkt bringt, zumal für Deutschland. Natürlich gibt es ein paar dicke Fachbücher zu einzelnen Ländern, aber wer soll das lesen, und vor allem wann? Es ist vor allem eine Zeitfrage, und die Bücher sind auch teuer. So ist das nicht leistbar.

Ich halte sehr, sehr viel davon, wenn die Leute nun wirklich einmal selbst in die Moscheen gehen, wie es ja oft von muslimischer Seite auch angeboten wird. Ein Moscheebesuch ist der anschaulichste Weg, Islam praktisch wahrzunehmen - auch die verschiedenen Alternativen, die in der Region existieren.

Es hat vielen Angst gemacht, dass man die Entwicklung von Selbstmordattentätern nicht bemerkt hat, auch nicht in der nächsten Umgebung. Können Sie verstehen, wenn daraus pauschalisierend Angst wird, auch vor einem Moscheebesuch?

Nein - aber ich denke auch nicht, dass es tatsächlich Angst ist, was Leute von einem Moscheebesuch abhält. Was ich beobachte, sind eher Hemmungen, dorthin zu gehen. So etwas ist ja nichts Neues, und das kennen wir auch von anderen Religionen. Denken Sie nur zum Beispiel an die lange vorherrschenden Hemmungen protestantischer Gläubiger, in eine katholische Kirche zu gehen, oder Katholiken in einen jüdischen Tempel. Man denkt, dabei könnte man unangenehm auffallen, weil man die Rituale nicht kennt und dann vielleicht gegen Regeln verstößt. Solche Peinlichkeiten will man vermeiden. Wirkliche Angstgefühle bringe ich damit nicht in Verbindung. Angst haben die Leute vor konkreter Bedrohung und Krieg, vor der Gewalt eines Bin Laden und Gewalt von Terroristen. Sie haben auch Angst vor einer Spirale der Gewalt. Eine allgemeine Haltung zur Gewalt lässt sich aus der Substanz von Religionen nicht herauslesen, auch nicht aus den heiligen Schriften wie Bibel, Talmud und den Schriften von Hindus oder anderen.

Im Internet konnte man eine Zeitlang nachlesen, wie ein Djihad - hier im Sinne von Gewalttaten - vorzubereiten sei. Basis der Anweisungen war eine völlige Abschottung vor "verderblichen" Einflüssen der westlichen Kultur. Kann man gegen solche Denksysteme überhaupt angehen?

Man muss es gar nicht, das ist derart marginal, dass man damit keine Zeit vergeuden sollte. Wir sprechen doch über Muslime in Deutschland, nicht wahr? Wenn es hier im Lande vielleicht Minderheiten gibt, die so denken oder zu handeln versuchen, dann fällt das in den Zuständigkeitsbereich polizeilicher und geheimdienstlicher Ermittlungen. Diese Anweisungen, die Sie schildern, entsprechen der Mentalität der Taliban in Afghanistan. Dort haben sie tatsächlich völlige Abschottung versucht; sie wollten die Kinder so erziehen, sie haben vor allem die Frauen geradezu eingeschlossen. Für diese Art von Politik wurden die Taliban von den Iranern zum Beispiel und von vielen anderen islamischen Ländern zutiefst verachtet.

Derzeit will man in Deutschland umfangreiche schärfere Sicherheitsmaßnahmen einführen. Wirkt das abschreckend auf potenzielle Gewalttäter?

Nein, das ist kontraproduktiv, es verschlimmert die Situation. Da herrscht einfach Hysterie vor, und man operiert mit Begriffen, die sehr emotionsträchtig sind. Außerdem: Wenn etwa eine Zahl von 30.000 potenziellen "Gewalttätern" in Umlauf gesetzt wird, dann ist das einfach falsch. Was damit angesprochen wird, sind offensichtlich die etwa 27.000 Anhänger von Milli Görüs. Und die werden von den Sicherheitsorganen längst beobachtet, wobei man ihnen keine Gewalttaten nachweisen konnte. - Gewalttäter, das sind die sogenannten Schläfer, und die kennt man nicht, jedenfalls kann man nicht mit solchen Zahlen operieren. Es gibt in Deutschland ein paar Ableger gewaltbereiter Gruppen aus anderen Ländern, die selektiv gewalttätig waren, nicht zuletzt untereinander. Ich finde es sehr wichtig, dass man differenziert und auch eine differenzierende Rhetorik anwendet. Auch die Rede von den sogenannten Extremisten ist oft leichtfertig.

Welche Aktivitäten halten Sie heute in Deutschland für besonders wichtig, um mehr Verständnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu entwickeln?

Ich halte öffentliche Meetings für eine sehr gute Sache. Mit Themen wie islamische Verfassung, Islam in der Demokratie, Teilhabe am politischen und sozialen Leben, Islam und Grundgesetz. Ich stelle fest, dass Muslime sich sehr konstruktiv damit auseinandersetzen. Zugleich ist aber auch ein Appell an die muslimische Seite zu richten. Es gab viele Fehler in der Vergangenheit, man hat sich zu sehr zurückgezogen. Außerdem haben sich Muslime teilweise zu sehr in Abhängigkeit von Strukturen im Herkunftsland bewegt, Türken etwa, die zu stark auf Institutionen in der Türkei geschaut haben, oder andere, die sich in finanzielle Abhängigkeit von Saudi Arabien begeben haben. - Ich sehe, dass vor allem jüngere Kader unter den Muslimen das begriffen haben. Es ist nun Zeit, das auch einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen.

Vielen Dank!


Interview: Marie-Luise Gries, isoplan

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