Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

STADTPORTRAIT

Ramadan im Dom

Türkische Migranten in Köln


Weihnachtsfeier im Ford-Wohnheim, Köln 1965


Türkisches Mädchen bei der Einschulung

Am 30.Oktober 1961 wurde das "Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte" zwischen der Bundesrepublik und der Türkei geschlossen. Anlässlich des 40. Jahrestages türkischer Arbeitsmigration wurde in Köln die Ausstellung "40 Jahre fremde Heimat" eröffnet. Eine spannende und bewegende Geschichte, die nicht nur Deutsche, sondern auch viele Migrantenkinder neu erfahren.

Seit dem 11. September kennt zwar fast jeder die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime, aber kaum einer weiß, wie es ihnen damals bei der Anwerbung tatsächlich erging und wie sich zum Beispiel Betriebe auf muslimische Arbeiter umstellen mussten. Die Ford Werke in Köln zum Beispiel, die als erstes Unternehmen nach Abschluss des Anwerbevertrages türkische Arbeiter nach Deutschland holten, hatten zu improvisieren und Kreativität zu zeigen. Für die Kantine bedeute dies, zumindest ein Gericht ohne Schweinefleisch anzubieten. Der Betriebsrat hatte für einen Gebetsraum zu sorgen - der heute aber nicht mehr benutzt wird. Die Personalabteilung fungierte als Dolmetscher und die Vorarbeiter sorgten "am laufenden Band" für die Kommunikation: Während das Band lief, sprach man in der Umgangssprache mit den Arbeitern und versuchte so, die Kommunikation für den Betriebsablauf sicherzustellen. Wann genau in den 60er Jahren all diese Umstellungen erfolgten, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Fest steht nur, dass im Laufe der Jahre diese und andere Hilfestellungen zu festen Einrichtungen wurden, die die Lebensgewohnheiten, die Religion und das Freizeitverhalten der muslimischen Arbeiter berücksichtigen.

Köln wurde zu einem wichtigen Zentrum der Einwanderung aus der Türkei: Hier entstand der erste Arbeiterverein, der erste anerkannte Ausländerbeirat (1972) und hier haben fünf der wichtigsten sechs Dachverbände der Muslime in Deutschland mit 29 Moscheen und einer Medrese (religiöse Lehranstalt) ihren Sitz.

Aber wie erging es den angeworbenen Arbeitskräften? Die Mobilitätsberaterin Magrit Braun, die 1971 beim Arbeitsamt in Köln arbeitete, erinnert sich: "Ich habe damals über die Erlaubnisse und Legitimationsanträge entschieden. Das war schon sehr aufregend. Aber wie die Wohnverhältnisse und die sozialen Bedingungen aussahen und wie sich die Menschen gefühlt haben, dass wusste niemand so genau." Genau dieser Frage widmete sich die gut dokumentierte Kölner Ausstellung "40 Jahre fremde Heimat". Anhand der türkischen Arbeitsmigration, die das Kölner Dokumentationszentrum DOMIT in Zusammenarbeit mit der Stadt Köln, den Ford-Werken und der Bundesanstalt für Arbeit präsentierte, erfährt man zum Beispiel, dass vier Quadratmeter im Sechs-Personen-Zimmer mit einem Tisch, einem Stuhl und einem Spind pro Person die neuen Lebensräume in Deutschland stellten. Räume, die eine provisorische Unterbringung mit Herd, Dusche und Toilette als Gemeinschaftsgüter vorsahen und als Baracke, teilweise mit Stacheldraht umzäumt, auf Firmengelände angesiedelt waren. Dass sich sowohl die "Gastarbeiter" als auch Unternehmen "provisorisch" auf diese Umstände einrichten mussten, hatte vor allem einen politischen Hintergrund. Denn im Gegensatz zu Portugiesen, Italienern oder Spaniern, die kaum Einschränkungen erfuhren, unterlagen türkische Arbeiter einem zweijährigen Rotationsprinzip und waren von der Familienzusammenführung ausgeschlossen. Das Rotationsprinzip sah vor, dass nach zwei Jahren die bereits eingearbeiteten durch neue "Gastarbeiter" ersetzt werden sollten. So verwundert es nicht, dass fast alle türkischen Arbeiter mehr sparten als lebten, um sich so in der Heimat eine neue Existenz aufzubauen. Dabei wurde mehr als die Hälfte (fast 300 DM) ihres Netto-Gehaltes von durchschnittlich 516 Mark in die Heimat geschickt.

Für die Unternehmen waren sie lediglich Billig-Lohnarbeiter, gleich welcher Qualifikation. Die Ausstellung aber verdeutlicht, dass es sich nicht nur um ungelernte Arbeiter handelte: Die Türkei schickte 30 Prozent ihrer Facharbeiter nach Almanya und erhoffte sich so ein besseres "Know-how" für die eigene Industrie. Aufschlussreich ist auch, dass bis 1973 jede fünfte Arbeitskraft der insgesamt 860.000 türkischen "Gastarbeiter" eine Frau war. Im Gegensatz zu den Männern verließen sie schneller die provisorischen Wohnheime und lernten auch schneller Deutsch.

Viele Migrantenkinder, die sich die Ausstellung anschauen, bewerten so manche Auswahlprozedur als erniedrigend. Sie müssen jedoch feststellen, dass auch sie nicht alles gewusst haben, jetzt aber - mit den dokumentierten Spuren der Vergangenheit - ihre Eltern mit dem damaligen Rückkehrwunsch besser verstehen.

Die Ausstellung zeigt manch überraschendes Detail. So dokumentiert ein Zeitungsbericht, dass 1965 Muslime zum Ramadan im Kölner Dom beten durften. "Nichts Ungewöhnliches", hieß es damals seitens der Dompropstei. Auch gab es vor den klassischen "Gastarbeitern" die so genannten "Heuss-Türken", die schon 1958 auf Einladung des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss nach Köln zu den Ford-Werken kamen. Das ausgestellte Erbe der Migranten aus der Türkei, das DOMIT der Öffentlichkeit zugänglich macht, dokumentiert auch, dass es nicht, wie vielfach angenommen, nur Arbeitskräfte aus Anatolien waren, die ausgesucht wurden. Für die "Deutsche Verbindungsstelle", die im Auftrag deutscher Unternehmen vor Ort geeignete Personen ausmusterte, galt es vor allem, Personen aus dem industrialisierten Westen und Nordwesten des Landes auszuwählen. Setzt man nun das Mosaik der Betrachtungen, Erinnerungsorte und Dokumente zusammen, so ergeben sich gleichzeitige "Wahrheiten", die nebeneinander stehen und existieren.

Weil die Ausstellung die Geschichte der Migration sowohl aus der Sicht der Einwanderer als auch aus deutscher Perspektive erzählt, ist sie - wie ihr Katalog - zweisprachig. Die Geschichte der Migration als einen Teil der deutschen Geschichte zu präsentieren, ist legitim. Es fragt sich nur, warum fast nur die erste Generation vertreten ist, wo es doch um 40 Jahre Migration geht. Denn Heimat, so der Essayist Zafer Senocak, entsteht in den Köpfen und ist stets auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit gerichtet.


Autorin: Semiran Kaya

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.