Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

SCHULE

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


"Islam" auf dem Stundenplan

Was lehrt der Lehrer für muslimische Kinder?


Berliner Koranschule in den 80er Jahren

Schon vor zwei Jahren wollte die Universität Bonn den ersten Studiengang "Islamische Religionslehre für das Lehramt an den Sekundarstufen I+II" in Deutschland einführen. Analog den Studiengängen für christliche Religionslehrer sollten sich junge bekennende Muslime und Musliminnen Fachwissen zum Islam, arabische Sprache sowie pädagogische Kenntnisse aneignen. Islam- und Erziehungswissenschaftler, evangelische und katholische Theologen haben gemeinsam das Curriculum erarbeitet. Dem hatten der Zentralrat der Muslime, der Islamrat sowie der Verband der Aleviten zugestimmt. Eine Akkreditierung bei der Al-Azhar-Universität in Kairo, der ältesten und angesehensten islamischen Universität der Welt, sollte dem Projekt noch mehr Autorität verleihen. Ein deutscher Sponsor aus der Wirtschaft wollte mehrere Millionen DM für den innovativen Lehrstuhl beisteuern.

Dann aber kam die Absage des nordrhein-westfälischen Bildungsministeriums. Ministerin Gabriele Behler äußerte Bedenken, dass "die Muslime keinen einheitlichen Verband haben und nicht die Stellung der christlichen Kirchen besitzen". Statt islamischer Religionslehre schlug sie vor, eine Stiftungsprofessur für islamische Religionswissenschaft einzurichten. Die Universität und der Sponsor lehnten den Vorschlag ab: Islamwissenschaftler gibt es schließlich genug. Es fehlen die Religionslehrer für muslimische Kinder.

Seitdem ruht das Konzept in der Schublade. Dem Schulministerium fehlt der einheitliche Ansprechpartner nach wie vor: Im November hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Klage der Dachverbände Zentralrat der Muslime und Islamrat auf Einführung des Religionsunterrichts zurückgewiesen mit der Begründung, sie würden nur einen Bruchteil der Muslime in Deutschland vertreten. Die Landesregierung befürwortet allerdings einen flächendeckenden Islamunterricht, sagt die Pressereferentin des Schulministeriums, Christiane Vielhaber. Schon seit Mitte der 70er Jahre gibt es in NRW eine islamische Unterweisung im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts. Seit 1999 beteiligen sich 24 Schulen an dem Projekt "Einführung der Islamkunde als ordentliches Schulfach": vormittags, benotet und auf Deutsch. Es unterrichten Migranten, die ihre Lehrerdiplome in der Heimat erworben und eine Weiterbildung vom pädagogischen Landesinstitut in Soest bekommen haben. Sie stehen im Dienst der Landesregierung und haben auf die Verfassung geschworen. Bisher wird das Fach sehr gut angenommen, sagt Vielhaber. Ein Lehrstuhl muss her, das sieht auch die Behörde ein, aber wann und wo er errichtet wird, ist ungewiss.

Je nach Bundesland wird der Islamunterricht derzeit von den diplomatischen Vertretungen der Türkei und Marokkos oder vom deutschen Staat verantwortet. Daneben existieren einige tausend Koranschulen bei den Moscheen, allein in NRW 450. Obwohl die Kultusministerkonferenz 1996 "keinen weiteren Handlungsbedarf" festgestellt hat, bewegt sich zur Zeit einiges. Eine Ausnahmesituation hat sich in Berlin ergeben: Nach einer Gerichtsentscheidung darf die Islamische Föderation an zwei Grundschulen Islamunterricht erteilen. Die Berliner Gesetze schreiben dem Staat vor, sich aus dem Religionsunterricht völlig herauszuhalten. Daher stellt die Schulverwaltung der Islamischen Föderation, die der Milli Görüs nahe steht, lediglich die Räume zur Verfügung. Sie hat aber keinen Einfluss auf die Inhalte. Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg protestierte: Es sei unerträglich, dass ein vom Verfassungsschutz beobachteter Verein in den Schulen unterrichten dürfe.

In Hessen und Baden-Württemberg haben sich zahlreiche Muslime zu "Religionsgemeinschaften" zusammengeschlossen, um gemeinsame Lehrpläne und Forderungen, z.B. nach einem Lehrstuhl für Diplom-"Islamologen", herauszubringen. Auch ihre Anträge wurden von den Ministerien abgewiesen. In Bayern gibt es religiöse Unterweisung als reguläres Fach unter staatlicher Aufsicht schon seit langem, seit Anfang des laufenden Schuljahres auch auf Deutsch. Die Lehrpläne sind an die türkischen angelehnt.

Bei der sog. "islamkundlichen Unterweisung" handelt es sich um die Übermittlung faktischen Wissens über den Islam, nicht um ein Verkünden des Glaubens - aus Sicht mancher Gläubigen ein "Etikettenschwindel". Den Bonnern geht es dagegen, wie die Professoren Michael Meyer-Blanck und Wolfram Kinzig von der Evangelisch-Theologischen Fakultät erklären, um einen konfessionellen Unterricht im Sinne des Art. 7 (3) des Grundgesetzes, nach dem vertrauten Konzept der christlichen Kirchen. Wohl wird es notwendig sein, in dieser Frage mit zum Teil fundamentalistischen, aber mitgliedsstarken Organisationen wie Milli Görüs zusammenzuarbeiten. Wenn die Muslime endlich Mitspracherecht in punkto Religionsunterricht bekommen, "wären sie in gewisser Weise gezwungen, sich zu bestimmten verfassungsrechtlichen Grundsätzen klar zu bekennen", meint Prof. Kinzig. Einen anderen Weg will die Universität Osnabrück gehen, die ein Projekt zur gemeinsamen Religionslehrerausbildung mit drei Hochschulen in der Türkei vorbereitet. Türkische Bachelor-Absolventen sollen ihr Studium bis zum Master-Abschluss in Osnabrück fortsetzen und anschließend in Deutschland arbeiten. Zweisprachigkeit und eine profunde Kenntnis der deutschen wie der türkischen Lebensweise sind so gewährleistet, meint Prof. Peter Graf und denkt dabei etwa an Jugendliche aus Rückkehrerfamilien. Während die staatlichen Hochschulen noch planen und überlegen, hat sich in Frankfurt am Main ein Islamologisches Institut e.V. gegründet. Seit Februar 2001 bietet es deutschsprachigen Muslimen Aus- und Weiterbildung im Schnellverfahren: In mehrmonatigen Kursen sollen Erzieher, Religionslehrer sowie Krankenhaus- und Gefängnisseelsorger vorbereitet werden.

Der öffentliche konfessionelle Unterricht wird in jedem Fall das Monopol der Koranschulen durchbrechen. Zwar wird es sicherlich weiterhin Eltern geben, die Wert darauf legen, dass ihre Kinder den Koran auf Arabisch rezitieren können. Aber die Schüler würden angeregt, mehr Fragen zu stellen. Davon erhofft sich der Religionspädagoge Meyer-Blanck auch einen Modernisierungsimpuls für die Imame.

Wie soll der Schulstoff Sunniten, Schiiten und Aleviten, Türken, Arabern, Iranern, Bosniern gerecht werden? So schwer ist das nun wieder nicht, meint Meyer-Blanck: Der Unterricht soll zunächst mit dem sunnitisch-türkischen Schwerpunkt beginnen. Dann muss man schauen, wo es große Gruppen von Iranern gibt, und den Unterricht um einen schiitischen Schwerpunkt ergänzen. "Wir haben auch nur einen evangelischen Religionsunterricht und nicht einen speziellen reformierten oder einen lutherischen, freikirchlichen und einen für die Pfingstgemeinden."


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Berlin muss Islamunterricht dulden

 

Berlin. Das Berliner Verwaltungsgericht hat im November entschieden, dass die Schulverwaltung der Islamischen Föderation gestatten muss, an den Schulen Religionsunterricht zu erteilen (Aktenzeichen: VG 27 A 254.01). Das hatte die Kammer schon im August im Eilrechtsschutzverfahren festgestellt. An zwei Grundschulen geben seit dem 13. September zwei Lehrer der Islamischen Föderation 57 Kindern aus der zweiten Klasse zwei Stunden in der Woche Unterweisung im Islam. Die Islamische Föderation in Berlin, eine Dachorganisation von 26 Vereinen, kämpft seit 20 Jahren darum, an Schulen unterrichten zu dürfen. Alle Versuche von Schulsenatoren, der Föderation den Zugang zu verweigern, sind gescheitert. 1998 stellte das Oberverwaltungsgericht fest, die Föderation sei eine Religionsgemeinschaft; 2000 bestätigte dies das Bundesverwaltungsgericht.

Da Religionsgemeinschaften in Berlin den Religionsunterricht vollständig in eigener Verantwortung und außerhalb der regulären schulischen Ausbildung erteilen, kann der Staat weder die Auswahl der Lehrer noch die Inhalte bestimmen. Nur wenn sich herausstellte, dass im Unterricht der Föderation aktiv zum Bruch von Gesetzen aufgerufen werde, dürfe die Verwaltung einschreiten, entschied das Gericht. Dafür gebe es jedoch keine Anhaltspunkte. Die Föderation lud die Schulverwaltung ein, jederzeit unangemeldet den Religionsunterricht zu besuchen. Im nächsten Schuljahr soll er an 20 Schulen angeboten werden. Ziel des Religionsunterrichts sei es, den Glauben der Gemeinschaft zu vermitteln, und nicht, die Werte und Normen des Staates zu unterrichten, sagte der Vorsitzende Richter. Das sei Aufgabe der Schule. Im Religionsunterricht brauche nicht der "Zweifel am Glauben" gelehrt zu werden. Die Berliner Schulverwaltung mache einen "grundsätzlichen Fehler", wenn sie das verlange. Selbstverständlich werde im Islamunterricht nicht zu "Terror und Aufruhr" aufgerufen, sagte ihr Anwalt. Verbindungen zu extremistischen Gruppen waren vom Gericht "nicht aufzuklären".

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Islamisten dürfen in Hessen nicht unterrichten

 

Frankfurt/Main. Religionsunterricht sei für die Schüler islamischen Glaubens in Hessen ein "legitimes Bedürfnis", sagte die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) nach einem Bericht der "tageszeitung" vom 21. September 2001. Doch ist die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) nach ihrer Auffassung nicht die richtige Organisation dafür. Einen entsprechenden Antrag der IRH lehnte Wolff daher ab. Dem Kultusministerium in Wiesbaden liege auch ein Gesuch der islamischen Religionsgemeinschaft der Aleviten vor. Dieses sei allerdings nicht zu bescheiden, weil die als gemäßigt geltenden Aleviten keine Vorschläge über Lerninhalte gemacht hätten. Der IRH werde die Zulassung verweigert, weil es "Zweifel an deren Bejahung des Grundgesetzes" gebe. Nicht akzeptabel seien auch die Ansichten über die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Zudem könne die nur zur Übernahme des Islamunterrichtes gegründete Vereinigung - ein gemeindliches Leben gebe es nicht -, kaum für alle Muslime in Hessen sprechen.

So sehen das auch andere Hessen islamischen Glaubens. In einer Erklärung begrüßten am 20. September Sprecher der Aleviten und der Ahmadiyya-Muslime den Beschluss der Kultusministerin ebenso wie Politiker, Schriftsteller und Gewerkschafter. Die IRH biete nicht die Gewähr, dem Grundgesetz immer in jeder Situationin Vorrang vor der "Scharia" zu geben, heißt es in der Erklärung. Unklar sei auch, ob die IRH tatsächlich eine Religionsgemeinschaft sei oder nur ein zentrales Sekretariat, das mit größerem Aufwand PR-Texte produziere.

Um dem "legitimen Bedürfnis" der Muslime in Hessen doch noch gerecht zu werden, will Wolff nach Angaben der "tageszeitung" den rund 50.000 Schülern islamischen Glaubens jetzt ein zusätzliches Ethik-Fach anbieten. In Kassel und in Frankfurt soll schon bald damit begonnen werden, denn die religiöse Unterweisung der Schüler dürfe - so auch die Mahnungen von Grünen und Sozialdemokraten - nicht alleine den Koranschulen überlassen bleiben. Allerdings mangelt es an speziell ausgebildeten Lehrern. Es könnten noch Jahre vergehen, bis der Unterricht flächendeckend organisiert sei, sagte Wolff. Nun regen die anderen islamischen Religionsgemeinschaften die Gründung eines Fachbeirates aller islamischen Organisationen, auch säkularer Vereinigungen, in Hessen an. (esf)

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Baden-Württemberg wird Islamunterricht anbieten

 

Frankfurt/Main. Das Land Baden-Württemberg wird ab dem Schuljahr 2003/2004 islamischen Religionsunterricht auf deutsch anbieten. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 10. November 2001 berichtete, wird es den Unterricht zunächst nur an Orten mit hohem Anteil an Muslimen geben. Zunächst sei an vier Grundschulen gedacht, ab dem Jahr 2010 soll der islamische Religionsunterricht im ganzen Bundesland eingerichtet werden. Am 8. November 2001 haben vier islamisch-sunnitische Antragsteller einen gemeinsamen Lehrplanentwurf eingereicht. Das Kultusministerium in Stuttgart will einen Unterricht konzipieren, der dem ordentlichen Unterrichtsfach der katholischen oder evangelischen Religionslehre entspricht. Für den Inhalt des Unterrichts soll die jeweilige Religionsgemeinschaft verantwortlich sein, während der Staat Schulaufsicht und Organisation übernehmen soll. Alle bisherigen Versuche, den Unterricht in Baden-Württemberg einzuführen, sind daran gescheitert, dass dem Kultusministerium ein verläßlicher Partner fehlte. Bis die Lehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen beginnen kann, sollen im Schuldienst stehende Lehrer muslimischen Glaubens mit einer Zusatzqualifikation den islamischen Religionsunterricht erteilen. (esf)

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