Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

KONFLIKTE

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


S wie Schächten

Ein kleines ABC der Alltagsprobleme

Es beginnt mit A wie Alkohol und B wie Beten bei harmlosen Themen, nähert sich bei F wie Freitagsgebet, K wie Kopftuch, Klassenfahrt oder konfessionsübergreifende Ehen, R wie Ramadan und M wie Moscheebau schwierigeren Themen, ehe es bei S wie Stellung der Frau, Schweinefleisch, Schwimmunterricht oder Schächten, T wie Tschador und Totenwäsche sowie U wie unbefristete Totenruhe sehr ernst werden kann - Dieses "kleine ABC" fasst einige der Alltagsprobleme im Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen zusammen. Es geht um Konflikte in der Familie, im Wohnhaus, im Viertel, in der Schule oder im Betrieb.

Natürlich geht es auf globaler Ebene um ganz andere Themen: von D wie Dschihad, I wie Islamismus bis K wie Kreuzzug und S wie Scharia. Das "große ABC" gewissermaßen. Die Integrationsfähigkeit von Gesellschaft und muslimischen Zuwanderern zeigt sich jedoch in den Antworten auf die Probleme des kleinen ABC. Da gibt es mehr "offene Gestaltungsräume", als es zunächst erscheint. Aber es dauert oft lange, ehe man zu Lösungen kommt. So zeigt etwa der Streit um die Akzeptanz des Kopftuches bei muslimischen Lehrerinnen und Schülerinnen, dass "Deutschland noch weit davon entfernt ist, den Islam als gleichberechtigte Religion im eigenen Land zu akzeptieren", heißt es im Bericht der Süssmuth-Kommission. Er betont, dass die im Grundgesetz verankerte "Freiheit des Glaubens" sowie der "ungestörten Religionsausübung" (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) eine wesentliche Voraussetzung für die Integration von Minderheiten ist.

Die Alltagsprobleme beginnen bei der fehlenden Kenntnis von Ernährungsregeln seitens der Mehrheitsgesellschaft. Man weiß immerhin, dass Muslime keinen Alkohol trinken und kein Schweinefleisch essen. Ersteres führt zu keinen Problemen, zumal sich nicht jeder Muslim daran hält. Zum Alkohol (bzw. Wein) heißt es im Koran, dass im Genuss eine schwere Sünde liegt, jedoch auch Nutzen für die Menschheit. Das Verbot erschließt sich daraus, dass die Sünde größer sei als der Nutzen. Einige Muslime sehen durchaus den Nutzen der Integration beim abendlichen gemeinsamen Bier unter Freunden und Kollegen: "Nachts macht Allah die Augen zu", sagen sie dann augenzwinkernd. Wie die Christen auch, nehmen es viele Muslime nicht immer so genau mit den religiösen Vorschriften. Bei der islamischen Lebensführung in einem modernen Kontext passt man sich durchaus an.

Die meisten Großkantinen von Industriebetrieben mit hohem Migrantenanteil achten seit Jahrzehnten auf besondere Ernährungsbedürfnisse. Anderswo werden diese immer noch nicht gebührend ernst genommen. Das zeigen die Speisepläne vieler Kindergärten, Schulküchen, Krankenhäuser und Altersheime. Aber natürlich gibt es Vorreiter von Veränderungen, wie das "Multikulturelle Seniorenheim" in Duisburg. Dort gibt es nicht nur eine Moschee, auch Essen nach muslimischen Vorschriften wird angeboten. Bei zu vielen anderen Einrichtungen ist jedoch wenig Sensibilität vorhanden. Zwar hat man sich längst auf Vegetarier eingestellt - seit der BSE-Krise wird penibelst auf Alternativen zu Rindfleisch geachtet -, Alternativen zum Schweinefleisch werden jedoch kaum geboten. Fragen Muslime nach Beimengungen von Schweinefleisch - etwa bei Hackfleischsoßen - erhalten sie oft unklare Antworten, woraufhin sie lieber verzichten.

Eine Sozialpädagogin erzählt von einem Picknickausflug der Kinder eines Jugendclubs. In einem Lokal werden den Kindern Leberwurstbrote vorgesetzt. Daraufhin wird die Wirtin darauf hingewiesen, dass hier doch muslimische Kinder dabei sind. Die Reaktion: "Och, das kriegen die doch nicht mit, das schmeckt denen doch auch!" - "Aber sie dürfen kein Schweinefleisch essen!" - "Och, meinen Sie? Ist das so furchtbar?" Übersehen wird, dass manche Kinder den versehentlichen Genuss von Schweinefleisch als schwere Sünde verstehen und neben Ekel auch Schuldgefühle haben. Die Angst vor einem versehentlichen Konsum bringt manchen Muslim dazu, Medikamentenverpackungen darauf zu untersuchen, ob sich unter den Inhaltsstoffen nicht auch aus Schwein hergestellte Stoffe befinden.

Ein verwandtes Thema ist der Ramadan. Auch hier wird zu selten Rücksicht genommen. Aber es gibt positive Ausnahmen bei der Opel AG oder der Werkskantine bei der Ford AG. Letztere bleibt im Ramadan auch nach Einbruch der Dunkelheit geöffnet. Schwieriger ist es tagsüber. Zu Beginn der diesjährigen Fastenzeit durfte Abdallah nicht wie sonst beim Mittagstisch des Kinder- und Jugendhauses Alt-Saarbrücken essen. Dem 9-jährigen Sohn einer syrisch-kurdischen Familie wurde zuhause gesagt, dass er zu fasten habe. Einen Tag später kommt er wieder, sagt, dass ihm seine Mutter das jetzt freigestellt habe. Er isst mit, will dazugehören, wirkt aber verunsichert. Die Sozialpädagogen erklären den anderen Kindern den Ramadan. Dann hört Abdallah wieder auf zu essen. Ein Junge habe ihn beleidigt, sagt er. Das wirkt vorgeschoben. Quälte ihn doch ein schlechtes Gewissen? Die Sozialpädagoginnen kümmern sich. Am Wochenende redet Abdallah mit den Eltern. Eine salomonische Lösung wird gefunden: Er fastet nur noch am Wochenende, weil es werktags so schwerfällt, wenn alle anderen essen und trinken.

Noch schwieriger in der praktischen Befolgung ist die Ernährungsregel, dass Tiere, die zum Verzehr geschlachtet werden, ausbluten sollen (so genanntes Schächten). Sie kollidiert in Deutschland mit dem Tierschutzgesetz, nach dem Tiere nicht ohne vorherige - todbringende - Betäubung geschlachtet werden dürfen. Strenggläubige Muslime meinen aber, dass eine Betäubung das richtige Ausbluten verhindere. Zum Tragen kommt dies regelmäßig bei den Feiern zum Opferfest, bei dem Familienväter ein Schaf schlachten sollen. Das Tierschutzgesetz sieht hier - da es sich um eine religiöse Vorschrift handelt - Ausnahmegenehmigungen vor. Längst bieten deutsche Landwirte Muslimen Räume für das rituelle Schächten an, in Großstädten kann man zu muslimischen Metzgern und Schlachtbetrieben gehen. So kann verhindert werden, was bislang die Regel war: das unfachmännische Schächten ohne Betäubung in der Badewanne, im Keller, im Hinterhof, in der Scheune oder im Wald. Etwas anderes gilt für Forderungen nach einer allgemeinen Zulassung des Schächtens. Nach Auffassung von Prof. Ursula Spuler-Stegemann (Universität Marburg) ist man in Deutschland zu zögerlich, dies klar zu verbieten, während Mathias Rohe darauf verweist, dass das Schächten nicht als besonders anstößig gesehen werden kann, solange es Massentierhaltung und quälende Tiertransporte allein wegen billigerer Schlachtmöglichkeiten gibt.

Schulsport, mehrtägige Klassenfahrten und Sexualkunde im koedukativen Unterricht sind ein weiteres Konfliktfeld. Hier geht es um Bekleidungssitten und Erziehung. Töchter strenggläubiger aber auch mancher nicht-religiöser Familien dürfen daran oft nicht teilnehmen. Auch der gemeinsame Besuch von Jugendlichen in Diskotheken oder Kinos wird verboten. Mit dem Islam und der heutigen Praxis in den Herkunftsländern hat diese Haltung jedoch meist weniger zu tun, als mit der Angst vor Ehrverlust nach traditioneller Denkweise und dem Verlust der Identität in der Diaspora.

M wie Moscheebau schließlich. Mit der Entscheidung, dauerhaft hier zu bleiben, geht die Bemühung einher, einen würdigen Gebetsort und damit ein Stück Identität einzurichten. Doch wo immer der Versuch angedacht wird, buchstäblich aus den provisorischen Hinterhofmoscheen hinaus an die Hauptstraße zu gehen, brechen emotionale Diskussionen aus, die von den Ängsten der Mehrheitsgesellschaft zeugen. Ähnliches gilt für den islamischen Religionsunterricht (vgl. S 6). Dahinter stehen Vorurteile, gespeist aus Unkenntnis über die Situation der jeweils anderen. Sie verstellen den Blick auf die Realität und prägen gegenseitige Wahrnehmungen. So wird manchem, der eigentlich nur aus Unsicherheit an bestimmten Vorschriften festhält, unterstellt, er wolle sich außerhalb der deutschen Gesellschaft stellen.

Dass Islam und Moderne in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander stehen, zeigt sich nicht nur in fehlender Sensibilität seitens der modernen Mehrheitsgesellschaft, sondern auch in der fehlenden Anpassungsbereitschaft strenggläubiger Muslime. Sie torpedieren die Ausprägung eines europäischen oder deutschen Islam. Aber dass manch praktizierender Muslim Vorbehalte gegenüber der nichtislamischen Gesellschaft hat, sich dieser letztlich überlegen fühlt, ist wieder ein anderes Thema.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

Literaturtipp: Mathias Rohe: Der Islam - Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven, Herder Verlag, Freiburg 2001

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Wirtschaften nach den Regeln der Scharia

 

"Darf ich eine Kreditkarte benutzen? Darf ich ein Millionär sein?" Solche Fragen beantworten Websites wie www.muslim-investor.com, und im deutschsprachigen "Abendstern-Islam-Forum" wird diskutiert, wie sich Glaube mit Aktienbesitz verträgt. Solche Fragen kommen auf, weil es im Islam verboten ist, Geld für sich arbeiten zu lassen - ähnlich waren Zinsen im Mittelalter auch im Christentum verpönt. Gegen Kredite für unternehmerische Tätigkeit und die Teilhabe am daraus folgenden Gewinn haben islamische Theologen aber keine Einwände.

Die Wohlhabenden unter den 1,25 Mrd. Muslimen weltweit suchen ihr Geld anzulegen - nach den Regeln der Scharia. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gibt es rein islamische Finanzinstitutionen in mehr als 75 Staaten, und sie haben ein Vermögen von 230 Mrd. $. Auch westliche Finanzinstitute beteiligen sich am Geschäft: Als erste in Deutschland hat die Commerzbank einen islamischen Fonds angelegt. Dow Jones hat einen Islamic Market Index eingerichtet, der unter der Aufsicht von Rechtsgelehrten (Sharia Board) steht. Sie wachen darüber, dass die börsennotierten Unternehmen auf diesem Teilmarkt tatsächlich "halal" (erlaubt) sind.

Was ist erlaubt? Der Anlageberater Islamic Finance Service mit Sitz in Offenbach empfiehlt auf seiner Website, in Technologie, Gesundheit, Telekommunikation, Energie und Rohstoffe, Chemie, Elektrotechnik, Dienstleistungen und Handel sowie in Lebensmittelproduktion zu investieren. Verbotene Wirtschaftszweige sind Alkohol-, Tabak- und Schweinefleischhersteller, Glücksspiel, Pornografie, Nachtclubs und Hotels, Waffen, zinsbringende Banken und Versicherungen sowie die Luftfahrt. Da es dennoch Grauzonen gibt - über Telekommunikationskanäle kann z.B. Pornografie verbreitet werden, und Zinsgeschäfte bei den Fondsanteilen nie ganz auszuschließen sind, spenden Gläubige vorsorglich 0,2 bis 0,3 Prozent ihrer Rendite.

Eine Auswahl muslimischer Firmen in Deutschland findet man unter www.muslim-markt.de. Nach Angaben des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) gibt es hierzulande alleine 30 Ableger islamischer Holding-Gesellschaften aus der Türkei, die Groß- und Einzelhandel mit Lebensmitteln und islamkonformer Konfektionsware betreiben oder Charter-Flüge anbieten. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre kam es zu einem Boom von Neugründungen, besonders in der anatolischen Stadt Konya, schreibt Hayrettin Aydin vom ZfT in seiner Untersuchung über islamische Holdings und ihre Aktivitäten in Deutschland. Prominente Beispiele sind Kombassan und Yimpas mit mehreren tausenden Teilhabern und Milliarden DM Umsatz. Der Rest existiere jedoch meist nur auf dem Papier oder sei wirtschaftlich noch nicht funktionsfähig.

Die Holdings sind als Gesellschaften mit vielen Teilhabern organisiert, die am Gewinn oder auch am Verlust beteiligt sind. Unter den türkischen Muslimen im Ausland, hauptsächlich in Deutschland, suchen sie verstärkt, Kapital zu akquirieren. Dafür haben sie Europavertretungen eingerichtet und nutzen islamische Organisationen, um für sich zu werben. Es gibt freilich auch warnende Stimmen, die Interessenten empfehlen, sich die Verträge genau anzuschauen.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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