Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

MUSLIMINNEN IN DEUTSCHLAND

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Allahs geliebte Töchter

Der Islam ist nicht das Patriarchat

Woran erkennt man eine Muslimin in Deutschland? Wenn eine Frau ihren Kopf, vor allem ihre Haare, mit einem Tuch bedeckt (und keine katholische Nonnentracht trägt), glauben wir, Bescheid zu wissen. Doch was ist mit Hatice aus der Türkei, Lejla aus Bosnien oder Wanna aus Thailand - Musliminnen, die sich kleiden wie du und ich? Wie unterscheidet sich das Leben und Denken muslimischer Frauen von dem Andersgläubiger oder Religionsloser? Unterschiede in der Kleidung sind äußere Symbole. Muslimische Migrantinnen, die hierzulande arbeiten und sich vergnügen, heranwachsen und älter werden, haben eine Fülle von Wahlmöglichkeiten. Zumindest in ihrer persönlichen Interpretation von Religiosität.

"Ich finde vieles schön am Islam," sagt Mirjam, "es ist eine friedliebende Religion, und wir sind aufgefordert, den weniger Glücklichen zu helfen." - "Ich bete, ich faste gerne im Ramadan, ich ehre meine Eltern. Ich sehe keine negativen Einschränkungen für mein Leben durch die Religion." Auch für Hatice ist der Islam eine Quelle der spirituellen und der zwischenmenschlichen Stärkung - wie für viele andere Musliminnen hierzulande. Nach-vollziehbare Wertorientierungen, die denen von Christen oder Jüdinnen oder anderen nicht fremd sein dürften. Fremd aber, so mag man einwenden, ist "uns" dann doch so manches. Was ist mit denjenigen Frauen, die das Haus kaum verlassen, oder wenn, dann nur in Begleitung männlicher Familienangehöriger?

Wer mit Frauen muslimischen Glaubens spricht, wird feststellen: "Die" Muslimin gibt es nicht, genauso wenig wie "die" Christin. Hinzu kommt, dass die jeweiligen Herkunftskulturen - je nach Land, je nach Bevölkerungsschicht - familiäre Werte geprägt haben, die dann als "muslimisch" gelten, obgleich sie auch zum Beispiel den Sitten einer ursprünglich agrarischen Bevölkerung entsprechen können - wie etwa das weniger "strenggläubige" als vielmehr bäuerliche Kopftuch so mancher älteren Migrantin in Deutschland. Und es gibt Musliminnen, für die auch die Religionszugehörigkeit selbst eher eine familiengeschichtliche, als eine Herzensangelegenheit ist. Umgekehrt kann eine junge Frau sich als einzige in der Familie veranlasst sehen, Kopf und Körper zu bedecken - zur Betonung einer spezifischen Identität als muslimische Migrantin. Eine Gemeinsamkeit jedoch lässt sich feststellen, wenn man sich mit Musliminnen unterhält: Über die "leidige Kopftuchfrage" mag keine definiert werden, ganz gleich, ob sie nun eines trägt oder nicht.

Die vielfältigen Formen der Unterdrückung muslimischer Frauen weltweit sind durch solche Ausführungen keineswegs zu verharmlosen. Doch Sosyale Özdemir (Online-Zeitschrift www.almancilar.de) weist darauf hin, dass dergleichen "eine von Männern erzeugte und nicht von der Religion vorgeschriebene Repressalie" ist.

Auf die äußerste Spitze getrieben wird religiös verbrämtes patriarchales Denken und Handeln von Islamisten terroristischer Ausrichtung. Dass es ihnen nur vorgeblich um Religion geht, demonstrieren sie dabei deutlich. Eine Zeitlang waren ihre Handlungsanweisungen im Internet (qoqaz.de und azzam.com) nachzulesen: Die Frau habe sich allein auf Mann und Kinder auszurichten, ausdrücklicher Zweck: Förderung von Kämpfern und Selbstmordattentätern. Vorbereitung auf Erwerbstätigkeit werde zugelassen - aber nur für künftige Alleinernährerinnen von Krieger-Halbwaisen. Frauen und Kinder seien von jeglicher Irritiation durch "westliches" Umfeld und dessen Medien abzuschotten. Übrigens fanden es die Texter - selbsternannte "Verteidiger Allahs" - nur teilweise angebracht, Herleitungen aus dem Koran zu versuchen. Die Ergebnisse weisen hanebüchene Unlogik auf.

Quantensprünge liegen zwischen derart Menschenverachtendem und dem, was selbst strenggläubige MuslimInnen in Deutschland in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit charakterisiert. Das gilt zuvorderst für politisch-terroristische Zielrichtungen. Das gilt aber auch für die damit verbundene, konstruierte Zweitrangigkeit von Frauen.

Gleichwertige Zwillinge

Aussagekräftig und vom Koran in einer Weise abgeleitet, dass es auch für Außenstehende nachvollziehbar wird, sind hier vor allem die Ausführungen des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD). Gegründet 1994, gehören ihm heute 19 Dachorganisationen mit vielen Hunderten Moscheegemeinden an, die eine breite Masse der Muslime in Deutschland vertreten. Dazu gehören unter anderem türkische, arabische, albanische, bosnische und persische Muslime und ihre Verbände sowie schätzungsweise 100.000 deutsche Muslime. Auf seinen umfangreichen Internetseiten www.islam.de beantworten ExpertInnen des ZMD eine Reihe häufig gestellter Fragen zum Islam, auch zu Frauen im Islam. Eine davon lautet: "Ist der Islam frauenfeindlich?" Der ZMD dazu: "Der Islam kennt keine Diskriminierung und Abstufung aufgrund des Geschlechts. Es heißt in einem Ausspruch des Propheten (Friede sei mit ihm): 'Die Frauen sind Zwillingsgeschwister der Männer' (sahih - gesicherte Überlieferungskette). Das heißt, sie stammen von demselben Vater und derselben Mutter ab und sind deshalb nicht besser oder schlechter als ihre andersgeschlechtlichen Geschwister. Aus diesem Hadith wird abgeleitet, dass Männer und Frauen gleichwertig sind und in allen Bereichen gleich behandelt werden müssen und von Allah für ihre Taten gleich belohnt werden." Ganz anders als die zitierten Extremisten oder als Vorschriften einiger islamischer Regime empfiehlt der ZMD die Teilhabe am sozialen Leben, einem in Deutschland über-wiegend nicht-muslimischem Umfeld: "Das islamische Recht sieht es nicht vor, dass Frauen sich vom sozialen Leben abkapseln. Sie sollen den sozialen Anforderungen ihrer Umgebung gerecht werden. Teilweise ist es sogar Pflicht für die Frau, sich nicht im Haus aufzuhalten, um ihrer Pflicht, nach Wissen zu streben, der Kindererziehung nachzugehen oder ihre soziale Verantwortung zu tragen, gerecht zu werden. ... Vielmehr muss bei der Auswahl der Orte, zu denen man geht, beachtet werden, ob der Islam den Aufenthalt in solchen Orten ausdrücklich verbietet. Dies gilt aber für Mann und Frau." Deutlich wird hier zum Beispiel, dass etwa der Discobesuch von Mädchen aus religiöser Sicht nicht anders zu werten ist als der von Jungs. Wenn etwa türkischen Migrantinnen bisweilen männliche Verwandte als Sittengaranten mitgeschickt werden, so ist auch dies Ausdruck traditioneller patriarchalischer Familienwerte.

Vom Koran, so der ZMD, sind durchaus auch Empfehlungen zu Ungleichbehandlungen ableitbar. Diese, so heißt es, dürften jedoch Frauen nicht zum Nachteil gereichen. Zitiert sei hier eine Begünstigung der Frau: "Das Geld, was die Frau erwirbt, darf diese für sich behalten - weder ihr Mann noch ihre Familie haben ein Anrecht darauf. Im Gegensatz dazu MUSS der Mann für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen, das Geld, was er verdient gehört nicht ihm allein." In Migrantenhaushalten, wo meist das Einkommen beider Elternteile die Familie erhält, wird dieses (historisch ableitbare) Recht heute allerdings eher selten zur Anwendung kommen.

Anhand seiner Ausführungen zur Kopftuchfrage scheint der ZMD ein konservatives Bild zu bestätigen: "In Sure 2 Vers 256 heißt es 'Es gibt keinen Zwang in der Religion.' ... (Daher) kann man einen Menschen nicht zu bestimmten Handlungen zwingen, auch wenn es seine Religion vorschreibt. ... So ist es beim Kopftuch. Islamisch gesehen ist das Tragen des Kopftuches eine Pflicht, die Allah im Koran offenbarte. Frauen (und Männer) sollten sich aus ÜBERZEUGUNG an die von Allah offenbarten Kleidervorschriften halten." Fazit: Schlussfolgerungen für konkretes Verhalten werden letztlich der Entscheidung des Individuums überlassen. Und so halten es anscheinend auch Lejla, Wanna, Mirjam, Hatice und viele andere Musliminnen in Deutschland, die ihren eigenen Weg gehen.

Ein Vorschlag des ZMD sei zur Nachahmung empfohlen: "Ein persönlicher Kontakt der Nichtmuslime zu muslimischen Frauen ist sehr hilfreich, weil hierbei Probleme und Fragen direkt angesprochen und Vorurteile abgebaut werden können."


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Mädels

Wir können es ja nicht aushalten, keinen Freund zu haben…

Nerimen, Dunja, Sarah und Jasmin schwärmen wie andere Teenager auch, von Britney Spears und träumen davon, einmal selbst auf der Bühne zu stehen. Sie schnappen sich mein Mikrophon und singen: Oops, I did it again... Nerimen, die älteste, ist 17 Jahre alt, die jüngste der vier Freundinnen ist 12. Sie haben lange Haare, modische Jacken und enge Jeans. Ihre Eltern kommen aus dem Maghreb, die Mädchen sind in Deutschland geboren oder zumindest aufgewachsen. Eigentlich heißen sie nicht Nerimen, Dunja, Sarah und Jasmin, aber ihre echten Namen behalten sie lieber für sich. Die Herkunftsländer ihrer Eltern sowie der Name ihres Mädchentreffs sollen ebenfalls geheim bleiben. Daß sie Freunde haben und auch nur einen Gedanken an Liebe und Sex verschwenden, dürfen Mutter und Vater nicht erfahren. Wir sind alle Jungfrauen, stellen sie gleich zu Anfang klar. So will es die Tradition.

Sarah: Ich habe jetzt einen Freund. Wenn jetzt etwas passiert und ich bin keine Jungfrau mehr, dann ist es halt eine Blamage.

Worauf musst du jetzt aufpassen: dass du Jungfrau bleibst oder dass deine Eltern nicht von deinem Freund erfahren?

Sarah: Beides.

Jasmin: Wenn die Frau heiratet und keine Jungfrau mehr ist, dann wird sie von dem Mann rausgeschmissen. (Die anderen: Ja, egal, ob er sie liebt). Und dann sagt er: Tschüß mit dir, ich hab keinen Bock mehr mit dir, weil er denkt, dass ich mit anderen Jungen geschlafen habe.

Mit wem redet ihr über solche Dinge?

Alle durcheinander: Mit Freunden. Untereinander reden wir halt. Aber eigentlich nie mit unseren Eltern.

Jasmin: Mein ältester Bruder, mit dem rede ich halt, aber nicht so offen wie mit meinen Freunden. Und er spricht auch total normal mit mir. Ich sag ihm auch: Ich habe Freunde - und er gibt mir Rat, das ist normal eigentlich.

Wenn ihr Fragen habt, z.B. über Verhütung oder das erste Mal, an wen könnt ihr euch wenden - an eine Lehrerin oder an eine Zeitschrift vielleicht?

Dunja: An die Eltern wäre es eigentlich besser. Sie wissen Bescheid, sie haben es ja auch schon mal gemacht. (Lachen)

Jasmin: Wenn ich Fragen habe, gucke ich Bravo-TV und weiß dann. Oder ich kann auch hinschreiben, und sie geben mir eine Antwort. Ich habe auch eine Tante, die ist noch nicht verheiratet. Mit der rede ich über alles. Sie hat mir in sehr vielen Situationen geholfen.

Ihr habt Sexualkundeunterricht in der Schule?

Sarah: Wenn die Lehrerin da über die Frau spricht und so, und die Jungen dann lachen, das finde ich nicht okay.

Getrennt wäre besser?

Sarah: Ja, genau. Und ich schäme mich ja auch, wenn ich in der Klasse sitze und die Lehrerin erzählt: Die Frau hat das und das. Das habe ich ja auch.

Nerimen: Für die Deutschen ist es ja normal, über Sex zu reden. Bei uns ist es nicht so, man schämt sich. Unsere Lehrerin hat es auch verstanden, und hat eine Stunde nur für die Mädchen gemacht. Da kamen auch Frauen von einer Beratungsstelle.

Jasmin: Ich finde es eigentlich total lustig. Wir hatten Sexualkunde und da haben Mädchen über Jungen gelacht und Jungen über Mädchen, und wir haben zusammen über alles gelacht.

Worüber reden Mädchen unter sich?

Durcheinander: O Gott! Über alles, über Liebe... Meistens über Jungs. Wir freuen uns, wenn sich eine verliebt, einen Freund hat. Aber die Freundschaft ist wichtiger als ein Junge.

Was für Freunde habt ihr denn?

Nerimen: Ich möchte, dass meine Freundin wie ich ist, Muslima halt. Deutsch passt irgendwie nicht, weil dann sagt sie: Wieso? Sex ist doch normal! Kein Problem!

Sarah: Z.B. wenn jetzt meine Freundin eine Party macht, und ich frage meine Mutter, ob ich rausgehen darf. Dann sagt die: Nein. Sagt meine Freundin: Warum darfst du nicht und so? Und dann ist sie sauer und redet nicht mehr mit mir. Die Deutschen denken immer, wir dürfen nicht rausgehen. Wir dürfen schon raus, aber nicht auf Partys. Z.B. darf ich nicht bei meiner Freundin übernachten, weil meine Eltern Angst haben, dass ihr Bruder mich anmacht.

Nerimen: Aber ich finde es gut, dass die Eltern aufpassen. Finde ich besser, wenn die Eltern streng sind. Nicht so extrem, aber Grenzen müssen auf jeden Fall sein.

Dunja: Unsere Eltern denken an uns, die beschützen uns bei jeder Sache, bei jeder Kleinigkeit. Und die deutschen Eltern - sie sollen schon etwas erlauben, aber nicht soviel!

Nerimen: Die deutschen Mädchen, die haben ja unter 12 schon mal Sex gehabt. Danach sagen sie: Oh der hat mich verarscht und so. Das sollten sie nicht sagen, die wollten es ja selber.

Könnt ihr nicht selber auf euch aufpassen?

Nerimen: Ich kann das auf jeden Fall. Aber zu dieser Zeit sind die Mädchen so anders, sie denken mehr an sich...

Was sind die Grenzen für euch? Wo sagt ihr: Weiter nicht!

Jasmin zeigt: Kopf! Unsere Eltern sagen jetzt: Nein, du darfst keinen Freund haben. Aber wir können es ja nicht aushalten, keinen Freund zu haben. Wir müssen das einfach machen... Z.B. ich. Ich will ja einen Freund haben, aber keinen Sex!

Und was sagt dein Freund dazu?

Dunja: Die Jungs wissen ganz genau, dass wir das nicht dürfen. Und es gibt auch Jungs, die das machen, obwohl das Mädchen das nicht will und trotzdem machen sie das. Das finde ich nicht gut.

Jasmin: Ich mach` dem halt vorher klar, dass ich das eine nicht darf und dass ich das nicht will. Wenn er das nicht akzeptiert, dann soll er gehen. Er muß es verstehen. Vielleicht hat er auch eine Schwester und von daher muß er es wissen. Der hat ja auch Angst um sie: Das darfst du nicht und dies musst du nicht... und dann kommt er einfach zu mir und sagt: Das machst du jetzt?! Ich habe meine Mutter gefragt: Warum darf mein Bruder auf eine Party und ich nicht? Der ist ein Mensch, und ich bin ein Mensch - das ist doch dasselbe! Sie sagt: Nein, der ist ein Junge. Wenn er Sex hat, dann merkt man das nicht. Aber bei uns merkt man es sofort.

Sarah: Unsere Eltern wissen ja, wann wir unsere Tage bekommen. Wenn ich auf einmal keine Tage bekomme, dann merkt meine Mutter direkt, dass ich keine Jungfrau bin. Wenn ich einen Monat lang nicht sage: Mama, gehen wir Binden kaufen...

Die anderen: Klar, ist bei mir auch so.

Nerimen: Ich habe eine Freundin, ihre Eltern sind sehr streng. Sie hat es mit ihrem Freund gemacht, weil er sonst immer beleidigt ist und Schluß machen will. Sie will jetzt zum Frauenarzt gehen und sich zunähen lassen, aber ich habe ihr gesagt: Das nützt nichts. Die Männer sind zu schlau, sie merken das bestimmt!

Jasmin: Wir wollen keinen Sex und wir dürfen keinen Sex und dann brauchen wir uns auch keinen Streß im Kopf zu machen, ja, Verhütung, das und dies. Da hat man eigentlich ein Problem weniger.


Das Gespräch führte Matilda Jordanova-Duda

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