Ausländer in Deutschland 1/2002, 18.Jg., 31. März 2002

FORSCHUNG

Flüchtlingsbericht

Die soziale Lage von Flüchtlingen in Thüringen

Im November 2001 legte das isoplan-Institut einen umfangreichen "Flüchtlingsbericht Thüringen 2001" vor. Die im Auftrag des Landesausländerbeauftragten des Freistaates erstellte Studie befasst sich mit der Umsetzung der bundesrechtlichen Rahmenbedingungen durch das Land und die Kommunen und der konkreten sozialen Lage von Asylsuchenden. Eine gekürzte Fassung wird in diesem Frühjahr in Druck gehen.


Flüchtlingskinder und Einheimische in Suhl

Der Flüchtlingsbericht geht der Frage nach: Wie leben Flüchtlinge bzw. Asylsuchende tatsächlich - jenseits der Verfahrensfragen? Zunächst werden die bundes- und landesrechtlichen Regelungen, die die soziale Lage der Zielgruppe bestimmen, angeführt und erläutert sowie die im Bericht verwendeten Begriffe erklärt. Daran schließt sich ein allgemeiner und statistischer Überblick über die Entwicklung der Zugangszahlen, Anerkennungsquoten, Aufenthaltsdauer und Ausreisen an. Der Hauptteil der Studie ist der Beschreibung der aktuellen Lebenssituation von Asylsuchenden in Thüringen anhand exemplarisch ausgewählter Räume gewidmet.

Neben einer Sekundäranalyse zur Datenerhebung und Informationsbeschaffung wurde insbesondere zum Themenkomplex der konkreten Lebenssituation eine Primäranalyse in Form von Expertengesprächen durchgeführt. In einer Vielzahl von Vorort-Recherchen wurden in fast 70 Interviews Vertreter von Landesbehörden und kommunalen Ämtern, Mitarbeiter freier Träger und in der Flüchtlingsarbeit tätiger Vereine sowie Einzelpersonen befragt.

Weniger als 3.000 Asylsuchende kamen im Jahr 2000 neu nach Thüringen, das entsprechend dem Königsteiner Schlüssel eine Aufnahmequote von jährlich 3,3% hat. Mitte Dezember 2000 lebten 6.907 Personen aus 54 Staaten in den Asylbewerberunterkünften des Landes und der Kommunen; Mitte September 2001 waren es 7.035 Personen aus 58 Ländern.

Für die Dauer des Asylverfahrens leben die Antragsteller in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften, die hinsichtlich ihrer Größe, Lage und Ausstattung sehr unterschiedlich sind. Neben der Erstaufnahmeeinrichtung und zwei weiteren Landesliegenschaften gibt es 42 dieser Unterkünfte. Die Kommunen, denen die Unterbringung sowie die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes in ihrem Wirkungskreis obliegt, wählen dafür überwiegend ehemalige Militärobjekte, die mit Gemeinschaftsküchen ausgestattet und teilweise instandgesetzt wurden. Die Untersuchung ergab, dass die Verweildauer in diesen Einrichtungen insgesamt sehr hoch ist und nicht selten mehrere Jahre beträgt. Gerade in größeren Liegenschaften kann das dauerhafte Zusammenleben von Personen auf engem Raum zu Aggressionen und Vandalismuserscheinungen führen. Etwa 15% der gesamten Unterbringungskapazitäten des Freistaates sind dezentrale Einzelunterbringungen in Wohnungen. Spitzenreiter hierbei ist die Landeshauptstadt Erfurt, in der es auch drei wohnungsähnliche Gemeinschaftsunterkünfte gibt.

Wenig Bargeld und viel freie Zeit

Auf die knappe Formel "Wenig Bargeld und viel freie Zeit" lässt sich die soziale Lage der Asylsuchenden zusammenfassen. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Asylsuchende der Gemeinschaftsunterkünfte zumeist als Wertgutscheine, mit denen in bestimmten Verkaufseinrichtungen eingekauft werden kann. Nur das sogenannte "Taschengeld" wird in bar ausgezahlt (im vergangenen Jahr 80 DM pro Monat). Eine Ausnahme hiervon stellt wiederum Erfurt dar, das den Bewohnern der wohnungsähnlichen und dezentralen Unterkünfte Barleistungen gewährt. In einigen Kommunen wird derzeit die Einführung einer Chipkarte zur Leistungsgewährung getestet. Auch im Krankheitsfall werden sogenannte Krankenbehandlungsscheine ausgegeben, die eine ärztliche Grundversorgung sicherstellen. Weitergehende oder kostenintensivere medizinische Behandlungen müssen beantragt werden.

Die Möglichkeiten, zum "Taschengeld" etwas dazuzuverdienen, sind in Thüringen sehr begrenzt. Daten zur Anzahl von Arbeitserlaubnissen und Angaben zu den Tätigkeiten konnten zwar über die Arbeitsämter nicht erhoben werden, bei den Befragungen wurde jedoch deutlich, dass eine Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung von Asylsuchenden die seltene Ausnahme ist. Als Bewohner einer Gemeinschaftsunterkunft kann man jedoch gemeinnützige Arbeit zu deren Pflege und Erhalt leisten, wobei die Vergütung 2 DM/h betrug und die Arbeitszeit auf 80 Stunden im Monat begrenzt ist.

Des weiteren waren die schulischen und beruflichen Bildungsmöglichkeiten für Asylsuchende und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben Gegenstand der Untersuchungen. Bei diesem letzten Fragekomplex wurde besonders deutlich, dass dem Übermaß an vorhandener "Freizeit" Beschränkungen finanzieller (Bargeld), struktureller (Angebote) und geographischer Art (Randlagen) gegenüberstehen. Vorwiegend in größeren Städten wie Erfurt, Jena und ch Suhl bestehen eher Zugangsmöglichkeiten als in kleineren Gemeinden.

Im Schlusskapitel wird der Themenbereich Konflikte dargestellt. Darin werden zum einen Rechtsverstöße von Flüchtlingen und Asylbewerbern behandelt, die häufig Verstöße gegen das Asylverfahrensgesetz, etwa bei Verletzen der sogenannten Residenzpflicht, betrafen. Zum anderen wurde der Frage nachgegangen, inwieweit Asylsuchende Opfer von Kriminalität, rechtsextremen Angriffen und Diskriminierungen geworden sind.

Parallel zur Darstellung der konkreten Lebenssituation von Asylsuchenden in Thüringen zu den genannten Themenkomplexen erfolgte der Versuch, kommunale Handlungsspielräume bei der Umsetzung der engen bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen zu eruieren und deren unterschiedliche Nutzung durch die kommunalen Behörden zu belegen.

Ob Asylsuchende in Thüringen unter vergleichsweise besseren oder schlechteren Bedingungen als in anderen deutschen Bundesländern leben, muss offen bleiben. Diese Frage könnte nur in einer vergleichenden Studie beantwortet werden.

Kontakt: Der Ausländerbeauftragte des Freistaats Thüringen, Bergstraße 4, 99092 Erfurt


Autorin: Katrin Barth

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