Ausländer in Deutschland 1/2002, 18.Jg., 31. März 2002

GLOSSE

Doktor-Hopping

*Namen der Ärzte geändert. Jede Ähnlichkeit mit real existierenden Personen ist völlig unbeabsichtigt.

 Es war ein Schock, gelinde gesagt: Herr Doktor - nennen wir ihn Schmidt* - verließ den sicheren Platz hinter seinem Schreibtisch, kam zu mir und fasste mich an die Schulter. "Tut's hier weh?" fragte er und diagnostizierte Muskelverspannungen statt des vermuteten Vorinfarkt-Zustands. Für einen kurzen Moment schien mein Fall ihn wirklich zu interessieren. So viele Jahre war Dr. Schmidt schon mein Hausarzt und hatte mir nicht mal in den Hals geschaut, geschweige denn mich mit dem Stethoskop abgehört. Er saß nur am Computer, hörte sich meine Beschwerden an, tippte sie schnell rein und reichte mir am Ende ein Rezept über den Tisch. Ich kam mir immer ein bisschen aussätzig vor.

Bald nach diesem Vorfall hat Dr. Schmidt seinen Beruf aufgegeben. So konnte ich - integriert, wie ich mittlerweile bin, - meinen Lieblingssport praktizieren: Doktor-Hopping. Die Sportart habe ich erst hierzulande kennen und lieben gelernt. In meiner sozialistischen Heimat war ich der Poliklinik des Stadtviertels zugeordnet. Da wußte man, wo man dran war. Also: Dr. Meyer füllte mich mit Antibiotika ab, obwohl sein Türschild meinen chronisch entzündeten Nebenhöhlen Naturheilverfahren versprach. Ich verließ ihn wegen Dr. Müller, aber der wollte sich mit dem Skalpell an meine Nase ranmachen. Ich rettete mich durch einen Sprung vom Operationstisch.

Nun aber wurde das Leben vom Oktober bis Mai ziemlich unerträglich. Da stieß ich ganz zufällig auf Frau Dr. Katz und ihre Gemeinschaftspraxis voll osteuropäischer Ärzte. Eine wahre Goldgrube an Tipps, die die Krankenkasse und mich gleichermaßen erfreuten! "Olivenöl in die Ohren tropfen" empfahl die polnische Hals-Nase-Ohren-Spezialistin. "Mit Salzwasser gurgeln" sagte ihr bulgarischer Kollege. "Oh, Frau Doktor, das schmeckt nach Kindheit!" rief ich - würgend, doch entzückt, - während Dr. Katz, eine Aussiedlerin, mir die Mandeln mit einer Jod-Glyzerin-Mischung schmierte. "Genauso hat es meine Oma gemacht. Bitte noch mehr davon, bitte!"

Zwar musste ich trotz Termin einen ganzen Vormittag im Wartezimmer verbringen, aber das nahm ich gern im Kauf. Denn Frau Katz nahm sich Zeit für ihre Patienten. Auf einem Schaubild erklärte sie mir ausführlich, was die Bakterien in meinen Atemwegen alles angerichtet haben. Große Hoffnungen wollte sie mir jedoch nicht machen. "Klima im Rheinland ist nicht gut für Ihre Schleimhäute" schüttelte sie den Kopf. Und was tun, Doktor? "Auswandern!" Doktor, gibt es kein anderes Mittel?! Ein Antibiotikum vielleicht? "Na gut", sagte sie etwas milder, "dann öfter in Urlaub fahren!" (mjd)


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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