Ausländer in Deutschland 2/2002, 18.Jg., 30. Juni 2002

Bildung

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Sprachkompetenz
im Visier

Migrantenkinder und die "PISA"-Studie

Der viel beklagten mangelhaften Integration von bereits lange in Deutschland lebenden MigrantInnen begegnet das Zuwanderungsgesetz mit einem umfassenden Angebot an Sprach- und Orientierungskursen für künftig einreisende Erwachsene. Hier hat man aus der Vergangenheit gelernt. Dass es außerhalb dieser gesetzlich verankerten Maßnahmen einer großen Anstrengung in allen gesellschaftlichen Institutionen bedarf, um "Altlasten" abzutragen und für die Zukunft gerüstet zu sein, haben jüngst die Ergebnisse des Schulleistungstests "PISA" deutlich vor Augen geführt.

Danach ist es dem deutschen Schulsystem nicht gelungen, sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche ausreichend zu fördern. Zu den so genannten "Risikogruppen" gehören auch viele Kinder mit Migrationshintergrund. In keinem anderen Industrieland ist die soziale Herkunft so entscheidend für Schulerfolg wie in Deutschland. Kinder aus Akademikerfamilien haben viermal größere Abiturchancen als Kinder aus Facharbeiterfamilien. Rund 60% der Ausländerkinder besuchen die Hauptschule, ein Drittel von ihnen verlässt diese ohne Abschluss. Rund die Hälfte der nichtdeutschen 15-Jährigen verfügen über eine so geringe Lesekompetenz, dass sie - so die Projektkoordinatorin der PISA-Studie - beim Übergang ins Berufsleben große Probleme haben werden. Wenigstens ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sind aber - darin sind sich alle gesellschaftlichen Gruppen einig - die Grundvoraussetzung für gleiche Startchancen und später für einen erfolgreichen Schulabschluss.

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Untersuchung besteht aber auch darin, dass sich Probleme mit der deutschen Sprache in "erschreckendem Maß" auch bei Kindern aus deutschsprachigen Arbeiterfamilien feststellen lassen. Ihr Umfeld ist - ähnlich wie das der Migrantenkinder in den betreffenden Stadtteilen - wenig sprachorientiert. Das Fernsehen spielt eine übergroße Rolle im Alltag, und vorgelesen oder diskutiert wird kaum (http://www.pisa.oecd.org).

Das schlechte Abschneiden deutscher Schulen hat eine breite und kontroverse Diskussion über Fehler in Politik, Schule und Familie ausgelöst. Klar ist, dass die Integration von Kindern aus zugewanderten Familien erheblich verbesserungsbedürftig ist. Schulen und Kindergärten müssen in die Lage versetzt werden, sich auf die unterschiedlichen Kinder einzustellen. Sprachförderung, die sowohl Migrantenkinder als auch deutsche Kinder mit sprachlichen Defiziten berücksichtigt, hat dabei eine zentrale Bedeutung. Gleichzeitig aber muss auch das "Bildungsbewusstsein" in den Familien gestärkt werden, denn ohne Mitarbeit der Eltern kann die Integration ihrer Kinder nicht gelingen.

Überlegungen, wie die Chancengleichheit und Integration von Kindern verbessert werden könnte, gibt es viele. Erfreulich ist, dass sich dabei zunehmend auch Migrantenvereinigungen mit Vorschlägen und Forderungen zu Wort melden, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Ein Pflichtjahr im Kindergarten...

Erfahrungen haben gezeigt, dass Migrantenkinder bei der Einschulung immer dann deutlich geringere Sprachdefizite aufweisen, wenn sie vorher einen Kindergarten besucht haben. Dass Kinder türkischer Herkunft, die in Deutschland geboren sind, bei Schulbeginn über geringe Deutschkenntnisse verfügen, liegt nach Einschätzung von Hakki Keskin, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, vor allem daran, dass diese Kinder gar nicht oder kaum Vorschuleinrichtungen besuchen und daher nicht von deren Förderangeboten profitieren können. Für ihn wäre ein mindestens einjähriger Pflichtbesuch von Einrichtungen im Elementarbereich - Kindergärten, Kindertagesstätten und Vorschulklassen - für alle Kinder ein überlegenswerter Ansatz. Vor allem die nichtdeutschen Eltern sollten dazu angehalten werden, ihre Kinder spätestens vom vierten Lebensjahr an in Kindertagesstätten zu schicken.

Die türkischen Berufs- und Fachverbände und die Türkische Gemeinde in Deutschland wollen in diesem Sinne eine Bildungsoffensive starten. Mit Veranstaltungen, Beratungen und durch anhaltende Öffentlichkeitsarbeit soll u.a. dafür geworben werden, dass türkische Eltern ihre Kinder vom vierten Lebensjahr an in Vorschuleinrichtungen schicken. Die setzt jedoch auch die Bereitstellung entsprechender Förderangebote durch kompetente und eigens dafür geschulte Pädagogen voraus - vor allem in Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil.

...Ausländeranteil an Grundschulen begrenzen

Nach Ansicht türkischer Unternehmer sollte der Ausländeranteil in Grundschulen auf maximal 25% begrenzt werden. Dadurch könnte die schulische und berufliche Situation von ausländischen Jugendlichen in Deutschland verbessert werden, so der Vorsitzende des Verbandes Türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa (ATIAD), Esref Ünsal. Diese Begrenzung könnte dazu beitragen, das Leistungsniveau der Klassen einheitlicher zu machen.


Autorin: Hanne Johé-Kellberg, isoplan

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Schülerquote für ausländische Kinder?

 

Berlin. Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) hat Ende Mai 2002 vorgeschlagen, eine Quote von höchstens 25 Prozent ausländischer Kinder pro Klasse festzulegen. Einer solchen Quote für Ausländerkinder an Schulen stehen türkische Elternverbände aufgeschlossen gegenüber. Nach Auffassung des Vorsitzenden der Föderation Türkischer Elternverbände, Ertekin Özcan, könnte eine solche Quote zur Integration beitragen. Dies meldete die Nachrichtenagentur AFP Anfang Juni 2002. Nach Özcans Vorstellungen müsste die Quote auf Gegenseitigkeit eingeführt werden: Schulen in benachbarten Bezirken mit hohem Ausländeranteil oder hohem Anteil deutscher Kinder sollten Schüler austauschen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lehnt dagegen eine "Ausländerquote" als "verfehlt" ab. Ihr Vizelandeschef in Nordrhein-Westfalen, Norbert Müller,sprach sich stattdessen für eine "intensivierte Sprachförderung" aus. (esf)

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Bilinguale Kindergärten

 

Den Türkisch-Deutsche Kindergarten in Hamburg-Altona besuchen vor allem deutsche und türkische Migrantenkinder, dazu auch einige Kinder mit anderem Migrationshintergrund. Jede der drei Gruppen - Krippe, Halbtags- und Ganztagsgruppe hat zwei BetreuerInnen: deutsch und türkisch. Der Name des Kindergartens ist Programm, so Erzieherin Angela Jänke: "Wir wollen, dass sich die beiden Kulturen kennen lernen."

Das spiegelt sich in den Angeboten wider: in Spielen und Tänzen, in "gleichberechtigtem" Feiern der deutschen und türkischen Feste zu denen auch die Eltern eingeladen werden und kommen. Ein Mal wöchentlich gibt es für die Kinder Sport und psychomotorische Übungen, bei Bedarf Ergotherapie.

Die fremdsprachigen Kinder werden im Erwerb der deutschen Sprache gefördert. Dazu wird untersucht, wie gut die muttersprachlichen Kenntnisse sind, denn darauf lässt sich der Erwerb der deutschen Sprache aufbauen. Bei Bedarf erhalten die Kinder türkischen Sprachunterricht. Der Sprachunterricht erfolgt kindgerecht mit Spielen, Bilderbüchern und Ähnlichem.

Auch die Eltern haben, so Jänke, Beratungsbedarf - diesem wird entsprochen. Themen sind Umgang mit Ämtern, Fortbildungsbedarf der Eltern und Hilfe, entsprechende Angebote zu finden.

Der Erfolg der Kinder im Spracherwerb ist sehr gut, so die Mitarbeiterin. Wenn sie den Kindergarten verlassen, sprechen die Migrantenkinder so gut wie die deutschen Kinder. Auch die letzteren profitierten von der Sprachförderung - viele der Kinder wohnen im sozialen Brennpunkt. Integrativ wirke das selbstverständliche Miteinander der Kinder und die aktiv vermittelte positive Wertigkeit beider Kulturen. Durch das umfassende Angebot werden auch die Eltern angesprochen, einbezogen und motiviert. Integrativ wirkt auch, dass die Eltern zu eigener Fortbildung motiviert und in anderen Bereichen gestärkt und unterstützt werden.

Was den Spracherwerb angeht, so wird als besonders wichtig angesehen, dass sprachliche Probleme früh erkannt werden und die Kinder gezielt gefördert werden können. Zum Erfolg trägt bei, dass der Kindergarten auch mit anderen Institutionen zusammenarbeitet, wenn die Probleme in der eigenen Einrichtung nicht gelöst werden können. Dazu gehört die Vermittlung an eine Logopädin oder an ein Beratungszentrum für Sprachauffällige.

Angela Jänke hebt hervor, es gebe keine Probleme, die Kinder zu motivieren. "Sie sind aufnahmefähig wie Schwämme!" betont sie. Das liege daran, dass sie vorher bzw. zu Hause wenig gefördert werden. "Sie haben Lust, etwas zu lernen und sich zu bewegen. Sie entwickeln auch viele eigene Ideen, was sie tun wollen."

Zu Hause sei Freizeitgestaltung häufig gleich Fernsehen, daher rührten auch körperliche Probleme und Fehlhaltungen. Eine Förderung im körperlichen Bereich sei unverzichtbar für die Sprachentwicklung, hat die Kindergärtnerin beobachtet.

Türkisch-Deutscher Kindergarten
Eimsbütteler Straße 39, 22769 Hamburg
Tel.: (040) 430 28 35

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