Ausländer in Deutschland 2/2002, 18.Jg., 30. Juni 2002

MEDIEN

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Das Boot wird leer!

Die Medien und das Zuwanderungsthema


Spiegel vom 17.06.2002

Vor 50 Jahren waren Spaghetti in Deutschland noch völlig unbekannt. Damals mussten Hinweise an Landwirte, die italienische Saisonarbeiter beschäftigten, verteilt werden, wo zu lesen war, dass Spaghetti nicht ausgesät werden können, sondern wie Nudeln gekocht werden müssen. Das Landesarbeitsamt in Stuttgart gab eigens eine Pressemitteilung heraus: "Der Italiener liebt im allgemeinen keine dünnen und flüssigen Soßen, insbesondere keine Mehlsoßen. Zu Teigwaren, die nicht zu weich gekocht werden sollten, gibt man Tomatensoße."

Doch nicht nur die Gastronomie unseres Landes, auch Kultur, Politik, Wirtschaft und soziales Leben wurden in den vergangenen fünf Jahrzehnten entscheidend von Zuwanderung geprägt.

Inzwischen setzt sich in Deutschland und in ganz Europa die Erkenntnis durch, dass wir auf Grund des Bevölkerungsrückgangs auf Einwanderung angewiesen sind. Politik und Medien sind nun gefordert, diese Erkenntnis der Bevölkerung nahe zu bringen. Keine einfache Aufgabe, wurde uns doch jahrzehntelang mitgeteilt, dass es schon zu viele Ausländer im Lande gebe, dass wir angeblich von »Wirtschaftsflüchtlingen « geradezu »überflutet« werden. Vom Bild »Das Boot ist voll« zu »Das Boot wird leer!«

Die Medien haben bei der Vermittlung dieses Perspektivenwechsels eine Schlüsselrolle. Sie können Vorurteile verstärken oder helfen, sie abzubauen. In vielen Einwanderungsgesellschaften hat sich allerdings insbesondere durch die »Kriminalitätsberichterstattung« seit Jahren ein negatives Image vom »Ausländer« teilweise verfestigt. So verbreitete die deutsche Boulevardpresse schon in den 60er Jahren die Klischees vom gewalttätigen Ausländer, seriöse Tageszeitungen machten auf mit Überschriften wie »Aussiedlersohn wurde zum Unhold« oder »Falscher Asylant ergaunert Sozialhilfe«. Unfreiwilligen Humor verbreitet die Täterbeschreibung im Lokalteil einer bayerischen Tageszeitung: »Möglicherweise handelt es sich um einen Türken. Er sprach Hochdeutsch ohne erkennbaren Akzent«.

Alles in allem wird so eine Medienwirklichkeit erzeugt, die zwar mit der realen Wirklichkeit nicht übereinstimmt, diese aber verändert. Auch die Weiterentwicklung, die in der zweiten und weiteren Generation stattgefunden hat, bleibt weitgehend unberücksichtigt. Die »Frau mit dem Kopftuch« erscheint als Symbol für die Mehrzahl der Ausländer sprich Türken hierzulande. Auch das verzerrt die Wirklichkeit. Es fehlen positive oder auch »normale« Bilder aus der Alltagswirklichkeit im Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugewanderten, auch wenn sich die Berichterstattung in den letzten Jahren merklich verbessert hat.

Diese einseitige Berichterstattung ist nicht einer feindlichen Einstellung der Journalisten selbst anzulasten, sondern ergibt sich vor allem aus Unwissenheit und Kulturferne. Es mangelt immer noch an grundsätzlichen Informationen und Hintergrundberichten. So wird bei Umfragen die Zahl der Ausländer in Deutschland weit überschätzt, meist sogar eine doppelt so hohe Zahl angegeben wie sie der Wirklichkeit entspricht und das selbst von Personen, die keine Vorbehalte gegenüber Ausländern hegen. Gerade diese Überschätzung könnte aus der dramatisierten Darstellung des Ausländerthemas in den Medien resultieren.

Wenn von der weltweiten Migration in den Medien die Rede ist, steht oft das »Bedrohliche« im Vordergrund. »Ansturm auf die Wohlstandsfeste«, »Ansturm der Armen«, »Sturm auf Europa« - so lauteten Schlagzeilen von Nachrichtenmagazinen. Bereits unmittelbar nach Öffnung des eisernen Vorhangs warnten die Medien vor einer neuen Völkerwanderung aus dem Osten. »Millionen auf gepackten Koffern« oder »Osteuropa befürchtet eine Invasion aus der Sowjetunion« - schrieben die Zeitungen in ihren Schlagzeilen. Unter der Überschrift "Krieg des dritten Jahrhunderts« wurde prophezeit: »Wenn die Sowjetunion zerbricht, müssen die Europäer mit Millionen zusätzlicher Flüchtlinge rechnen.« Die Sowjetunion ist bekanntlich zerbrochen. Der befürchtete Massenansturm auf den Westen ist jedoch ausgeblieben. Eine Entwarnung wurde jedoch in den Medien praktisch nicht gegeben. »Keine Völkerwanderung« ist eben keine Schlagzeile. Ausnahmen bestätigen die Regel. Beispielsweise die Schlagzeile der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Juli 1998: »Die Völkerwanderung findet nicht statt«.
Journalisten aus den Einwandererfamilien sind zwar schon längst keine Exoten mehr in der deutschen Medienlandschaft, man findet aber immer noch viel zu wenige von ihnen. Dabei können sie das redaktionelle Arbeiten bereichern, Sachverstand einbringen, die Berichterstattung erleichtern und ein neues Publikum an die Medien binden. Gerade hier müssen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, aber auch Zeitungen und Zeitschriften ihre Bemühungen verstärken und insgesamt das »Ausländerthema« fest in der Aus- und Fortbildung verankern. Dass sich die Bundesrepublik jahrzehntelang weigerte, den Tatsachen eines Einwanderungslandes ins Auge zu sehen, hat sich natürlich auch in den Medien niedergeschlagen. Die Medien können sicher einen stärkeren Beitrag für ein konfliktfreies Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugewanderten leisten. Eine vernünftige Einwanderungspolitik können sie natürlich nicht ersetzen.

In den letzten Jahren hat sich ein gewisser Wandel in Politik und Medien hin zu einem positiveren »Ausländerbild« vollzogen: weg vom »Gastarbeiter bei der Müllabfuhr« hin zum »gesuchten Computerspezialisten«. Das Eis, auf dem ein besseres Image aufbaut, ist allerdings noch sehr dünn. Durch die umstrittene Bundesratsentscheidung über das Zuwanderungsgesetz und den Vorwurf des »Verfassungsbruchs« im Wahlkampf kann es sehr leicht wieder in die Brüche gehen. Die Frage bleibt, warum die öffentliche Debatte - selbst in Wahlkämpfen - nicht auch von positiven Bildern bestimmt werden kann. Warum wird zum Beispiel nicht auf die Bedeutung und Leistungen der ausländischen Wohnbevölkerung für Wirtschaft und Gesellschaft hingewiesen, wie im Abschlussbericht der Kommission »Zuwanderung und Integration« der CDU (»Müller-Bericht«)? Dort ist zu lesen: »Der Beitrag der Ausländer im Wirtschaftsleben der Bundesrepublik Deutschland ist unverzichtbar. Ohne ausländische Beschäftigte wären ganze Wirtschaftsbereiche nicht mehr funktionsfähig.« Warum werden nicht weitere Beispiele aus dem Bericht in die Öffentlichkeit gebracht, wie die Tatsache, dass fast 45 Prozent aller in Krankenhäusern Beschäftigten, also Ärzte, Pflegekräfte und Hilfspersonal, Ausländer sind?

Es ist Zeit für einen »Medienverbund«, bei dem Presse, Funk, Fernsehen sowie Erwachsenenbildung und Schulen gezielt gegen Fremdenfeindlichkeit auftreten und sich um ein besseres Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zuwanderern bemühen. In einem solchen Forum könnte auf die positiven Seiten der Einwanderung, auf die Bereicherung für Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft aufmerksam gemacht werden, ohne die Probleme unter den Teppich zu kehren. Was not tut, ist ein offener Dialog mit den Bürgern. Nicht alle Befürchtungen und Ängste lassen sich als »Sozialneid« abtun. Bei Diskussionen und Gesprächen muss deutlich gemacht werden, dass Einwanderungsprozesse immer auch Konflikte und Spannungen mit sich bringen. Nur durch einen Dialog, der die Sorgen und Befürchtungen der deutschen Bevölkerung ernst nimmt und bei dem die Medien eine wichtige Rolle spielen, lässt sich langfristig ein besseres Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zuwanderern erreichen.


Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, SWR

Auszug aus: Karl-Heinz Meier-Braun: Deutschland, Einwanderungsland. Edition Suhrkamp, Reihe Standpunkte, es 2266, ISBN 3-518-12266-5, ca. 8,00 Euro. Erscheint im Juli 2002

Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun ist Leiter der Fachredaktion SWR International, Ausländerbeauftragter des Südwestrundfunks Stuttgart, Lehrbeauftragter an der Universität Tübingen und Mitglied im "Rat für Migration", einem bundesweiten Zusammenschluss von WissenschaftlerInnen, die sich mit Fragen von Migration, Integration und interkultureller Begegnung beschäftigen.

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Ethnoportale

Unter Landsleuten im Netz

Früher nahm man ein Beutelchen Heimaterde mit auf die Reise. Heute schafft man sich eine Heimatecke im Internet. Im Jahr 1999/2000 begannen Ethnoportale sich auch im deutschsprachigen Raum zu etablieren: für die Deutsch-Türken und für die Russlanddeutschen, für Griechen, Italiener und Polen. Wie vieles im Internet, ist auch dieser Trend zuerst in den USA erprobt worden. Dort haben die Plattformen der Hispanos, der Chinesen, der Inder und der jungen Schwarzen Millionen Mitglieder.

Von solchen Zahlen sind die deutschen Ethnoportale noch weit entfernt, aber das Erreichte kann sich dennoch sehen lassen. Das größte und bekannteste unter ihnen - "Vaybee!" - hatte Ende Mai 2002 nach eigenen Angaben 236.000 registrierte Mitglieder und verzeichnete 860 000 Visits pro Monat. Die Nutzerzahlen seien im zweiten Halbjahr 2001 rasant gestiegen, und das trotz der allgemeinen Internet-Krise. "Vaybee!" wurde im März 2000 von den drei Brüdern Kulmac und deren Schwager Ufuk Senay gegründet. Vater Kulmac hatte noch als Schlosser in den Ford-Werken gearbeitet. Die Söhne haben studiert und erst einen kleinen Verlag eröffnet, bevor sie in die New Economy wechselten. "Wir sind im Internet herumgesurft und haben nach Angeboten für die türkischen Gemeinde gesucht", sagt Akgün Kulmac, "wir fanden keine". Die Seiten aus der Türkei nützen den hierzulande Aufgewachsenen doch wenig. Die Idee, selber welche zu schaffen, überzeugte auch die Investorgesellschaft IVC aus Frankfurt auf Anhieb. So wurde "Vaybee!" die erste türkische Existenzgründung mit deutschem Risikokapital. Der Name lässt sich mit "Wow!" übersetzen und drückt eine Art von verwunderter Begeisterung aus.

Herumgesurft und nichts entdeckt - auf die gleiche Art und Weise sind Germany.ru und polonium.de entstanden. Und die Pioniere unter den Ethnoportalen blieben nicht lange ohne Konkurrenz. Das Potential der 2,8 Millionen Türkischstämmigen wird auch von turkinfo.de, turkdunya.de usw. beansprucht. Für die über 3 Millionen russischsprachigen Einwanderer gibt es eine Vielzahl lokaler (Hamburg.ru) oder nach Zielgruppen ausgerichteter Seiten. Auf Rusportal.de sind zum Beispiel die IT-Spezialisten unter sich. Bei obman.de (auf Deutsch: Betrug) können sich Neuankömmlinge über Fallstricke informieren, die im Aufnahmeland drohen. Eine Frau berichtet über ihre leidvolle Erfahrungen mit Schlankmacherpillen: schreckliche Nebenwirkungen, kein Gramm abgenommen und das ganze Geld futsch. Ein anderer warnt vor Anzeigen über angeblich ertragreiche Nebenjobs. Unter kniga.de wird schwungvoll mit russischen Romanen, Musik-CDs und Videos gehandelt.

Landesspezifische Marktnischen zu bedienen ist ein Standbein der Ethnoportale. Allerdings lohnt sich das nur bei den großen ethnischen Minderheiten wirklich. "Vaybee!" hat Anfang 2002 das nach eigenen Angaben größte türkische Musiksortiment mit Hörproben ins Netz gestellt. Mittlerweile kann man hier auch Türkei-Reisen buchen. Fan-Artikel von Fußballclubs aus der Türkei sowie bestimmte Lebensmittel sollen folgen. Auch die Werbebanner - immer noch die größte Einnahmequelle der New Economy - sind auf den Ethnoportalen ein kleines bisschen anders: weniger Erotik und mehr Familiensinn, Prominente aus der Heimat. "Vaybee!" will deutschen Unternehmen wie Telekom oder den Sparkassen den Zugang zu einer attraktiven Klientel eröffnen: relativ jung, markenbewusst, der Werbung aufgeschlossen und mit einem beachtlichen Haushaltseinkommen.

Andreas Brückmann registrierte 1999 einfach so, ohne groß zu überlegen, die Adresse Germany.ru und schnappte sie der Deutschen Botschaft in Moskau unter die Nase weg. Dann begann der 30-jährige Aussiedler die Seite allmählich aufzubauen. Zuerst gab es Chat, dann Foren - "und die fanden einen so großen Zuspruch, dass unser Server regelmäßig überlaufen war", sagt er. Drumherum hat er dann ein Informationsangebot aufgebaut. An die 54.000 registrierte Mitglieder hatte Germany.ru im Mai 2002. Andreas Brückmann schielt Richtung "Vaybee!", ebenfalls ein Kölner StartUp. Nur dass er ohne 3,5 Mllionen Euro Risikokapital und mit viel bescheideneren Mitteln auskommen muss. Als Sponsoren konnten diverse Autohäuser gewonnen werden, die gebrauchte Wagen für die Überführung nach Osteuropa verkaufen. Es inserieren auch russische Firmen, die den Aussiedlern und jüdischen Kontingentflüchtlingen gewohnte Dienstleistungen und Waren anbieten. Der Einzelhandel für die russischsprachigen Migranten ist schließlich bei weitem nicht so gut ausgebaut wie der türkische - da ist noch Platz für den einen oder anderen Online-Shop. Ende 2001 ging Brückmann Klinken putzen bei den Konzertveranstaltern, die Tourneen russischer Popsänger in Deutschland organisieren. Immerhin 10 Millionen Euro Umsatz werde damit jährlich gemacht, sagt er und hofft auf ein Stück des Kuchens. Die Fans können sich nun in seinem Eventkalender die Termine herauspicken. Rechtzeitig vor den Konzerten wird eine Werbekampagne gestartet.

Die Ethnoportale sind mehr oder weniger zweisprachig und stehen deutschen Interessenten offen. Ein Teil der aktuellen Nachrichten ist den deutschen Medien entnommen, unter besonderer Berücksichtigung der Einwanderungsdebatte. Der Rest stammt aus den Zeitungen und Agenturen des Herkunftslandes. Wirtschaft, Gesundheit, Fitness, Kultur und eine Rundumversorgung des Nutzers mit Mail- und SMS-Versand, elektronischen Postkarten, Horoskopen und Ähnlichem ist hier auch selbstverständlich. Gut besucht sind die Ratgeberteile: Wie verlängert man den Paß, wie verschiebt man den Militärdienst, wie schreibt man offizielle Briefe? Einen Großteil der Inhalte schaffen aber die Nutzer selber: in Foren und Chats.

Liebe, Flirt und Partnerschaft ist das mit Abstand am meisten frequentierte Forum von "Vaybee!". 40 Prozent der Nutzer sind Frauen - im Internet eine überdurchschnittliche Quote. Vermutlich weil sich im Netz freier kommunizieren lässt als in der realen Welt. Als typische "Vaybee!"-Nutzer wurden Türken der zweiten und dritten Generation, zwischen 18 und 49 Jahren alt, meist Studenten, Angestellte, Auszubildende und Selbständige ausgemacht. Mitten im Satz wird oft von Deutsch auf Türkisch und zurück gewechselt. Politische Interessen werden in den Foren ebenfalls deutlich. So haben Besucher von turkinfo.de den Auftritt Stoibers bei Christiansen genüsslich zerpflückt. Allerdings werden politische Belange des Heimatlandes insgesamt mit größerer Leidenschaft diskutiert.
"Warum sind Sie auf Germany.ru?", wollte der Betreiber einmal wissen. Tja, die Information und auch die Kommunikation mit Landsleuten sind nur halb so wichtig. 34 Prozent und damit die meisten Nutzer, so die Antwort, hoffen auf diese Weise ihre bessere Hälfte zu finden. Apropos Hochzeiten. "Vaybee!" hat schon mindestens eine gestiftet.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Adressen: www.vaybee.de, www.turkinfo.de, www.turkdunya.de, www.Germany.ru, www.rusportal.de, www.obman.de (russisch), www.kniga.de (russisch), www.polonium.de, www.ellines.de (griechisch), www.in-italy.de, www.hagalil.com (jüdisch)

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Türkische Deutsche und die "Sonntagsfrage"

 

Hamburg. Das türkische Internet-Portal Turkdunya.de hat im Februar 2002 die Ergebnisse einer nicht repräsentativen Online-Umfrage veröffentlicht. Die Nutzer beantworteten die Frage "Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären?" mit einem klaren Ergebnis zu Gunsten von SPD und B90/Die Grünen. Sie würden zu 52,6 % die SPD wählen, gefolgt von den GRÜNEN mit 16,5 %. Auf Rang 3 liegt mit 13,4 % die CDU/CSU, gefolgt von der PDS mit 12 %. Die Liberalen schaffen mit 5,9 % die fünf Prozent Hürde. Bei einem knappen Ausgang der Bundestagswahlen könnten die rund 550.000 Stimmen eingebürgerter Türken die Wahl entscheiden. Es wäre spannend, würde Turkdunya die Umfrage im Sommer wiederholen. Aber noch gilt der Fokus dort der Wahl von Miss und Mister Turkdunya. Im Mai gewannen Nilgün aus Lübeck und Mefrat aus Hamburg. (esf)

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"Persembe" - Bilanz eines Scheiterns

Kommentar zum Ende einer deutsch-türkischen Zeitung

Eineinhalb Jahre lang kämpfte "Persembe", die unscheinbarste deutsch-türkische Wochenzeitung Deutschlands ums Überleben. Geboren im September 2000 und letztmalig erschienen im Sommer 2001. Als einmalige Beilage der AiD-Ausgabe 4/00 haben auch unsere Leser sie kennengelernt. Im März 2002 wurde die Zeitung endgültig zu Grabe getragen. "Zur Schadenfreude besteht kein Grund", findet unsere Autorin, "dazu steckt viel zu viel Herzblut drin". Fast zwei Monate hat Semiran Kaya in der Redaktion mitgearbeitet. Nun zieht sie nüchtern Bilanz. (Red.)

"Als Anerkennung und Umsetzung einer existierenden bikulturellen Realität", wollte Persembe Deutschen wie Migranten ein neues Forum bieten. Ein Forum, in dem man sich zweisprachig - auf Deutsch und Türkisch - der Lebensrealität vieler türkischer Migranten stellen wollte. Gerade weil weder die überholten "Gastarbeiterprogramme" noch die türkischen Zeitungen mit täglich über 200.000 Exemplaren Gesamtauflage oder die aus der Türkei via Satellit gesendeten Fernsehprogramme auf die Bedürfnisse der hier lebenden türkischen Migranten eingehen, wollte Persembe - auf Türkisch "Donnerstag" - genau diese Lücke schließen. So gesehen machte es durchaus Sinn eine Zeitung herauszugeben, die nicht wie "Hürriyet" heimatorientiert war.

Und gerade weil die Leser von den großen türkischen Tageszeitungen auf nationalistische Parolen eingeschworen werden, war es eine Herausforderung mitzuhelfen, dass die türkische Community endlich in Deutschland ankommt und zu einem selbstverständlichen Teil der hiesigen Gesellschaft wird. Dass es kein leichtes Unterfangen werden würde, war jedem Beteiligten bewußt. Denn türkische Leser kaufen lieber eine Zeitung am Kiosk als dass sie eine abonnieren und bevorzugen die Meinung oder ein Urteil von Freunden und Bekannten, anstatt sich selbst ein Bild zu machen. Nicht zu unterschätzen die Rolle des Meinungsmachers der Boulevardzeitung "Hürriyet", die immerhin von 70% der Türken gelesen wird. Und mit Persembe als Beilage in der überregionalen tageszeitung, die taz, türkische Leser zu erreichen, war eine weitere Herausforderung. Gilt sie doch in manch deutschen Kreisen schon als "radikal" oder gar "regional", weil auch sie die taz lange nicht mehr gelesen haben, aber gerne am alten Image festhalten. So verwunderte es nicht, dass Persembe trotz der stolzen Auflage von 60.000 durch die Vertriebskooperation mit der taz die türkischen Leser als Zielgruppe kaum erreichte. Und obwohl sich Persembe mit dieser Auflage direkt hinter Hürriyet platzieren konnte, war die Realität eine andere: 130 reale Abonnenten, die meist Deutsche waren und die Zeitung ihren türkischen Nachbarn weitergaben. Die erhoffte Unterstützung seitens der Deutschtürken ließ zu Wünschen übrig, obwohl gerade sie immer wieder ein eigenes, nicht heimatorientiertes Medium verlangten.

Die Idee, mit Persembe eine kritische Stimme für die in Deutschland lebenden Türken zu bilden war zwar ein guter Ansatz, doch um dieses Ziel zu erreichen, war es zu klein und zu unbekannt - und der türkische Medienmarkt in Deutschland viel zu mächtig. Auch wenn Persembe die übermächtige Konkurrenz Hürriyet durch die ungewohnten kritischen Töne verunsicherte und diese mit ihren üblichen Hetztiraden antwortete, für eine breite Leserschaft bot Persembe, anfangs noch acht Seiten, später nur vier, zu wenig leichte, sprich bunte Themen an. Da reichte es nicht aus, jedes Wochenende die Zeitung auf irgendeiner Veranstaltung zu verteilen, um neue Abonnenten zu gewinnen. Viel entscheidender war das Grundproblem, das zum Absterben der Zeitung führte: Weder für die Finanzen noch für die Zielgruppe gab es ein klares Konzept. Denn mal wandte sich Persembe an die türkischen und mal an die deutschen Leser. Für eine breite Leserschaft einfach nicht attraktiv genug. Zudem konnte Persembe für viele türkische Unternehmer nur dann eine Attraktivität erlangen, wenn ihnen im Gegenzug einer Unterstützung ein gewisser Einfluß zugesichert wurde. So war zum Beispiel eine türkische Mediengesellschaft in Köln nur dann bereit weitere Gelder zur Verfügung zu stellen, wenn nicht mehr über die Kurden berichtet werden würde und ein renommiertes türkisches Institut zog die Unterstützung zurück, weil über sie kritisch berichtet wurde. Die Aussage des Herausgebers, dass manche Türken das 8. Weltwunder seien, mag zutreffen, doch änderten diese Abhängigkeiten und Strukturen nicht das Grundproblem der Zeitung. Selbst wenn Persembe beim Erscheinen nicht durch eine der vielen Dauerkrisen der taz in Mitleidenschaft gezogen wäre, ihre Konzeptlosigkeit wäre geblieben. Die erschwerte nicht nur das Überleben der Zeitung, sondern verlangte ehrenamtlich arbeitende Journalisten, die eh schon nur einen Hungerlohn erhielten.

Hausgemachte Fehler beim Layout und der Positionierung inhaltlicher Aspekte sind zwar normal, fielen aber hier stark ins Gewicht, weil mangelnde Erfahrung im Zeitungsmachen hinzukamen. Das Management hatte weder eine Anzeigenakquise noch war es bereit alte Denkstrukturen aufzugeben. Denkstrukturen, die typisch für die erste Migranten-Generation von Türken sind: Ohne Ahnung von der Materie zu haben, lässt man sich von ebenso unerfahrenen Personen beraten, vertraut blind und schließt Geschäfte per Schulterklopfen. So übersah der Herausgeber, der alles auf die Karte der Leser aus der ersten Migranten-Generation setzte, dass die einst homogene türkische Community sich längst in eine heterogene Gesellschaft gewandelt hatte. Dem eigentlichen Ziel von Persembe "weg von desintegrativen türkischen Zeitungen wie der Hürriyet hin zu einem offenen und kritischen Printmedium" konnte so nur noch bedingt entsprochen werden. Die mangelnde Erfahrung im Zeitungsmachen war es auch, die den Chefredakteur - lange taz-Korrespondent in Istanbul - dazu veranlaßte das Blatt nach kurzer Zeit getreu dem Motto "nach mir die Sintflut" zu verlassen. Eine deutsche Redakteurin ging, weil sie ihre Themen vom Team nicht hinreichend gewürdigt fand und ein türkischer Redakteur wurde völlig übermütig und verwechselte Journalismus mit Politik: Gegen die Absprache mit Kollegen setzte er nachträglich einige seiner politisch brisanten Artikel einfach ins Blatt und riskierte einen Prozess in der Türkei.

Auch wenn Persembe keine breite Öffentlichkeit hatte, die Idee hat dennoch ihre Berechtigung. Dies zeigen nicht zuletzt die neu eingeführten deutschsprachigen Seiten des Boulevardblattes "Hürriyet" und die deutschsprachige Ausgabe der Wirtschaftszeitung "Dünya Deutschland". Um sich jedoch längerfristig im Medienbereich behaupten zu können, müssten nicht nur die Finanzen stimmen. Es braucht ein gut durchdachtes Konzept mit "Life-Style" Themen und ein professionelles Management, das sich nicht von einflußreichen türkischen Unternehmern die Linie diktieren lässt. Denn eine Zeitung allein mit Engagement und ideeller Arbeit am Leben zu erhalten, ist Selbstmord auf Raten.


Autorin: Semiran Kaya

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25 Jahre Radio Dreyeckland

 

Am 4. Juni 2002 hat das älteste freie Radio Deutschlands, "Radio Dreyeckland" (RDL), seinen 25. Geburtstag gefeiert. Der ehemalige "Piratensender" ist aus der Anti-AKW-Bewegung hervorgegangen. Bis heute können Gruppen, die sonst wenig zu Worte kommen, hier Programm machen: Psychiatrieerfahrene und Punks, Lesben oder Gefängnisinsassen, Flüchtlinge und Asylbewerber - sie alle haben hier 19 Stunden am Tag ein Forum: auf Deutsch, Persisch, Russisch oder auch Kurdisch. Als einzige Vorgabe gilt: die "Antis", für die das Radio eintritt - gegen Sexismus, Nationalismus, Diskriminierung, Kapitalismus, Rassismus - müssen das Programm beherrschen. Die "Radiopiraten", wie man die deutsch-französischen Initiatoren 1977 nannte, machten von wechselnden Standorten aus heimlich "Gegenöffentlichkeit" - gegen den Bau von Atomkraftwerken. Anfang der 80er-Jahre legalisierte Francois Mitterrand die freien Radios in Frankreich, und der 1979 in Freiburg gegründete badische Redaktionszweig konnte regelmäßig vom Colmarer "Exil" aus senden - obwohl es großen Aufwand bedeutete, täglich nach Frankreich zu pendeln, heimlich Kassetten auszutauschen und sich toter Briefkästen zu bedienen. Nach jahrelangem Kampf des "Radikalenradios" mit der Landesanstalt für Kommunikation, die ein kommerzielles Privatradio bevorzugte, wurde RDL 1988 legalisiert. Mittlerweile hat der Sender Anspruch auf ein Neuntel von 0,1 Prozent der Fernsehgebühren in Baden-Württemberg. Über 200 Radiomacher arbeiten unentgeltlich für das Programm. "Doch es werden langsam weniger", schreibt die Berliner "tageszeitung" - "denn der Feind ist längst nicht mehr so konkret wie damals, die linke Bewegung ist zersplittert, und nur noch selten kommt es zu politisch bedeutsamen Stunden wie jener, als ein Mitarbeiter wegen seiner Kurdistan-Solidaritätssendung auf Radio Dreyeckland in der Türkei verhaftet wurde. Seitdem ist man sich sicher, dass das Radio von der Türkei genau beobachtet wird, und fürchtet um mehrere abgelehnte kurdische Asylbewerber, die hier regelmäßig Sendungen machen." Die Kooperation mit Frankreich besteht heute nicht mehr. So ist RDL nur noch im Umkreis von 30 Kilometern um Freiburg erreichbar. (esf)

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Deutsch- 
sprachiges Programm bei trt

 

Die türkische öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt trt hat Ende März 2002 mit der Ausstrahlung des ersten deutschsprachigen Programms mit türkischen Untertiteln begonnen. Mit der Sendung unter dem Titel "Bakis" (deutsch: Sichtweise) will trt einen Beitrag zur Integration türkischer Migranten in Deutschland leisten: "für ein gutes Miteinander und eine besserer Verständigung zwischen Deutschen und Türken in der Bundesrepublik". Bei "Bakis" handelt es sich um Fernsehgespräche zwischen Experten zu einem wirtschafts- oder gesellschaftspolitischen Thema. Das Thema der ersten deutschsprachigen Sendung war "Arbeitslosigkeit". Mittels eingespielter Interviews kommen auch Bürger zu Wort und äußern ihre Sorgen, Ängste oder Meinungen. (esf)

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Tagung "Integration und Medien"

 

Bonn. "Sind die Türken in Deutschland nun erforscht?" Wirklich ernst gemeint war diese eher polemische Frage nicht, auch wenn sie als Leitfrage zur Einführung in eine Podiumsdiskussion von Medienfachleuten diente. Im Medienbereich gibt es noch einiges an Unklarheiten über die Nutzung von Zeitungen, Radio und Fernsehen durch türkische Migranten. Seit einigen Jahren fragt man sich von deutscher Seite, ob die zunehmende Nutzung türkischer Medien durch Migranten problematisch für deren Integration in Deutschland sein könnte. Von der Gefahr eines "Medienghettos" ist die Rede. Seit Ende der 90er-Jahre wurden zudem häufiger Vorwürfe laut: In den deutschen Medien würde zu negativ über die Türkei und in türkischen Medien zu negativ über Deutschland berichtet. Unsicherheiten der deutschen Seite über die Inhalte türkischer Medien führten unter anderem zu der Erkenntnis, dass beide Seiten stärker miteinander in Dialog treten sollten.

Seit 1999 führt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) Tagungen zum Thema "Medien und Integration" durch. Diese Expertentagungen mit deutschen und türkischen Journalisten und Medienwissenschaftlern sowie Vertretern von politischen Stiftungen, Verbänden und Ausländerbeauftragten suchen nach neuen Wegen und Perspektiven im Dialog der Kulturen. Die Teilnehmer setzen sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Angebot an Medien, das Migranten in Deutschland zur Verfügung steht, und der Frage nach der Integration vor allem der türkischstämmigen Bevölkerung auseinander. Am 15./16. April 2002 fand im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn die dritte dieser Tagungen statt.

Am ersten Tag beschäftigten sich die über 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst mit neuen Forschungsergebnissen über die Nutzung von deutschen und türkischen Medien durch die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland. Im Jahr 2001 war eine umfassende Mediennutzungs- und -wirkungsanalyse der türkischen Bevölkerung vorgelegt worden. Sie hatte unter anderem gezeigt, dass kein direkter Zusammenhang besteht zwischen der starken Nutzung türkischer Medien und einer guten oder schlechten Integration in die deutsche Gesellschaft. Diese Analyse wurde nun vertieft durch die Ergebnisse einer qualitativen Nachbefragung, vorgestellt von Kai Hafez vom Deutschen Orient-Institut. Hafez betonte unter anderem, dass Integration eher eine Voraussetzung für die stärkere Nutzung deutschsprachiger Medien ist, denn eine Folge verstärkter Mediennutzung. Er wies auch darauf hin, dass türkische Migranten weitaus kritischere Mediennutzer sind, als gemeinhin erwartet werde. Bei genauer Betrachtung würden sie deutschen Medien nicht vorwerfen, falsch über die Türkei zu berichten. Im Gegenteil würden diese dafür geschätzt, fachlich und sachlich korrekt zu berichten. Kritisiert werde jedoch die Gemengelage dieser Texte: es werde zu häufig nur negativ berichtet, zudem würden immer die gleichen Themen angesprochen. Die türkischen Medien wiederum würden ein relativ positives Deutschlandbild zeichnen, wobei es jedoch auch immer wieder zu negativen Ausfällen käme. So etwa, wenn zuweilen Kampagnen gegen einzelne Politiker initiiert würden.

Der zweite Tag war dann neuen praktischen Ansätzen in der Medienarbeit gewidmet. Vorgestellt und diskutiert wurden zunächst die Ergebnisse von Modellseminaren. Während sich zwei Seminare darum bemühten, Lokaljournalisten Migrationsthemen näher zu bringen, hatte ein Seminar "Partner Presse" das Ziel, die Pressearbeit von Migrantenorganisationen zu verbessern. Anschließend stellten Werner Felten vom Berliner Radyo 94,8 metropol FM und Bahaeddin Güngör vom türkischsprachigen Programm der Deutschen Welle Projekte und Ideen für mehr integrationsorientierte Radioprogramme vor. Ahmet Külahci von der Dogan Mediengruppe stellte die seit Anfang 2002 erscheinende deutschsprachige Beilage der "Hürriyet" vor. Canan Topcu, Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau beschrieb die Ziele der kürzlich gegründeten neuen Interessengemeinschaft türkischer Journalisten in Deutschland und in der Türkei. Während auf der 2. Tagung 2001 noch stärkere Spannungen zu spüren waren, so insbesondere zwischen Vertretern der Zeitungen "Hürriyet" und "Persembe", fand die 3. Tagung in weitgehend entspannter Atmosphäre statt. Dies sei, so Eberhard Seidel von der "tageszeitung", auch ein Erfolg der stärkeren Kommunikation von deutschen und türkischen Pressevertretern. Somit auch ein Erfolg dieser Tagungsreihe. (esf)

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