Ausländer in Deutschland 3/2002, 18.Jg., 30. September 2002

EUROPA

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Europa und die Zuwanderer

"Vergemeinschaftung" der Migrationspolitik kommt nur schleppend voran

Mit dem 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam wurden erstmals Migrationsfragen in den gemeinschaftspolitischen Bereich der EU aufgenommen. Beim Gipfeltreffen von Tampere unterstrichen die Mitgliedsstaaten, dass die Möglichkeit, vom Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch zu machen, nicht ein ausschließliches Vorrecht für die Bürger der Union bleiben dürfe. Weiterhin betonten sie, dass die Union "offen und sicher" sei und sich der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet sehe. Schließlich nahmen sie sich vor, die Integration der rechtmäßig in der Union aufhältigen Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten.

Die "Vergemeinschaftung" der Einwanderungspolitik erfolgt in zwei Phasen. Bis 2004 sollen insbesondere europäische Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern, für die Asylverfahren, den Flüchtlingsstatus und den zeitweiligen Schutz von Vertriebenen verabschiedet werden, aber auch Regelungen zur Familienzusammenführung und zum Status von Drittstaatsangehörigen.

Wie steht es heute damit, auf halbem Wege zwischen den Erklärungen von Tampere und dem Stichdatum 2004, dem Jahr, in dem sich die "Vergemeinschaftung" der Asyl- und Einwanderungspolitik vollziehen soll? Seit Sommer 2001 liegen von Seiten der EU-Kommission fast alle Regelungsvorschläge vor. Meist hat die Kommission dabei die Richtlinie als legale Form gewählt, weil sie den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung größeren Spielraum lässt als die Verordnung.

Zieht man eine Zwischenbilanz, so fallen zwei Dinge auf: Die Mehrzahl der bisher verabschiedeten Maßnahmen betreffen die Verhinderung illegaler Einwanderung und den Schutz der Grenzen; und an die Stelle einer wirklichen Vergemeinschaftung tritt schleichend eine Harmonisierung nationaler Politiken in winzigen Schritten und auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Darüber hinaus ist das Ziel, bis 2004 die Vorgaben von Amsterdam zu erfüllen, in Gefahr: Der Ministerrat ist bei der Annahme der Kommissionsvorschläge gewaltig im Verzug, da immer wieder einzelne Mitgliedsstaaten durch ihr Veto die Verabschiedung blockieren.

Unter dem Druck der nationalen Regierungen hat die EU-Kommission nun neue Wege eingeschlagen. So hat sie in Bezug auf den Richtlinienentwurf zur Familienzusammenführung ein neues Modell mit mehreren Etappen entwickelt, um zur Harmonisierung der nationalen Gesetzgebungen bei der Familienzusammenführung zu gelangen. Dieses Modell umfasst drei wesentliche Elemente: "Flexibilität" an den Punkten, an denen die Blockierungen bei den Verhandlungen nicht aufgehoben werden konnten, und damit verbunden die Eröffnung von Spielräumen für die nationalen Gesetzgebungen, sowie, "in sehr wenigen Fällen", Verschärfungen, um sich an gewisse Besonderheiten der bestehenden nationalen Gesetzgebungen anzupassen; eine "Stillstandsklausel", die sicherstellen soll, dass Möglichkeiten zur Verschärfung nur dann genutzt werden können, wenn sie auch schon zuvor in nationalem Recht verankert waren, wobei es den Mitgliedsstaaten freisteht, ihre Gesetzgebung noch vor Inkrafttreten der Richtlinie entsprechend zu ändern; und schließlich die "Fristenklausel", die vorsieht, dass zwei Jahre nach der Umsetzung der Richtlinie diejenigen Bestimmungen, "die die größte Flexibilität bieten", neu geprüft werden. Auf diese Weise soll "versucht werden, weitere Fortschritte auf dem Weg zur Harmonisierung der Aufnahmepolitik zu ermöglichen". Was für die einen ein akzeptabler Kompromiss ist, deuten die anderen als Schwäche der EU-Kommission gegenüber den Forderungen der Mitgliedsstaaten. Nichtregierungsorganisationen wie die Europäische Koordination für das Recht von Migranten auf Schutz der Familie werfen den EU-Institutionen vor, durch diese neue Grundhaltung das Ziel der Vergemeinschaftung zu Gunsten der "Vielfalt der nationalen Gesetzgebungen" in Frage zu stellen und mithin zu Lasten von Drittstaatsangehörigen zu handeln.

Auch in den Beratungen des europäischen Verfassungskonvents sehen Drittstaatsangehörige ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt. Kernfrage ist die der Unionsbürgerschaft, die nur Bürgern von EU-Mitgliedsstaaten vorbehalten bleiben soll. ENAR, das Europäische Netzwerk gegen Rassismus, hat nun eine Kampagne gestartet, wonach die Unionsbürgerschaft neu definiert werden soll: Bürger der Union soll sein, wer entweder die Nationalität eines Mitgliedstaates besitzt oder sich rechtmäßig auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates niedergelassen hat.

Deutlich positive Signale für Menschen mit Migrationshintergrund gehen von der EU bei deren Aktivitäten im Kampf gegen Diskriminierung aus. So ermöglicht es der Amsterdamer Vertrag, Diskriminierungen aus verschiedenen Gründen auf breiterer Front als jemals zuvor zu bekämpfen. Die EU-Kommission legte in den vergangenen zwei Jahren mehrere Vorschläge für entsprechende Rechtsvorschriften vor. Der damit geschaffene legislative Rahmen umfasst eine Richtlinie zum Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sowie eine für den Bereich der Beschäftigung geltende Richtlinie zum Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Die Mitgliedstaaten befinden sich im Prozess der Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht. Auch in Deutschland wird derzeit an einem Antidiskriminierungsgesetz gearbeitet. Bis Juni bzw. Oktober 2003 müssen die Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden.


Autorin: Veronika Kabis

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Testfall


Jo Leinen, Mitglied des Europäischen Parlaments

Die Europäische Union darf nicht zu einer "Festung" werden, die sich gegen andere Teile der Welt abschottet und Menschen von außerhalb wie Fremdkörper behandelt. In Europa hat die Migration eine lange Geschichte. Viele Länder waren im Laufe der Zeit einmal Auswanderungsländer und dann wieder Einwanderungsländer. Vor dem Hintergrund dieser Geschichte sollte Europa in der Lage sein, die Migration der heutigen Zeit - Einwanderung, Flucht, Asyl - ohne diskriminierende Verfahren zu bewältigen. Die erst kürzlich verabschiedete "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" ist eine wichtige Vorgabe für politisches Handeln auf europäischer Ebene, nicht nur gegenüber Unionsbürgern, sondern auch gegenüber Menschen aus Drittstaaten, die sich auf dem Territorium der EU aufhalten.

Das Europa-Parlament arbeitet seit mehreren Jahren daran mit, Mindeststandards für die Aufnahme von Flüchtlingen, für die Integration von Einwanderern und für den Kampf gegen Diskriminierungen jedweder Art auf den Weg zu bringen. Die Stimme des Parlamentes ist deshalb so wichtig, weil eine Welle des Populismus in Europa sich vordergründig gegen die "Ausländer" richtet und in mehreren EU- Mitgliedstaaten in letzter Zeit die Regeln drastisch verschärft wurden.

Eine moderne Einwanderungspolitik ist im ureigensten Interesse der Europäischen Union. In allen Ländern findet eine Alterung der Bevölkerung statt. Europa braucht aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen eine Zuwanderung von außen. Unser Lebensstandard wird nur zu halten sein, wenn in vielen Berufszweigen eine Verstärkung durch die Zuwanderung erfolgt. Die moderne Migration ist ein Testfall für den alten Kontinent, wie wir mit Menschen unterschiedlicher nationaler, religiöser und kultureller Herkunft umgehen, und ob Europa ein Modell für Toleranz und Menschenrechte sein kann. In der EU ohne Binnengrenzen ist jedenfalls ein gemeinsames Handeln unverzichtbar. Migrationspolitik ist heute ein Teil der europäischen Innenpolitik.


Autor: Jo Leinen, Mitglied des Europäischen Parlaments

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"Europa Direkt"

 

Brüssel. Seit diesem Sommer können EU-Bürger kostenlos die europäische Kommission anrufen und Fragen zu allen EU-Politiken und Aktivitäten stellen. Die Fragen können in jeder der elf EU-Amtssprachen gestellt werden; beantwortet werden sie dann in der jeweiligen Sprache, heißt es. Das Call-Center der Kommission ist von Montag bis Freitag zwischen 8 und 20 Uhr, sowie samstags von 10 bis 16 Uhr erreichbar unter der einheitlichen Telefonnummer: 00 800 67 89 10 11. Auch über das Internet können Bürger mit dem Dienst in Verbindung treten: http://europa.eu.int/europedirect/. (esf)

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Referenten-
datenbank Migration - plurales Europa

 

Berlin. Die Bundeszentrale für politische Bildung baut in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Migration in Europa e.V. eine Referentendatenbank zum Thema Migration - Einwanderungsgesellschaft - plurales Europa auf. Sie wird den zahlreichen Trägern der politischen Bildung, aber auch der allgemeinen Öffentlichkeit erlauben, sich schnell und zielgenau über mögliche Referentinnen und Referenten für Vorträge, Schulungen, Seminare etc. zu informieren und orientieren. Ferner ermöglicht die Datenbank Zugriffe auf Texte und Hintergrundmaterialien der beteiligten Referentinnen, Referenten und bietet somit mehr als eine reine Adressdatenbank. Darüber hinaus soll die Datenbank zur Vernetzung der bestehenden Initiativen und Institutionen beitragen. Angesprochen werden Expertinnen und Experten aus Migranten- und Menschenrechts-organisationen, Medien, Politik, gesellschaftliche Interessenverbände, Wohlfahrtsverbände, Kirchen sowie Schulen, Wissenschaft und Forschung. Zudem bietet eine thematische Sammlung von Internet-Links Zugang zu Referentinnen, Referten aus supra- und internationalen Institutionen in Europa. In einem zweiten Schritt soll die Datenbank auch auf ausgewählte EU-Länder und EU-Beitrittsländer ausgeweitet werden. Die Datenbank wird Ende September 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt und auf der website der Bundeszentrale für politische Bildung und des Netzwerks Migration in Europa e.V. installiert werden.


Autorin: Anne von Oswald, Netzwerk Migration in Europa e.V.

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