Ausländer in Deutschland
4/2002, 18.Jg., 30. Dezember 2002
Interview |
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Essen macht ErnstGesamtkonzept zur interkulturellen Orientierung
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Bereits in den siebziger Jahren hat Essen damit begonnen, die Grundlagen für das interkulturelle und friedliche Zusammenleben in der Stadt zu schaffen. Seit 1999 verfügt Essen über ein Gesamtkonzept zur interkulturellen Orientierung, das seinesgleichen sucht. Die interkulturelle Ausrichtung ist eines von vier zentralen Stadtzielen, und sie wird im Konsens von allen Ratsparteien mitgetragen. Wissenschaftliche Begleitforschung in der Aufbauphase, projektorientiertes und vernetztes Arbeiten, Verwaltungssteuerung, Controlling - das Essener Modell zeigt, wie interkulturelle Öffnung als Bestandteil moderner Organisationsentwicklung funktionieren kann. Dr. Helmuth Schweitzer, Leiter der RAA/Interkulturelles Büro, erläutert im AiD-Interview das Geheimnis des Erfolges: AiD: Die meisten Kommunen stöhnen, dass mit dem Zuwanderungsgesetz neue Kosten auf sie zukommen. * Essen leistet sich schon seit Jahren ein teures interkulturelles Steckenpferd. Hat die Stadt zu viel Geld? Dr. Helmuth Schweitzer: Ganz im Gegenteil, der städtische Haushalt weist ein Milliardendefizit auf. Die Stadtspitze und der Rat haben jedoch schon frühzeitig erkannt, dass Investitionen in die interkulturelle Orientierung überlebensnotwendig sind. Essen erlebt den schnellsten demographischen Wandel im Ruhrgebiet. Die Stadt braucht die Qualifizierung der bereits zugewanderten jungen Menschen und neue Zuwanderung von jungen qualifizierten Menschen, sonst wird sie in den nächsten Jahren ein Viertel ihrer Bevölkerung verlieren. Es liegt in ihrem eigenen Interesse, dass das Zusammenleben möglichst gut funktioniert. Wenn letztes Jahr 600.000 Euro für die Umsetzung des interkulturellen Gesamtkonzepts ausgegeben wurden und der Ansatz in 2003 noch einmal um die Hälfte erhöht wird, dann ist das also eine strategische Entscheidung, die weder mit Folklore noch mit Ruhigstellen von "Schmuddelkindern" zu tun hat. Wir machen Ernst mit dem, wovon andere nur reden. Welche sind derzeit Ihre wichtigsten Handlungsfelder? An zentraler Stelle steht die Sprachförderung. Die Angebote, die im Essener Gesamtkonzept zur Sprachförderung entwickelt wurden, reichen "von der Wiege bis zur Bahre". Der Schwerpunkt liegt im Moment im Elementarbereich. Da hat die Kommune ja auch die größten Handlungsmöglichkeiten. Wir setzen hierbei auf eine Kombination mit Elternbildung und Nachqualifizierung von Erzieher/innen. Wichtiger Bestandteil unseres Sprachförderkonzepts ist die Förderung der Mehrsprachigkeit von Zuwanderern und Einheimischen. Einen zweiten Schwerpunkt setzen wir beim Umgang mit interkulturellen Konflikten im Stadtteil. Das ist außerordentlich wichtig, um die soziale Segregation zu verhindern. Drittens sind wir dabei, die interkulturelle Personalentwicklung voranzutreiben. Gerade weil Essen, wie andere Kommunen auch, eher Stellen abbauen muss als neue einrichten kann, müssen wir nicht nur neue mehrsprachige Migranten als Mitarbeiter einstellen, sondern gleichzeitig die in der Stadtverwaltung bereits Beschäftigten auf die veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung als Kunden vorbereiten. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Arbeit erfolgreich verläuft? In der Tat will der Stadtrat zu Recht wissen, ob die Gelder sinnvoll verwendet wurden. Deshalb bauen wir ein Controlling-System aus, mit dem die Umsetzung unseres Konzepts nachhaltig überprüft wird. Das ist nicht einfach, denn wie lässt sich der nachhaltige Erfolg von Sprachförderung messen? Wie kann man die Wirksamkeit von Maßnahmen nachweisen? Wir sind dabei, Controllinginstrumente zu entwickeln, und leisten damit nebenbei Pionierarbeit in einem Feld, in dem die Wissenschaft noch am Anfang steht. Was würden Sie anderen Kommunen raten, die sich heute auf den Weg einer interkulturellen Orientierung machen wollen? Die wichtigste Voraussetzung ist erst einmal, dass alle Akteure in diesem Feld dieses Anliegen mittragen. Wenn es keinen Konsens zwischen den im Rat vertretenen Fraktionen und/oder den Verbänden gibt und stattdessen Stellungskriege über Zuwanderungsfragen ausgefochten werden, dann ist ein Anfang sehr schwer. Dafür ist das Thema einfach viel zu wichtig. Der Erfolg des Essener Modells liegt im Übrigen darin, dass wir nicht aus einer Verwaltungsperspektive an die Arbeit herangegangen sind, sondern unser Konzept mit vielen fachlich kompetenten Akteuren gemeinsam entwickelt haben: von Migrantenorganisationen und dem Ausländerbeirat über die Wohlfahrts- und Jugendverbände, die Gewerkschaften bis hin zu Arbeitgebern und Universität. Interkulturelle Orientierung kann man nicht von oben ausführen, man braucht dafür ein Netzwerk, das die Umsetzung in einem diskursiven Planungsprozess Schritt für Schritt mit kompetenten und engagierten Institutionsvertreterinnen und -vertretern voranbringt. Das ist eine lange, harte Arbeit. In Essen leisten wir diese Arbeit seit 25 Jahren. Wie sollten sich die Städte auf die Herausforderungen durch das Zuwanderungsgesetz vorbereiten? Auch hier wird der Erfolg von der guten Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbeauftragten, also zunächst den Ausländerbehörden, und den anderen kommunalen Fachbereichen bzw. gesellschaftlichen Akteuren abhängen. Das setzt viel interkulturelle Personalentwicklung innerhalb der Verwaltung voraus. Alle müssen an einem Strang ziehen und sich diesen neuen Herausforderungen in einem integrierten Prozess stellen. Auf keinen Fall darf eine im Prinzip nützliche Konkurrenz der Träger von Integrationskursen die systematische Vorbereitung der Neu-Einwanderer auf das Leben in Deutschland gefährden. |
Das Interview führte Veronika Kabis. * Das Gespräch wurde vor dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts geführt. Die Umsetzungsberichte zum interkulturellen Gesamtkonzept und Informationen zum Sprachförderkonzept der Stadt Essen sind erhältlich unter: www.essen.de. Weitere Auskünfte erteilt die RAA/Interkulturelles Büro Essen, Tiegelstr. 27, 45141 Essen, Tel. 0201/8328400, info@raa.essen.de |
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