Ausländer in Deutschland 4/2002, 18.Jg., 30. Dezember 2002

SPRACHE

"Voll krass, Alder"

Von Türkendeutsch über Kanak Sprak zu Kanakisch

Wenn die Comedy-Stars Dragan und Alder von ihren "krass" vielen Handys sprechen oder "Isch geh Bahnhof, Mann" verkünden, haben sie die Lacher auf ihrer Seite. Ein neuer Slang hat seit 1999 deutsche Bildschirme, Kinoleinwände und jetzt auch CD- und Buchläden erobert.

"Türkendeutsch" sagte man bis dato - und das hatte einen deutlich negativen Beigeschmack. Diese Zeiten sind vorbei. Heute spricht man von "Kanak Sprak" oder "Kanakisch" - wobei feine, aber entscheidende Unterschiede zu beachten sind. In Deutschland aufgewachsene türkischstämmige Jugendliche haben ihre eigene Sprache kreiert, die seit einigen Jahren durch Dragan und Alder, vor allem aber Feridun Zaimoglu den Weg in die breite Öffentlichkeit gefunden hat.

Das Buch "Kanak Sprak" machte den ehemaligen Mannheimer Theaterdichter Feridun Zaimoglu Mitte der 1990er-Jahre zum Kultautor. Inzwischen folgten fünf weitere Arbeiten des 1964 im anatolischen Bolu geborenen, seit über 30 Jahren in Deutschland lebenden studierten Künstlers und Mediziners. Er ist "Gründer" oder auch "spiritueller Leader" der Initiative "Kanak Attack" und hat die "Kanak Sprak" unter (deutschen) Intellektuellen und Feuilletonisten populär gemacht. Immer geht es um das Leben am Rande der deutschen Gesellschaft, sprachlich dargeboten in einer eigenwilligen Mischung aus authentischem Straßenslang und melodischer Poesie. Diese Mischung gibt dem 2000 beim Audio Verlag erschienenen Hörbuch "Kanak Sprak" (ISBN 3-89813-064-9) seinen ganz besonderen Reiz, macht es aber auch schwer hörbar. Die 51-minütige CD mit 16-seitigem Booklet ergänzt, was unter gleichem Namen produziert wurde: ein Buch, ein Theaterstück und ein Film. Gespräche und Gebete werden akustisch mit Alltagsgeräuschen einer Großstadt und Musikfetzen zu einer ganz eigenen Atmosphäre verdichtet. Die deutsch-türkische Rap-Gruppe Da Crime Posse aus Kiel, wo Zaimoglu lebt, spielte dazu neun Raps ein. Es entstand ein Hörspiel mit 24 Reportagen im Rap-Rhythmus. Wie in seinen Büchern analysiert Zaimoglu auch hier nicht, sondern dokumentiert nur. Unverkennbar ist aber die verbittert-aggressive Reaktion auf diskriminierendes Verhalten der Mehrheitsgesellchaft.

"Darf man mit Türkinnen auf Kanakisch flirten?", fragte die BILD-Zeitung am 8. Mai 2002. Wieso nicht?, findet Michael Freidank, der als BILD-Kolumnist mit der Serie "Voll krass Kanakisch" bekannt wurde. Auch er hat sich intensivst dieser neuen Sprache gewidmet. "Kanakisch" ist etwas anderes als "Kanak Sprak", wartet eher mit stark klischeehaften Persiflagen auf und ist eigentlich eine Kunstsprache - aber enorm amüsant. In dem 92-seitigen Büchlein "Wem is dem geilste Tuss in Land? Märchen auf Kanakisch un so", erschienen im Oktober 2001 (ISBN 3-8218-3583-4), finden sich klassische Märchen. Zum Beispiel "Dem fette Froschkönisch". Was das ist? Ein "Märchen von Typ, dem ausgezieht is, um krasse kick su bekommen". Ähnlich verfährt er mit "Deck dich, du Spast", Rapunzel und Rotkäppschen. Nicht alles erkennt man sofort: "Da warn ma swei geile Tussn. Dem eim war dem krasse Schneeweischem, dem anderen dem geile Rosenrot".

Die 13 Texte hat Freidank nicht einfach nur auf zwei bis drei Seiten verkürzt und ins Kanakische übersetzt. Sie wurden auch in die heutige Zeit deutscher Großstädte versetzt. Erzählt auf "krass konkret Kanakisch" findet sich so die Geschichte vom Hase und dem Igel verwandelt in "Dem Benz un dem 3ern". Sie beginnt wie folgt: "Da warn ma swei Typn vor Mc Donalds, dem Stefan Hase und dem Murat Igel, weisstu! Dem Stefan hatte krasse Benz mit sekksundertern Maschine, dem anderen hatte 3ern mit einsekksern Maschine. Un als dem ma Burgern un Pommes gefressen ham, hat dem Murat dem Stefan angelabert: "Alder, dein Maschine is scheissndreck!" "Halts Maul du Penner, isch schwör! Deim 3ern versäg ich mit 600ern in Ruckwärtsgang!" hat dem Stefan gesagt, "Abern ok, machen wirn krasse Race. Immern von eim zum nächstem Ampeln, ok?".

Es sind Märchen, die "eine Nummer härter und tabuloser sind als die, die man schon von der Großmutter erzählt bekommen hat. Stören Sie sich als Neuling nicht an Worten wie 'Spast', 'Wixer' oder 'Penner'. Diese Worte haben im Kanakischen längst ihre Ursprungsbedeutung verloren und eine neue erlangt," erklärt Freidank. Und wer genau wissen will, was diese Vokabeln bedeuten, dem ist das mit 2,99 Euro preiswerte Lehrbuch "Kanakisch-Deutsch" (ISBN 3-8218-2063-2) sowie der ebenso günstig erhältliche "Grund- und Aufbauwortschatz Kanakisch" (ISBN 3-8218-2083-7) vom gleichen Autor zu empfehlen. Ersteres ist für 9,95 €€€€Euro auch als CD erhältlich (ISBN 3-8218-5168-6). Die Texte müssen aber eigentlich unbedingt vorgelesen werden - Warum nicht 13- bis 16-jährigen Jugendlichen, die keinen Bock mehr haben auf "Es war einmal" und "Wenn sie nicht gestorben sind"?

Solcherart herausgefordert legte auch Feridun Zaimoglu 2002 mit "Kopf und Kragen" (ISBN: 3-596-15290-9) ein Kanak-Kultur-Kompendium" vor. Und dann ist da noch Hermann Ehmann. Der Münchner hat zum Thema "Jugendsprache und Dialekt" promoviert und nach den beiden Bestsellern "affengeil" und "oberaffengeil" 2001 mit "Voll konkret" (ISBN 3406459463) die Fortsetzung seines Lexikons zur Jugendsprache vorgelegt. Auf 160 Seiten hat er notiert, was der generation@ den lieben langen Tag so über die Lippen kommt. Ihr Wortschatz reicht dabei von abducken über Gripsräver und Saugnaffel bis wamsrammeln und zuföhnen. Überschneidungen mit der Kanak-Sprak sind hier kein echtes Thema. Das braucht wohl noch etwas Zeit.

Die Sprachwissenschaftlerin Inken Keim vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim glaubt jedenfalls, dass die Kanak Sprak "mehr als eine vorübergehende Sprachmode" ist. Bei der deutsch-türkischen Mischsprache handele es sich zwar, so Keim, um eine sehr reduzierte Sprache, "aber das hat nichts mit Unsicherheiten oder grammatikalischen Fehlern zu tun." Die türkischstämmigen Jugendlichen sprechen in der Regel Deutsch und Türkisch sehr gut. Indem sie in der Kanak Sprak Artikel und Präpositionen wegfallen lassen, zeigen sie, "dass sie sich weder zur deutschen noch zur türkischen Gruppe zugehörig fühlen". Die Mischsprache sei "Symbol für eine eigene soziokulturelle Identität". Dazu gehört auch, dass sie das Schimpfwort "Kanake" nun selbstbewusst - und ohne Rücksicht auf politische Korrektheit - für sich selbst verwenden.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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