Ausländer in Deutschland 1/2003, 19.Jg., 30. Mai 2003

Integration

Verzahnung, Transparenz und Lotsendienste

Neue Wege der beruflichen Qualifizierung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt

Gut "getimed" war eine Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zum Thema "Aufgaben der Aussiedler- und Integrationspolitik", zu der der Gesprächskreis "Migration und Integration" der Stiftung am 13. März 2003 nach Berlin eingeladen hatte. Während im Bundestag die erste Lesung des neu eingebrachten Zuwanderungsgesetzes stattfand, diskutierten in der FES-Niederlassung zahlreiche Experten und Praktiker aus ganz Deutschland über die Möglichkeiten eines verbesserten Zugangs von Aussiedlerinnen, Aussiedlern und anderen Zuwanderern in den Arbeitsmarkt als eine der entscheidenden Voraussetzungen einer "erfolgreichen" Integration.


Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, MdB Jochen Welt

Aktuelle Entwicklungen der Aussiedler- und Integrationspolitik

Im Anschluss an die Eröffnung der Veranstaltung durch die Leiterin des FES-Gesprächskreises Migration und Integration, Dr. Ursula Mehrländer, referierte der Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen und nationale Minderheiten in Deutschland, Jochen Welt, über aktuelle Entwicklungen der Aussiedler- und Integrationspolitik. Welt brachte dabei seine Hoffnung zum Ausdruck, dass das Zuwanderungsgesetz, "mit dem die längst notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein ausreichendes Integrationsangebot geschaffen werden sollen", baldmöglichst verabschiedet wird. Angesichts einer Arbeitslosenquote der Ausländer in Deutschland von zurzeit 21,3 %, also mehr als doppelt so viel wie die durchschnittliche Arbeitslosenquote der Bevölkerung, sei es dringend erforderlich, die Zugangschancen von Migranten in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Welt ging in seinem Vortrag insbesondere auf die geänderten Strukturen der Zuwanderung von Aussiedlern ein. So sei zwar deren Zuwanderung in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, gleichzeitig sei jedoch ein deutlich vermindertes Niveau an deutschen Sprachkenntnissen zu beobachten. Bei der Diskussion um die Entwicklung der Zuwanderung von Aussiedlern werde dabei häufig übersehen, dass es nicht die deutsche Herkunft allein sei, die eine Zuwanderung nach Deutschland ermögliche. Wesentliche Voraussetzung sei vielmehr, dass auf der Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes die Antragsteller zugleich als kriegsfolgengeschädigt eingestuft werden müssten. Dies sei generell unterstellt bei Russlanddeutschen, nicht jedoch bei Aussiedlern anderer Staaten. Würde die deutsche Herkunft alleine ausschlaggebendes Kriterium sein, so müsse nach Angaben von Welt mit rund 50 Millionen potenziellen Zuwanderern gerechnet werden.

Generell könne beobachtet werden, dass die Aussiedler relativ rasch in die deutsche Gesellschaft und den deutschen Arbeitsmarkt eingegliedert werden, dies vor allem auch aufgrund ihrer hohen Flexibilität und Bereitschaft, auch ungelernte Arbeiten, Nachtarbeit etc. anzunehmen. Negativ wirke sich jedoch aus, dass nur wenige Aussiedler die Chance nutzen, ihre Sprachkenntnisse bereits vor der Ausreise in einem der 1.300 Sprachlernzentren in Russland zu verbessern. Angesichts der Tatsache, dass Kenntnisse der deutschen Sprache als wesentliche Voraussetzung für berufliche Qualifikationsmaßnahmen und Schlüssel zur Integration angesehen werden müssen, sollte aus Sicht der Politik verstärkt die Bereitschaft zum Spracherwerb eingefordert werden, dies umso mehr, als zurzeit bei einem Gesamtbudget von rund 46 Mio. Euro pro anno für die Integration von Aussiedlern und einem Volumen von 17 Mio. Euro allein des Bundes für Sprachförderungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Im Sinne des Prinzips "fördern und fordern" sollten nach Ansicht von Welt neben "Kontraktmodellen", die bereits vor der Ausreise ansetzen und über eine Integrationsvereinbarung bzw. Integrationspläne in Deutschland bis zur endgültigen beruflichen Integration in den Arbeitsmarkt reichen, auch Darlehensmodelle zur Finanzierung beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen geprüft werden (analog Bafög).

Ein wegweisendes Modellprojekt könnte in diesem Zusammenhang das sog. Jugendpaket sein, das zurzeit gemeinsam durch das BAFl, die Bundesanstalt für Arbeit (BA) sowie das Familienministerium vorbereitet wird. In der anschließenden lebhaften Diskussion wurde eine Reihe von Fragen angeschnitten, wie die Integration von Ausländern durch die frühzeitige Erfassung der Vorkenntnisse und individuellen Ausgangsbedingungen bereits vor der Ausreise erfasst werden können, um auf dieser Grundlage individuelle Integrationspläne zu erstellen. Hinterfragt wurde mehrfach auch, ob die im Zuwanderungsgesetz vorgesehene Dauer der Basis- und Aufbausprachkurse sowie die damit verknüpften Orientierungskurse ausreichend seien, um die erforderlichen Sprachkenntnisse zu vermitteln. Darüber hinaus, so wurde mehrfach betont, bestehe vor dem Hintergrund anderer Prioritätensetzungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik die Gefahr, dass zukünftig nur noch Arbeitslose gefördert würden, ein Auswahlkriterium, das auf die Mehrzahl der Aussiedler zumindest nicht zutreffend wäre. Welt unterstrich in diesem Zusammenhang noch einmal die außerordentliche schwierige juristische Ausgangslage und Diskussion um die Zuwanderung insbesondere von Aussiedlern; wolle man tatsächlich einen individuellen Nachweis der Kriegsfolgenschädigung fordern, so würde dies praktisch den Stopp des Aussiedlerzuzugs bedeuten.

Verzahnung von Integrationskursen und Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt

Moderiert durch den Referatsleiter Migration der Friedrich-Ebert-Stiftung, Günther Schultze, gingen im zweiten Teil der Veranstaltung Vertreter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl), des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie der BA auf die Notwendigkeit und Möglichkeit einer besseren Verzahnung von Integrationskursen und Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, insbesondere auf das geplante so genannte "Jugendpaket" ein.
Dr. Michael Griesbeck, Leiter der Abteilung Integration des BAFi, erläuterte, dass unabhängig vom Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes das BAFl zwischenzeitlich für die Koordination und Durchführung einer Reihe von Integrationsförderungsmaßnahmen zuständig sei. Er nannte insbesondere die Förderung des Sprachkursprogramms, einer Reihe von gemeinwesenorientierten Projekten (ehemals Bundesverwaltungsamt) und Projekten der Integrationsförderung sowie der Schulung und Information von Multiplikatoren, die bis zum Jahr 2002 in der Förderung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) lagen. Generelles Ziel des BAFl sei es dabei im Hinblick auf das vorgesehene bundesweite Integrationsprogramm, bestehende Integrationsangebote auf Bundesebene, Landesebene und auf der Ebene der Kommunen und Institutionen im Sinne einer best-practice-Plattform transparent zu machen und soweit möglich und sinnvoll miteinander zu verzahnen.

Ein gutes Beispiel hierfür sei das geplante Jugendpaket, an dem unter Koordination des BAFl eine Reihe von Komponenten und Trägern bzw. Finanzierungsquellen zusammengeführt würden. So werden in dem Jugendpaket Maßnahmen der Sprachförderung und Integrationsorientierungskurse verknüpft mit einem Programm der sozialpädagogischen Begleitung, finanziert durch das BMFSFJ, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen der BA sowie eine wissenschaftliche Begleitung des Gesamtprogramms. In diesem Sinn, so Griesbeck, handele es sich um ein "lernendes Programm", in dem die verschiedenen Teilangebote im Hinblick auf das Gesamtziel der Integration ausländischer Jugendlicher verknüpft werden.

Frau von Heinz (BMFSFJ) erläuterte das in ihrem Ministerium entwickelte Konzept der sozialpädagogischen Betreuung. Wiewohl diese im geplanten Zuwanderungsgesetz lediglich als Ermessensleistung aufgenommen wurde (§ 43), sei es das Ziel, die sozialpädagogische Betreuung als Regelleistung in das Jugendpaket einzubringen. Vorgesehen sei dabei die Einrichtung eines flächendeckenden Jugendmigrationsdienstes, mit dem ausländischen Jugendlichen ein so genannter Integrationslotse zur Seite gestellt wird. Soweit möglich soll der Integrationslotse beginnend von der Phase einer Zielvereinbarung und Erarbeitung individueller Integrationspläne über alle Phasen der Betreuung und Qualifizierung als Ansprechpartner für den Jugendlichen zur Verfügung stehen. Nur so sei es möglich, das notwendige Vertrauensverhältnis zu entwickeln.

Dr. Jürgen Thiel (BA) betonte die zwingende Notwendigkeit einer verstärkten Vernetzung integrationsfördernder Maßnahmen. So seien mit steigender Tendenz zurzeit rund 580.000 Ausländer arbeitslos gemeldet. Offen blieb in der anschließenden Diskussion die Frage, in welchem Umfang die BA angesichts der Haushaltslage und Priorität auf Maßnahmen zur Umsetzung des Harz-Konzepts Haushaltsmittel für die Umsetzung des Jugendpakets zur Verfügung stehen werden. "Hier wird", so Thiel, "gegebenenfalls eine Nachsteuerung des Haushalts erforderlich sein, wobei der Definition eindeutiger Standards der Ausarbeitung individueller Integrationspläne und der Auswahl von Maßnahmen im Sinne des best practice" gerade aufgrund knapper Haushaltsmittel eine erhöhte Bedeutung zukommt.

Beispiele aus der Praxis

Im abschließenden Teil der Veranstaltung wurden durch Vertreter verschiedener Trägerorganisationen Beispiele für Qualifizierungsmaßnahmen der unterschiedlichen Zielgruppen vorgestellt. So berichtete Wolfgang Gärthe, Geschäftsführer der Euro-Schulen-Organisation, über Methoden und Erfahrungen bei der Feststellung von Qualifikationen und Kenntnissen von Migrant/innen als Grundlage für Integrationspläne. Die Vertreterin der Otto Benecke Stiftung (OBS) Bonn ging anhand des Akademikerprogramms der OBS, das durch das BMFSFJ jährlich mit rund 5 Mio. Euro gefördert wird, am Beispiel der Studienergänzung in Magdeburg auf die Notwendigkeit und Probleme der Weiterbildung für hoch qualifizierte Zuwanderer und Aussiedler ein. Herbert Jugel-Kosmolla berichtete abschließend über einen ganzheitlichen Ansatz der Verbesserung der beruflichen Bildungs- und Eingliederungschancen von Jugendlichen der Arbeiterwohlfahrt Nürnberg, in dem der Versuch unternommen wird, Maßnahmen der Jugendberufshilfe zu verknüpfen mit einer so genannten Sozialraumorientierung und individuellen psychosozialen Beratung.

"Das Jahrzehnt der Integration", hieß es in der Einleitung der Stiftung zu der Fachkonferenz, "muss gestaltet und umgesetzt werden. Die Politik ist gefordert, auch nach dem vorläufigen Scheitern des neuen Zuwanderungs- und Integrationsgesetzes die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen." Eine wesentliche Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Gestaltung der zukünftigen Integrationsarbeit verdeutlichte die Konferenz: Schaffung von Transparenz, Auswertung vorliegender Erfahrungen und Verzahnung von Maßnahmen.


Autor: Dr. Manfred Werth, isoplan

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