Ausländer in Deutschland 1/2003, 19.Jg., 30. Mai 2003

Projekte

Flüchtlings-
berichte

Bestandsaufnahmen der Lebenssituation von Flüchtlingen

Zahlreiche Asylbewerber und Flüchtlinge kommen jährlich nach Deutschland - im Jahr 2002 stellten 91.471 Personen einen Asylantrag (davon 71.127 Erstanträge) - andere leben bereits seit mehreren Jahren hier. Über jährliche Zugangszahlen und Einzelheiten des Asylrechts wird viel diskutiert. Wie aber ist die Lebenssituation von Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland? Bislang haben sich erst einige wenige Flüchtlingsberichte in umfassender Weise dieser Frage gewidmet.


Im Hof einer Gemeinschaftsunterkunft

Wegweisend waren die Forschungen von Professor Dr. Peter Kühne, Dr. Harald Rüßler und Sabine Gruber vom Zentrum für Weiterbildung der Universität Dortmund zu allgemeinen Fragen der sozialen Integration und Qualifizierung von Flüchtlingen. Ihre Untersuchungsebene ist überwiegend das Bundesgebiet. Bislang wurden erst drei umfassende Bestandaufnahmen zur Lage der Flüchtlinge in einzelnen Bundesländern erstellt: Die Arbeiten des Flüchtlingsrates Niedersachsen zur Lage der Flüchtlinge in Niedersachsen (2000) sowie die Flüchtlingsberichte des isoplan-Instituts zu den Verhältnissen in Thüringen (2001) und im Saarland (2003).

Die Flüchtlingsberichte Thüringen (im Auftrag des Ausländerbeauftragten der Thüringer Landesregierung) und Saarland (im Rahmen des EQUAL-Projektes SEPA, vgl. AiD 4/02) vermitteln neben einem statistischen Überblick über Herkunft und Sozialstruktur der Flüchtlinge ein detailliertes Bild der Wohnsituation, finanziellen Lage, Gesundheitsversorgung, gesellschaftliche Integration und Betreuungsstruktur, Konflikte sowie die Schul-, Ausbildungs- und Erwerbssituation.

In fast allen Lebensbereichen wird die Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber im Wesentlichen durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen bestimmt (Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, Sachleistungsprinzip, sehr begrenzter Zugang zum Arbeitsmarkt). Dennoch zeigen die Analysen, dass sich die Verhältnisse in den einzelnen Bundesländern durchaus unterscheiden. So macht es zum Beispiel einen entscheidenden Unterschied, ob die Gemeinschaftsunterkunft in das städtische Gefüge integriert ist, und damit den Flüchtlingen der Zugang zum gesellschaftlichen Leben erleichtert wird. Auch die Residenzpflicht spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Während sie sich im Saarland auf die Grenzen des Bundeslandes bezieht, ist sie in Thüringen auf den Landkreis beschränkt, wodurch die Bewegungsfreiheit der Asylbewerber und Flüchtlinge sehr stark eingeschränkt ist. Auch das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Wachschutz, Hausausweis, Besuchskontrolle etc. hat entscheidende Auswirkungen auf die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Auch hier stellt sich die Situation im Saarland vergleichsweise liberaler dar als in Thüringen.

Die (finanzielle) Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen ist maßgeblich durch das Sachleistungsprinzip bestimmt, das heißt durch die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung zur Gewährung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG an Regelleistungsempfänger. Nach dieser Vorschrift wird der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts durch Sachleistungen gedeckt. Daneben wird zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens ein (nach Lebensalter gestaffelter) Bargeldbetrag gewährt.

Schwierige Beschäftigungssituation

Ein ganz entscheidendes Hindernis zur Integration von Asylbewerbern und Flüchtlingen liegt sicher in der begrenzten Möglichkeit der Aufnahme einer Beschäftigung. Maßgeblich ist diesbezüglich die Regelung, dass Asylbewerber für die Dauer der Unterbringung in der Aufnahmeeinrichtung, mindestens jedoch für ein Jahr, keinen Beruf ausüben dürfen. Personen, die in Besitz einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung sind, dürfen frühestens nach einem Jahr Wartezeit einen Antrag auf Arbeitserlaubnis für eine erstmalige Beschäftigung stellen. Im Rahmen des Arbeitserlaubnisverfahrens wird dann geprüft, ob für die auszuübende Tätigkeit keine bevorrechtigten Arbeitnehmer zur Verfügung stehen (dies sind Deutsche, EU-Ausländer, Ausländer mit einer Aufenthaltsberechtigung oder unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sowie Ausländer mit Anspruch auf eine Arbeitsberechtigung), ob mit der Beschäftigung des Ausländers negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt einhergehen und ob der Ausländer nicht zu ungünstigeren Bedingungen beschäftigt wird als deutsche Arbeitnehmer. Diese Prüfkriterien stellen eine hohe Hürde zur Aufnahme einer Beschäftigung dar. Relativ häufig findet sich die Anstellung auf 325 €Euro-Basis. Begehrt ist auch die so genannte gemeinnützige Tätigkeit. Es muss auch davon ausgegangen werden, dass viele Flüchtlinge und Asylbewerber einer nicht Beschäftigung ohne Sozialversicherungsnachweis nachgehen. Der Weg in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bleibt jedoch den meisten verwehrt.

Anstoß für Veränderungen

Flüchtlingsberichte haben zunächst das Ziel, die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge und Asylbewerber aufzuzeigen. Im Saarland soll der Bericht darüber hinaus die Arbeit des EQUAL-Projektes SEPA auf eine breitere Grundlage stellen. Das Wissen über die Lebensbedingungen der Zielgruppe kann zu einer zielgerichteteren Konzeption der Projekte beitragen. Ein Jahr nach Erscheinen des Thüringer Berichts hat der Ausländerbeauftragte eine Broschüre "Asylkultur in Thüringen" herausgegeben, die Ergebnis einer Anhörung von Kirchen, Sozialverbänden und Vereinen ist. Der Flüchtlingsbericht wurde Landes- und Kommunalpolitikern sowie Behörden, Bildungswerken und gesellschaftlichen Gruppen zugeleitet, mit dem Ziel, eine Debatte über die sozialethischen Grundlagen der Asylgewährung und den praktischen Umgang mit Asylbewerbern in Thüringen anzustoßen.
Dies zeigt, dass eine Bestandsaufnahme der Lebenssituation von Flüchtlingen und Asylbewerbern eine umfassende Diskussion und intensive Beschäftigung mit diesem Thema initiieren kann, wenn die Bereitschaft dazu gegeben ist.

Bezug:

- Der Ausländerbeauftragte der Thüringer Landesregierung, Postfach 10 21 51, 99021 Erfurt; Tel.: 03 61-3 79 28 91

- Der Bericht zur Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber im Saarland ist einsehbar auf der SEPA-Homepage www.equal-sepa.de


Autorin: Vanessa Franz, isoplan

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