Ausländer in Deutschland 1/2003, 19.Jg., 30. Mai 2003

INTERVIEW

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


"Keine Lust mehr auf nationale Zuschreibungen"

Deutsch-Iranische Identitäten

Behrooz Motamed-Afshari (36) wurde in Teheran als Kind einer deutsch-iranischen Ehe geboren. Zwei Jahre nach der Revolution, nach Ausbruch des 1. Golfkriegs ging er 1982 alleine nach Deutschland auf ein Internat. Er und seine Eltern hatten Angst vor einer Einberufung zum Militär und sahen im Iran keine freien und guten Bildungsmöglichkeiten. Erst 1989 kam der Rest der Familie nach Deutschland nach. Seit 2000 ist der in Köln lebende Politologe und Islamwissenschaftler Geschäftsführer der Bosporus Gesellschaft.

AiD: Fühlen Sie sich als Deutscher oder als Iraner?

Motamed-Afshari: Ich habe eine deutsche Mutter, einen iranischen Vater und lebe jetzt schon länger in Deutschland als ich im Iran war. So gesehen - wenn es sein muss - würde ich mich als Deutsch-Iraner bezeichnen. Ich bin jemand, der sich sehr ungern einen nationalen Stempel aufsetzen lassen möchte.

Als wer oder was empfinden Sie sich dann?

Ich bin Behrooz, so wie ich heiße, mich sehe, mich empfinde. Mit all meinen Macken und Stärken, die ich nicht als deutsch oder iranisch bezeichnen kann. Ich könnte genauso gut Jorge Garcia heißen. Oder Vladimir Jelacic.

Was für ein Verhältnis haben Sie zu Iranern?

Ein recht gutes eigentlich, mittlerweile. Ich habe eine Weile versucht, mich als Iraner zu fühlen, hatte aber nicht das Gefühl, dass sie mich "zurückhaben" wollten. Weil ich das Land verlassen hatte, war da das Gefühl, dass man mich nicht mehr so will wie ich bin. Auch wenn ich damals erst 16 war.

Sie waren aber doch von den Eltern geschickt worden?

Ja, aber mein inneres Gefühl war so. Es war ja nicht unangenehm zu gehen. Es gab Situationen, in denen ich dachte: Wie komme ich hier raus? Lehrer und Freunde erzählten plötzlich von Religion und vom Beten, obwohl sie das vorher nie getan hatten. Die ganze Welt hatte sich plötzlich geändert - künstlich irgendwie. Heute sehe ich, dass das aus Angst geschah. Aber ich verstand die Iraner nicht mehr. Ich bin - so gesehen - gerne gegangen, hatte Probleme, die Veränderungen zu akzeptieren.

Und wie ist Ihr Verhältnis zu Iranern in Deutschland?

Das hängt von der Gruppe ab: ob sie vor oder nach der Revolution gekommen sind. Die schon vorher gekommen sind, sind eher Menschen ohne Probleme mit der eigenen Identität. Die danach Gekommenen haben oft - auch wenn das pauschal klingt - Probleme, sich selbst zu beurteilen und sich als Deutsche oder Iraner zu identifizieren. Viele bezeichnen sich als Perser, was ich als einen Hohn empfinde. Das alte Persien existiert nicht mehr. Ein Taxifahrer sagte mir hier einmal: "Ich bin kein Iraner, sondern Perser". Er sagte das, weil er sich nicht identifizieren möchte mit dem, was seit 1979 passiert ist. Das empfinde ich als ein hartes Urteil. Er ist doch auch im Iran geboren. Und wir alle tragen die Verantwortung dafür, was an Positivem und Negativem passiert. Als "Perser" will er sich von jeglicher Verantwortung lossprechen. Das ist sehr schade, finde ich. Auch weil er damals die Revolution gegen den Schah doch mit unterstützt hat. Es ging um eine Idee, die Geschichte hat sich aber - leider - anders entwickelt.

Sie haben früher Theater gespielt?

Ja, ich habe versucht, über die Theaterarbeit mit Iranern in Kontakt zu kommen, bin dann aber schnell wieder weg. Ich hatte das Gefühl, dass die ein Iran-Bild hatten, das sie über alles andere stellten und nichts Modernes zulassen wollten. Sie waren so übermäßig stolz zum Beispiel auf die iranische Straßentheater-Tradition oder auf bestimmte Feste. Als ich anfing, mit beiden Möglichkeiten zu arbeiten, bin ich auf Gegenwehr gestoßen, seitens der Iraner. Fast schon, als würde ich etwas verraten. Ich habe es danach aufgegeben, mit Iranern zu arbeiten, die zu stark auf alte Traditionen fixiert sind.

Welche Gruppe ist das, die so stark auf den Iran ausgerichtet ist?

Die 30- bis 40-Jährigen. Obwohl ihre Sprache auch nur eine Mischung von persischem und deutschem Slang ist. Die Älteren haben eher begriffen, dass es noch etwas anderes gibt, als Iraner zu sein - obwohl sie sich nur unter sich bewegen. Die 1. Generation hat dagegen einen ganz anderen Zugang, stammt auch aus einer anderen Schicht. Sie hatten nicht so ein Problem mit ihrer Identität, konnten sich besser integrieren, hatten auch mehr Geld.

Und die junge Generation?

Die sind total deutsch. Das, was sie als "persisch" bezeichnen, nehmen sie als etwas, das chic ist, etwas Exotisches. Da ist auch dieses alte Klischee vom Iraner, der immer im edlen Anzug herumläuft - die vielen Ärzte.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschen?

Von den Deutschen werde ich akzeptiert als Behrooz. Aber es kommt auf das Gegenüber an. In bestimmten Situationen fällt manchen auf, dass ich doch nicht "einer von uns" bin. Im privaten Bereich kommt das oft vor. Wenn einer bei einer Diskussion kein Gegenargument mehr liefern kann, kommt er mit dem Satz: "Bei uns denkt man nicht so". Das grenzt mich aus, obwohl ich mich dazugehörig fühle. Vor allem seit 1991 ist das anders.

Wegen des Irak-Kriegs?

Nein, wegen des Buchs von Betty Mahmoody (Anm. d. Red.:"Nicht ohne meine Tochter"). Das hat mein Leben stark verändert. In der deutschen Gesellschaft hat das extreme Vorurteile gegenüber Iranern produziert. Sogar meine eigene Freundin klagte mich an. Deren Freundinnen riefen mich herbei, um mich zur Rede zu stellen. Eine total bescheuerte Situation in unserer WG-Küche damals. Ich wurde gezwungen, mich und die Iraner zu verteidigen. Dabei war Mahmoodys Mann doch ein Extrem. Seitdem habe ich keine Lust mehr auf nationale Zuschreibungen, keine Lust mehr auf solche Diskussionen. Ich habe keinen Bezug dazu. Ich genieße es, zu beiden Kulturen zu gehören. Ich ziehe mir das raus, was mir positiv erscheint. Das ist eine gewisse Macht, die ich habe, wo ich mich bereichern kann. Da ist kein Iraner, der neben mir steht und sagt: "Du mußt so und so sein". Das kann ich gut für meine Arbeit nutzen, gerade auf dem Balkan, wo wir viele Studentenaustauschprojekte durchführen.

Das Thema Identität ist da auch enorm wichtig.

Ja, und manche halten stark an Nationalismen fest. In Südosteuropa ist es schön, da muss ich mich nicht erklären, weil ich mit keiner der Nationen als Person in irgendeiner Form etwas zu tun habe. Ich kann mich auf das Wesentliche konzentrieren. Und wenn man mich als Deutscher anspricht frage ich: "Glaubst du, ich bin ein Deutscher?"

Das Gespräch führte Ekkehart Schmidt-Fink

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Depressionen sind weit verbreitet

Iraner und Migrations-
krankheiten

Shoreh Baddii (50) kam 1973 als 20-jährige Frau alleine nach Deutschland um zu studieren; 1979 während der Revolution ging sie wieder zurück in den Iran und flüchtete 1983 wieder nach Deutschland. Ihren Mann verlor sie beim Mykonos-Attentat 1992 in Berlin. Lange arbeitete sie in der Erwachsenenbildung als Familienberaterin für Flüchtlinge und als Dozentin im EDV-Bereich. Berufsbegleitend studierte sie diesmal Erziehungswissenschaften an der FU-Berlin Ihre Diplomarbeit beschäftigt sich mit der interkulturellen Arbeit und Beratung für Flüchtlinge. Im Schwerpunkt widmet sie sich den so genannten "Immigrationskrankeiten" iranischer Flüchtlinge.

AiD: Was genau sind Migrationskrankeiten und welche Krankheiten weisen iranische Flüchtlinge auf?

Shoreh Baddii: Das sind Krankheiten, die durch die Immigration verursacht werden. Diese sind oft psychosomatische Krankheiten. Dazu zählen zum Beispiel Depressionen oder Suchtprobleme. Bei den Iranern sind Depressionen unter beiden Geschlechtern sehr verbreitet. Viele haben mittlerweile auch Suchtprobleme durch Alkohol oder Arbeitslosigkeit. Spielsucht auch. Das ist erstaunlich. Denn bislang tauchten diese Erkrankung nur bei den Arbeitsmigranten - zum Beispiel bei Türken - auf. Die ältere Generation iranischer Männer lebt zudem, wie andere Migrantengruppen auch, in einer theoretischen Welt, ja, sie lebt utopisch - wie in der 68-er Bewegung. Sie sind in den letzten 20 Jahren sozusagen versunken in ihrer Heimat. Somit sind sie nicht mehr fähig etwas Neues zu wagen oder flexibel zu reagieren. Genaue Zahlen oder Statistiken über diese Krankheitssymptome gibt es leider nicht.

In Ihrer Arbeit weisen Sie auf die fehlende interkulturelle Kompetenz der Beratungsstellen hin. Was stellt die größte Wissenslücke dar?

Zum Beispiel, dass die Scheidungsrate von iranischen Flüchtlingen bei 90 % liegt. Warum? Weil die Männer hier von Null anfangen müssen. Das heißt sie arbeiten fachfremd, müssen die Sprache neu erlernen, verlieren den Status als "mächtiger" Ehemann oder Vater und können die Familie nicht finanzieren. Sie nehmen die Opferrolle ein und sagen "jetzt bist du sozial soweit abgestiegen und bist nur noch ein armer Sozialhilfeempfänger". Außer den Ärzten resignieren im Alter auch viele Intellektuelle - wie Architekten oder Bauingenieure -, weil sie sich nicht integriert haben oder meinen, "nichts" aufgebaut zu haben. So arbeiten zum Beispiel nur zwei von 20 Akademikern in ihrem Fach. Eine Belastung, die im Alter krank macht und durch die sehr geschlossene iranische Gesellschaft verstärkt wird. Ein Teufelskreis, der genau diese psychosomatischen Krankheiten nach sich zieht. So gab es im Jahre 2000 unter den etwa 10.000 Iranern in Berlin rund 1.500 Sozialhilfeempfänger.

Es heißt, dass Frauen allgemein weniger an diesen so genannten Migrationskrankeiten leiden. Welchen Schluss ziehen Sie daraus für iranische Frauen?

Im Gegensatz zu den Männern geht es den Frauen besser ­ egal ob Arbeiterin oder Akademikerin. Der Grundkonflikt liegt darin, dass Frauen allgemein und hier die iranischen einfach tüchtiger sind. Sie reagieren flexibler und schneller auf ihre Umgebung; lernen schneller die Sprache und bilden sich weiter. Dadurch werden sie von der Gesellschaft besser akzeptiert während die Männer als "Ausländer" betrachtet werden. Ein Rollenverständnis, das bei iranischen Männern Depressionen auslöst, weil sich die Frauen integrieren, während die Männer mit der Ablehnung der deutschen Gesellschaft und der iranischen Gruppe (durch den sozialen Abstieg) innerlich kämpfen. Während also Frauen unter dem iranischen Regime mehr litten, zeigen sie hier, was sie können.

Das Gespräch führte Semiran Kaya

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Dr. Djafar Mehrgani

Buchhändler und Autor

Dr. Djafar Mehrgani (68) hat in den 1950er-Jahren in Deutschland studiert, im Iran promoviert und betreibt seit über 18 Jahren die Buchhandlung "MEHR" in Köln. 1998 erhielt der Buchhändler, der auch als Autor tätig ist, den Heinz-Risse-Literaturpreis.

AiD: Wie schätzen Sie das Leseverhalten der Iraner ein?

Djafar Mahrgani: Ehrlich gesagt, als ein sehr schlechtes, obwohl es zahlreiche Publikationen gibt. Es gibt im Köln-Bonner Raum viele Dichter und Schriftsteller, aber sie werden nicht gelesen. Männer, wenn sie denn lesen, kaufen politische Bücher. Doch die Tendenz liegt mehr bei politischen Zeitschriften. Frauen hingegen haben erst in den letzten zehn Jahren angefangen, Romane zu lesen. Romane von bekannten Frauen oder anderen Iranern. Und was den Preis angeht, so bin ich als Iraner oder Ausländer stolz darauf, dass meine Geschichte "Der Löwe, der kein Heimweh kannte" hier anerkannt und akzeptiert wurde.

Und was oder wie lesen jüngere Iraner?

Das ist ein trauriges Kapitel. Denn kaum einer der jüngeren Iraner kann persisch lesen oder schreiben. Sie können zwar persisch sprechen, aber dann hört es auch auf. Und wenn nach Büchern über den Iran gefragt wird, so muss es dann eins auf Deutsch sein. Ihr Persisch ist einfach zu rudimentär obwohl die Iraner sehr ehrgeizige Menschen sind. Sie bevorzugen einfache Literatur und lesen selten eine iranische Zeitschrift. Und wenn sie lesen, so nur die amerikanische Wochenzeit "Javanan"/ Jungs. Ein Lifestylemagazin über Kunst und vielen iranischen Popstars aus Amerika und so.

Damit sich diese Situation ändert haben sie mit Schriftstellerfreunden einen Kulturverein gegründet, der auch die deutsch-iranische Kulturzeitschrift "Borsuye"* herausgibt.

Natürlich gab es viele Bemühungen auch seitens der Botschaft, diesen Missstand zu beheben. Deshalb habe ich schon in den 1960er-Jahren europaweit als erster iranische Schulbücher auf Deutsch herausgegeben, die "khomeini- und mekkafrei" sind. Und seit 10 Jahren geben wir die zweisprachige Zeitschrift für Kunst und Wissenschaft "Borsuye" heraus, damit die Sprache gepflegt wird. Und unser deutsch-iranischer Kulturverein "Sartoscht" veranstaltet Lesungen und Abende mit iranischen Künstlern.

Gibt es eine Nachfrage nach religiösen Büchern?

Nein, die Iraner sind nicht so religiös wie z.B. die Türken, die ihre Identität aus der Religion beziehen. Viele Iraner sind gegen die Religion, weil sie gerade vor dem religiösen Fanatismus im Iran geflüchtet sind. Daher finden sich hier nur einzelne Exemplare. Was aber reichlich gefragt ist, sind Kinderbücher.

*Borsuye ist zu beziehen unter: Iranisch-Deutscher Kulturverein e.V.; Sartoscht; Postfach 40 05 38, 50835 Köln; (Hg.: Dr. A. Madjderey: Tel: 02234-96 58 63; Fax: 02234- 96 70 15; Email: Borsuye@pironet.de); 60 € im Jahr, erscheint vierteljährlich

Das Gespräch führte Semiran Kaya

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