Ausländer in Deutschland 1/2003, 19.Jg., 30. Mai 2003

Kulturdialog

Goethe und Chatami

Deutsch-Iranische Beziehungen

Obwohl beide Länder mehr als 3.000 km voneinander entfernt liegen und unterschiedlichen Kulturkreisen angehören, bestehen seit Jahrhunderten enge Beziehungen. Nicht zuletzt durch Migranten. Ob Iraner in Deutschland oder Deutsche im Iran - schon im 19. Jahrhundert kam es zu ökonomisch motivierten Wanderungen. Ein Resultat beidseitigen Interesses ist, dass Deutschland seit 1952 der wichtigste Handelspartner des Iran ist. "Der Weg zu dauerhafter wirtschaftlicher Partnerschaft führt nur über die geistige und kulturelle Annäherung", wußte jedoch schon Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Wirtschaft und Kultur sind bis heute die Bindeglieder beider Länder. Politisch blieb Deutschland stets neutral - zu neutral, wie hierzulande nicht nur iranische Oppositionelle meinen.

Zwei Staatsbesuche markieren Beginn und Ende einer Phase von zuletzt nicht immer einfachen Beziehungen. Am 2. Juni 1967 gab es gegen den Staatsbesuch von Schah Reza Pahlavi und seiner Frau Farah Diba in Berlin massive Studentenproteste. Ihnen wurde von hunderten eigens aus dem Iran eingeflogenen so genannten "Jubelpersern" mit Gewalt begegnet. Nachdem ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte, kam es zu Eskalationen. Eine indirekte Folge war die Anfang der 1970er-Jahre entstandene "Bewegung 2. Juni", der anarchistischen Variante der RAF.

Es dauerte bis Juli 2000, ehe es mit der Deutschlandreise Mohammed Chatamis zu einem weiteren Staatsbesuch in Deutschland kam. Dazwischen liegen 33 Jahre, eine Revolution (1979), die gesellschaftliche Verarbeitung derselben, ein Mordanschlag im Berliner Restaurant "Mykonos" (1993) und die überraschende Wahl des reformorientierten Chatami (1999). Anläßlich des Staatsbesuchs 2000 bekräftigten Chatami und Bundespräsident Johannes Rau die Bedeutung des Dialogs der Kulturen.

Für beide ist Goethe ein Vorbild. Chatami ist nicht der einzige Iraner, der aus dessen "West-östlichem Divan" zitieren kann. Zu diesem Werk war Goethe durch Gedichte des persischen Dichters Hafis (14. Jh.) inspiriert worden. Sein Divan wird heute als "interkultureller Geniestreich" gerühmt. Dass er Hafis überhaupt so früh kennen lernen konnte, verdankt er letztlich Interessen des Handels. Schon zur Zeit des mittelalterlichen Orienthandels waren vereinzelt persische Kaufleute bis Deutschland gekommen und boten ihre Waren an, wie auch umgekehrt deutsche Kaufleute und Handwerker bis nach Persien kamen. Das "Reisebuch" des 1427 zurückgekehrten bayrischen Landsknechts Hans Schiltberger war der erste deutsche Augenzeugenbericht über Persien, das damals als Wunderland der Pracht und des Luxus galt. Spätere Reisende brachten auch die Werke persischer Dichter in den Westen.

Im 16. Jahrhundert besuchten die ersten deutschen Gesandschaften Persien. 1600 kamen die ersten von Schah Abbas d. Gr. entsandten Perser zu Gegenbesuchen - nach einjähriger Reise. 1602 schickte Kaiser Rudolf II Botschafter an den persischen Hof. Die beiden Kaiser schlossen ein Bündnis gegen die Türken. Die Gesandschaften kamen - über die Erkundung des Landes durch mitgereiste Gelehrte wie Olearius - auch dem Handel zugute. Umgekehrt besuchten im 19. Jahrhundert viele persische Kaufleute deutsche Messen. Während Persien zum Spielball der russisch-britischen Rivalität wurde (vgl. AiD-Karte), schlossen Preußen und Persien 1857 den ersten Freundschafts- und Handelsvertrag. Es kam zu einer, wie Friedrich Kochwasser schreibt, "friedlichen Durchdringung, aber keiner Kolonisierung" des Landes. 1873 reiste Schah Nasr ed Din nach Berlin und zeigte sich tief beeindruckt von der Hauptstadt des "Nemses-Reiches".

Im 1. Weltkrieg war Persien, das immer seine Unabhängigkeit hatte wahren können, neutral. Deutschland blieb Persien gegenüber loyal, insbesondere gegen die Briten. Der deutsche Konsul Waßmuth spielte in Südpersien die Rolle eines "deutschen Lawrence von Arabien". So blieb das deutsche Prestige rein wirtschaftspolitischer, aber keinerlei politisch-kolonialer Interessen gewahrt. Die Loyalität gegenüber Persien wurde zur Basis einer echten Freundschaft. Die unbeschwertesten Jahre dieser Sonderbeziehungen begannen mit dem Machtantritt Reza Schah Pahlavis 1926 - der sogleich Reformen einleitete und deutsche Fachleute ins Land holte. Während Deutschland Rohstoffe importierte, bezog der Iran industrielle Ausrüstungen und Aufbaudienste. Es wurden Firmen errichtet, ein Telefonnetz aufgebaut, Eisenbahnlinien gebaut und ein Flugnetz eingerichtet. Die deutsche Community wuchs von 140 (1925) auf 1.500 (1938) Personen. Der Iran interessierte sich vor allem für deutsche Technik und technisches Wissen, weniger für Geisteswissenschaftliches. Die meisten der vielen Tausend vom Schah auf Staatskosten zur Ausbildung nach Deutschland entsandten sog. "Staatsstudenten" besuchten technische Hochschulen. Der 2. Weltkrieg führte zu einer Unterbrechung der Beziehungen, aber schon ab 1949/50 wurden Jungbauern, Telefonistinnen und bald auch wieder Studenten zur Ausbildung nach Deutschland geschickt - unter ihnen viele Absolventen deutscher Gewerbeschulen im Iran.

Zwar bildete die Revolution 1979 eine einschneidende Zäsur der stetig ausgebauten Wirtschaftskontakte, aber zu einem Abbruch der Verbindungen kam es nicht. Von 250 deutschen Firmen mit eigenen Repräsentanten im Iran blieben gut 100. Ernsthaft gefährden konnten politischen Entwicklungen die wirtschaftlichen Beziehungen nie. Außenminister Hans-Dietrich Genscher war 1984 der erste hochrangige westliche Politiker, der das Land wieder besuchte. Stark kritisiert wurde, dass man trotz Menschenrechtsverletzungen weiter an Geschäfte dachte. Daran änderte auch die Fatwa Ayatollah Khomeinis gegen den Schriftsteller Salman Rushdie 1989 wenig. Während Exil-Iraner für einen "Kulturboykott" plädierten, propagierte Genschers Nachfolger Klaus Kinkel den so genannten "kritischen Dialog". Man könne den Iran nur bei einer Fortsetzung der Wirtschaftskontakte beeinflussen, hieß es.

Zwei weitere Beziehungskrisen führten zum Scheitern dieses Ansatzes. Zunächst beantwortete der Iran das so genannte "Mykonos-Urteil" eines Berliner Gerichts 1997 mit der Verhaftung des regimekritischen Schriftstellers Faradsch Sarkuhi und dem Todesurteil gegen den deutschen Geschäftsmann Helmut Hofer. Das Gericht hatte unverblümt staatliche Stellen als Auftraggeber für die Ermordung vier kurdisch-iranischer Oppositioneller im Lokal "Mykonos" 1993 benannt. Erst mit dem Amtsantritt Chatamis kam es zu einer Wende. Sarkuhi und Hofer durften ausreisen. Den an Chatami geknüpften hohen Erwartungen konnte der ehemalige Vorstand der Hamburger Moschee jedoch nicht gerecht werden. Zwar kam es zu einer kulturellen und außenpolitischen Öffnung, den erhofften grundlegenden Systemwandel wußte die reformfeindlichen Nomenklatura jedoch zu verhindern.

Zur jüngsten Beziehungskrise kam es am 9. April 2000. Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte 17 iranische Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle zu einer Konferenz nach Berlin geladen. Einige Exiliraner provozierten durch Selbstentblößung tumultartige Szenen. Der reformfeindlichen iranischen Justiz bot dies einen willkommenen Anlass, sie mit den Gegnern der Islamischen Republik in Verbindung zu bringen und den für den Juli des Jahres geplanten Staatsbesuch Chatamis zu hintertreiben. Bis auf zwei, die in Deutschland Asyl erhielten, wurden alle Teilnehmer verhaftet. Das ursprüngliche Ziel der Tagung - der Kulturdialog - war in sein Gegenteil verkehrt worden.

Trotz dieser Turbulenzen verlief Chatamis Staatsbesuch im Juli 2000 erfolgreich. Unter anderem wurde in Weimar ein Hafis-Goethe-Denkmal eingeweiht. Es erinnert daran, wie alt der Dialog der Kulturen ist. Nun gilt es, die ein Vierteljahrhundert auf ein Minimum reduzierten Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen neu aufzubauen.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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