Ausländer in Deutschland 2/2003, 19.Jg., 25. Juli 2003

SCHWERPUNKT:
WOHNSITUATION VON MIGRANTEN

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Von der Baracke zum Eigenheim

Zur Veränderung der Wohnsituation von Ausländern in Deutschland


Wohnheim in Bayern,
1960er-Jahre

Die Zeiten, in denen in Istanbul oder Belgrad "angeworbene" Gastarbeiter in Wohnheimen, "Unterkünften" oder gar "Gastarbeiterlagern" untergebracht wurden, liegen einige Jahrzehnte zurück. Seither haben sich die Wohnverhältnisse der Ausländer in Deutschland erheblich verändert. Während große Teile der 1. Generation - die damals so genannten "Gastarbeiter" - häufig in Wohnverhältnissen lebten, die man heute als unzumutbar oder menschenunwürdig bezeichnen würde, haben sich die meisten der rund 7 Millionen Ausländer mehr oder weniger erfolgreich auf dem deutschen Wohnungsmarkt etabliert.

Der Aufstieg von der Wohnbaracke zur Mietwohnung im Altbau, im Wohnsilo - oder gar zum Eigenheim - hat nicht nur mit gestiegenem Einkommen und Marktmechanismen zu tun, sondern ganz wesentlich auch mit der Tatsache, dass sich die Zukunftsorientierung der ausländischen Arbeitnehmer seit der ersten Generation entscheidend geändert hat: von der ursprünglichen Rückkehroption ins Heimatland, verbunden mit spartanischer Lebensweise und eisernem Sparwillen hinüber zum dauerhaften Verbleib in Deutschland, der für die meisten den Familiennachzug oder die Familiengründung und die Suche nach angemessenen Wohnverhältnissen zur Folge hatte. Was "angemessen" ist, darüber gehen die Normen der Wohnungsversorgung, die tatsächlichen Wohnverhältnisse und die subjektiven Vorstellungen in den sozialen Schichten und verschiedenen Ausländergruppen allerdings weit auseinander.

Wohnen - ein Indikator für soziale Integration

Das auf den ersten Blick etwas unscheinbare Thema Wohnen ist in Wirklichkeit sehr komplex und hat mit vielen spannungsreichen, zum Teil konfliktgeladenen Aspekten zu tun: mit Wohlstand und Armut, mit Einkommen und Kostenbelastung, mit Wohnformen und Wohnumfeld, mit Nachbarschaft und Isolation, mit Markt und Reglementierung, mit Lebensstandard und Sozialprestige. Und wenn es um das Wohnen von Ausländern geht, kommen die Dimensionen Segregation versus Vermischung, Integrationsbereitschaft (auf beiden Seiten: bei Ausländern und bei Deutschen) versus Abschottung und nicht zuletzt die kulturelle Vielfalt unserer Städte und Wohnquartiere ins Spiel.

Ob "normale" oder gute Wohnbedingungen Voraussetzung für die Integration von Ausländern sind oder die Folge eines längeren Angleichungsprozesses, ist eine eher akademische Frage. Fest steht, dass die dauerhafte soziale Integration bei schlechten und diskriminierenden Wohnverhältnissen nicht gelingen kann. Daten zur Wohnsituation sind deshalb ein gern genutzter Gradmesser der Integration, zumal diese relativ gut greifbar und in zeitlichen Abständen verfügbar sind.

Wohnsituation von Ausländern verbessert ...

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat 2001 in einer vergleichenden Studie[1] untersucht, wie sich die Wohnsituation von Ausländern und Deutschen zwischen 1985 und 1998 verändert hat. Im Einzelnen werden die Wohnungsversorgung und Wohnungsausstattung, der Eigentümerstatus und die Wirkungen von Umzügen von Haushalten mit deutschen und ausländischen Haushaltsvorständen analysiert. Fazit: In fast allen Punkten hat sich die Wohnsituation der Ausländer in den 1980er und 1990er Jahren deutlich verbessert; da dies aber auch für die deutschen Haushalte gilt, sind nach wie vor große Niveauunterschiede in der Wohnungsversorgung von deutschen und ausländischen Haushalten festzustellen. So verfügen 1998 zwar praktisch alle (98 %) von Ausländern belegte Wohnungen über ein Bad, eine Zentralheizung hatten jedoch nur 84 % der Wohnungen gegenüber 66 % im Jahr 1985 (deutsche Haushalte: 95 % in 1998).


BMW-Wohnheim München, Ende der 1960er-Jahre

Auch die durchschnittliche Wohnfläche pro Person hat sich in den 14 Jahren erhöht, bei Deutschen jedoch wesentlich stärker (von 39 auf 46 m2) als bei ausländischen Haushalten (von 29 auf 31 m2). Bei der Raumzahl pro Person hat sich die Situation bei Ausländern sogar verschlechtert: von 1,5 Räumen (1985) auf 1,3 Räume (1998). Dies wird darauf zurückgeführt, dass durch Umzüge aus Altbauwohnungen in neuere Etagenwohnungen häufig weniger Räume zur Verfügung stehen. Bei den Deutschen ist die Zahl der Räume pro Person von 1,6 auf 1,8 gestiegen, was auch durch die Verkleinerung der Haushalte und die Zunahme von Singlehaushalten begründet ist.


Süddeutschland, Mitte der 1970er-Jahre

Auch bezüglich der bewohnten Gebäudetypen und des Eigentümerstatus haben sich deutliche Änderungen vollzogen. Einerseits ist ein Trend des Umzugs von Ausländern in große, meist am Stadtrand gelegene Wohnblocks mit neun und mehr Wohneinheiten zu beobachten (1985 13 %, 1998 18 % der ausländischen Haushalte, deutsche Haushalte konstant bei 12 %), andererseits aber auch zum Ein- und Zweifamilienhaus: 1985 wohnten 21 % der Ausländer, 1998 23 % in diesem Haustyp, bei den deutschen Haushalten waren es unverändert 47 %. Von erheblicher Bedeutung ist der Anstieg der Eigentümerquote[2] bei Ausländern: sie stieg von 8 % in 1985 auf 13 % in 1998, bei Türken sogar von 2 % auf 12 %. Die Eigentümerquote der deutschen Haushalte fiel im Vergleichszeitraum von 41 % auf 38 %, was wiederum auf die Verselbständigung und Zunahme junger Haushalte zurückzuführen ist. Die deutliche Erhöhung der Eigentümerquote bei Ausländern ist zweifellos ein wichtiger Indikator für die steigende wirtschaftliche und soziale Integration, wobei gerade an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, dass entsprechende Zahlen für eingebürgerte Migranten die Quote wohl noch erhöhen würden; jedoch liegen darüber keine Informationen vor.

... aber noch immer Rückstand zu Deutschen

Durch einen Umzug hat sich die Wohnsituation sowohl bei Deutschen als auch bei ausländischen Haushalten signifikant verbessert: nur jeder 5. ausländische Haushalt (19 %) ist nach dem Umzug mit der Wohnungsgröße nicht zufrieden, vorher waren es 40 %. (Zum Vergleich: deutsche Haushalte vor dem Umzug 34 %, nach dem Umzug 19 %.) Auf der anderen Seite wird die Verbesserung der Wohnsituation mit einer höheren Mietbelastung[3] erkauft: sie steigt bei Ausländern von 20 auf 23 %, bei Deutschen von 23 auf 29 %.[4]

Das Fazit der vorliegenden Untersuchungen lautet: Auf der einen Seite hat sich die materielle Wohnsituation der Ausländer in Deutschland objektiv verbessert, andererseits ist eine Benachteiligung ausländischer Haushalte auf dem Wohnungsmarkt unübersehbar. Dies belegen nicht nur die schlechteren Kennziffern der Wohnungsversorgung (die im Wesentlichen auf strukturelle Faktoren wie niedrigere Durchschnittseinkommen, größere Haushalte und niedrigerer Altersdurchschnitt zurückzuführen sind), sondern auch - so die DIW-Studie - auf einen eigenständigen Faktor "Ausländereinfluss", der durch Ausschaltung der übrigen relevanten Faktoren herausgefiltert wurde. Ins konkrete Leben übersetzt heißt dies: Eine gewisse Diskriminierung von Ausländern auf dem Wohnnungsmarkt, z.B. bei der Wohnungssuche oder bei der Wohnungsbelegung, ist auch heute keine Seltenheit. Diskriminierung bedeutet immer auch Verhinderung von Integration. Derartiges abzubauen und soziale Brennpunkte in den Städten zu entschärfen, ist das Ziel vieler Initiativen und staatlicher Fördermaßnahmen, wie zum Beispiel des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt", über das auf den folgenden Seiten berichtet wird. Wenn es stimmt, dass die Integrationsbereitschaft der Deutschen in den letzten zehn Jahren zugenommen hat[5], dann müssten sich auch die Bedingungen für eine weitere Angleichung der Wohnsituation zwischen Deutschen und Ausländern verbessert haben.


[1] W.A. Clark, A. Drever: Wohnsituation von Ausländern: Trotz Verbesserung immer noch großer Abstand zu deutschen Haushalten, in DIW Wochenbericht 30/2001, Juli 2001. Grundlage ist das Sozioökonomische Panel (SOEP), eine seit 1984 jährlich wiederholte repräsentative Befragung von deutschen und ausländischen Haushalten, die Längsschnittanalysen zu den wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen ermöglicht.

[2] Eigentümerquote: Besitzer von Eigenheimen und Etagen-Wohnungen, bezogen auf alle Haushalte der jeweiligen Gruppe.

[3] Mietbelastung = Prozentanteil der Miete am Haushaltsnettoeinkommen

[4] Bezüglich der Mietbelastungsquote kommt das Statistische Bundesamt (ebenfalls bezogen auf 1998) zu einem anderen Ergebnis: 22 % aller ausländischen Haushalte wenden mehr als 40 % ihres Einkommens für die Miete auf, bei deutschen Haushalten gilt dies nur für 17 % (vgl. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, September 2002, S. 323).

[5] So das Ergebnis von Untersuchungen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR); vgl. dazu die Karte auf S. 10/11 dieses Hefts.

Autor: Martin Zwick, isoplan

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Heimliche Quote

 

Vier Jahre und mehr suchte eine Kölner Kurdin eine Wohnung für sich und ihre Familie. Mit Mann und zwei kleinen Kindern lebte sie in zwei Zimmern ohne Heizung, die Söhne waren dauernd erkältet. Sie hat Zeitungsanzeigen hinterhertelefoniert: Als die Vermieter das akzentfreie Deutsch der jungen Frau hörten, hieß es: "Kommen Sie schauen". Als sie wenig später mit Kopftuch vor der Tür stand, hieß es: "Tut mir leid, schon vergeben". Auch bei der Baugesellschaft "Grund und Boden", dem größten Kölner Unternehmen, das öffentlich geförderte Wohnungen baut und vermietet, bekam die junge Mutter mehrmals eine Absage. Es hieß, einige Leute stünden seit 10 Jahren auf der Warteliste, da solle sie sich bitteschön gedulden und kein Theater machen.

Wohnungen sind in Köln knapp, das stimmt. Aber die Kurdin sah immer wieder leere Räume in den Neubauten, fragte nach und bekam zu hören: "Es gibt schon zu viele Ausländer drin, mehr nehmen wir nicht". Sie wandte sich an das Antidiskriminierungsbüro des Kölner Vereins "Öffentlichkeit gegen Gewalt". Der Verein schrieb an "Grund und Boden" und bekam eine Antwort: "Generell sind wir bemüht, eine Durchmischung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu erreichen". Jeder Bewerber werde jedoch einzeln geprüft, und für diese Familie sei nichts Passendes da gewesen.

Die Vermutung, dass bei den Sozialwohnungen Ausländerquoten gelten, weist "Grund und Boden" weit von sich hin. Das Unternehmen wolle lediglich, dass sich seine Hausgemeinschaften wohl fühlen. Die Wohnungssuche ist das häufigste Problem, mit dem sich Migranten an die Beratungsstellen von "Öffentlichkeit gegen Gewalt", Caritas, der Diakonie und andere wenden. Da es schwer nachzuweisen ist, dass eine systematische Ablehnung wirklich aufgrund von Vorurteilen und ethnischer Herkunft geschieht, empfehlen die Berater, genau Buch zu führen: Wann, von wem, welche Antwort... In Köln haben sich mehrere Vereine und Wohlfahrtsverbände vernetzt und wollen möglichst viele Fälle dokumentieren, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen und eine interkulturelle Öffnung der Behörden oder kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zu bewirken. Auch in der Hoffnung auf ein künftiges Antidiskriminierungsgesetz, mit dem ein Klagerecht für Verbände eingeführt wird. Dann müssen sich die Betroffenen nicht mehr allein vor Gericht durchkämpfen.

Über Ausländerquoten beim öffentlich geförderten Wohnungsbau gehen die Meinungen auseinander. Die Befürworter wollen die Ghettobildung verhindern. In den meisten Großstädten, vermutet der Pressesprecher der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Bernd Knopf, gebe es heimliche Obergrenzen: Sie werden nicht offen benannt, weil eine Einschränkung, die nur auf Herkunft beruht, ein Diskriminierungstatbestand wäre. Der Vermieter darf sich natürlich aussuchen, wem er die Wohnung gibt. Das bedeutet: In Köln und anderen Orten mit Wohnungsnot müssen Ausländer auf dem freien Markt suchen und sich sehr oft mit schlechten Wohnungen für horrende Mieten begnügen. Bei einem großen Leerstand wie in Berlin nimmt man dagegen jeden. In Berlin und Frankfurt/Main wurden bestehende Quoten schon vor Jahren abgeschafft, bestätigt Tülin Kabis-Staubach vom Dortmunder Planerladen. In Duisburg waren sie beabsichtigt, wurden dann aber doch nicht eingeführt. Daß die heimliche Quote in Dortmund nach drei Jahren aufgegeben wurde, sei ein Erfolg des Planerladens. Der Verein hatte sie publik gemacht und dagegen protestiert. Denn nach Meinung der Experten lässt sich das schlechte Image und der soziale Abstieg eines Viertels eher durch Stadtteilentwicklung und ein attraktives Umfeld vermeiden. Dann würden auch Besserverdiener dort bleiben oder hinziehen wollen.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Tür auf, Nase rein!

 

 

Die Neugierde auf anderer Leute Leben lässt Anja Frederichs und Rupert Meyer keine Ruhe. Nur dass sie nicht verstohlen durch Fenster und Türen linsen, sondern hineingehen - mit Digitalkamera und Stativ. Spionieren erlaubt, Spionieren sogar ausdrücklich erwünscht! Die beiden, von Hause aus Filmwissenschaftlerin und Kunsthistoriker, filmen Arbeitsplätze und Wohnungen in Nordrhein-Westfalen und stellen sie auf die Internetseiten des Westdeutschen Rundfunks (www.wdr.de/online/nrwprivat). Jede Woche kommt eine neue Stätte hinzu: Mit der Zeit soll ein Kaleidoskop der Lebens- und Arbeitswelt in NRW entstehen.

Neben der herrschaftlichen Villa oder der Studentenbude zeigen sie die drei Zimmer einer türkischen Familie wie auch die mongolische Jurte, in einem Kölner Hinterhof versteckt. Sie schipperten auf einem rheinischen Lastkahn und guckten in einem türkischen Supermarkt hinter die Theke. Vor etwa zwei Jahren begann das Paar, seine Nasen in die Privatangelegenheiten anderer Leute zu stecken. Dabei begnügen sie sich nicht mit den präsentablen und repräsentativen Räumen, oh nein. Sie durften in jeden Winkel hinein, einschließlich Schlafzimmer, Toilette und Keller. Der Website-Besucher darf sich mehr Freiheiten als jeder reale Gast herausnehmen: Durch Anklicken öffnet er eine Schublade, schaut den Stapel Bücher auf dem Nachttisch an, betrachtet näher das Familienbild an der Wand oder die Ansammlung von Kosmetika im Bad. Intimes ist Tabu, aber der Kühlschrankinhalt sowie die CD-Sammlung ziehen in fast jeder Wohnung die Kamera an.

Frederichs und Meyer machen keine Webcam-Story: Ihre Wohnungen sind höchstens von einem Haustier bewohnt. Sie verraten weder die Namen der Gastgeber noch deren Alter, Beruf und sonstige Interessen. Die Angaben sind äußerst knapp. So erfahren wir, dass z.B. die Besitzer der bunten mongolischen Truhen je ein Drittel des Jahres in Deutschland, in der Mongolei und in Polen verbringen. Nichts mehr. Beseelt sind die Räume trotzdem. Die Künstler führen lange Gespräche mit ihren Gastgebern und leiten so den Blick auf Verborgenes. Im Wohnzimmer der türkischen Familie stehen die Matratzen hochkant, weil immer wieder Verwandte aus der Heimat zu Besuch weilen. Aber das wissen nur Frederichs und Meyer, der Betrachter muss raten. Auch wer das leckere Essen gekocht hat, mit dem sie bewirtet wurden. An den Arbeitsplätzen kommen die Leute übrigens ins Bild, so ein junger türkischer Arbeiter in der Solingener Besteckfabrik.

"Voyeurismus, mit Rundfunkgebühren finanziert", schimpfen einige Site-Besucher im Gästebuch, oder auch: "totaler Überwachungsstaat". Für andere ist es "ein zärtlicher Blick in andere Lebenswelten", der so ganz anders daherkommt als die sterile Welt der Wohnzeitschriften und Hochglanzbroschüren. Die fremde Unordnung scheint überhaupt sehr tröstlich zu wirken. Bewerben kann sich jeder, der eine Wohnung hat. Die Migranten taten das jedoch nur selten. Deshalb wollen Frederichs und Meyer sie gezielt aussuchen und planen zusammen mit der Radiojournalistin Elise Schirrmacher auch eine Hörfunkversion. Die "Heimatinseln" werden ab August im WDR Funkhaus Europa ausgestrahlt.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Foto: Rupert Meyer/ Anja Frederichs

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Urwald im Kübel

Mary Fleischmann hat ein Händchen für exotische Pflanzen. Auf dem kleinen Balkon über einer vielbefahrenen Straße blühen Rhododendron und Hibiskus, aber keine Rosen. Die gebürtige Burmesin hat sich ihr Stück Urwald in der rheinischen Großstadt im Kübel gezüchtet. In den drei Zimmern der 66jährigen Dolmetscherin und Malerin gibt es "europäische" und "asiatische Ecken". In der "europäischen" steht die Schallplattensammlung, im Fernseher läuft das "Morgenmagazin", auf den Wänden hängen Don Quichotte und Leda mit dem Schwan. In der Asien-Vitrine daneben liegen kleine Bronzegewichte, mit denen auf den burmesischen Märkten Reis und Gemüse abgemessen werden. Der runde graue Stein ist Teil eines täglichen Rituals: Darauf zerreiben die Frauen ein Stück Sandelholz zu Brei und pudern sich damit das Gesicht. Das tut Mary Fleischmann auch, und ihr gleichmäßiger Teint zeugt vom Erfolg der traditionellen Kosmetik. Die Trennlinie zwischen den Kontinenten verläuft keineswegs streng: Das Handy liegt auf einem geschmiedeten Tablett, ein Kunstbuch ist auf einem prächtigen lackierten Lesepult aufgeschlagen.

"Mein Ausstellungszimmer", sagt die Malerin und zeigt auf die großen Seidenrollen an den Wänden. Sie sind mit burmesischen Schriftzeichen, Männer- und Frauenköpfen bedeckt. Das Zimmer gehörte früher ihrem Sohn, dessen Kuscheltiere noch auf dem Ikea-Sessel liegen und auf Enkelkinder warten.

Die Kunst der Seidenmalerei erlernte sie nicht in der Heimat, sondern in Schweden, im Stockholmer Ostasiatischen Museum. Zwei Jahre verbrachte sie mit ihrem Mann in Stockholm. Als Ehefrau eines deutschen Wissenschaftlers war Mary Fleischmann sozusagen privilegiert: Sie konnte ihr Land legal verlassen und einige Möbel und Erinnerungsstücke mitnehmen. Die meisten ihrer Landsleute hier sind Flüchtlinge und haben sämtliches Hab und Gut verloren. Seitdem hat sie nicht mehr Burma besucht, jedoch andere asiatischen Länder. Nach der Scheidung musste die Dolmetscherin ihre große Wohnung im einem vornehm-grünen Viertel verkaufen. Der Umzug in die lärmende Straße, zwischen einem Supermarkt und einem Fitnesscenter, fiel ihr anfangs schwer. Inzwischen wohnt sie dort seit 12 Jahren.

In der Küche steht ein massiver Mörser aus Granit, in dem die Köchin Gewürze zerkleinert. Ingwer und Knoblauch - ohne die seien die burmesischen Gerichte undenkbar. Beides gab es vor 33 Jahren nicht, als sie nach Deutschland, damals nach München, kam. Noch heute erinnert sie sich, wie sie der Heißhunger auf Knoblauch während der Schwangerschaft plagte. Diese grundlegenden Zutaten gibt es inzwischen in jedem Lebensmittelgeschäft. Wenn das kein Fortschritt ist.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Foto: Rupert Meyer/ Anja Frederichs

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Labyrinth für Handwerker


Rita Crociani

Pinocchios lange Nase als Trichter: Ein Hersteller von Küchengeräten hat sich des italienischen Märchenklassikers bedient. Ein witziger Blickfang in der Küche von Rita Crociani. Blickfänge hat sie auch sonst genug: Man könnte stundenlang durch die Wohnung wie durch eine Kunstgalerie streifen und hier eine etruskische Statuette dort eine japanische Maske betrachten.

Vor zehn Jahren kauften die Italienerin und ihr deutscher Ehemann die Wohnung im denkmalgeschützten Altbau. Als erstes ließen sie die Innenwände aufbrechen. Heute haben nur das Schlafzimmer und die Gästetoilette Türen. Sonst fließen die Räume ineinander und bilden ein Labyrinth, indem sich Handwerker öfters verirren. Und der Gastgeberin bieten sich immer verschiedene Blickwinkel auf ihre Schätze aus aller Welt an. Denn eine Weltenbummlerin war und ist sie. Mit 27 Jahren - das ist schon 30 Jahre her - hatte sie das Leben in Florenz satt. Eine Freundin riet ihr, nach Deutschland zu gehen. "Sie meinte, Deutschland würde mir gut gefallen, weil ich so präzise und rüpelhaft bin". Außer "Lili Marlen" konnte die junge Frau zwar kein Wort Deutsch, aber das hielt sie nicht auf. Am nächsten Morgen kündigte Rita Crociani im Büro, bewarb sich als Au-pair-Mädchen und bekam eine Stelle bei einer Bonner Familie. In Bonn lernte sie die Sprache, studierte später Mathematik und römische Geschichte und arbeitete für verschiedene Export-Import-Firmen in Deutschland und der Schweiz. Heute organisiert sie die Termine für ein Orchester und betreut die Musiker. Mit ihrem Mann verbrachte sie einige Jahre in New York, lebte auch in Japan und bereiste noch viele weitere Länder. Kein Wunder, dass die Bücherregale aus aufeinander gestapelten Kisten bestehen. Diese wurden von einer auf Studenten spezialisierte Schreinerei hergestellt und sind bei Umzügen sehr praktisch.

Rita Crociani ist nun Witwe, aber an der langen Tafel ist immer noch Platz für viele Freunde. Über dem Tisch hängt eine Karte der Welt wie sie noch vor zwei Jahrzehnten aussah: mit der Sowjetunion, dem geteilten Deutschland und anderen nicht mehr existenten Staaten drauf. Die Karte ist ein amerikanischer Duschvorhang, der statt Wasserspritzer im Bad abzufangen nun den Gästen immer wieder Gesprächsstoff liefert.

Bei der ganzen Weltoffenheit hat Rita Crociani sich ein paar toskanische Ecken bewahrt: an der Wand eine hügelige Landschaft mit Zypresse, Großmutters verblasstes Foto im Regal, die getrockneten Rosmarin- und Lorbeer-Blätter. Schade, dass der Lorbeerbusch den kalten Winter nicht überstanden hat. Und das tägliche Capucchino-Ritual wird ohne teure Maschine zelebriert: mit einem Espresso-Kännchen und frischer geschäumter Milch. Kein Kakaopulver, "denn das wäre süditalienisch".


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Foto: Rupert Meyer/ Anja Frederichs

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Flüchtlings-
unterkünfte

 

Die Wohnsituation von Asylbewerbern und Flüchtlingen - dieses Thema steht unter besonderen Vorzeichen, denn beide Gruppen werden nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst in sog. Gemeinschaftsunterkünften (GU) untergebracht. Allgemeingültige Aussagen über deren Qualität sind bislang kaum möglich. So kam das isoplan-Institut in Untersuchungen zu den Lebensverhältnissen von Flüchtlingen in Thüringen und im Saarland zu unterschiedlichen Ergebnissen: Während die Verhältnisse in Thüringen insgesamt kritikwürdig waren, gab es im Saarland relativ wenig zu beanstanden. Anders als in Thüringen sind die GU im Saarland meist innenstadtnah gelegen, ein Kontakt mit der Aufnahmegesellschaft wird dadurch möglich. Auch die Gestaltung des Wohnumfeldes weicht stark voneinander ab: Im saarländischen Lebach beispielsweise ist das Umfeld der GU relativ ansprechend mit viel Grün gestaltet, ein Spielplatz befindet sich auf dem Gelände. Damit gehen positive Wirkungen auf die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen einher. Die Innenausstattung ist allerdings eher zweckmäßig-spärlich. Die Zimmer sind lediglich mit Betten, einem Tisch, Stühlen und einem Kühlschrank ausgestattet. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gibt es im Saarland keine festgelegte Mindestquadratmetergröße; in Thüringen beläuft sich diese z.B. auf 6 m² pro Person. In einem Zimmer sind zwei bis sechs Personen untergebracht. Auch die Aufenthaltsdauer ist von entscheidendem Einfluss auf das Wohl der Bewohner. Im Saarland leben mehr als 30 % weniger als sechs Monate in den Unterkünften, über 40 % jedoch zwischen einem und fünf Jahren - was eindeutig zu lange ist. Die Enge und die Tatsache, dass Eltern und teilweise erwachsene Kinder gemeinsam untergebracht werden sowie die Fremdversorgung und die fehlende Beschäftigung führen oft zu psychosozialen Problemen. (vf)

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