Ausländer in Deutschland 3/2003, 19.Jg., 15. Oktober 2003

ARBEITSPLATZ DEUTSCHLAND


Dünn gepolstert

Ein Tag im Regionalen Förderzentrum für ausländische Existenzgründer

Das RFZ-Team bei der Messe "START"

Herr Tomassi kommt vorbereitet. In der schwarzen Ledermappe stecken sämtliche Unterlagen und der Gewerbeschein. Sein Businessplan umfasst an die 50 Seiten, schlanke Ziffernspalten, Einnahmen und Ausgaben für das erste, zweite und dritte Jahr. Der gelernte Bankkaufmann weiß Umsatz von Gewinn zu unterscheiden. Für das Regionale Förderzentrum für ausländische Existenzgründer (RFZ) ein leichterer Beratungsfall: Man muß nicht beim ABC anfangen. Macht nichts, dass der ehemalige Bankangestellte nun vorhat, statt mit Konten und Bilanzen mit Mehl und Pfanne zu hantieren. Gelernt ist gelernt.

"Crêpes de Phil", nach seinem Vornamen Philipp, hat Tomassi seine Kölner Crêperie benannt. Bevor er mit der französischen Fast-food-Variante loslegt, braucht er Startkapital, 29.000 Euro genauer gesagt. Die neuen "Mikrodarlehen" für Existenzgründer der Deutschen Ausgleichsbank seien wie geschaffen für ihn, aber die Hausbank hätte kein Interesse daran, sie zu vermitteln, schimpft er: zwar kein Risiko drin, aber auch kein Gewinn.

Berater Karsten Schulz pflichtet ihm bei und behält den Businessplan zur gründlichen Prüfung. Dann trägt er noch einen Haufen Papiere zusammen. Den Branchenbrief Gastronomie, die DtA-Broschüre, ein paar Internet-Adressen, Checklisten. Philipp Tomassi hat bereits ein Seminar beim RFZ mitgemacht. Das ist sein zweiter Termin. 1994 hatte er schon ein Gewerbe angemeldet, aber erst gar nicht damit angefangen, da ihm damals die finanziellen Polster fehlten. Die sind auch jetzt nur dünn wie Crêpes, aber ... . Vor einem Jahr hat er seine letzte Stelle im Reklamationsdienst eines Elektronikhändlers gekündigt - weil er mit dem Chef nicht zurechtkam, deutet er an. Mit 47 Jahren sei es immer schwieriger, einen Job zu finden, der einem gefällt. Nicht, dass er wenig flexibel wäre. Seitdem er begriffen hat, dass er mit französischem Diplom und nicht so ganz perfektem Deutsch in den hiesigen Banken keinen Arbeitsplatz finden würde, hat er sich als Gärtner, Lagerverwalter und noch vieles anderes versucht. Pfannkuchen zu backen hat der Alleskönner in seiner Jugend in Frankreich auch einmal gelernt.

Seine Frau und ein paar Freunde würden ihn nun finanziell unterstützen. Es bleibt noch viel zu tun: Versicherungen abschließen, Kredit beantragen, im Arbeitsamt vorsprechen. Tomassi steht entweder Überbrückungsgeld oder der Zuschuss zur Ich-AG zu, damit er aus der Arbeitslosenstatistik verschwindet und die Selbständigenquote vergrößert. Es ist keine Frage des Rechtsanspruchs, sondern der Mathematik. Bringt es ihm mehr, sechs Monate lang sein letztes Arbeitslosengeld zu beziehen oder die 600, später 360 bzw. 240 Euro monatlich drei Jahre lang, wie es das Hartz-Konzept will? Der Crêpes-Bäcker ahnte bisher nicht, dass er auch eine "AG" sein kann, wenn auch eine ohne Aufsichtsrat und Aktionäre. Im Arbeitsamt habe ihm niemand etwas davon gesagt.

Das in Köln ansässige RFZ ist auf ausländische Existenzgründer spezialisiert und berät sie kostenlos, mehrsprachig und interkulturell. Letzteres heißt, mit Blick auf die geschäftlichen Gepflogenheiten anderer Länder. Es kommt z.B. ein türkischstämmiger Gründer und will einen Supermarkt eröffnen. Da sollen Onkel und Tante bei Engpässen aushelfen und der Cousin Buch führen, alles ohne Vertrag. Eine deutsche Bank würde ihn nie ernst nehmen, aber so funktioniere das Geschäft tatsächlich, sagt Schulz, Leiter des Modellprojekts RFZ. Deshalb begleiten die Berater ihre Klienten notfalls zu Banken und Behörden und leisten Überzeugungsarbeit.

Das Förderzentrum ist im Sommer 2001 von den Verbänden der portugiesischen, türkischen und griechischen Unternehmer in Deutschland sowie von je einer spanischen und italienischen Weiterbildungseinrichtung geschaffen worden. Die Verbände nutzen ihre Kontakte zu den Herkunftsländern, um Export-Import-Nischen aufzutun. "Ethnisches Gewerbe und Handel", Imbissbuden und Marktstände sind jedoch längst nicht alles, womit Einwanderer sich selbständig machen. Das RFZ hat nach eigenen Angaben bis September 2003 an die 300 Leute aus Nordrhein-Westfalen betreut, darunter Künstler, Architekten, Handwerker und Dienstleister jeglicher Art, auch solche aus der IT- und Medienbranche. Allein in der ersten Jahreshälfte 2003 haben sich 57 Migranten selbständig gemacht, weitere 19 ihre bereits bestehenden Unternehmen gefestigt. Dadurch wurden insgesamt über 80 Arbeitsplätze geschaffen.

Der zweite potenzielle Gründer wartet schon vor der Tür. Es ist ein junger Mann mit schwarzen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren. Eduardo Arrays will seinen langweiligen Beruf als Bürokaufmann ad acta legen und Shows an Diskotheken und private Feiern verkaufen. Dabei auch selbst als Tänzer - Arrays kommt aus der Heimat von Samba und Rumba - und Animateur auftreten. Er hat weder Eigenkapital noch irgendwelche Sicherheiten, meint aber, sie gar nicht zu brauchen. Er plant, als Freiberufler für die selbe Event-Agentur zu arbeiten, bei der er zuletzt angestellt war, und sich allmählich eine eigene Kundschaft aufzubauen.

Bis zum nächsten Treffen soll Arrays seine Hausaufgaben machen: nachrechnen, ob Überbrückungsgeld oder Ich-AG eher lohnt. Kostenvoranschläge für Dekoration, Buffet, Kostüme, Vorführungen schreiben und bei den Diskos nachfragen. Der gebürtige Brasilianer ist zuversichtlich, dass die Erlebnishungrigen ihm die Dschungel-, Halloween- oder Salsa-Parties wie warme Semmeln aus den Händen reißen. "Den Leuten reicht es nicht, einfach zur Musik abzutanzen - sie wollen auch etwas drum herum".

Eine Woche später ruft Arrays an. Seine Entscheidung steht: Er will eine Ich-AG gründen. Mittlerweile hat er diese registriert. Herr Tomassi allerdings sucht immer noch einen Kreditgeber, was wegen fehlender Sicherheiten schwer ist. Karsten Schulz wird noch weiter helfen müssen.

Kontakt:
Regionales Förderzentrum für ausländische Existenzgründer und Unternehmer, Gothaer Allee 2, 50969 Köln, Tel.: 0221/93655-730, Fax: -739, info@foerderzentrum.org
www.foerderzentrum.org
 


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Verschlech-
terung der Arbeitsmarkt-
lage

 

Gelsenkirchen. Die Lage der ausländischen Arbeitnehmer hat sich nach Angaben des Gelsenkirchener Instituts Arbeit und Technik (IAT) drastisch verschlechtert. Wie das Institut Ende August 2003 mitteilte, hat die Beschäftigtenquote in den vergangenen 20 Jahren um fast zehn Prozent abgenommen. Vor allem sprachliche Defizite, schlechte Schulabschlüsse und niedrige Qualifikationen behinderten den Eintritt in den Arbeitsmarkt und in existenzsichernde Beschäftigungen, berichtet das IAT nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z. vom 26.08.03). Dies ist das Ergebnis einer Studie, die das IAT für die Europäische Union erstellt hat. (esf)

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