Ausländer in Deutschland 3/2003, 19.Jg., 15. Oktober 2003

FORSCHUNG

Ohne Zuwanderung keine Zukunft

Die StadtRegion Stuttgart im Jahr 2030

Der Großraum Stuttgart gehört heute schon europaweit zu den multikulturellsten Regionen. Rund ein Viertel der Stuttgarterinnen und Stuttgarter sind Zuwanderer. Wie wird die Region mit ihren 2,6 Millionen Einwohnern im Jahre 2030 aussehen? Dieser Frage ist ein Forschungsprojekt nachgegangen, dessen Abschlussbericht jetzt vorliegt.

Wegen des wachsenden Arbeitskräftebedarfs wird die Zuwanderung von ausländischen Arbeitnehmern in den Stadtregionen, die bereits heute über die höchsten Anteile von ausländischer Bevölkerung verfügen, besonders stark sein. So lautet ein Ergebnis der Studie, die auch für andere Ballungsräume aussagekräftig sein dürfte. Als dynamischer Wirtschaftsstandort wird die Stadtregion Stuttgart ihren Bedarf an Arbeitskräften verstärkt durch die Anwerbung von Migranten decken. Die Region Stuttgart muss deshalb "ihr kulturelles Profil schärfen, ihre natürlichen wie urbanen Qualitäten bewahren und sich als weltoffener Standort präsentieren, an dem Fremde willkommen sind und der als Lebensmittelpunkt auch für Individuen und Familien ferner Kulturkreise attraktiv ist."

Die Städte und Gemeinden sind - so die Untersuchung - noch unzureichend auf diese Zukunftsperspektive eingestellt .Es fehle nicht nur auf kommunaler Ebene die mentale Bereitschaft, sich auf eine verstärkte Zuwanderung einzulassen. Die kommunalen und regionalen Infrastrukturen müssten entsprechend vorbereitet werden. In einem "Leitbild Integration" weist die Untersuchung darauf hin, dass Zuwanderung als Chance und Voraussetzung für eine prosperierende Stadtregion Stuttgart begriffen werden muss. Neben der Entwicklung angepasster Weiterbildungsstrategien für eine alternde Erwerbsgesellschaft ist die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte eine Voraussetzung für die wirtschaftliche Dynamik der Region. Die gesellschaftliche Partizipation der Migranten ist - wie die Untersuchung weiter feststellt - eine wesentliche Voraussetzung für ihre erfolgreiche gesellschaftliche Integration. Die Studie, die im wesentlichen auf Expertenbefragungen beruht, bestätigte, dass auf jeden Fall in den Ballungsräumen in Zukunft immer mehr alte Menschen und immer mehr Zuwanderer leben werden.

Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung in Bad Cannstadt 2001. 
(Quelle: LHS Stuttgart, Statistisches Amt)

Die Untersuchung unterstreicht die Tatsache, dass Deutschland auf Grund der demographischen Alterung vor einer dramatischen Veränderung der Bevölkerungsstruktur steht. Unsere kollektiven Sicherungssysteme - vor allem der Generationenvertrag der Rentenversicherung - seien in Frage gestellt. Die Einflussmöglichkeiten auf die Geburtenrate werden als eher gering eingeschätzt. Der Trend beim Rückgang der Erwerbstätigenzahlen könne vor allem durch die Zuwanderung von Arbeitskräften abgemildert werden. Der verstärkten Technologieorientierung, einer erhöhten Frauenerwerbsquote oder einer längeren Lebensarbeitszeit wird dabei eine geringere Bedeutung zugestanden. Die Zuwanderung wird von den befragten ExpertInnen als eine Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Region Stuttgart angesehen.

Die Fachleute gehen davon aus, dass soziale und ethnische Segregationserscheinungen zunehmen. Diese werden nach den Ergebnissen der Studie ein Spiegelbild der steigenden sozialen Disparitäten sein. In den deutschen Städten werde sich dadurch eine "soziale Unterklasse" etablieren. Eine ethnische und soziale Durchmischung in den Stadtvierteln sei wünschenswert. Freiwillige Segregation sollte jedoch toleriert, unfreiwillige Segregation aber abgebaut werden. Erforderlich sei deshalb eine Neuorientierung der Belegungspolitik im sozialen Wohnungsbau. Nach der Studie ist klar: die StadtRegion Stuttgart 2030 ist auf eine verstärkte und qualifizierte Arbeitsmigration angewiesen. Zuwanderung in die Region sei deshalb als Chance zu begreifen. Die emotionale Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber Zuwanderung müsse auf jeden Fall gestärkt werden.

Screenshot Quartierszenario Schmelztiegel Bad Cannstadt

Ob allerdings wirklich in 30 Jahren im Ballungsraum Stuttgart große Moscheen mitten in Wohngebieten stehen werden, die Kindergärten in Altenheimen umgewandelt worden sind oder der Bürgermeister von 0stfildern im Kreis Esslingen wirklich Yilmaz heißen wird, das vermag die Studie freilich auch nicht vorherzusagen. Sie will vielmehr auf Probleme und Lösungsvorschläge hinweisen, Handlungsspielräume aufzuzeigen, Denkanstöße geben und Leitbilder formulieren. Prof. Dr. Richard Reschl , einer der Verfasser der Analyse, sagt auf jeden Fall einen Ausländeranteil von 40 Prozent in der StadtRegion Stuttgart für das Jahr 2030 voraus. "Wir brauchen jetzt und in der Zukunft Migranten", hebt er hervor. Reschl sieht einen "ungeheuren Nachholbedarf" beim Thema Integration. Gerade weil es um den Großraum Stuttgart in wirtschaftlicher Hinsicht gut bestellt ist, hofft der Wissenschaftler, dass ein Teil des vorhandenen Geldes auch für die vielbeschworene Integration ausgegeben wird. In der Politik entdeckt Reschl viele "Scheindiskussionen", die an den Realitäten vorbeigehen. Für die Zukunft ist er eher optimistisch. Auch die Politik werde erkennen, dass wir auf Grund der schrumpfenden Bevölkerung Zuwanderung brauchen, wenn wir die Wirtschaftskraft wie sie heute noch in und um Stuttgart vorhanden ist, erhalten wollen. Spätestens ab 2010, wenn die demographische Krise sozusagen für alle sichtbar wird, glaubt der Wissenschaftler an ein Umdenken in Politik und Bevölkerung.

Weitere Informationen über die Studie unter: www.stadtregionstuttgart2030.de 

Bezug: 
Landeshauptstadt Stuttgart, Stadtplanungsamt, Abt.: Flächennutzungs- und Stadtentwicklungsplanung, Eberhardstraße 10. 70173 Stuttgart


Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, SWR-International

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