Ausländer in Deutschland 3/2003, 19.Jg., 15. Oktober 2003

BESCHÄFTIGUNG

Menschen ohne Papiere

"Illegale" in der EU

"Ihr sollt wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?"

Diese Frage stellte der Friedensnobelpreisträger und ehemalige Auschwitz-Häftling Elie Wiesel. In der Tat: "ungesetzliche, illegale Menschen" kann es nicht geben. Dennoch gibt es auch in der sogenannten Festung Europa das mit dem Begriff "Illegale" umschriebene Phänomen: Migranten, die ohne gültigen Aufenthaltstitel in Europa leben und arbeiten. Beispielsweise irakische Kurden, die über die Türkei und Griechenland und von dort aus mit Schiffen weiter nach Italien reisen, um irgendwo in Europa zu arbeiten. Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und nicht in ihr Heimatland zurückkehren können oder wollen. Flüchtlinge, die sich der Umverteilung nach dem Asylverfahrensgesetz entziehen und "untertauchen". Verwandte von in Europa lebenden Migranten, die ohne gültige Aufenthaltserlaubnis Unterschlupf bei ihren Familienangehörigen finden. Legal eingereiste Personen, deren Touristenvisa abgelaufen ist.

Spekulation über Zahlen

Dabei wird die Zahl der allein oder mit Hilfe von Schlepperbanden mit gefälschten Papieren oder über die grüne Grenze nach Europa eingereisten Personen deutlich überschätzt. Die meisten der in Europa lebenden Menschen ohne Papiere haben die europäischen Außengrenzen nicht illegal überschritten. Verlässliche Statistiken zu der Anzahl der in Europa lebenden "sans papiers" gibt es nicht. Die Zahl der illegal nach Europa eingereisten bzw. der sich illegal in Europa aufhaltenden Migranten kann nicht gemessen werden. Stattdessen zählt man die Aufgriffe im Grenzraum und innerstaatlichen Raum. Demnach wird über die Anzahl der Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus viel spekuliert, wobei sich die Spekulationen an der aus der amerikanischen Praxis stammenden Annahme orientieren, dass auf einen Aufgriff zwei weitere, nicht entdeckte, d.h. erfolgreiche Grenzüberschreitungen kommen. Für die Bundesrepublik Deutschland wird derzeit eine Zahl zwischen 500.000 und einer Million für realistisch gehalten. Allein in Berlin sollen bis zu 100.000 Menschen ohne Papiere leben. Trotz steigender Grenzsicherungen soll sich die Zahl erfolgreicher nicht legaler Grenzübertritte von 1993 bis 1999 mehr als verzehnfacht haben. In den letzten Jahren mehren sich die Anzeichen, dass der Zustrom "Illegaler" weiter ansteigt oder zumindest auf hohem Niveau stagniert. Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs kommen die Migranten nicht mehr nur aus dem Süden, sondern zunehmend aus dem Osten.

Dies macht deutlich, dass das offensichtliche Bemühen der EU, unerlaubte Einreise und unerlaubten Aufenthalt zu unterbinden, wenig erfolgreich ist. Solange es migrationsauslösende Faktoren gibt, wird auch die wachsende Abgrenzung der EU gegen unerwünschte Einwanderung nichts an der Tatsache ändern, dass weiterhin Menschen illegal nach Europa kommen und dort leben und arbeiten. "Illegalität ist ein alltäglicher, nicht länger politisch zu tabuisierender und vor allem nicht a priori zu kriminalisierender Problembereich der Migration, zumal es bei den "Illegalen" in aller Regel nicht um kriminelle, sondern um aufenthaltsrechtliche und arbeitsrechtliche Delikte geht", so Professor Bade, Mitglied des neuen Zuwanderungsrates.

Wer sind die "Illegalen?"

Bei einem Großteil der "Illegalen" handelt es sich um Arbeitswanderer, die mit dem Ziel nach Europa kommen, in möglichst kurzer Zeit Ersparnisse für bestimmte Zwecke im Heimatland zu erwirtschaften. Im Gegensatz zu England, Frankreich oder den USA haben die meisten in Deutschland illegal lebenden und beschäftigten Ausländer keine dauerhafte Bleibeabsicht. De facto gibt es auf dem Schattenarbeitsmarkt, dem sogenannten informellen Sektor, eine große Nachfrage nach diesen Arbeitskräften. Insbesondere im Baugewerbe, der Hotel- und Gastwirtschaft, der Landwirtschaft, dem Transportgewerbe, im Bereich der Dienstleistungen in privaten Haushalten und in der Prostitution bieten sich zahlreiche Erwerbsmöglichkeiten für "sans papiers". Sowohl beim Arbeitsmarktzugang als auch bei der Wohnungssuche kommt den sozialen Netzen, bestehend aus Familienangehörigen und Bekannten aus dem Herkunftsland eine hohe Bedeutung zu.

Die Beschäftigung von Menschen ohne Papiere ist einerseits von Ausbeutungs- und Abhängigkeitsstrukturen gekennzeichnet: Nicht selten wird ihnen der Lohn vorenthalten und die Arbeitsbedingungen liegen deutlich unter den bei legal Beschäftigten üblichen. Andererseits besteht gerade bei der Beschäftigung in Privatwohnungen ein wechselseitiges Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis, das den "Illegalen" eine bessere Verhandlungsposition gewährt.

Eine besondere Form der Beschäftigung "Illegaler" ist die Prostitution. Bis Anfang der 1990er Jahre waren vorwiegend Migrantinnen aus asiatischen Ländern (vor allem Thailand und den Philippinen) sowie einigen lateinamerikanischen Ländern (vor allem Dominikanische Republik) im Bereich der sexuellen Dienstleistungen tätig. Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs arbeiten in Deutschland verstärkt Frauen und männliche Jugendliche aus den Transformationsländern Osteuropas als Prostituierte. In Berlin stellen polnische Frauen inzwischen die größte Gruppe der schätzungsweise 7.000 ausländischen Prostituierten. Im Bereich der Prostitution sind Personen ohne Aufenthaltsrecht besonders schutzlos, da sie leicht erpressbar sind.

Personen ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus leben meist angepasst, sowohl in ihrer äußeren Erscheinung als auch in ihren Verhaltensweisen. Abgesehen von dem grundsätzlichen Verstoß gegen das Ausländerrecht treten sie strafrechtlich selten in Erscheinung. Aus Angst vor der Abschiebung wollen sie nicht "auffallen".

Das deutsche Ausländerrecht kennt keine Rechte für die "Illegalen", da sie nicht nach Maßgabe des Ausländergesetzes nach Deutschland eingereist sind und sich nicht offiziell in Deutschland aufhalten. Dennoch können auch sie bestimmte Dienste in Anspruch nehmen. So hat in Deutschland jede Person, die de facto einer abhängigen Beschäftigung nachgeht, Anspruch auf Leistungen aus der Unfall- und Krankenversicherung. Das Grundproblem besteht jedoch darin, dass die meisten aus Angst, ihr Status würde nicht weiter unentdeckt bleiben und sie würden abgeschoben, diese Möglichkeiten nicht wahr nehmen. In einigen größeren deutschen Städten hat sich diesbezüglich ein informelles Netzwerk zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus, bestehend aus Ärzten, Sozialarbeitern, Hebammen etc., gebildet.

Die "Illegalität" von Migranten ist - zusammengefasst - ein aufenthaltsrechtliches bzw. arbeitsrechtliches Problem. Laut Professor Bade kann illegale Migration durch eine Migrationsgesetzgebung und die Bekämpfung von Schleuserorganisationen nicht abgeschafft werden. Illegale Migration wird es immer geben. Seiner Meinung nach verhindern jedoch Einwanderungsgesetze, dass an legaler Zuwanderung interessierte Personen, die nicht zu den im Rahmen der Zuwanderung bevorzugten Gruppen zählen, in die Illegalität abgedrängt werden. Er sieht in einem europäischen Migrationskonzept - anstelle einer negativen Koalition der Abwehr - die Chance, der Illegalisierung von Zuwanderung entgegenzuwirken.


Autorin: Vanessa Franz, isoplan

Literaturhinweise und Quellenangaben:
- Bade, Klaus J.(Hrsg.): Integration und Illegalität in Deutschland; Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) 2001
- Alt, Jörg; Fodor, Ralf: Rechtlos? Menschen ohne Papiere, von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe 2001

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