Ausländer in Deutschland 3/2003, 19.Jg., 15. Oktober 2003

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Studien und Sachbücher

Migration und Jugendkriminalität

Die Kriminalität der deutschen Wohnbevölkerung lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht mit der nichtdeutschen vergleichen: zum einen gibt es ein hohes Dunkelfeld nicht ermittelter Täter; zum anderen setzen sich die Bevölkerungsgruppen in Bezug auf Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur anders zusammen. Die in Deutschland lebenden "Passausländer" sind im Durchschnitt häufiger männlich, unter dreißig Jahre alt und Großstadtbewohner - Eigenschaften, die generell ein höheres Kriminalitätsrisiko bergen. Hinzu kommt ein beachtlicher Anteil von Verstößen gegen das Ausländerrecht, die Deutsche nun einmal nicht begehen können. Fakt bleibt jedoch, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Jugendstrafanstalten doppelt und den Untersuchungsgefängnissen in den westlichen Bundesländern mitunter dreifach überrepräsentiert sind. Dieser Widerspruch war Ausgangspunkt einer Studie "Ausgegrenzt, eingesperrt und abgeschoben. Migration und Jugendkriminalität" an der Kölner Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt).

Die inzwischen beim Verlag Leske & Budrich veröffentlichte Dokumentation des fünfjährigen Forschungsprojektes unter Leitung von Wolf-Dietrich Bukow beschreibt zunächst, wie sich drei Problemkreise im Alltagsbewusstsein der Bevölkerung zu einem Bedrohungsszenario verdichten: Ausländer, die das Zusammenleben bedrohen, Kriminelle, die die Sicherheit gefährden und vermeintlich orientierungslose Jugendliche. Die Studie beleuchtet Aspekte der Kriminalstatistik und rekonstruiert exemplarisch sechs Biographien von allochthonen Jugendlichen in Haft. Im Anschluss daran wird das Umfeld der Jugendlichen untersucht: soziale Felder, die zum Problem werden, indem sie Kriminalisierungsprozesse auslösen oder zumindest verstärken. Auch der Strafvollzug wird ins Visier genommen und darauf untersucht, inwiefern er zur Kriminalisierung und Ethnisierung beiträgt.

Hauptziel der Studie war es, "die Aufmerksamkeit auf eine andere Sicht der Dinge zu lenken, wirklich mit allem Nachdruck Abschied von der Sündenbockstrategie zu nehmen und für eine konstruktivistische Sicht der Dinge zu plädieren, bei der die beteiligten Menschen ‚konstruktiv' miteinander umgehen können."

Bukow, Jünschke, Spindler und Tekin kommen zu dem Schluss, dass in der Wahrnehmung und im Umgang mit jugendlichen Straftätern ausländischer Herkunft ein hochwirksamer, folgenreicher Reduktionismus am Werke ist: Handlungsweisen dieser Jugendlichen werden nur unter dem sie verbindenden Aspekt der Migration interpretiert, während andere Aspekte jugendlicher Existenz unberücksichtigt bleiben. Stereotypen über Ausländer, Fremde und Kriminelle vermischen sich zu generalisierenden Vorstellungen, die ein vermeintlich eindeutiges Bild entstehen lassen - den sozialen Mythos von der "Ausländerjugendkriminalität". Damit entsteht aber eine Form der gesellschaftlichen Problembewältigung, die in einen Kulturrassismus münden kann. Damit kulturelle Differenz nicht länger mit Devianz gleichgesetzt wird, plädieren die Autor/innen für einen radikalen Perspektivenwechsel. Dieser würde bedeuten, den Blick zu lenken auf alltagspraktische Prozesse, die sich bei genauerem Hinsehen als in sich differenziert und vielfältig erweisen.

Besonders aufschlussreich sind die Biographien jugendlicher Flüchtlinge. Die Rekonstruktion ihrer kriminellen Laufbahn weist deutlich auf äußerst bedenkliche Lebensumstände hin, die ein "normales" Heranwachsen fast unmöglich machen: beengte Gemeinschaftsunterkünfte, unsichere Zukunftsperspektiven, Ausgeliefertsein für alle Arten von Ausbeutung.

Schließlich wirft die Studie auch ein anderes Licht auf die Frage der Abschiebung jugendlicher Straftäter, die regelmäßig am Ende der Haftverbüßung steht. Anders als in Frankreich, wo die "double peine" zumindest aus engagierten zivilgesellschaftlichen Kreisen mit einer medienwirksamen Kampagne an den Pranger gestellt wird, traut sich in Deutschland bislang kaum jemand an dieses heiße Eisen.

Die Dokumentation belegt einmal mehr die Stärke qualitativer Ansätze in der Migrationsforschung. Anders als in der Kriminalstatistik mit ihrer eingangs beschriebenen geringen Aussagekraft entsteht hier - gestützt auf ausführliche narrative Interviews, die eindrucksvolles biographisches Material liefern - ein wesentlich vollständigeres und überzeugenderes Bild.

Veronika Kabis

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"Bloß keine Vielfalt" - Wirtschaft blockt ab

Köln. 81 % der deutschen Unternehmen zeigen sich zugeknöpft, wenn es darum geht, Vielfalt in der Belegschaft gezielt als Erfolgsfaktor zu nutzen oder durch bewusste Wertschätzung individueller Unterschiede die Produktivität zu steigern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag der Kölner mi.st [ Consulting. "Ausgerechnet in ökonomisch schwierigen Zeiten verschenkt die deutsche Wirtschaft wertvolle Potenziale", kommentiert Inhaber Michael Stuber, der seit sieben Jahren europaweit führende Unternehmen zu Diversity berät. Auffallend sei, dass die meisten Widerstände aus dem mittleren Management kämen und personenspezifisch seien. An der Studie nahmen 31 Organisationen - überwiegend Großunternehmen - teil, die bereits erste Erfahrungen mit dem "Management der Vielfalt" machten. Die Befragten gaben an, dass sich vier Fünftel der Kollegen zurückhaltend oder blockierend gegenüber einer aktiven Anerkennung der Verschiedenheit von Menschen verhalten. "Die meisten Widerstände basieren auf Vorbehalten gegenüber der Praktizierbarkeit einer umfassenden Offenheit und auf fehlendem Verständnis für Diversity als Managementkonzept, das durch die Einbeziehung vielfältiger Mitarbeiter eine höhere Zufriedenheit aller und bessere Ergebnisse für das Unternehmen anstrebt", erläutert Stuber die Ergebnisse der aktuellen Umfrage. Mit einem fundierten Business Case und strategischer Kommunikation hätten Diversity-Manager jedoch gute Möglichkeiten, die Belegschaft zum Umdenken zu bewegen, so dass auch in Deutschland künftig Kreativität, Innovation und kontinuierliche Veränderungen zum Erfolg des Wirtschaftsstandortes beitragen. Die Deutsche Bank, Ford, BP oder Microsoft zeigten bereits, dass Diversity Mehrwert schafft, so der Berater. (esf)

Kontakt: 
Michael Stuber, mi.st [ Consulting, Richard-Wagner-Straße 25, 50674 Köln, 
Tel. 0221/22212-50, Fax -51, mi.st@NetCologne.de, www.ungleich-besser.de 

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"Was guckst du, was denkst du?"

Die Talkshows im deutschen Fernsehen inszenieren den türkischen Macho. Die Gerichtshows verurteilen den Ausländer als Verbrecher - auf diesen Nenner bringt eine Untersuchung das Nachmittagsprogramm und seine Wahrnehmung durch 9- bis 14-Jährige. Während die Kleineren sich in ihrer Sichtweise auf Ausländer nicht beeinflussen lassen, übernehmen sie ab dem 11. Lebensjahr die Stereotypen, die im Nachmittagsprogramm angeboten werden. Weitere Einzelheiten zu einer Studie über den Einfluss des Fernsehens auf das Ausländerbild von Kindern und Jugendlichen finden sich in einer im Sommer 2003 erschienenen Publikation "Was guckst du, was denkst du? Der Einfluss des Fernsehens auf das Ausländerbild von Kindern und Jugendlichen" von Bernd Schorb, Katrin Echtermeyer, Achim Lauber und Susanne Eggert. Die Publikation ist kostenlos zu beziehen bei der Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien. (M-B)

Bezug: 
Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien (ULR), Tel.: 0431 - 97 45 60 oder 0431 - 97 45 622, ulr@ulr.de

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Interkulturelle Trainings auf dem Prüfstand

Interkulturelle und antirassistische Trainings haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie sind ein wichtiger methodischer Ansatz der Antidiskriminierungsarbeit sowie der Weiterbildung von im Bereich der Integration von Migranten tätigen Mitarbeitern. Was aber ist ein gutes Training und woran erkennt man dies? Dieser Frage ist das Landeszentrum für Zuwanderung NRW 2001 in einer Fachtagung zum Thema "Interkulturelle und antirassistische Trainings auf dem Prüfstand. Evaluationskonzepte und Prüfung" nachgegangen. Nun ist eine 77-seitige Dokumentation der Tagung erschienen. Sie nennt am Beispiel der Evaluation verschiedener Trainingsangebote sinnvolle Ansatzpunkte und Standards für ein wirkungsorientiertes Controlling und für die Selbstevaluation von Organisationen und Projekten. (esf)

Bezug: 
Landeszentrum für Zuwanderung NRW, Kelderstr. 6, 42697 Solingen, 
Tel.: 0212-23239-21 bzw. 0, Fax: -18, lzz-nrw@lzz-nrw.de, www.lzz-nrw.de 

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Die Krux mit der Differenz

Das Recht von Migranten auf kulturelle Differenz wird in Deutschland höher bewertet als das Recht auf strukturelle Gleichheit. Werner Schiffauer hat sich in seiner jüngsten Veröffentlichung "Migration und kulturelle Differenz" für den Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration an die verdienstvolle Aufgabe gemacht, die Rede von der kulturellen Differenz, jener heiligen Kuh des Einwanderungsdiskurses, vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das Ergebnis ist eine Broschüre, die wissenschaftliche Erkenntnisse in einen lesbaren, geradezu fesselnden Text kleidet und in höchstem Maße praxisrelevant ist.
Schiffauer kann selbst auf mehr als zwei Jahrzehnte lange Forschungsarbeit zurückblicken, und dieser Längsschnitt erlaubt eine außerordentlich scharfsichtige Analyse der Einwanderungsgesellschaft. Im Mittelpunkt steht seine Kritik an einer Auffassung, die Integration als Akkulturation versteht, als einen linearen Prozess also, in dem sich die Migranten von ihrer Herkunftskultur lösen und im Verlauf von drei oder vier Generationen die Kultur der Aufnahmegesellschaft übernehmen würden. Demgegenüber vertritt Schiffauer die Ansicht, dass sich die Kultur der Einwanderer heute als ein "komplexes Webmuster" darstellt, in dem sich Werte, Normen und Deutungsmuster verschränken, durchkreuzen und überlagern. Anhand von Fallstudien beleuchtet er exemplarisch den Wertewandel bei türkischen Einwanderern und die Mechanismen von Selbst- und Fremdethnisierung. Er tut dies besonders eindrucksvoll am Beispiel des viel zitierten Weltbildes der "Ehre", das gerne als Bewertungskriterium hervorgeholt wird, wenn es um Straftaten von Menschen türkischer oder arabischer Herkunft geht.

Das freimütige Eingeständnis, dass gerade die Sozialwissenschaften erheblich dazu beigetragen haben, den Blick auf die kulturelle Differenz zu schärfen und damit - unabsichtlich - Festlegungen und Klischeebildungen zu befördern, ist Schiffauer hoch anzurechnen. Wenn er gleichzeitig im Schlusskapitel wieder dafür wirbt, die Differenz zu bejahen, so ist dies kein Widerspruch. Eine "kluge Politik der Differenz" geht sozusagen differenziert mit der Differenz um: Sie vermeidet Verallgemeinerungen, begreift jeden Einzelfall in seiner Besonderheit und trägt den Anerkennungsbedürfnissen von Migranten Rechnung.

Veronika Kabis, ZIB

Bezug: 
Beauftragter des Senats für Integration und Migration, Integrationsbeauftragter@auslb.verwalt-berlin.de, Tel.: 030/9017-2357 (Schutzgebühr 1,50 Euro)

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Kulturunterschiede im Umgang mit Säuglingen

Unter der Leitung der Psychologie-Professorin Heidi Keller erforschen Wissenschaftler an der Universität Osnabrück gegenwärtig Kulturunterschiede im Umgang mit Säuglingen bis zu einem Alter von drei Monaten. Mit Hilfe von Interviews, Fragebögen und Videoaufnahmen wird der Umgang von Müttern und Großmüttern in Los Angeles, Berlin, Peking, Indien sowie dem städtischen und ländlichen Kamerun ausgewertet. Die wichtigste Erkenntnis bisher: "Mütter in verschiedenen Kulturen haben sehr unterschiedliche Ideale im Umgang mit Säuglingen" sagt Keller. Kinder werden sozialisiert für die Gesellschaft, in der sie leben sollen. Das fängt beim Spielen mit Säuglingen an. Während eine Mutter in Berlin zum Spielen sagt, dass ihr Kind dabei lernt und sie eine Beziehung zu ihm aufbaut, betont eine Mutter in Kamerun, dass sie beim Spielen sieht, ob ihr Kind gesund ist. Der Nutzen der Untersuchung beschränkt sich, so Keller, nicht nur auf theoretisches Wissen. In der Praxis könnten die Ergebnisse als Grundlage für Beratungsprogramme dienen. In einer multikulturellen Gesellschaft sei es für Beratungsstellen wichtig, kulturelle Erziehungsunterschiede zu beachten. An der Uni Osnabrück bieten Psychologen eine Babysprechstunde an, in der diese Forschungsergebnisse berücksichtigt werden. (esf)

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AWO-Sozialbericht

In Deutschland werde Zuwanderung verwaltet, nicht gestaltet. Zu den Folgen gehöre, dass jedes Jahr ein Drittel mehr ausländische Säuglinge als deutsche sterben und Einwanderer im Rentenalter leichter zu Pflegefällen würden. Zu diesem Ergebnis kommt die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in ihrem Sozialbericht 2002. Besonders in der medizinischen Versorgung zeigen sich, so der Bericht, gravierende Folgen fehlender Integration. So liege die Säuglingssterblichkeit bei Babys von Migranten um 29 % höher als bei deutschen. Von 1.000 lebend geborenen ausländischen Kindern starben im Laufe des ersten Lebensjahres durchschnittlich 5,8 Kinder, bei deutschen 4,5. Zu den Gründen zählten etwa Untergewicht bei der Geburt, die schlechte soziale Lage ausländischer Mütter und fehlende Schwangerenvorsorge. Eine interkulturelle Öffnung in der gesundheitlichen Vorsorge und Behandlung gebe es nur in einzelnen wenigen Modellversuchen. Versorgungsmängel, Fehldiagnosen, Endlosdiagnostik, falsche Medikamentierung aus Missverständnissen und Hilflosigkeit hätten nachhaltige Folgen und seien zudem kostenintensiv. Ebenso wie bei der Gesundheitsversorgung kritisiert die AWO auch Mängel im deutschen Bildungssystem, Probleme hoher Arbeitslosigkeit sowie eine schlechtere Wohnsituation. Für ein besonderes Problem wird nach Einschätzung der AWO auch die steigende Zahl älterer Einwanderer sorgen: Für 2010 rechnet der Sozialbericht mit 1,5 Millionen Bürgern ausländischer Herkunft über 60 Jahre. Bei ihnen sei die Pflegebedürftigkeit besonders hoch, da sie häufig von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten betroffen seien. Die Altenhilfe müsse sich auf diese spezifischen Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe einstellen. Die Sozialbilanz nannte AWO-Bundesvorsitzender Manfred Ragatis eine "Dokumentation politischen und gesellschaftlichen Versagens". Man habe es hier "mit dem größten Defizit der deutschen Innenpolitik seit Bestehen der Bundesrepublik zu tun", erklärte Ragatis bei der Vorstellung der Studie in Berlin. (esf)

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Typisch deutsch

Die Globalisierung ist inzwischen allgegenwärtig: Kulturunterschiede sind weitgehend Alltag geworden, insbesondere in beruflichen Zusammenhängen. Über Werteorientierungen und Kulturstandards beispielsweise der Chinesen oder Türken wissen wir mittlerweile viel - oder glauben, viel zu wissen. Was aber ist typisch deutsch? Welches aber sind die deutschen Kulturstandards, die man kennen sollte, wenn man mit Deutschen beruflich zu tun hat? Dem Thema hat sich die Psychologin Dr. Sylvia Schroll-Machl in einer 2002 erschienenen Publikation "Die Deutschen - Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben" (ISBN 3-525-46164-X) gewidmet. Ihre empirisch ermittelten deutschen Kulturstandards hat Schroll-Machl systematisch dargestellt und mit einem Augenzwinkern aufbereitet. Ihre Zielgruppen sind Deutsche und Ausländer, die beruflich mit Deutschen zu tun haben. Ihr Ziel ist es, das gegenseitige Verständnis zu fördern und den Umgang miteinander zu erleichtern. Das Buch wendet sich an beide Seiten: zum einen an jene, die mit Deutschen von ihrem Heimatland aus zu tun haben oder als Expatriate für einige Zeit in Deutschland leben, zum anderen an Deutsche, die mit Partnern aus aller Welt im Geschäftskontakt stehen, per Geschäftsbesuch oder über Kommunikationsmedien. Für Erstere ist es wichtig, praxisnahe Informationen über Deutsche zu erhalten, um sich auf sie einstellen zu können. Für Deutsche selbst ist es hilfreich zu erfahren, wie nicht-deutsche Partner sie erleben. Schroll-Machl arbeitet als freiberufliche Trainerin und Coach für verschiedene Firmen, Organisationen und Ministerien im Bereich interkulturelle Trainings- und Personalentwicklung und ist Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen. Ihr beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienenes Buch kostet 25 Euro. (esf)

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Ausländer in Leipzig

Leipzig. Im Juli 2000 hat das Referat Ausländerbeauftragter der Stadt Leipzig erstmals einen Bericht "Ausländer in der Stadt Leipzig 2000" herausgegeben. Es handelte sich um eine der ersten, wenn nicht die erste entsprechende Veröffentlichung im Osten Deutschlands. Im Juli 2003 erschien unter dem Titel "Ausländer in der Stadt Leipzig 2003"die zweite Ausgabe des Berichts. Auf 68 Seiten bietet der mit vielen farbigen Grafiken aufgelockerte Text eine Fülle von Daten und Fakten über die Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in der Messestadt. Die Ausländerzahl ist seit der letzten Analyse um 20 % auf 26.000 gestiegen. Die grössten Nationalitäten sind Polen, Vietnamesen, Russen und Ukrainer. Die höchste Ausländerdichte weist das Zentrum auf, wo fast jeder vierte Einwohner keine deutsche Staatsbürgerschaft hat. Der sehr informative Bericht ist für 15 Euro (plus Versandkosten) erhältlich bei der Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig. (esf)

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Akademikerinnen türkischer Herkunft

Beim Berliner Weißensee Verlag ist im Sommer 2003 eine Publikation von Ulrike Selma Ofner zu "Akademikerinnen türkischer Herkunft" (ISBN 3-89998-006) erschienen. Ofner hat narrative Interviews mit Töchtern aus zugewanderten türkischen Familien geführt und für Band 3 der Berliner Beiträge zur Ethnologie ausgewertet. Die 365-seitige Publikation kostet 34 Euro. (esf)

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Kommunikation mit türkischen Tätern

Die ermittlungsdienstlichen Schlappen deutscher Kommissare bei türkischstämmigen Tatverdächtigen sind auch auf die Mißachtung türkischen Denkens und Fühlens sowie auf die Unkenntnis ihrer Lebenserfahrung zurückzuführen. Diese Ausgangsvermutung hat sich in Norbert Schröers kommunikationssoziologischer Fallstudie zur interkulturellen Kommunikation, die 2002 unter dem Titel "Verfehlte Verständigung" erschienen ist, bestätigt. Einem als Dealer Verdächtigten sagte ein Kommissar auf den Kopf zu: "Der Mann, der kennt dich". Der 20-jährige Deutschtürke wehrt sich und behauptet: "Ich kenn' den nicht!" Vermutlich log er aus seiner Sicht nicht. Denn unter Türken sagt man nur dann, dass man jemanden kennt, wenn man ihn persönlich kennt - nicht schon, wenn ein zufälliger Bekannter oder der Freund eines Freundes von dem Betreffenden erzählt hat.

Es sind oft diese lapidaren Missverständnisse, die es der Polizei und türkischen Tatverdächtigen - selbst wenn sie hier geboren wurden - erschweren, sich miteinander zu verständigen. Obwohl die Beamten bei Verhören deutscher Tatverdächtiger mit einer Mischung aus Droh- und Autoritätsgebaren sowie Kumpelhaftigkeit gute Erfolge erzielen, scheitern sie damit bei türkischstämmigen Beschuldigten. Entsprechend gering ist auch deren Verurteilungsrisiko. Schröer, ein Essener Soziologe, hat für seine empirische Studie drei Monate lang Polizisten eines nordrhein-westfälischen Rauschgiftdezernats bei der Arbeit begleitet. Aus gut hundert Interviews, Mitschriften und Beobachtungsprotokollen hat er die Daten zu zwei ausführlich dargestellten Einzelfallbeschreibungen verdichtet. Die Tücken und Fallstricke, in denen sich Ermittler häufig verfangen, zeigen in seiner Untersuchung drei ergänzend herangezogene türkische Gutachter.

Es zeigte sich am Beispiel von zwei des Drogenhandels beschuldigten jüngeren türkischstämmigen Männern, weshalb sie sich eloquent und geschickt allen Ermittlungsversuchen entziehen konnten. Die Polizisten machten offenbar den Fehler, mit der Tür ins Haus zu fallen und das Verhör direkt mit dem Drogenthema zu beginnen, statt einen persönlich-menschlichen Gesprächseinstieg zu wählen. Aus Sicht der Gutachter fühlten sich die Beschuldigten daher von Anfang an missachtet. Dies wurde dadurch unterstützt, dass bei ihnen auf jegliche Rechtsbelehrung verzichtet wurde. Das Gefühl der Degradierung wurde verstärkt, als die Beamten die Beschuldigten im Verhör duzten. Denn diese gingen davon aus, dass Deutsche bei der Polizei gesiezt werden. Schließlich dürfe man auch einen Türken nie einen Lügner nennen, selbst wenn er es in einer Verhörsituation mit der Wahrheit nicht immer so genau nehme. Um das Vertrauen zu gewinnen und sie zur Aussage zu bewegen, wären vor allem mehr Höflichkeit und Achtung für ihre Person nötig.

Die bei der UVK Verlagsgesellschaft in Konstanz erschienene 450-seitige Habilitationsschrift, die leider mit viel Fachjargon und methodischem Unterbau glänzt, kostet 39 Euro. (esf)

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Religionsfreiheit und Tierschutz

Beim Nomos-Verlag ist im Juli 2003 die Publikation "Das Spannungsverhältnis von Religionsfreiheit und Tierschutz am Beispiel des ‚rituellen Schächtens'" von Dr. Kyrill-Alexander Schwarz erschienen (ISBN 3-8329-0214-7). Die 96-seitige Arbeit befasst sich zum einen mit der Reichweite der Religionsfreiheit sowohl im nationalen Kontext als auch unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Fragestellungen. Daneben wird die Stellung des Tierschutzes in beiden Rechtskreisen untersucht. Im Ergebnis handelt es sich auch um einen Beitrag zur Klärung spezifischer religiöser Probleme im Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland. Zielgruppe der Publikation sind Universitäten und Verwaltungsbehörden. Die Studie kostet 45 Euro. Der Autor ist Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. (esf)

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Türken in Berlin 
1871 - 1945

Die zeitweise innige Freundschaft zwischen Türken und Deutschen hat eine lange Geschichte. Als 1878 der Berliner Kongress über die Zukunft des Osmanischen Reichs beriet, lebten jedoch erst 41 Türken in Berlin. Türkische Deutschlandreisende erlebten das Gastland aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Während preußische Offiziere ihre türkischen Waffenbrüder, die zur Ausbildung nach Berlin und Potsdam kamen, sehr respektvoll empfingen, erlebten andere herablassendes und diskriminierendes Verhalten - wenn sie hier Arbeit oder Exil suchten. Selbst die erfolgreiche und emanzipierte türkische Unternehmerin Rebia Tevfik, die 1928 in ihrem Berliner Modeatelier 60 Näherinnen beschäftigte, wurde beschimpft. In den goldenen Zwanzigern lebten knapp tausend Türken in Berlin. Rebia war 1922 aus Paris gekommen und trug schließlich erheblich zum Aufschwung des Berliner Chic bei. Erlebnisberichte und Beobachtungen von 35 Türken, die zwischen 1871 und 1945 in Berlin lebten, arbeiteten, studierten oder zu Besuch weilten, haben Ingeborg Böer, Ruth Haerkötter und Petra Kappert in einer 2002 erschienenen Publikation "Türken in Berlin 1871 - 1945. Eine Metropole in den Erinnerungen osmanischer und türkischer Zeitzeugen" zusammengetragen. Die 374-seitige, beim Verlag Walter de Gruyter erschienene Publikation kostet 24,95 Euro. (esf)

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Türkische Literatur- und Kulturgeschichte

Den zweieinhalb Millionen Türken in Deutschland ist in ihrer zweiten Heimat die türkische Literatur noch immer weitgehend unbekannt. Dem deutschen Publikum rückte die Verleihung des Friedenspreises 1997 an Yasar Kemal die zeitgenössische türkische Literatur ins Blickfeld. Die Anzahl übersetzter Werke ist jedoch - sieht man einmal ab von Yasar Kemal oder Orhan Pamuk - noch immer gering. Einige Einführungen des in Deutschland lebenden Lyrikers Yüksel Pazarkaya sind längst vergriffen. Diesem fehlenden Wissen hat nun Wolfgang Günter Lerch, Nahost-Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Abhilfe geschaffen. Vor dem Hintergrund der tief einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungen der Türkei skizziert Lerch in seinem im März 2003 erschienenen Band "Die Laute Osmans. Türkische Literatur im 20. Jahrhundert" (ISBN: 3-935877862) kurz und umfassend die wichtigsten Strömungen moderner Literatur in Prosa und Poesie. Neben bekannten Namen wie Nazim Hikmet, Orhan Veli oder Sait Faik und Sabahattin Ali stellt er auf 126 Seiten Leben und Werk vieler türkischer Autoren vor. Lerch schildert, wie die Entwicklung des sozialen und kulturellen Wandels in der Türkei durch Literaten und Intellektuelle reflektiert und beschrieben wurde. Die beim Allitera Verlag erschienene Publikation kostet 14 Euro. (esf)

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Foto-Essays "Lebensarten"

In gebückter Haltung greift ein Geschäftsreisender nach seinen Taschen, die er - als Schwarzer - wegen einer Personenkontrolle abstellten mußte. Im Hintergrund entfernt sich ein Polizist in Dominanz ausstrahlender Körperhaltung. Dabei war er "erfolglos", könnte man die Szene interpretieren, denn der Kontrollierte hatte offenbar gültige Papiere. "Kunst macht Unsichtbares sichtbar" - dies gilt für alle ausgezeichneten Foto-Essays des Körber-Foto-Award 2003, die unter dem Titel "Lebensarten" zusammengefasst wurden. Die von 13 Fotograf/innen erstellten Fotoessays zu Migration und Integration wurden in einer im Juni 2003 ausgelaufenen Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg gezeigt. Der 64-seitige Katalog ist nun bei der Edition Körber-Stiftung erschienen. Unter Überschriften wie "Du liegst mir am Herzen" oder "Unter einem Dach" zeigen die jungen Fotograf/innen ihre Sicht auf die Lebensarten russischer Migranten, bosnischer Vertriebener oder minderjähriger Flüchtlinge. Fern von abgedroschener Sozialkritik oder pathosschwangerer Flüchtlingsromantik liefern sie Denkanstöße und überraschen durch mutige Kontraste. (esf)

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Araber, Aleviten, Kurden und Russen in Berlin

In der Reihe "Miteinander leben in Berlin", in der der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration verschiedene Zuwanderergruppen und ihre Bindungen an Berlin in Geschichte und Gegenwart vorstellt, sind mit "Araber in Berlin", "Das russische Berlin" und "Das kurdische Berlin" und "Aleviten (nicht nur) in Berlin" vier neue Publikationen erschienen. Die von Frank Gesemann, Gerhard Höpp und Haroun Sweis erstellte 96-seitige Publikation "Araber in Berlin" ist Ende 2002 in aktualisierter zweiter Auflage erschienen. Vorgestellt wird das Leben der Berlinerinnen und Berliner arabischer Herkunft - aus etwa 20 verschiedenen Staaten - in Vergangenheit und Gegenwart. Die seit den 1920er-Jahren aktive arabische Szene ist im letzten Jahrzehnt durch den Umzug vieler Botschaften und Vertretungen aus Bonn noch vielfältiger geworden. Die reich illustrierte Publikation geht diesen verschiedenen Spuren arabischen Lebens nach. Ebenfalls in aktualisierter zweiter Auflage erschien Ende 2002 auch "Das russische Berlin" von Amory Burchard. Die Autorin beschreibt die im letzten Jahrzehnt besonders dynamisch und vielfältig sich entwickelnde "russische" Szene der Hauptstadt, zu der neben russischen Einwanderern, Geschäftsleuten und Studenten auch jüdische Kontingentflüchtlinge und Aussiedler zählen. Burchard hat sich auf die Suche nach Berlins "russischer Seele" gemacht und auf 88 Seiten umfangreiches Material zusammen getragen - von den Kirchen mit Zwiebeltürmen aus den 1920er-Jahren, als Berlin wichtigstes Zentrum der russischen Emigration war, über Denkmäler und Soldatenfriedhöfe aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zur wieder erblühten jüdischen Gemeinde, den Galerien, Buchhandlungen und Kneipen der letzten Jahre. Autorinnen und Autoren der "Berliner Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie e.V." geben in der im März 2003 erschienenen Publikation "Das kurdische Berlin" einen Überblick über das breite Spektrum kurdischen Lebens in Berlin. Manche der 20.000 bis 50.000 kurdischen Berliner waren einst "türkische Gastarbeiter", viele kamen als Flüchtlinge, in den letzten Jahren vor allem aus dem Irak. Das mit vielen Fotos gut gestaltete 84-seitige Heft befriedigt das in den letzten Jahren stark gestiegene Informationsbedürfnis über diese Gruppe. Ähnliches gilt für die Aleviten, deren Glauben, Vereinsleben und Musikszene Krisztina Kehl-Bodrogi unter dem Motto "Was du auch suchst, such es in dir selbst" auf 76 Seiten vorstellt. Gegen eine Schutzgebühr von 1,50 bzw. 2 Euro sind die Hefte erhältlich beim Beauftragten des Senats für Integration und Migration, Potsdamer Straße 65, 10785 Berlin, Tel.: 030/9017-2357 oder -2381, Fax: 030/2625407, Integrationsbeauftragter@auslb.verwalt-berlin.de. (esf)

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Belletristik

Letzte Geschichten

Dusty Fiorito heißt der Vater und in diesem Namen steckt vielleicht schon die Hälfte der Geschichte. Als Sohn eines italienischen Einwanderers, der wegen eines Mordes aus Italien fliehen muss, hängt der Mann mit dem englischen Vornamen und dem italienischen Familiennamen in Kanada zwischen zwei Kulturen. Tagsüber ein hart arbeitender Postbote und zu Hause ein tyrannischer, aber oft liebevoller Ehemann und Vater, spielt Fiorito nachts Trompete in diversen Tanzkapellen und ist bekannt als Schürzenjäger.

Sein Sohn Joe hat den Geschichten des Vaters über seine Herkunft und die zahlreichen Mitglieder der Familie oft und gern gelauscht, gleich ob diese nüchtern oder im Suff erzählt wurden. Längst hat er sich von dem eher gehassten als geliebten Vater geistig und räumlich distanziert, als ihn ein Anruf der Mutter erreicht und er schon nach der Anrede weiß, dass sein Vater im Sterben liegt. Joe Fiorito nimmt Urlaub, um am Sterbebett des Vaters die langen Nachtwachen zu übernehmen. Ohne Sentimentalitäten schildert der Autor, der in Kanada ein bekannter Journalist ist und einen exzellenten Stil schreibt, die letzten vierzehn Tage seines Vaters und er wiederholt sich (und dem Leser) all die tragischen, skurrilen, witzigen Geschichten, die der Vater ihm immer wieder erzählt hat. Aber auch ein Besuch des Autors mit seiner Frau in der alten Heimat Italien bringt ihn den Wurzeln der Familie nicht nahe.

''The closer we are to dying'' heißt Joe Fioritos Buch im Original und dieser Titel drückt die Intimität des Buches besser aus als der deutsche Titel "Die Stimmen meines Vaters". Gleichzeitig geprägt von Nähe und Distanz, von Hass und Liebe, von Verständnis und Ablehnung, von Trotz und Trauer ist der Autor in seinen Schilderungen so dicht an den Personen und so nahe bei sich selbst, dass es beim Lesen weh tut. Joe Fiorito ist ein geborener Geschichtenerzähler und vielleicht hat er diese Gabe von niemand anderem als seinem Vater geerbt.

Joe Fiorito: "Die Stimmen meines Vaters" Fischer Taschenbuch, 374 Seiten, €9,90 Euro

Paul Philippi, der buchladen

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Waldemar im Glück
oder 
Radek Knapp erzählt Wiener Geschichten

Nicht einmal achtzehn ist Waldemar, der Held aus "Herrn Kukas Empfehlungen" und von seinen Freunden lässt er sich gerne "Waldi" nennen. Nichts wünscht sich der junge Pole mehr als eine Reise in den goldenen Westen. Der Herr Kuka, ein dem Alkohol zugetaner Nachbar, hat einige Empfehlungen für den jungen Herrn. Die Reisegesellschaft Dream Travel Tour, das Hotel "Vier Jahreszeiten" in Wien, und dass er in einem Wiener Kaffeehaus unbedingt einen Lippizaner kosten müsse. Alles Zureden der Eltern hilft nicht, Waldemar muss hinaus in die Welt!

Bereits die Busfahrt in den Westen wird zu einem reichlich komischen Abenteuer. Das klapprige Reisegefährt birst fast vor Schmuggelgut und bei der Zollkontrolle macht sich Waldemar als einziger verdächtig, weil sein Rucksack statt Zigarettenstangen nur Thunfischdosen enthält. Das Hotel "Vier Jahreszeiten" entpuppt sich schnell als Parkbank und die Arbeitssuche gestaltet sich unerwartet schwierig. Aber Waldemar ist ein echtes Glückskind, denn er hat zumindest eins: Glück im Unglück. Und Unglück hat er reichlich in seinen ersten Tagen in Wien.

Radek Knapp, der Autor dieses wunderbar kurzweiligen Romans, der für seinen Erzählband "Franio" den Aspekte-Literaturpreis erhielt, hat laut Klappentext in besagtem Wien als Tennislehrer, Saunaaufgießer und Würstchenverkäufer gearbeitet. Eine gewisse Sachkenntnis zum Thema "Ein Pole in Wien" darf also vorausgesetzt werden, womöglich sind einige der Episoden selbst erlebt. Radek Knapp hat die knappen 250 Seiten seines bei Piper erschienenen Schelmenromans vollgepackt mit Zufällen, Einfällen und ungewöhnlichen Wendungen und dennoch wirkt Waldemars Geschichte nicht überladen. Knapp ist ein leiser, fast philosophischer Erzähler und auch sein Witz ist von der hintergründigen Art.

Paul Philippi, der buchladen

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Land der Bäume, Land der Geister

"Land der Bäume", so nannten die schottischen Einwanderer ihre neue Heimat in Cape Breton, Kanada. Dort in den einsamen Wäldern bauten die vor dem Hunger Geflohenen ihre Hütten und versuchten heimisch zu werden. Der kanadische Autor Alistair MacLeod hat mit seinem gleichnamigen Roman (Fischer Taschenbuch, 284 Seiten,€ 9,90 Euro) dieser Landschaft und seinen Bewohnern ein Denkmal gesetzt. Vor mehr als 200 Jahren kam der Urahn der MacDonald Sippe mit dem Schiff nach Kanada. Noch immer erzählen sich die MacDonalds die Geschichte des treuen Hundes, der dem auslaufenden Schiff so lange hinterher schwamm, bis besagter Urahn ein Erbarmen hatte und ihn an Bord hieven ließ. Oder die Geschichte, wie die Frau eben dieses Urahns während der Überfahrt starb. Die Erinnerung der MacDonald Sippe reicht weit zurück und mehr als einmal fällt im Roman der Satz "Ach, wären doch nur die Schiffe der Franzosen gekommen", der sich auf eine verlorene Schlacht in der alten Heimat bezieht, als die versprochene französische Unterstützung nicht eintraf.

Der die Geschichte des MacDonald Clans erzählt, heißt Alexander MacDonald und er erzählt sie so überzeugend, dass man sie sicherlich für autobiographisch halten würde, stünde da nicht als Autor ein Alistair MacLeod auf dem Buchdeckel. MacLeod gestaltet seine Familiengeschichte so ungeheuer detail- und kenntnisreich, dass man ihm jede Szene als selbst erlebt abnehmen möchte. Der Autor hat viel zu berichten: von den Eltern, die mit ihren sechs Kindern auf einer kleinen Insel vor der Küste leben, auf der der Vater seinen Dienst als Leuchtturmwärter versieht. Und von der Tragödie, als die Eltern mit dem drittjüngsten Kind auf dem Rückweg zur Insel im Eis versinken. Von den drei ältesten, halbwüchsigen Söhnen, die zusammen unter denkbar schlechten Umständen hausen. Von Großmutter und Großvater, diesem sich innig liebenden Paar, das den Waisen Alexander und seine Zwillingsschwester bei sich aufnimmt und ihnen beibringt, wie wichtig die Familie ist.

Die Großeltern ermöglichen Alexander und seiner Schwester eine gute Ausbildung, während die drei älteren Brüder ihren Jobs als Bergleute nachgehen. Ausgerechnet am Tag von Alexanders Abschlussfeier an der Universität verunglückt sein Cousin tödlich im Bergwerk, in dem er zusammen mit Alexanders Brüdern arbeitete. Nach seiner Beerdigung kehrt Alexander an Stelle des Getöteten ins Bergwerk zurück. Die Familie hält eben zusammen.

Die kurzen biographische Daten im Klappentext legen nahe, dass Alistair MacLeod weiß, wovon er schreibt. Gegenwart und Geschichte verweben sich in MacLeods Roman zu einem wunderbaren Teppich. Melancholisch, lebensfroh, rauh und gierig fließen seine Geschichten dahin und reißen mit bis zur letzten Seite. "Ach, wären doch nur die Schiffe der Franzosen gekommen." Möglich, dass sich das Schicksal der MacDonalds dann gewendet hätte. Aber dann wäre auch dieser großartige Roman nicht geschrieben worden.

Paul Philippi, der buchladen

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London Calling - mit Zadie Smith auf Tour

Es gibt mehrere Gründe, die für Zadie Smiths "Zähne zeigen" sprechen. Der wichtigste ist, dass diese junge Autorin sowohl eine scharfe Zunge wie einen scharfen Verstand hat und davon auf den 640 Seiten ihres Romans großzügig Gebrauch macht. Der zweitwichtigste ist vielleicht, dass sie uns mitnimmt in eine Welt, in die wir ohne sie keinen Einblick hätten. Und der drittwichtigste Grund ist natürlich, dass es Spaß macht, Zadie Smith zu lesen.

Der Engländer Archie Jones und der aus Bengalen stammende Samad Iqbal gehören im Krieg zu einer Panzerbesatzung und als sie sich Jahrzehnte später zufällig wieder treffen, erneuern sie die alte Freundschaft. Beide heiraten im reifen Alter: Archie die aus Jamaika stammende 19-jährige Clara Bowden, Samad die ebenfalls wesentlich jüngere Alsana. Fast gleichzeitig werden die beiden Vater: Archie von zwei männlichen Zwillingen, Samad von einer Tochter. Und diese Kinder werden ihren Eltern noch einiges an Nerven abverlangen...

"Zähne zeigen" (Knaur Taschenbuch, 642 Seiten, €9,90 Euro) spielt hauptsächlich im Milieu englischer Einwandererfamilien im London der 70er, 80er und frühen 90er Jahre und thematisiert die Konflikte der Eltern mit den jugendlichen Töchtern und Söhnen, die sich schwer tun mit ihrer Identitätsfindung. Aber "Zähne zeigen" kann man nicht auf die Formel eines Einwandererdramas bringen, dazu ist es zu sehr auch ein Roman über die englische Gesellschaft in den letzten Jahr-zehnten. "Zähne zeigen" ist ein Episodenroman, in dem jeder sein Fett wegkriegt: die Eltern, die Kinder und der Rest der scheinheiligen (englischen) Gesellschaft. Auch wenn das Buch an manchen Stellen ein wenig an Tempo verliert, "Zähne zeigen" ist ein Meisterwerk moderner Unterhaltungsliteratur. Unverfroren, witzig und ohne jede Weinerlichkeit präsentiert Zadie Smith, die selbst aus einer jamaikanischen Einwandererfamilie stammt, ihre sehr eigene Sicht der Dinge. Und die verdient es wirklich, gelesen zu werden.

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Amerika von unten

1890 legt ein sizilianischer Akkordeonbauer sein ganzes Können in den Bau eines Instrumentes, mit dem er als Auswanderer in La Merica Erfolg haben will. Doch schon unmittelbar nach seiner Ankunft in New Orleans wird er von einem Mob erschlagen, dessen ganzer Hass den Einwanderern aus Italien gilt. Ein schwarzer Musiker fährt mit dem "grünen Akkordeon" den Mississippi hinauf und die Odyssee des Unglück bringenden Instrumentes beginnt.

Die amerikanische Erfolgsautorin Annie Proulx ("Schiffsmeldungen") verfolgt in ihrem Buch "Das grüne Akkordeon" (Heyne Taschenbuch, 669 Seiten, €8,50 Euro) eine abenteuerliche Reise. Durch Diebstahl, Verkauf und Erbschaft gelangt das Akkordeon von einer Immigrantengruppe zur nächsten und auf ihm erklingen so unterschiedliche Weisen wie Walzer, Musettes, Polkas, deutsche Volkslieder, mexikanische Rancheros, Cajuntänze und Blues. So ist Annie Proulx' Roman eine Geschichte der Einwanderer und ihrer Musik und da das Akkordeon ein Instrument der Volksmusik ist, erzählt sie gleichzeitig eine Geschichte der Underdogs und Außenseiter.

"Das grüne Akkordeon" ist eine düstere Parabel voll von Verbrechen, unnatürlichen Todesfällen und Schicksalsschlägen, eine Geschichte Amerikas aus der Sicht der Verlierer. An den Schluss ihres opulenten Werkes hat die Autorin ein überwältigendes Bild gesetzt: Auf einem einsamen Highway in Montana wird das in die Jahre gekommene Instrument von einem Truck überrollt und darin versteckte Dollarnoten werden vom Wind über die Prärie geweht ...

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Internet / Filme / Poster / Ausstellungen

Ein Jahr Homepage TraumaNetzwerk

Köln. Seit über einem Jahr existiert die Homepage TraumaNetzwerk, die Mitarbeitern der Flüchtlingsarbeit eine rasche und effektive Suche nach Therapeuten ermöglicht, die traumatisierten Migranten helfen wollen. Die Seite trägt dazu bei, eine zeitnahe therapeutische Behandlung traumatisierter Flüchtlinge zu ermöglichen, indem sie ein flächendeckendes Netzwerk von Therapeuten und Dolmetschern aufbaut. Ziel ist es, schon bestehende Therapieangebote zu verbinden und Versorgungslücken zu schließen.

Derzeit finden sich auf der frei zugänglichen Website www.traumanetzwerk.de über hundert Therapeutinnen und Therapeuten sowie fast 200 Dolmetscherinnen und Dolmetscher aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich bereit erklärt haben, traumatisierte Flüchtlinge zu behandeln bzw. im Therapieprozess zu dolmetschen. "Wir freuen uns, dass wir gleich im ersten Jahr so viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden haben", erklärt Katrin Heim, Projektleiterin des TraumaNetzwerks der Malteser Werke. Doch TraumaNetzwerk bietet nicht nur eine Datenbank mit Adressen von Fachleuten, sondern dient auch als Informationsplattform rund um das Thema Trauma und Migration. So können Neuigkeiten und Veranstaltungshinweise aus dem Traumabereich, Literaturangaben und kommentierte Links zu den Herkunftsländern von Flüchtlingen, Asylverfahren und über Trauma abgerufen werden. Weitere Informationen, Terminhinweise oder Erfahrungsberichte werden gerne aufgenommen.

Seit Juli 2003 ist die Webseite in überarbeiteter Form zu sehen. Im November wird es eine Fachtagung geben, bei der sich Mitglieder von TraumaNetzwerk und andere Interessierte persönlich kennen lernen können. Um eine schnelle Kontaktaufnahme durch Mitarbeiter der Flüchtlingsarbeit mit Therapeutinnen und Therapeuten des Netzwerks zu gewährleisten, kann ihnen ein von den Maltesern in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Psychotraumatologie (DIPT) entwickeltes Screening-Instrument an die Hand gegeben werden, das helfen soll, Warnsignale für eine eventuelle Traumatisierung bei Migranten schneller zu erkennen. "Ziel ist es, dass im Fall einer Traumatisierung - in Zusammenarbeit mit TraumaNetzwerk - die therapeutische Behandlung so schnell wie möglich beginnen kann", erläutert Katrin Heim. "Dies verhindert oder mildert Folgeschäden und bietet die Chance, vorhandene Therapie-Ressourcen optimal zu nutzen."

Sabine Kern, Malteser Werke gGmbH

Kontakt:
TraumaNetzwerk, Malteser Werke gGmbH, Abteilung Migration, Frau Sabine Kern, 
Kalker Hauptstr. 22-24, 51103 Köln, 
Tel. 0221 - 98 22 567, malteserwerke@malteser.de, www.traumanetzwerk.de 

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Weitere Neuerscheinungen

Strategien für die Soziale Stadt. 

Deutsches Institut für Urbanistik (Hg.): Strategien für die Soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven - Umsetzung des Bund-Länder-Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt", Berlin 2003, 327 Seiten, ISBN 3-88118-344-2; 

Bezug: 
Angelika Meller, Deutsches Institut für Urbanistik, Postfach 12 03 21, 10593 Berlin, Fax: 030/39001-253, verlag@difu.de 


Türkei

Hütteroth, Wolf-Dieter / Höhfeld, Volker: Türkei, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002, 400 Seiten, ISBN: 3534137124, 
EUR 39,90


Mein deutsches Dschungelbuch

Kaminer, Wladimir: 
Mein deutsches Dschungelbuch, Goldmann Verlag, August 2003, 192 Seiten, 
ISBN: 3898306100 sowie 2 CDs, Lesung, Random House Audio, August 2003, EUR 24,90


Köln International 

Kölner Appell (Hg.): 
Köln International. Ein Stadtbuch gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus, Edition der andere buchladen, 2002, 434 Seiten, ISBN 3-9290412-27-X, EUR 15,-; 

Bezug: 
Kölner Appell e.V., Körnerstr. 77-79, 50823 Köln, Tel.: 0221/9521199, koelner.appell@t-online.de 


Gelobt sei der Hl. Staat. Türkische Tragikomödien

Koydl, Wolfgang:
Gelobt sei der Hl. Staat. Türkische Tragikomödien, Picus Lesereisen, Picus Verlag, 2001, 132 Seiten, ISBN: 3854527403, EUR 13,90


Soziale Stadt - Sozialraum-
entwicklung
 

Krummacher, Michael / Kulbach, Roderich / Waltz, Viktoria / Wohlfahrt, Norbert (Hg.):
Soziale Stadt - Sozialraumentwicklung - Quartiersmanagement. Herausforderungen für Politik, Raumplanung und soziale Arbeit, Verlag Leske+Budrich, 2003, 279 Seiten, 
ISBN 3-8100-3735-4, EUR 16,90


Mein Leben als Engländer

Reng, Ronald: 
Mein Leben als Engländer, Verlag Kiepenheuer & Witsch, September 2003, 299 Seiten, 
ISBN: 3462033395, EUR 8,90


Breakdance, Beats und Bodrum - Türkische Jugendkultur

Schwann, Karina:
Breakdance, Beats und Bodrum - Türkische Jugendkultur, Böhlau Verlag, 2002, 140 Seiten, ISBN: 3205994647, EUR 19,90


Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, 
Band 1: Grundlagen und Praxisfelder

Thomas, Alexander / Kinast, Eva-Ulrike / Schroll-Machl, Sylvia (Hg.):
Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, Band 1: Grundlagen und Praxisfelder, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, April 2003, ISBN 3-525-46172-0, EUR 48,90


Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, 
Band 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit

Thomas, Alexander / Kammhuber, Stefan / Schroll-Machl, Sylvia (Hg.):
Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, Band 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Juni 2003, 
ISBN 3-525-46166-6, EUR 46,90

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