Ausländer in Deutschland 3/2003, 19.Jg., 15. Oktober 2003

RECHT

Aktuelle Gesetze und Gerichtsurteile

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Kopftuch-Urteile

Karlsruhe. Der seit 1998 schwelende "Kopftuchstreit" zwischen der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin und dem Land Baden-Württemberg ist vom Bundesverfassungsgericht entschieden worden - wenn auch nicht abschließend. Es verkündete am 24. September 2003 sein Urteil über die Verfassungsbeschwerde der Frau. Baden- Württemberg hatte 1998 die Übernahme der deutschen Lehrerin afghanischer Herkunft abgelehnt, weil sie aus religiösen Gründen darauf besteht, ihr Kopftuch auch im Unterricht zu tragen. Die Schulbehörde sieht darin ein Signal, das die Schüler beeinflussen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hatte seit Anfang Juni 2003 zu prüfen, ob die Verweigerung der Aufnahme in den staatlichen Schuldienst Ludins Grundrecht auf freie Religionsausübung und Berufswahl beeinträchtigt. Zumindest vorläufig gab das Gericht nun ihrer Beschwerde statt. Ihre Einstellung darf nur auf einer - noch nicht existierenden - gesetzlichen Grundlage verwehrt werden.

In einem weiteren Kopftuchstreit gab es am 21. August 2003 ein abschließendes Urteil des Bundesverfasssungsgerichts. Verkäuferinnen darf in Deutschland nicht gekündigt werden, nur weil sie mit Kopftuch hinter der Ladentheke bedienen. Die Karlsruher Richter bestätigten eine entsprechende Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt vom Oktober 2002 (vgl. AiD online 4/02). Darin war die Kündigung einer in der Türkei geborenen und zuletzt in der Parfümerieabteilung eines Kaufhauses tätigen Verkäuferin verworfen worden.

[ Seitenanfang ]

Annulierung von Einbürgerungen

Leipzig. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass eingebürgerten Personen die deutsche Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden kann, sofern diese ihre Einbürgerung auf der Grundlage falscher Angaben erlangt haben. Im konkreten Fall wurde einem Österreicher, der in seinem Antrag verschwiegen hatte, dass in seinem Herkunftsland wegen Betrugs gegen ihn ermittelt wurde, ein Jahr nach der Einbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft wieder aberkannt. Dagegen klagte der Mann erfolglos vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Juni 2003 inhaltlich das Urteil des bayerischen Gerichts, hob es dennoch wegen eines Verfahrensfehlers auf, so dass der Fall jetzt in München neu verhandelt werden muss. (Az.: BVerwG 1 C 19.02)

[ Seitenanfang ]

Schily kritisiert
"Al-Aqsa"-
Beschluss

Berlin. Bundesinnenminister Otto Schily hat einen am 24. Juli 2003 veröffentlichten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes zum Verbot des Spendensammelvereins "Al-Aqsa" durch das Bundesinnenministerium (BMI) kritisiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Verein vorläufigen Rechtsschutz vor der Verbotsverfügung des BMI gewährt. Schily sagte: "Diese Entscheidung ist im Hinblick auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus unverständlich. Ich hoffe, dass sie in absehbarer Zeit korrigiert wird. Im übrigen wird zu prüfen sein, ob eine weitere Verschärfung der Gesetze erforderlich ist."

[ Seitenanfang ]

"Gastarbeiter" muss Bleiberecht erstreiten

Freiburg. Vor 43 Jahren kam der Italiener Nilo Soppelsa als "Gastarbeiter" nach Deutschland. Ende 1998 hatte der in Dettingen, im Süden Baden-Württembergs wohnende Italiener eine Pizzeria aufgegeben und wurde Sozialhilfeempfänger. Im Herbst 2000 war dem Mann mit der Abschiebung gedroht worden, weil er auf öffentliche Mittel zur Sicherung seines Unterhalts angewiesen ist. Auf Druck von Flüchtlingsinitiativen nahm die Stadt diese Drohung zurück, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung wollten die Behörden jedoch weiterhin nicht erteilen. Im März 2001 bot die Konstanzer Ausländerbehörde ihm lediglich eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis an. Soppelsa lehnte ab und klagte. Der Fall machte damals bundesweit Schlagzeilen. Insbesondere die deutsch-italienische Zeitschrift "Nuovo Oltreconfine" und der "Südkurier" beklagten den Fall als "Spitze des Eisbergs einer restriktiven Ausweisepraxis in Baden-Württemberg". In einem Urteil hat das Verwaltungsgericht Freiburg Soppelsa nun Mitte Juli 2003 Recht gegeben. Der Bescheid der Ausländerbehörde wurde aufgehoben und die Behörde verpflichtet, Soppelsa eine Aufenthaltserlaubnis-EG mit fünfjähriger Geltungsdauer ab dem 24. Februar 2000 zu erteilen (Az: 6 K 1167/02). Soppelsa hat inzwischen das Ruhestandsalter erreicht und eine geringe Rente in Aussicht. Seine seit neun Jahren in Deutschland lebende Lebenspartnerin muss jedoch weiterhin um ihren Aufenthalt bangen. Sie trage mit ihrer Arbeit zu wenig zum Lebensunterhalt bei, wirft ihr die Ausländerbehörde vor und fordert sie zur Ausreise auf. Die Frau arbeitet neun Wochenstunden in einem Kaufhaus und verdient dabei monatlich etwas mehr als 300 Euro. Die Behörde geht von einem Missbrauch von Sozialleistungen aus.

[ Seitenanfang ]

Kaplan darf bleiben

Düsseldorf/Berlin. Das Kölner Verwaltungsgericht entschied am 27. August 2003, dass der als "Kalif von Köln" bekannte Islamistenführer Metin Kaplan nicht in die Türkei abgeschoben werden darf, da ihm dort ein rechtsstaatswidriges Verfahren drohe. Zugleich befand es, dass die Anerkennung Kaplans als Asylbewerber zu Recht widerrufen worden sei. Es bestehe die Gefahr, dass der Führer der verbotenen Bewegung "Kalifatsstaat", der wegen eines Aufrufs zum Mord schon einmal zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, wieder straffällig werde. Da Kaplan in der Türkei aber ein Strafverfahren drohe, bei dem auch unter Folter entstandene Aussagen verwendet werden könnten, dürfe er nicht abgeschoben werden. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte schon am 27. Mai 2003 eine von der Türkei beantragte Auslieferung Kaplans für unzulässig erklärt und den Auslieferungshaftbefehl aufgehoben. Kaplan war daraufhin aus der Haft entlassen worden. Er genießt nun ein Bleiberecht in Deutschland. Bundesinnenminister Otto Schily will weiterhin alles tun, damit Kaplan ausgewiesen werden kann. Gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Innenminister Fritz Behrens hatte er Ende Mai erklärt: "Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes ist zu bedauern. Ungeachtet der mehrfach ausdrücklich bestätigten Zusagen der türkischen Regierung hinsichtlich der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze vertritt das Gericht die Auffassung, es gebe ernsthafte Gründe für die Annahme, dass Metin Kaplan im Falle der Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt werde, das 'den Charakter politischer Verfolgung trage'." Anfang September kündigte Schily an, den Klageweg gehen zu wollen.

[ Seitenanfang ]

Fehlende Umsetzung des Gesetzes zur Gleichbehandlung

Brüssel. Drei Jahre nach der einstimmigen Annahme des EU-Antidiskriminierungsgesetzes hat noch kein einziges Mitgliedsland die darin enthaltenen Vorschriften vollständig in inländisches Recht übertragen. Darauf hat die Europäische Kommission hingewiesen. Bei einer Konferenz in Mailand zum Thema "Kampf der Diskriminierung: Von der Theorie zur Praxis" hat sich die EU-Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou "tief bestürzt" über die diesbezügliche Nachlässigkeit vieler Mitgliedstaaten geäußert. Die erste von zwei Richtlinien hätte am 17. Juli 2003 umgesetzt werden müssen. Für eine zweite bleibt eine Frist bis zum 2. Dezember 2003. Die im Jahr 2000 verabschiedete Regelung untersagt generell eine Schlechterstellung aufgrund von Herkunft, Rasse, Religion, Alter oder Behinderung. Ziel ist insbesondere, für eine Gleichbehandlung der in der EU legal ansässigen Bürger beim Zugang zum Arbeitsmarkt sowie bei Arbeitsbedingungen und -entgelten zu sorgen. Die aufgrund einer politischen Vorgabe aus Artikel 13 des Amsterdamer Vertrags in Rechtsform gegossene Regelung umfasst auch entsprechende Bestimmungen zum Anrecht auf berufliche Aus- und Weiterbildung sowie auf Leistungen der sozialen Sicherheit. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten ferner dazu, eine Stelle zu benennen, die für die Beratung und Hilfe für Opfer von Ungleichbehandlung zuständig ist.

Selbst die EU-Staaten, die bereits über Antidiskriminierungsgesetze verfügten - so Großbritannien, die Niederlande und Frankreich -, tun sich schwer damit, das von den Richtlinien geforderte hohe Schutzniveau gesetzlich zu garantieren. Griechenland, Portugal und Luxemburg haben noch nicht einmal Gesetzentwürfe vorgelegt; lediglich Schweden hat gute Arbeit geleistet und die bestehende Gesetzgebung um drei neue Gesetze ergänzt. Im Dezember 2001 legte das Bundesjustizministerium den Entwurf eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes für Deutschland vor, scheiterte damit jedoch in kürzester Zeit. Dafür verantwortlich war insbesondere der Widerstand von Kirchen und Wirtschaftsverbänden. Erstere halten an ihrem Ausnahmestatus fest, wonach beispielsweise die katholische Kirche 80 % ihrer Kindergartenplätze für katholische Kinder vorhalten darf und kirchliche Einrichtungen das Recht haben, ihre Mitarbeiter/innen nach deren Konfessionsangehörigkeit auszusuchen. Diese Selektionskriterien würden nach den EU-Richtlinien den Tatbestand der unzulässigen Diskriminierung erfüllen. Die Wohnungswirtschaft pochte auf ihr Recht, unerwünschte Mieter nicht akzeptieren zu müssen. Das Versicherungswesen schließlich hat zu erkennen gegeben, dass es weiterhin in bestimmten Bereichen, etwa bei der Kfz-Versicherung, Ungleichbehandlung zulassen will. Umgekehrt ging der Entwurf den Organisationen und Verbänden nicht weit genug. Vorgesehen war eben nur der zivilrechtliche Anwendungsbereich, also Antidiskriminierungsschutz bei der Vergabe von Wohnungen oder dem Zugang zu Gaststätten oder Diskotheken.

Dass sich der Umsetzungsprozess so schwierig gestalten würde, war damals nicht absehbar. Offenbar angesichts des Rückstands bei der Übertragung der Regelung hat die Kommission eine auf fünf Jahre angelegte Aufklärungskampagne "Für Vielfalt, gegen Diskriminierung" gestartet. Sollten die EU-Staaten weiter mit der Übertragung und Anwendung der Regelung zögern, drohen ihnen Verfahren und möglicherweise Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.