Ausländer in Deutschland 3/2003, 19.Jg., 15. Oktober 2003

SCHWERPUNKT: 
ZUWANDERUNGSKONTINENT EUROPA

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Vielfalt als Ressource

Europa begreift sich als Zuwanderungs-
kontinent

Auf der Suche nach einem besseren Leben bezahlen Menschen viel Geld für eine Fahrt auf überfüllten Schiffen, die sie zu neuen Ufern bringen sollen. So in etwa wird heute wie vor 100 Jahren über Wanderungsprozesse berichtet. In gewisser Weise gleichen sich die Bilder und auch die Auswanderungsgründe sind ähnlich. Neu sind nur die Routen: Während sich Auswanderer früher vor allem in Nordeuropa nach Übersee einschifften, haben die Boote aus den Südanrainerländern des Mittelmeeres heute Südeuropa als Ziel.

In Hamburg und Bremerhaven werden zurzeit Auswanderungsmuseen geplant. Man will in Erinnerung rufen, dass sich von deutschen Häfen allein von 1847 - 1914 vier Millionen Deutsche auf Auswandererschiffen in die "neue Welt" eingeschifft haben. Um 1900 war Hamburg der weltweit bedeutendste Auswanderungshafen - vor Le Havre, Antwerpen, Genua und Liverpool. Heute fühlt sich das "alte" Europa von mit Auswanderern beladenen Schiffen bedroht. Sie kommen aus Izmir, Tunis oder Tanger. Alle EU-Mitgliedstaaten außer Irland sind de facto zu Einwanderungsländern geworden. Ein wichtiger Unterschied zu damals: Während die USA, Kanada, Brasilien oder Australien damals auch die deutschen oder irischen Armutsflüchtlinge willkommen hießen, sichert die EU ihre Außengrenzen gegen unerwünschte Zuwanderer.

Wanderungen sind zentral für gesellschaftliche Entwicklungen, sind letztlich Ausgleichsprozesse, die sowohl innerhalb von Gesellschaften als auch zwischen Kontinenten wirken. Sie standen schon immer in engem Zusammenhang mit den sozialen, politischen, ökonomischen und demographischen Entwicklungen von Gesellschaften. Ihre Lenkung und Steuerung ist jedoch vor allem im 20. Jahrhundert in den Mittelpunkt gerückt, ist doch die ausreichende Verfügbarkeit über Arbeitskräfte ein wichtiger Garant für Wachstum und Wohlstand. Zuwanderung führt zudem zu einer kulturellen und wirtschaftlichen Bereicherung, ohne die - trotz mancher Probleme - die heutige politische, kulturelle und ökonomische Dominanz der USA nicht denkbar wäre. Auch in der EU führen die mit der Vielfalt einhergehenden unterschiedlichsten Ressourcen zu Innovationen, aber auch zur Erweiterung des Horizonts der Einheimischen. Gerade durch innergemeinschaftliche Wanderungen kommt es auch zu einem echten Zusammenwachsen Europas. Aus demographischen Gründen bleiben die EU-Staaten künftig wohl auf Einwanderung angewiesen. Die Zahl der Ausländer aus Drittstaaten belauft sich auf fast 14 Millionen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass in einigen Staaten Menschen, die in Deutschland noch jahrzehntelang in der Ausländerstatistik auftauchen, relativ schnell zu Inländern werden.

Europaweit entstanden nicht zuletzt durch historische Unterschiede sehr individuelle nationale Gesetzgebungen. Auch die Vorstellungen darüber, wie die Integration der Zuwanderer zu erreichen ist, divergieren stark. Mit der Gründung der EG kam es zwar in vielen Politikfeldern zu Harmonisierungen, es blieb jedoch bei unterschiedlichen nationalen Zuwanderungs- und Integrationspolitiken. In den 1990er-Jahren wurde europaweit eine Angleichung der Asyl- und Flüchtlingspolitik unter restriktivem Vorzeichen eingeleitet. Als negative Folge der neuen Abschottungspolitik, aber auch der größtenteils fehlenden Einwanderungsgesetzgebung, etablierten sich neue Zuwanderungs- und Aufenthaltsformen im Grenzbereich zwischen Legalität, Irregularität und Kriminalität. So wandern nach Schätzung der Internationalen Organisation for Migration (IOM) jährlich 300.000 bis 500.000 Menschen heimlich in die EU ein. Der Bedarf an billigen Hilfskräften in der Bau- und Landwirtschaft sowie im Dienstleistungssektor ist europaweit hoch. Er kann derzeit nur befriedigt werden, indem viele Unternehmen irreguläre Zuwanderer beschäftigen - trotz einer EU-weit hohen Arbeitslosenquote.

Eine europaweite Ausländer- und Migrationspolitik gibt es trotz des Schengener Abkommens und innereuropäischer Freizügigkeit noch nicht. Eine besser gesteuerte und zugleich offenere Politik ist aber nur im europäischen Rahmen möglich. Erst mit den 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Verträgen kommt dieses Ziel in Sicht. Einige Maßnahmen hin zu einer gemeinsamen Politik auch in Einwanderungsfragen wurden 2003 in Thessaloniki vereinbart. Aber es sieht noch nicht danach aus, als wollten die Einzelstaaten die Kernkompetenz in diesen Fragen bald an Brüssel abgeben. Zu groß sind nationale Vorbehalte und Empfindlichkeiten. Zu stark steht man auch miteinander im Wettbewerb um attraktive Fachkräfte. Schon früher bestehende Ängste vor einer irregulären und unkontrollierten Zuwanderung wurden zudem durch den 11. September und die anstehende Ost-Erweiterung verstärkt. Statt auf Integrationsfragen konzentriert man sich heute europaweit auf gemeinsame Maßnahmen in puncto Sicherheit der Außengrenzen, Abwehr illegaler Zuwanderung und Bekämpfung von Terrorismus.

"Stuttgarter Erklärung"

Nun hat der Europarat in einem Kongress am 15./16. September 2003 in Stuttgart das Thema der "Integration und Partizipation von Migranten in Europas Städten" wieder auf die Tagesordnung gebracht. 350 Vertreter/innen aus 30 Ländern folgten der Einladung der Stadt Stuttgart und des "Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas" (KGRE), einer Unterorganisation des Europarats, zu einem Erfahrungsaustausch. Integration sei eine "Kernfrage für den Zusammenhalt und das Überleben unserer Gesellschaft", erinnerte der Generalsekretär des Europarates, Walter Schwimmer. Der Europarat sei gefordert, es seinen 45 Mitgliedstaaten zu "erleichtern, den neuen Bürgern einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen". Man wende sich dabei an die Kommunen, denn sie integrieren die Migranten. Hier gab es bislang jedoch noch viel zu wenig Erfahrungsaustausch und Kooperationen.

In der Stuttgarter Diskussion wurde vor allem deutlich, wie weit Europas Städte von Moskau bis Barcelona in der Frage der Beteiligung von Migranten noch voneinander entfernt sind. Während man den Ausländerbeirat in Stuttgart längst in "Internationalen Ausschuss" umbenannt und in Rotterdam schon wieder abgeschafft hat, um stattdessen 8 von 25 Sitzen im Gemeinderat Migranten vorzubehalten, beschränkt sich das integrative Moment der Stadt Moskau noch auf die Erkenntnis, dass Zuwanderer ernsthafte Wettbewerber um Arbeit und Wohnungen sein können. In Integrationsfragen bewegt man sich weiter mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Voneinander zu lernen war daher sehr wichtig.

In einer "Stuttgarter Erklärung" wurden gemeinsame europäische Regeln und die Bekämpfung von Ursachen unfreiwilliger Migration gefordert. Dies seien grundsätzliche Voraussetzungen für ein Gelingen der Integration. Überfällig sei auch ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer. Angemahnt wurden ferner Einbürgerungserleichterungen, Chancengleichheit, eine interkulturelle Öffnung der öffentlichen Dienste, Meinungsfreiheit und Freiheit der Religionsausübung für alle. Die Erklärung soll zu einem offiziellen Dokument des KGRE werden. Auch ein "Bündnis für Integration" - hier stand das gleichnamige Stuttgarter Modell Pate - soll auf regionaler Ebene zwischen den gesellschaftlichen Gruppen vereinbart werden. Die Zuwanderer sollen über die demokratischen Werte informiert werden. Etwas Ähnliches - eine "Charta" zum Zusammenleben - wurde in Bologna umgesetzt.

Ob hier tatsächlich, wie der Stuttgarter Integrationsbeauftragte Gari Pavkovic sagte, "die Linie für die nächsten Jahrzehnte gefunden" wurde, bleibt abzuwarten. Hamburg übrigens wurde nicht als Vorbild genannt - hier hat man den Integrationsbeauftragten im Sommer 2002 einfach abgeschafft.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Mitteilungen der Kommission

 

Brüssel. Die Europäische Kommission hat im Juni 2003 drei Mitteilungen und einen Verordnungsvorschlag im Bereich Asyl und Einwanderung angenommen. In ihrer Mitteilung über Einwanderung, Integration und Beschäftigung hebt die Kommission die Bedeutung der Integration von Zuwanderern hervor und ruft zu einer besseren Koordinierung zwischen den europäischen und nationalen Politikbereichen auf, die mit dieser Integration im Zusammenhang stehen. Die zweite Mitteilung geht auf die Entwicklung einer gemeinsamen Politik in den Bereichen illegale Einwanderung, Schleuserkriminalität und Menschenhandel, Außengrenzen und Rückführung illegal aufhältiger Personen ein. Sie wurde dem Europäischen Parlament und dem Rat im Hinblick auf den Europäischen Rat in Thessaloniki übermittelt. Die dritte Mitteilung beschäftigt sich mit leichter zugänglichen, gerechteren und besser funktionierenden Asylsystemen. Hintergrund dieser Mitteilung ist der britische Vorschlag zu neuen Ansätzen in der Asylpolitik vom März 2003 sowie diesbezügliche Vorschläge des UNHCR. Der Europäische Rat hatte die Kommission bei seiner Frühjahrstagung 2003 aufgefordert, die durch die britischen Vorschläge aufgeworfenen Fragen zu prüfen.

Neben diesen Mitteilungen nahm die Kommission auch einen Verordnungsvorschlag zur Einrichtung eines Programms für die finanzielle und technische Hilfe für Drittländer im Migrations- und Asylbereich an. Es handelt sich um ein mehrjähriges Programm, für das von 2004 bis 2008 ein Gesamtbudget von 250 Mio. € vorgeschlagen wird. Unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Sevilla zielt der Vorschlag darauf ab, konkrete und ergänzende Hilfe für Drittländer bereitzustellen, um sie in ihren Anstrengungen zur besseren Steuerung der Migrationsströme mit all ihren Aspekten zu unterstützen. (esf)

Bezug: 
1. Mitteilung: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/
cnc/2003/com2003_0336de01.pdf
2. Mitteilung: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/
cnc/2003/com2003_0323de01.pdf
)
3. Mitteilung: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/
cnc/2003/com2003_0315de01.pdf
 

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Informations-
angebot "Europa Direkt"

 

Brüssel. Die Europäische Kommission will die Bürger umfassender über die für sie immer wichtigere Gemeinschaftspolitik informieren. Dazu hat sie im Juli 2003 ihr Angebot "Europa Direkt" ausgeweitet. Es beantwortet die Fragen der Bürger aus allen EU-Ländern in allen EU-Amtssprachen unter einer gebührenfreien Telefonnummer sowie begleitend auch onlinegestützt. Alle Besucher des Webservers EUROPA können sich bei ihrer Online-Suche direkt von einer Person des Callcenters von "Europa Direkt" beraten lassen. Dieser von 9 bis 18.30 Uhr gebotene Dienst steht nur in englischer oder französischer Sprache zur Verfügung. "Unser nächstes Ziel ist es, den Bürgern der künftigen EU-Länder Zugang zu diesem Dienst zu verschaffen, was hoffentlich bis Ende 2003 der Fall sein wird", erläuterte Kommissionspräsident Romano Prodi nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z vom 15.07.2003). "Europa Direkt" bietet allgemeine Informationen über einzelne EU-Politikfelder, spezifische EU-Dokumente sowie Informationen über die europäische Integration. Die meisten Fragen der in den vergangenen Monaten eingegangenen monatlich bis zu 5.000 Informationsanfragen bezogen sich auf die Mobilität der Arbeitnehmer im Binnenmarkt und auf Unternehmensgründungen. Dabei ging es vor allem um Themen wie die Anerkennung von Diplomen, die Arbeitssuche im Ausland oder die Übertragung von Sozialversicherungsansprüchen. (esf)

Kontakt: 
Tel.: 00800/67891011, http://europa.eu.int/europedirect

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SOPEMI-Report 2002

Paris. Im Frühjahr 2003 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen neuen Jahresbericht zu Trends internationaler Migration herausgegeben. Die englischsprachige 2002er Ausgabe des "Annual Report SOPEMI - Trends in International Migration" bietet auf 398 Seiten die seit über 25 Jahren gewohnte Fülle an Expertentexten und Statistiken zu Wanderungsbewegungen sowie Migrationspolitiken in den OECD-Staaten von Deutschland und Belgien über Kanada und Japan bis Neuseeland. Ein Sonderbeitrag befasst sich mit dem Thema Arbeitskräftemangel in den OECD-Ländern. Erhältlich ist auch eine französische Fassung. Einige Daten dieser Publikation wurden in der AiD-Europakarte auf den Seiten 10 - 11 verarbeitet. (esf)

Bezug: 
UNO-Verlag GmbH, Am Hofgarten 10, 
53113 Bonn, Tel.: 0228/94902-0, Fax: -22

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Konvent zur Zukunft Europas

 

Baden-Baden. Beim Nomos-Verlag ist im September 2003 ein Text- und Kommentarband mit CD-ROM "Konvent zur Zukunft Europas" erschienen (ISBN: 3-8329-0171-X). Das von Klemens H. Fischer erstellte 542-seitige Werk dokumentiert zum einen den Weg der Konventsarbeiten vom Dezember 2000 (Europäischer Rat von Nizza) bis zur Vorlage des Abschlussdokuments im Sommer 2003. Zum anderen stellt Fischer die Positionen der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Beitrittsländer dar und erläutert den Verlauf der Verhandlungen im Konvent. Der Autor legt zudem erstmals einen Kommentar des Verfassungsvertrages in seinen Auswirkungen für die Rechtspraxis vor. Da die Arbeiten des Konvents eine große Anzahl von Beiträgen, Entwürfen und Dokumenten umfassten, ist dem Buch eine CD-ROM mit einer Gesamtdokumentation angefügt. Damit soll Leserinnen und Lesern die Möglichkeit gegeben werden, die Arbeiten in ihrem vollen Umfang nachzuvollziehen. Das für Europa- und Verfassungsrechtler, Wissenschaftler und Europapolitiker verfasste Buch kostet 69 Euro. (esf)

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Farbige schützen Queen

London. Die traditionellen Bärenfellmützen der Wachregimenter von Königin Elisabeth II. sollen künftig von mehr Farbigen getragen werden. Die Queen hat nach einem Bericht der "Daily Mail" vom 16. September 2003 jetzt erstmals vier junge Migranten aus der Karibik für eines ihrer Elite-Wachregimenter engagiert, die traditionell an der Wachablösung vor dem Buckingham-Palace teilnehmen. Damit reagierte das Königshaus laut Daily Mail auf Vorwürfe der britischen Kommission für Rassengleichheit, die vor einigen Jahren bei der Rekrutierung der Wachsoldaten "Rassismus und Elitedenken" bemängelt hatte. Seitdem sind für die Wachregimenter 100 farbige Soldaten angeworben worden. Die Quote der Farbigen liege bei 3,2 % der 4.600 Mitglieder der Elite-Wachregimenter, sagte ein Armeesprecher am 16. September, wie die Deutsche Presseagentur berichtete. (esf)

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