Integration in Deutschland 1/2004, 20.Jg., 15. April 2004

AUSSIEDLER

Hungrige Klientel

Das Akademikerprogramm der Otto-Benecke-Stiftung

Wie wichtig ihnen das Erlernen der deutschen Sprache ist und was sonst noch dazu gehört, wollte Bundespräsident Johannes Rau von seinen Gästen wissen, als er am 22. Januar aktuelle und ehemalige Stipendiaten der Otto-Benecke-Stiftung (OBS) zu einem Gespräch über die Integration einlud.


Bundespräsident Rau begrüßt OBS-Stipendiaten

"Hätte ich es noch mal geschafft?" fragte sich rückblickend die Ärztin Katharina Günther. Als die Aussiedlerin 1995 mit zwei Kindern und der alten Mutter aus der sibirischen Stadt Kemerowo nach Deutschland kam, hatte sie bereits 15 Jahre als Medizinerin gearbeitet. Ausländische Ärzte müssen in Deutschland ein Anpassungsjahr im Krankenhaus verbringen und dann die Approbation bestehen. Im Übergangsheim hatte Günther von der Stiftung gehört, die eingewanderten Akademikern bei der Qualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt hilft. Sie bewarb sich, wurde in einem mehrstufigen Verfahren ausgewählt und bekam ein Stipendium für die Zeit ihres Praktikums. Neben der Arbeit im Krankenhaus musste die Stipendiatin viele Fortbildungen machen sowie Deutsch als Alltags- und Fachsprache lernen. Kein Wunder, dass sie danach erschöpft war, ihrer Familie gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte und erstmal mit Mann und Kindern in Urlaub fuhr. Ein Fehler, wie es sich herausstellte. Irgendwie hatte sie den Anschluss verpasst und konnte zehn Monate lang keine Stelle finden: "Die schlimmsten in meinem Leben", gestand sie. Dann aber konnte sie eine Hausarzt-Praxis in Hagen übernehmen.

Ob nicht die Patienten davongelaufen wären, weil eine "Ausländerin" sie nun behandeln wollte, erkundigte sich Johannes Rau. Sie habe die meisten halten können, versicherte Dr. Günther. Der Bundespräsident zeigte ein lebhaftes Interesse an den Werdegängen auch der anderen Stipendiaten: Woher sie kommen, was sie studiert haben, wie viele Semester und wie sich die Kinder in Deutschland eingelebt haben. Mit Dr. Günther tauschte er Eindrücke über das Ruhrgebiet aus und erzählte von der 80jährigen Mutter seiner Haushaltshilfe aus Kasachstan, die er bei einer Familienfeier kennen gelernt hätte. Die Lieder der alten Russlanddeutschen seien ihm noch vertraut gewesen, seiner Frau aber nicht mehr geläufig und seinen Töchtern schon gar nicht.

Rau fragte besonders nach den sprachlichen Vorkenntnissen und dem Umfang der Deutschkurse. Der sechsmonatige Basiskurs vom Arbeitsamt ist nicht ausreichend, waren sich die Einwanderer einig, zumal für die Anforderungen der Akademiker. Erst durch einen studienvorbereitenden Deutschkurs der OBS sei er in die Lage gewesen, den "schrecklichen" Sprachtest DSH für die Zulassung an der Hochschule zu bestehen, erzählte Alexej Meshkov, ein junger Betriebswirt aus der Ukraine. Er hatte sich entschlossen, ein neues Studium in Erlangen anzufangen, weil sein Diplom hier nicht anerkannt wurde.

Qualifizierung gelingt

Die Arbeit der OBS beweise, dass man Migranten hervorragend qualifizieren kann, sagt der Präsident der Stiftung, Theodor Lemper. Laut regelmäßiger Umfragen unter den Absolventen fänden 80 bis 90 % innerhalb eines Jahres eine Stelle in ihrem Beruf. Das gelte auch bei der gegenwärtigen hohen Arbeitslosigkeit und schließe Frauen und Ältere ein. Allerdings erwarteten die Arbeitgeber noch mehr Mobilität als früher und stellten sehr hohe Ansprüche an die Qualifikation.

Die Otto-Benecke-Stiftung betreut die jungen Akademiker bis 30 Jahren über das Hochschul-Garantiefonds und die berufserfahrenen bis 50 über das Akademikerprogramm (AKP). Die erste Zielgruppe waren Spätaussiedler aus Polen und Rumänien, später hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion. 1996 wurden die jüdischen Kontingentflüchtlinge und 2003 die Asylberechtigten ins Programm aufgenommen. Trotz zurückgehender Aussiedlerzahlen wandten sich mehr Akademiker an die Stiftung, sagt die Leiterin des AKP, Dagmar Maur, und macht dafür mehrere Gründe aus: Das Angebot habe sich herumgesprochen, und es kämen mehr Leute mit einem Diplom in der Tasche. Im Jahr 2003 bewarben sich 4.461 Zuwanderer um die rund 1.100 Stipendien im AKP.

Unter den Gästen im Bonner Präsidentensitz Villa Hammerschmidt war auch Igor Grebenshikow. Er ist einer der ersten zehn Asylberechtigten, die gefördert werden, darunter manche, die sich jahrelang mit Jobs, für die sie überqualifiziert waren, begnügen mussten. Der promovierte Politikwissenschaftler und Journalist aus Kirgisien hatte mehr Glück. 2002 wurde er als politischer Flüchtling anerkannt, weil er Analysen für oppositionelle Zeitungen und internationale Internet-Agenturen schrieb und bedroht wurde. Nach der Anerkennung suchte er im Internet nach einem Arbeitsplatz und stieß so auf die Website der Stiftung. Mit ihrer Unterstützung kann er ein Jahr lang ein wissenschaftliches Praktikum im Internationalen Konversionszentrum Bonn machen und hofft, auf dieser Weise in seinem Beruf wieder Fuß zu fassen.

Die OBS-Spezialität sind die maßgeschneiderten einjährigen Studienergänzungen. Dafür kooperiert sie mit Universitäten, Fachhochschulen und Weiterbildungseinrichtungen aus ganz Deutschland. Von den Stipendiaten wird Mobilität erwartet: Notfalls müssen sie umziehen, möglicherweise sich über ein Jahr lang von der Familie trennen. Die Kooperationspartner werden über Ausschreibungen ausgewählt: Immer mehr ostdeutsche (Fach)Hochschulen sind darunter. Es ist eine Gelegenheit, Drittmittel anzuwerben und die Weiterbildung zu proben.

Die OBS-Studierenden nutzen die Labore, Werkstätten und Computerräume, besuchen dort jedoch nur die eigenen Vorlesungen und Seminare. Die Stiftung gibt den Partnern den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen vor. Dabei beharrt sie auf dem Praxisbezug: Deutsch und Englisch als Fachsprache, spezifische EDV-Kurse, Betriebspraktika. Solide Grundlagenkenntnisse brächten die Stipendiaten meist mit. Seit 2001 gibt es die Möglichkeit, bestimmte Fächer im Fernstudium zu durchlaufen. Daran sind besonders Frauen interessiert, die kleine Kinder oder pflegebedürftige Familienmitglieder haben.

Die OBS-Klientel ist "hungriger" als ein typischer deutscher Hochschulabsolvent, das heißt finanziell bescheidener, fleißiger und flexibler. Oft hat sie eine entmutigende Arbeitssuche hinter sich: Das ist hart für Leute, die in ihrer Heimat beruflich geschätzt, möglicherweise in leitender Stellung waren. Hier werden eingewanderte Ingenieure als Schlosser bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt, Schauspielerinnen vom Arbeitsamt aufgefordert, auf Krankenpflegerin umzuschulen. Durch die Betriebspraktika kommen sie zum ersten Mal mit deutschen Kollegen in Kontakt und fassen wieder Mut: Dass sie doch einiges können oder dass der Akzent keine unüberwindbare Hürde ist.

Man versuche, die Probleme hinter der eigenen Tür zu verbergen, statt damit in die Öffentlichkeit zu gehen, erzählte einer der Stipendiaten. Dazu gehöre z.B. die unterschiedliche rechtliche Behandlung und finanzielle Förderung der verschiedenen Einwanderergruppen. "Man hat sogar oft in einer Familie verschiedene Rechte", so Timofej Goverdovskij, russischer Ehemann einer Russlanddeutschen. So dass die einen Familienangehörigen Sprachkurse und fachliche Weiterbildungsmaßnahmen besuchen dürfen, die anderen aber nicht. Den anwesenden Politikern und Ministerialbeamten schien das unbekannt zu sein. Ob sich die Stipendiaten in einer Werbekampagne für das Erlernen der deutschen Sprache aussprechen würden, fragte der Chef des Bundespräsidialamtes, Rüdiger Frohn. Ja, bestätigten sie einhellig, "unbedingt".


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.