Integration in Deutschland 1/2004, 20.Jg., 15. April 2004

PROJEKTE


Die Hürden Schulabschluss und Berufsausbildung

Projekte helfen jungen Migranten beim Berufseinstieg

Gesamtschule Köln-Holweide. 16 türkische SchülerInnen der 9. und 10. Klasse erwarten Kiymet Akpinar, die türkische Mitarbeiterin der BQN II Köln. Das Kürzel steht für das vom Arbeitsamt, der Handwerkskammer und der IHK Köln getragene Projekt "Berufliche Erstqualifizierung von Nachwuchskräften mit Migrantenhintergrund".


Lehrlinge in einer türkischen Tischlerei in Berlin

 Akpinar will die SchülerInnen von der Notwendigkeit einer soliden Berufsausbildung überzeugen. In der Vorstellungsrunde stellt sich heraus, dass sechs SchülerInnen ziemlich ratlos sind. "Sie haben zwar einen Wunschberuf", weiß Hatun Demir, die in beiden Klassen Türkisch unterrichtet, "doch ihre Zeugnisnoten zeigen ihnen, dass ihr Traum nicht realisierbar ist. Aber es ist ihnen eigentlich klar, dass sie eine Ausbildung brauchen." Und so wird engagiert diskutiert, wie viele Bewerbungen man schreiben sollte, ob man sich nur bei großen Firmen wie Bayer oder Ford bewirbt oder nicht doch besser auch bei kleinen Firmen, was man zu einem Vorstellungsgespräch anzieht und wie man sich während des Gesprächs verhält. Auch über Begriffe wie duales System, Ausbildungsberater, Berufsberater oder Ausbildungvertrag herrscht am Ende der eineinhalb Stunden Klarheit. Zum Schluss hat Akpinar sogar eine Lösung für die sechs, die ihren Traumberuf nicht erlernen können: "Wir werden Anfang Januar in meinem Büro gemeinsam herausfinden, welche Berufe ihren Fähigkeiten entsprechen, und ich werde ihnen im Internet die Ausbildungsplatzbörsen der IHK´s mit ihren Vorteilen zeigen."

Doch nicht überall ist jungen Migranten der Sinn der Ausbildung so klar wie an dieser Schule. Bundesweit haben etwa ein Drittel der 20 bis 29-jährigen Italiener, Griechen, Portugiesen, Spanier, Bürger des ehem. Jugoslawien und Türken keine Berufsausbildung und damit keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Bei den Deutschen sind es 8%. Dabei gibt es immer weniger Arbeitsplätze für un- und angelernte Arbeiter, und auch die Selbständigkeit ist - wie bei Kioskbesitzern mit einem 16-Stunden-tag - als Alternative nur begrenzt brauchbar. Daher bemühen sich Projekte wie BQN Köln, Go4jobs! in Bonn oder Boje in Essen darum, junge Migranten zur Ausbildung zu motivieren, versuchen sie in Schulen zu erreichen und arbeiten oft auch mit Sport- und Kulturvereinen sowie Moscheen zusammen. "Man muss auch die Eltern davon zu überzeugen, dass ihre Kinder eine Ausbildung brauchen und ihnen das duale System erst einmal genau erklären, denn gerade das gibt zwar bei uns, aber nicht in ihrer Heimat", sagt Jochen Drewitz, Geschäftsführer der Jugendberufshilfe Essen e.V. "Zum Teil handelt es sich dabei um ein typisches Problem der Unterschichten. So erlebe ich ja auch bei deutschen Eltern, dass sie sich kaum um die Ausbildung ihrer Kinder kümmern, wenn sie selbst nie einen Beruf erlernt haben." Es ist dann häufig kein Familienmitglied vorhanden, das vorlebt, wie man nach einer Ausbildung in seinem Beruf auch das Geld zum Lebensunterhalt verdient.

Gemeinschaftshauptschule Ahornweg in Bergisch Gladbach. An diesem lausig - kalten Winterabend sind 35 Personen der Einladung des Projekts "Migrantinnen und Migranten in Ausbildung im Rheinisch-Bergischen Kreis", kurz MiA Rhein-Berg, zu einer Info-Veranstaltung für türkische Eltern und Schüler gefolgt. In etwas mehr als zwei Stunden bringen ihnen Fachleute auf deutsch und türkisch das deutsche Schul- und Berufskollegsystem nahe, erfahren sie, wie das duale Ausbildungssystem funktioniert. Ganz still wird es, als ein Projektmitarbeiter ihnen die Größenordnung der Arbeitslosigkeit von Türken bei uns erläutert und und erklärt, warum die 40% der 20- bis 29-jährigen Türken, die bei uns keine Ausbildung haben, vermutlich arbeitslos bleiben: "Selbst wenn sie einen Job bekommen, werden sie, weil sie keine Qualifikation haben, stets unter den ersten sein, die entlassen werden." Und immer wieder tauchen die beiden Schlüsselbegriffe auf: ein möglichst guter Schulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Schüler wurden an diesem Abend richtig munter, als ihnen drei junge, beruflich erfolgreiche Landsleute Auskunft über ihren Start in Ausbildung und Beruf gaben. "Das war toll, was die uns z.B. zum Thema Bewerbung sagen konnten und wie sie an ihren Job gekommen sind", strahlten zwei Mädchen.

Die genannten Projekte werden auch in Zukunft nicht über Arbeitsmangel klagen können. Wolfgang Fehl, Leiter der BQN II Köln: "Staat und Gesellschaft haben die Migranten jahrelang mit ihren Problemen alleingelassen. Die Informationsdefizite hinsichtlich Schule und Ausbildung werden wir daher nur langfristig beseitigen können."


Autor: Peter Andratschke

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E-Mail vom Engel

Berufserfahrene Mentoren betreuen arbeitslose Jugendliche

Die Aussiedlerin Nadja wusste, was sie einmal werden wollte: Rechtsanwaltsgehilfin. Aber mit 24 Jahren, einem kleinen Kind und russischem Akzent kam sie bei den begehrten Ausbildungsplätzen nie zum Zuge. Sie wusste auch gar nicht, wie sie es besser machen sollte. Das änderte sich, nachdem Nadja ihren persönlichen JobAngel bekam. Per E-Mail durfte sie ihn mit Fragen löchern. So konnte sie wenn nicht gleich einen Ausbildung- so zumindest einen Praktikumsplatz bei einem Rechtsanwalt ergattern.

Seit 1999 bringt das Projektbüro des Europäischen Zentrums für Medienkompetenz GmbH in Marl Mentoren und Mentees zusammen. Knapp 700 arbeitslose Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren haben bisher einen Betreuer gefunden, der sie über die Wirklichkeit ihres Traumberufs aufklärt. Die meisten haben einen Haupt- oder gar keinen Schulabschluss, schlechte Noten oder eine abgebrochene Ausbildung, viele sind Migranten oder Migrantenkinder. Die Großzahl wird während der berufsvorbereitenden Lehrgänge auf das Projekt aufmerksam gemacht. Einen Mentor konnte das Projekt fast jedem Ratsuchenden vermitteln, sagt die Leiterin Barbara Gehrke. Rund 300 Ehrenamtliche stehen zur Zeit in der Datenbank. Bei ausgefallenen Berufswünschen geht das Büro selbst auf Suche und wirbt Bestatter oder Bundeswehroffiziere als JobAngels an. Manchmal gelingt es, ganze Unternehmen ins Boot zu holen, die dann mehrere Mitarbeiter aus verschiedenen Berufsfeldern zur Verfügung stellen: Das trainiert ihre soziale Kompetenz und ist gut für das Image.

Die Tandems tauschen sich fast ausschließlich per Mail aus. Das ist so gewollt, damit die jungen Teilnehmer die Arbeit am PC und im Internet üben. Dafür stellen rund 40 Bildungsträger und Jugendzentren in ganz Nordrhein-Westfalen einen kostenlosen Zugang her. Das TeleMentoring-Projekt wird teils aus Eigenmitteln, teils vom Landesarbeitsministerium mit Geldern des Europäischen Sozialfonds finanziert. Wie wird Piercing im Vorstellungsgespräch angesehen? Was verdient ein Bankkaufmann? Soll eine Rechtsanwaltsgehilfin Kaffee kochen? Frei heraus zu fragen, fiele den Jugendlichen beim "anonymen" Online-Kontakt leichter als im persönlichen Treffen, meint Gehrke, auch wenn sie in der Regel nicht sonderlich schreibgewandt seien. Am Ende trauten sie sich sogar über Privates zu reden, z.B. dass eine Schwangerschaft die Pläne durchkreuzt.

Trotz beruflichen Stresses finden die ehrenamtlichen Mentoren ein bis zwei Stunden wöchentlich, um Mails zu beantworten. Rudolf Schüller hat bereits seine dritte Mentee angenommen. Der 42jährige selbständige Unternehmensberater hatte im Radio vom Projekt gehört und meldete sich, um Jugendlichen beizustehen, die sich für das kaufmännische Tun interessieren. "Mir hätte eine solche Unterstützung damals auch geholfen", meint er rückblickend: "Die Angebote des Arbeitsamtes taugen in der Praxis leider nicht viel". Lehrstellen habe er keine zu bieten, aber einem fähigen Mentee würde er später mit Kontakten helfen.

Viele JobAngels entwickeln mehr Verständnis für die benachteiligten Jugendlichen, weiß Gehrke aus den regelmäßigen Umfragen. Auch wenn manche sich die jungen Männer und Frauen qualifizierter oder zuverlässiger gewünscht hätten. Für die Jugendlichen wiederum sei es oft das erste Mal, dass sich jemand aus freien Stücken für ihre Sorgen und Träume interessiert. Denn "bezahlte Zuwendung" seitens der Sozialpädagogen und Arbeitsämter haben sie in ihrem Leben schon genug erfahren. Das gestärkte Selbstvertrauen verbucht das TeleMentoring-Projekt als einer der größten Erfolge. Ob die Mentees anschließend in ihrem Wunschberuf arbeiten können, darüber gibt es keine Zahlen.

Info: www.telementoring-nrw.de


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Karriereförderung für Jugendliche aus Migrantenfamilien

 

Berlin. Ein 18 Monate dauerndes EU- Vorhaben zur Karriereförderung von Jugendlichen aus Migrantenfamilien hat im Februar 2004 in Berlin die Arbeit aufgenommen. Das von der Berliner Gesellschaft für berufsbildende Maßnahmen (GfbM) geleitete Projekt nutzt für Berlin Erfahrungen aus anderen europäischen Städten: Brüssel- Anderlecht und Turin. Das Angebot wendet sich an junge Menschen mit Migrationshintergrund sowie an beruflich erfolgreiche Migrantinnen und Migranten, die bereit wären eine Mentorenschaft zu übernehmen. Mit Coaching-Verfahren werden Jugendliche aus Migrantenfamilien, insbesondere junge Frauen, in ihrem beruflichen Aufstieg unterstützt. Erfolgreiche Migranten - Personen, die im öffentlichen Leben, in Kultur und Wirtschaft sowie Verwaltungen stehen und die Probleme ethnischer Benachteiligung überwunden haben - sollen sich als Mentorinnen und Mentoren für junge Menschen zur Verfügung stellen. In den drei Städten wird das Projekt mit Schulen, sozialen Projekten, Betrieben, den Verwaltungen und Jugendkultureinrichtungen sowie mit lokalen Radio- und TV-Stationen zusammenarbeiten.

Der Integrations- und Migrationsbeauftragte des Senats von Berlin, Günter Piening und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg unterstützen das von der Europäischen Kommission mit 230.000 €Euro geförderte Projekt. In einer Pressemitteilung erklärte Piening dazu: "Allzu oft nehmen wir Zuwanderung ausschließlich als ein sozialpolitisches Problemfeld wahr. Dabei übersehen wir, dass viele Migranten in Berlin durchaus Erfolg haben. Es gibt sie - die Integrationskarrieren, und wir sollten sie deutlicher herausstellen. Das ist für Berlin wichtig; denn zum Profil Berlins als internationaler Stadt gehört, dass die Stadt für Zuwanderer interessant ist. Vor allem aber ist es hier für junge Migrantinnen und Migranten entscheidend, Vorbilder aus den eigenen Reihen zu haben und damit positive Orientierungen. Ich hoffe, dass das Projekt von vielen als Chance verstanden und genutzt wird." (esf)

Kontakt: 
Büro des Berliner Integrationsbeauftragten: 
Herr Germershausen, Tel.: 030/90172383 Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: 
Frau Nahawandi, Tel.: 030/90298-3133 
GfbM: Frau Daiber, Tel.: 030/61288192

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