Integration in Deutschland 1/2004, 20.Jg., 15. April 2004

Forschung

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


"Nur die Besten kommen durch"

Erfahrungen der RWTH Aachen

Mehr Studenten aus der ganzen Welt wollten die deutschen Hochschulen holen - aber bitte nur die Besten. Die Zahl der ausländischen Studierenden hat sich tatsächlich in den letzten Jahren verdoppelt. Nur, was kommt dabei heraus? Wenig, sogar an Top-Unis. Eine Untersuchung des Hochschul-Informations-Systems (HIS) zeigt: Nach 8 Jahren haben erst 20 Prozent der "Bildungsausländer" einen Abschluss erreicht. Eigentlich müssten sie innerhalb von 5 Jahren fertig werden.


Mit der Doktor-Urkunde erhält der Physiker Jacques Nzali auch eine DAAD-Urkunde für hervorragende Leistungen

Untersucht wurde exemplarisch der Jahrgang 1994/95 an der Rheinisch-Westfällischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, der Uni München, HWA Hamburg und Uni Bielefeld. Neben den Absolventen weist die Statistik einen Anteil von 20 bis 30 % ausländische Studierende aus, die länger als acht Jahre brauchen. Was mit dem Rest geschieht, ist nicht klar: Ob sie nach Hause zurückkehren, irgendwo untertauchen oder einfach an die benachbarte Fachhochschule wechseln und doch noch zu einem Abschluss gelangen. Die Absolventenquote bei den Einheimischen innerhalb der acht Jahre ist günstiger, aber immer noch sehr niedrig: knapp 37 %. Die genannten Zahlen stammen von der RWTH, sind jedoch an den anderen drei Hochschulen ähnlich.

Dabei ist es nicht so, dass die RWTH ihre Hausaufgaben gar nicht gemacht hätte. Von ihren gut 30.000 Studenten sind ein Fünftel Ausländer. Die Liste deren Clubs und Vereine im Akademischen Auslandsamt - in Aachen trägt es eine englische Bezeichnung - ist beachtlich. Es gibt traditionsreiche Erstsemesterprogramme und einen internationalen Kulturtreff. Für Werner Weber, zuständig für internationale Beziehungen an der RWTH, sind die HIS-Zahlen dennoch keine Überraschung. Die deutschen Hochschulen bauen bisher auf die "natürliche Auslese". Sie nehmen - außerhalb der numerus-Clausus-Fächer - praktisch jeden studierwilligen Abiturienten auf und selektieren in den ersten Jahren die wirklich qualifizierten heraus. So wird aus dem beabsichtigten "Nur die Besten kommen" ein "Nur die Besten kommen durch!"

Gerade für Studierende aus fernen Ländern ist das System der natürlichen Auslese mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden: die Ausgaben für Reise und Aufenthalt, die enttäuschten Erwartungen, die verschwendeten Lebensjahre… Von den Kosten der Uni ganz zu schweigen. Wenigstens bei den Ausländern sollte man genauer prüfen, ob sie wirklich in der Lage sind, an den deutschen Hochschulen zu bestehen, fordert Weber. Die Marketingkampagne des Bundes im Ausland ist aus seiner Sicht "rausgeschmissenes Geld", weil sie den Zuzug keinesfalls zu steuern vermöge. So kämen immer wieder große Gruppen aus bestimmten Ländern: Zur Zeit sind es Chinesen, früher seien es mal Marokkanern, mal Chilenen gewesen. Dies sei aber nicht einer besonders gelungenen Werbekampagne zu verdanken, sondern den politischen oder sozialen Umständen in der jeweiligen Heimat.

Wie also bestimmen, wer kommen darf? Gute Noten im Abitur- oder Bachelor-Zeugnis reichen nicht, denn auch fleißige Chinesen mit Bestnoten kapitulieren oft vor dem hiesigen System des selbstbestimmten Lernens. Wie man die erforderlichen charakterlichen Fähigkeiten prüft, ist nicht klar. Einige wenige Hochschulen, unter anderem die TU Darmstadt, experimentieren derzeit mit Online-Auswahlverfahren.

Die Selbstorganisation des Studiums kann man ja mit etwas Unterstützung lernen, meint Benedikt Kaleß. Der Informatik-Student im 13. Semester betreute ehrenamtlich deutsche und ausländische Studienanfänger: Er zeigte ihnen die Uni, ging das Vorlesungsverzeichnis mit ihnen durch, half bei der Wohnungssuche. Bis ihm die Gruppe zu groß wurde. Rund 20 Neue kommen derzeit auf so einen Tutor, zehn dürften es höchstens sein, fordert er. Die studentischen Freiwilligen kosten weniger als zusätzliche Assistenten, pädagogische Schulung und Aufwandsentschädigung inbegriffen, aber die Landeszuschüsse für die Selbsthilfe wurden gekürzt. Dass mehr Ausländer als Deutsche im Studium scheitern, wird vor allem nicht-akademische Gründe haben, vermutet Kaleß: Die aufreibenden Probleme mit dem Arbeits- und Ausländeramt hätten die Deutschen nicht.

Sein Kollege Safiyan el-Bari aus Tunesien sträubt sich auch gegen den Gedanken an eine vorgeschaltete Auswahl. Sein Abiturzeugnis sei nur mittelmäßig gewesen, trotzdem würde er sein Studium der Elektrotechnik in nur 13 Semestern schaffen, versichert er. Der Grund: Er wusste im Voraus, was ihn an der Aachener Universität erwartet: viel Theorie, viel Mathematik und noch mehr Selbständigkeit. Zwei seiner tunesischen Professoren waren RWTH-Alumnis und hatten ihm die renommierte Hochschule empfohlen. Aber die meisten Bewerber haben nicht soviel Glück, sagt der künftige Ingenieur: "Wenn man dort in der Botschaft ein Visum beantragt zwecks des Studiums, ist die Rede nur von der Verpflichtungserklärung, mit der du deine Finanzen nachweist. Alles andere, was ein Studium angeht, wird gar nicht erklärt". Auch er spricht sich für mehr Betreuung aus. Damit finden die beiden Studenten einen gemeinsamen Nenner mit Werner Weber. Vor allem im Grundstudium sind Tutoren notwendig, sagt der Akademische Direktor für internationale Beziehungen: "Das wissen wir, weil wir das vor 30 Jahren schon mal gemacht haben, und mit großem Erfolg. Aber heute haben wir das Geld nicht mehr dafür."

Das liebe Geld. An Massen-Unis drängen sich oft 100 Studierende um einen Professor oder Assistenten, an der Aachener Hochschule sind es nur 25. Immer noch zuviel, jedenfalls im Vergleich zum berühmten amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT), an dem sich ein Professor um sieben Studierende kümmert. Und daran will sich die RWTH schließlich messen. Für die exzellente Betreuung zahlen die Bostoner Studenten jedoch saftige Gebühren. Selbst wenn man die Messlatte für die Eliteförderung etwas niedriger hängt, bedeutet das für Deutschland zwischen 4 und 5.000 Euro jährlich pro Studierendem, schätzt Weber. Für ihn heißt die Lösung Studiengebühren: Von den reichen Ausländern mehr nehmen, um den armen Stipendien zu geben, schlägt er vor. Für Kaleß und el-Bari eine Horrorvorstellung: Dann werden eben noch mehr Studierende noch länger jobben müssen, um diese Summen aufzubringen. Selbst die Aussicht, die Studienzeit durch die fachliche Zuwendung zu verkürzen, kann sie nicht umstimmen.

Die Alternative: ein Stipendienfonds, den die Wirtschaftspartner auffüllen. So etwas gibt es bislang nicht, Firmen zahlen lediglich einigen Auserwählten das Studium, um sie später in Auslandsniederlassungen und Joint Ventures einzusetzen. Gerade die RWTH mit ihrem guten Draht zur Industrie könnte so einen Fonds aufbauen, zeigt sich Weber zuversichtlich.

Die als die Lösung aller Übel gepriesenen Masterstudiengänge brächten bisher ebenfalls nicht alle Ausländer zum Erfolg. Obwohl "Master" drauf steht, sei nicht unbedingt angelsächsisches System - mit inhaltlichen Modulen, Tutoren und Kreditpunkten - auch drin. Die Aachener Hochschule hat aber den Ehrgeiz, mit der amerikanischen und britischen Konkurrenz Schritt zu halten. Dazu gehört das Ziel, ähnlich viele Studienanfänger zu einem guten Abschluss zu bringen. Weber: "Wenn ein Student dort scheitert, Inländer oder Ausländer, dann sagen sie: Wir sind schuld. Entweder haben wir ihn nicht richtig ausgewählt oder wir haben uns nicht richtig um ihn gekümmert. Ich möchte erreichen, dass mein Rektor das auch sagen kann! Bisher kann er das nicht."


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Gegen Studiengebühren

 

Trier. Der freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) und der Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) kritisieren die Pläne, Gebühren von ausländischen Studierenden zu erheben, scharf. Die neun größten technischen Universitäten planen, bis zu 2.000 Euro pro Semester für fachliche Betreuung, Lehrmittel, Sprachunterricht und Wohnen zu erheben, hatte der Kanzler der TU Dresden, Alfred Post, Anfang März 2004 gegenüber der Sächsischen Zeitung erklärt. BAS, fzs und die örtlichen Studierendenvertretungen halten den Vorstoß laut einer Pressemitteilung vom 17. März 2004 für "eine unerhörten Abwälzung universitärer Kernaufgaben auf die Studierenden" und eine "dreiste Ungleichbehandlung ausländischer Studierender". BAS und fzs kritisieren, dass die Hochschulen ausländische Studierende gezielt "anwerben", um sich ein internationales Profil zu geben, gleichzeitig diese nun aber "zur Kasse bitten" wollen. "Wer ausländische Studierende gerne als NachwuchswissenschaftlerInnen anwirbt, muss sich auch um deren Betreuung kümmern", so BAS-Sprecher Roufaou Oumarou. Dabei weisen BAS und fzs darauf hin, dass dies nicht nur für Programmstudierende gelten darf. "Bei den geplanten Gebühren befürchten wir, dass wieder nur sogenannte free-mover zahlen müssen", so Oumarou. Die beiden Verbände befürchten, dass die Zahl ausländischer Studierender bei Einführung solcher Gebühren massiv zurückgeht. Ihrer Auffassung nach verlieren Hochschulen mit Einführung von Gebühren an Attraktivität für ausländische Studierende.

Laut BAS und fsz befinden sich viele ausländische Studierende bereits jetzt in einer prekären finanziellen Lage. "Gerade Studierende aus Entwicklungs- und Schwellenländern können sich diese Gebühren niemals leisten", sagte Oumarou. Für die beiden Organisationen ist es ein "Unding", dass bereits jetzt Deutschkurse vielfach gebührenpflichtig sind. Darüber hinaus zahlen ausländische Studierende Sozialbeiträge an die Studentenwerke, die Mensen und Wohnraum zur Verfügung stellen. BAS und fsz weisen darauf hin, dass ausländische Studierende kaum Möglichkeiten haben, neben dem Studium erwerbstätig zu sein, da ihnen dies das gegenwärtige Ausländer/innenrecht verbiete.

BAS und fzs zeigten sich empört darüber, dass die Studierenden sich die fachliche Betreuung für viel Geld kaufen sollen. Tück: "Die Betreuung der Studierenden ist eine elementare Aufgabe der Hochschulen. Natürlich brauchen ausländische Studierende eine besondere Betreuung, aber diese muss von den Hochschulen finanziert werden." Eine Umwälzung dieser Kosten auf die ohnehin stark belasteten Studierenden lehnen die Organisationen ab. Sie zeigen kein Verständnis dafür, "dass just die Studierenden, die den sicher nicht leichten Weg des Auslandsstudiums beschreiten, mit extrem hohen Gebühren belastet" werden sollen. "Stattdessen brauchen wir eine bessere Betreuung ausländischer Studierender durch die Hochschulen, um diesen einen besseren Studienerfolg zu ermöglichen", sagte Tück abschließend. (esf)

Kontakt: 
Bundesverband ausländischer Studierender - BAS e.V., Interessensvertretung der ausländischen Studierenden, in der Bundesrepublik Deutschland, 
Johannes Glembek, Geschäftsführer, 
c/o AStA Universität Trier, 54286 Trier, 
Tel.: 0651/731-73, Fax: -23, basev@web.de, bas@uni-trier.de

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