Integration in Deutschland 1/2004, 20.Jg., 15. April 2004

SCHWERPUNKT:
AUSLÄNDISCHE STUDIERENDE

Pianisten und Ingenieure

Ausländische Studierende


Brauch ich das für's Examen?

Das Studium von Ausländern in Deutschland war in den Migrations- und Integrationsdebatten bislang ein kaum beachtetes Thema. Im Zuge der Debatte um den Mangel an Fachkräften hat sich dies jedoch geändert. Mit Blick auf den weltweiten "Wettbewerb um die besten Köpfe" soll das Ausländerstudium attraktiver gestaltet bzw. die "Internationalisierung" deutscher Hochschulen vorangetrieben werden. Die AiD-Schwerpunktseiten widmen sich der Frage, wie erfolgreich ausländische Studierende sind, welche Probleme sie haben und welche Institutionen Ihnen Unterstützung bieten.

Die Zahl ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen hat sich seit 1975 fast vervierfacht. Ihr Anteil an allen Studierenden liegt heute bei 12 %. Insbesondere seit 1996 kam es zu einer starken Zunahme (vgl. Grafik). Unter den 1,9 Millionen im Wintersemester 2002/2003 in Deutschland Studierenden waren 227.026 Ausländer (im Vorjahr noch 206.141). Unter letzteren ist jedoch zwischen zwei Gruppen zu unterscheiden. Nur ein gutes Viertel (63.813, im Vorjahr 63.355) sind so genannte Bildungsinländer, die zu einem Großteil in Deutschland geboren sind und hier ihr Abitur gemacht haben, aber über keinen deutschen Pass verfügen. Fast drei Viertel sind mittlerweile so genannte Bildungsausländer, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben haben und für das Studium nach Deutschland gekommen sind. Ihre Zahl hat sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt von rund 87.000 im Wintersemester 1993/94 auf rund 163.000 im Wintersemester 2002/03.
Gut 40 % der Bildungsausländer kommen aus Entwicklungsländern, jeweils rund 30 % aus Schwellen- und Industrieländern. Viele - mehr als früher - kommen, um zusätzlich zu einem abgeschlossenen Studium in der Heimat ein Aufbaustudium in Deutschland zu machen. Damit möchten sie sich eine zusätzliche Qualifikation erwerben. Andere - zuletzt vor allem Ghanaer und andere Afrikaner - kommen wegen neuer englischsprachiger Studiengänge nach Deutschland. Gut 85 % der Bildungsausländer kommen selbstorganisiert als sog. "free-mover". Sie finanzieren ihr Studium selbst - was oftmals nicht einfach ist. Rund 15 % kommen im Rahmen eines Stipendiums.

Mittlerweile sind die Türken - anders als bei den Bildungsinländern - bei den Bildungsausländern nicht mehr die größte Gruppe. Diese bilden heute Studierende aus China (6.985) vor Studierenden aus Polen (3.699), Bulgarien (3.172) und Frankreich (3.128). Insbesondere die Zahl chinesischer Studierender hat sich seit 1999 verdreifacht. Ebenfalls stark angestiegen ist die Zahl der Studienanfänger aus Osteuropa und Indien.

Für ausländische Studierende gestaltet sich das Studium in vielerlei Hinsicht schwieriger als das ihrer deutschen Kommiliton/innen. Insbesondere aufenthalts- und arbeitsrechtliche Auflagen erschweren ihnen den Zugang zur Hochschule. Dazu kommen Probleme bei der Anerkennung, Finanzierung und Betreuung. Studierende, die nicht aus den Staaten der EU sowie aus Australien, Honduras, Island, Israel, Japan, Kanada, Liechtenstein, Monaco, Neuseeland, Norwegen, San Marino, der Schweiz oder den U.S.A. stammen, benötigen zur Einreise ein Visum zu Studienzwecken. Dafür brauchen sie den Zulassungsbescheid einer deutschen Hochschule oder eine anerkannte Hochschulzugangsberechtigung und einen Nachweis über die Finanzierung des ersten Studienjahres. Sie erhalten eine zunächst auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken, die später um jeweils zwei Jahre verlängert wird, bis der Aufenthaltszweck durch die Beendigung des Studiums oder der Promotion erfüllt ist - mit der Einschränkung, dass ausreichende Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts für diesen Zeitraum nachzuweisen sind und ein ordnungsgemäßes Studium vorliegt.

Nicht alle heimatlichen Sekundarschulabschlüsse werden als dem deutschen Abitur gleichwertig anerkannt. Wer nicht direkt zum Hochschulstudium zugelassen wird, hat einen zweisemestrigen Kurs an einem der bundesweit 38 Studienkollegs zu besuchen. In zwei Semestern werden nötige Qualifikationen - unter anderem Sprachkenntnisse - erlangt. Dann folgt die so genannte "Feststellungsprüfung", in der die Bewerber nachzuweisen haben, dass sie für ein Fachstudium vorbereitet sind.

Einen dauerhaften Aufenthalt zu erlangen ist bislang nicht möglich. Nach Beendigung des Studiums haben sie in ihr Heimatland zurückzukehren. Viele wandern jedoch auch in andere Länder weiter. Um dies bei gut ausgebildeten Fachkräften zu verhindern, sieht der Entwurf des Zuwanderungsgesetzes vor, Absolventen ein weiteres Aufenthaltsjahr für die Suche nach einem Arbeitsplatz in Deutschland zu gewähren. Während des Studiums ist ihnen bislang eine arbeitserlaubnisfreie Beschäftigung von bis zu 90 Tagen gestattet. Eine längere Beschäftigung ist nur in den Semesterferien erlaubt.

Lebenssituation

Der Anstieg ausländischer Studierenden bedeutet gleichwohl nicht unbedingt, dass die Attraktivität deutscher Hochschulen zugenommen hat. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass der Weg ausländischer Studierender zu einem akademischen Abschluss ungleich schwerer ist, als für ihre deutschen Kommilitonen. Sie müssen nicht nur die "normalen" Probleme bewältigen, die im Studienalltag auftreten können, sondern haben neben den schon angesprochenen ausländerrechtlichen und finanziellen Problemen auch Sprach- und Kontaktschwierigkeiten. Dies betrifft sowohl den Kontakt zu deutschen Studierenden und Hochschullehrern, als auch zur deutschen Bevölkerung. Das soziale Klima wird als wenig gastfreundlich empfunden. "Legt euch in den Kühlschrank, dann wisst ihr wie das hier ist" - hieß es 2001 in einer thüringer Studie. Man empfindet sich nicht als willkommen, sondern als bestenfalls geduldeter Gast. Zu den Mängeln im "Wohlfühlfaktor" kommen Probleme sozialer Isolation. Positiv vermerkt wird im Übrigen die Qualität der Lehre und die Betreuung durch die Hochschulen. Gerade in Bezug auf die Betreuung sind zuletzt einige Anstrengungen unternommen worden.

In einem ebenfalls 2001 abgeschlossenen Forschungsprojekt der VW-Stiftung an der Abteilung Interkulturelle Fortbildung und Organisationsentwicklung Universität des Saarlandes ("Die Dynamik des Fremderlebens in Situationen der interkulturellen Zusammenarbeit") befragten Psychologen 147 ausländische Studierende, was sie als fremd oder gewöhnungsbedürftig erlebt haben. Sie nehmen vor allem "den starken Fokus auf Individualität und die Bedeutung formaler Regeln" wahr, sagt Alexander Scheitza. Eine Studentin war zum Beispiel überrascht, dass hier viele Studierende außerhalb des Campus alleine wohnen. Sie meint, dass man sich doch einsam fühlen müsste. Eine Chinesin bewunderte die farbenfrohe Kleidung älterer Damen und dass diese ihren eigenen Interessen nachgehen. Eine andere Chinesin wundert sich dagegen vor allem darüber, dass sie eine erste Prüfung trotz schlechter Deutschkenntnisse sofort mitschreiben musste und die Institutsbibliothek bei der Ausleihfrist keine Ausnahmen macht. Mit Blick auf das "Kühlschrank-Phänomen" relativiert Scheitza, dass sich enge Kontakte zu Deutschen positiv auf das Wohlfühlen und Zurechtfinden auswirken. Besonders leicht falle es ausländischen Studierenden, die in der deutschen Kultur etwas finden, was sie in der Heimatkultur vermisst haben - zum Beispiel größere persönliche Freiheit. Gleichwohl stellt er klar, dass Deutschland oft nur zweite Wahl ist: "Die Elite geht in andere Länder".

"Die Universität ist offen, und wir sind stolz, dass viele Studierende und Wissenschaftler aus allen Ländern hierher kommen und sich hier wohl fühlen. So soll es bleiben; für Gewalt und Diskriminierung ist an der Universität kein Platz." Mit diesen Worten leitete der Rektor der Universität zu Köln, Prof. Dr. Tassilo Küpper, die festliche Eröffnung des Wintersemesters 2001/2002 ein. Die Universität zu Köln zählt mit der TU Berlin und den Universitäten Frankfurt/Main und München zu den nach Zahlen bei Ausländern beliebtesten Universitäten. Die meisten Bildungsinländer studieren an den Universitäten Bochum, Essen, Frankfurt/Main und Köln.

Wenig Betreuung

Viele ausländische Studierende müssen mit einem sehr geringen Einkommen weit unter dem Sozialhilfesatz auskommen, das noch dazu nicht sicher ist. Sie können deshalb oft die Krankenkassenbeiträge nicht mehr aufbringen oder müssen die Miete schuldig bleiben. Der Lebensunterhalt kann nur auf niedrigstem Niveau bestritten werden, und manchmal reicht das Geld nur gerade noch fürs Essen. Die aus dieser Situation resultierenden sozialen und psychischen Belastungen können das Studium negativ beeinflussen. Im schlimmsten Fall scheitern die Studenten daran, denn der fehlende Nachweis, die Lebenshaltungskosten selbst bestreiten zu können, kann den Entzug der Aufenthaltsbewilligung und damit den erzwungenen Studienabbruch zur Folge haben. Einige Vereine haben sich die Unterstützung von hier studierenden Ausländern zur Aufgabe gemacht (vgl. S. 5).

In den deutschen Universitätsstrukturen wird von den Studierenden viel mehr Eigeninitiative gefordert, als sie es von zu Hause aus gewohnt sind. Die einen kommen zurecht, kehren erfolgreich zurück, andere gehen in die innere Migration, bleiben unter sich - und wenn dann ein nettes Angebot einer radikalen Gruppe kommt, kann man - wie manche Deutsche auch - leicht in die falschen Kreise geraten. Allgemein kann daher eine gute fachliche und vor allem soziale Betreuung als Garant dafür gesehen werden, dass der Studienaufenthalt nicht nur als akademischer Erfolg, sondern auch als persönliche Bereicherung erlebt wird. Hieran mangelt es noch stark. Zwar gibt es mittlerweile erfolgreiche Ansätze einer speziellen Betreuung. Zu nennen ist zum Beispiel das "Study-Buddy"-Programm an der Universität Bonn. Hier steht Studienanfängern während des ersten Semesters ein deutscher Studierender mit Auslandserfahrung - ein "Study Buddy" - mit Rat und Tat zur Seite. 2002 erhielten drei Projekte aus Hamburg, Darmstadt und Dresden einen Preis für exzellente Betreuung ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen. Insgesamt wird dem Thema aber noch viel zu wenig Beachtung geschenkt.

Einsamer Weg zum Examen

Internationalität ist schon lange ein Qualitätskriterium für Wissenschaft und Forschung. Dennoch scheint der steigenden Zahl von Studierenden und Lehrenden aus Migrantenfamilien wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu werden. Der Blick richtet sich vor allem auf Bildungsausländer. Wie aber ist die Situation von Studierenden aus Migrantenfamilien? Nicht zuletzt die Ergebnisse der PISA-Studie haben gezeigt, dass Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem noch nicht erreicht wurde. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Leistung der Schüler/innen ist sehr ausgeprägt. Auch bei der Entscheidung für oder gegen ein Studium sind die soziale Herkunft und die finanzielle Situation der Eltern häufig ausschlaggebend - dies belegen auch Studien wie die "Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks". Migranten - insbesondere aus den Anwerbeländern - sind besonders betroffen. Viele haben "gebrochene Schulbiografien", das heißt sie kamen über die Haupt- und Realschule zum Gymnasium und hatten im Zuge der Wechsel teilweise Klassen zu wiederholen. Immerhin zwei Drittel der studierenden Bildungsinländer stammen jedoch aus Familien mit niedrigem sozialem Status. Entsprechend niedriger ist auch das Durchschnittseinkommen der Eltern. BAföG und der eigene Verdienst aus Erwerbstätigkeit haben für die meisten eine große Bedeutung.

Früher wurde die Abwanderung von Hochqualifizierten aus Entwicklungsländern ausschließlich als Verlust für deren gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung problematisiert ("brain-drain"). Inzwischen setzt sich eine differenziertere Betrachtung durch, wie eine 2003 durch die Friedrich-Ebert-Stiftung publizierte Studie des Münsteraner Politologen Dr. Uwe Hunger gezeigt hat. Die Abwanderung der Hochqualifizierten kann ihm zufolge auch positive Wechselwirkungen haben. Jetzt wird wieder über "brain-drain" diskutiert, aber aus deutscher Sicht: Hier ausgebildete Bildungsausländer/innen können nicht bleiben und verlassen - wie manch deutscher Hochqualifizierter mittlerweile Deutschland in Richtung U.S.A. Man sollte vom "brain-gain" profitieren, heißt es nun. In anderen Ländern sei das schon selbstverständlich.

Im Prüfungsjahr 2002 haben rund 8.000 Ausländer an Universitäten ihre Diplom- oder entsprechenden sonstigen Abschlussprüfungen bestanden. An Fachhochschulen bestanden rund 3.500 ihre Prüfungen. Dazu promovierten gut 2.100 Ausländer. 95 - und damit erheblich mehr als früher - habilitierten sich. Die meisten werden das Land wieder verlassen. Dies, obwohl der Ausländeranteil unter den Professoren an deutschen Hochschulen seit Jahren bei 5 % stagniert. Überdurchschnittlich hoch ist die Zahl der Ausländer mit einer Lehrbefähigung lediglich bei den Kunst- und Musikschulen, während er an den Fachhochschulen sehr niedrig ist. Ein wichtiger Beitrag zur Internationalisierung der Lehre an deutschen Hochschulen sind jedoch längerfristige Gastdozenturen ausländischer Wissenschaftler/innen. Seit 1996 sind gut 500 Gastdozentinnen und Gastdozenten allein über das DAAD-Gastdozentenprogramm an deutsche Hochschulen vermittelt worden. Zur Zeit unterrichten hier gut 60 in der Lehre erfahrene Wissenschaftler aus 26 Ländern.

Die Besten aus aller Welt kommen nach Deutschland- für die meisten unserer Universitäten ist es noch Wunschdenken, für die Musikhochschulen jedoch ist das längst Realität. Neben manchen "Wunderkindern", die schon früh ins Land von Bach, Brahms und Beethoven kamen, perfektionieren viele tausend ihre Ausbildung. Nachwuchsmusiker aus Fernost, Russland und Osteuropa pilgern nach Deutschland, um sich hier ausbilden zu lassen, bzw. auf ihren heimatlichen Abschluss ein Diplom oder Konzertexamen draufzusatteln. Während der Ausländeranteil an den deutschen Universitäten im Wintersemester 2002/03 durchschnittlich bei zwölf Prozent lag, war er in Studiengängen für Musikberufe mehr als doppelt so hoch. In den 24 Musikhochschulen liegt ihr Anteil bei 35 % - mehr als je zuvor. In Detmold, Freiburg, Köln oder Trossingen liegt der Wert sogar bei 50%. Das Land der alten Meister erfährt gerade in asiatischen Ländern eine fast mystische Verehrung. Ein Musikstudium "made in Germany" gilt international als Gütesiegel. Von einem solchen Ruf träumen andere Fächer. Einer der Gründe dieser "Erfolgsstory" ist, dass sich die Musikhochschulen ihre Elite selbst aussuchen. Dazu kommt die praxisnahe Ausbildung und individuelle Betreuung.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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