Integration in Deutschland 2/2004, 20.Jg., 30. Juni 2004

AUSSIEDLER

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


„Unser Know-how ist unser Kapital“

Deutsch – russische Integrationsvereine in NRW

„Wir möchten den Landsleuten, die zu uns kommen, so helfen, dass sie ein Dach über dem Kopf und ihr Auskommen haben, dass sie die Deutschen verstehen und verstanden werden. Daher tun wir alles, damit sie die Sprache lernen, die grundlegenden Strukturen dieses Landes begreifen, die ihnen bisher fremd waren, und Arbeit finden.“ So beschreibt Viktor Ostrowski die Aufgaben des im November 2003 gegründeten Kultur- und Integrationszentrums Phoenix in Köln, dessen Leiter er ist. „Mit anderen Worten: Wir leisten unseren Landsleuten die Hilfe, die notwendig ist, damit sie sich in die deutsche Gesellschaft integrieren können.“ Ähnlich formuliert auch AWO – Sozialberaterin Maria Weihrauch, stellvertretende Vorsitzende des Deutsch – russischen Integrationsvereins Mönchengladbach, ihre Aufgabe.


Drei Gründungsmitglieder von Phoenix
(v.l.n.r.): Klaus Lefringhausen, Integrationsbeauftragter der Landesregierung NRW, Dina Lioubochits und Alexander Ioffe

Über mangelnde Arbeit können sich beide Vereine nicht beklagen. In Köln leben mehr als 10.000 Russischsprachige, während ihre Zahl in Mönchengladbach und Umgebung auf etwa 13.000 geschätzt wird. Maria Weihrauch: „Unser Verein, der im Mai fünf Jahre alt wurde, hat mehr als 200 Mitglieder. Da oft nur ein Familienangehöriger bei uns Mitglied ist, sprechen wir mehr als 1.000 Menschen an.“ Diese Relation gilt auch für Phoenix mit etwa 450 Mitgliedern.

Wer zur Beratung kommt, steht häufig vor elementarsten Problemen, gleichgültig, ob es sich um Aussiedler handelt, die Deutsche im Sinne des Gesetzes sind, um Familienangehörige aus Russland, Kasachstan oder Moldawien, die diesen Status nicht haben oder um Juden. Sozialarbeiterin Ljuba Span von Phoenix: „Sie wissen nicht, was sie tun müssen, um eine Wohnung zu bekommen, haben keine Arbeit und müssen, um zu überleben, erst einmal Sozialhilfe beantragen. Und das vor dem Hintergrund, dass sie kaum deutsch können.“ Maria Weihrauch ergänzt: „Sie kommen ausnahmslos mit ganz großen Hoffungen nach Deutschland und sehen, dass alles ganz anders ist, als sie es sich vorgestellt haben. Sie sind daher zunächst einmal sehr erleichtert, dass wir sie auf russisch beraten können.“ Das zentrale Problem beschreibt Viktor Ostrowski: „Viele wissen nicht, dass in dieser Gesellschaft die Eigeninitiative die Grundlage jedes Erfolges ist. Das war in der Sowjetunion und ist zum Teil in den Nachfolgestaaten ganz anders! Auf diesen Punkt weisen wir in den Beratungen immer wieder hin.“ In der Vergangenheit jedoch kümmerte sich auf diese Weise kaum jemand um die russischsprachigen Migranten. Das Ergebnis: „Tausende unzufriedener Zuwanderer aus dem Osten bilden in bestimmten Stadtteilen der Großstädte eine Parallelgesellschaft, die perspektivlos von Sozialhilfe lebt und verzweifelt einem Traum nachjagt, den sie nicht verwirklichen kann: ein normales Leben“, weiß Ostrowski. Die Folgen sind bekannt: „Die erfahren wir dann von Gefängnisbeamten.“ Inzwischen konnte Phoenix dank einer Vereinbarung mit der Justizverwaltung damit beginnen, regelmäßig russischsprachige Häftlinge in der JVA Köln – Ossendorf zu beraten und zu betreuen. Ostrowski schwebt vor, eine Art Gefangenenselbsthilfe zu organisieren.

Um ihren Mitgliedern optimal helfen zu können, arbeiten der Kölner wie der Mönchengladbacher Verein mit Behörden und Institutionen so eng wie möglich zusammen. So zum Beispiel mit der RAA (Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien), deren Arbeit dafür entscheidend ist, dass die Kinder und Jugendlichen den ihren Kenntnissen entsprechenden Schultyp besuchen und – zum Beispiel im Fall mangelnder Sprachkenntnisse- gezielt gefördert werden.

Zudem sucht Phoenix den Kontakt zu Unternehmen. So übergab vor kurzem die Firma Microsoft dem Zentrum 12 Computer mit Internetzugang zur Einrichtung einer Computerklasse. „Nun können wir unseren Landsleuten eine Qualifikation vermitteln, ohne die sie auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben“, sagt Ostrowski, der dabei vor allem junge Leute im Blick hat, die noch keine Azubis sind. Die Arbeitsagentur kann solche Lehrgänge als zielgerichtete Eingliederungsmaßnahmen anerkennen. Nicht zufällig besprechen derzeit die Kölner Arbeitsagentur und Phoenix ihre künftige Zusammenarbeit. Dabei wird diskutiert, ob die Arbeitsagentur das Integrationszentrum damit beauftragt, die bei ihr gemeldeten arbeitslosen russischsprachigen Migranten in Arbeit zu vermitteln. Dazu stünden bei Phoenix vier ABM – Kräfte zur Verfügung.

Dass dies keine einfache Aufgabe ist, weiß Maria Weihrauch aus Erfahrung: „Für diese Menschen Arbeitsstellen zu bekommen ist enorm schwer. Wir haben hoch gebildete Menschen im Verein, Informatiker, Professoren, Lehrer. Das Arbeitsamt hat ihnen allen erklärt, sie sollten ganz schnell vergessen, was sie gewesen sind und sich umschulen lassen. Die Ergebnisse waren teilweise vollkommen unsinnig und geradezu grotesk.“

Ostrowski versucht daher, Unternehmen z.B. für die im Verein organisierten Jugendlichen als potenzielle Arbeitskräfte zu interessieren: „Wir haben einige Jungs, die sehr gut in Mathematik sind und von Computern mehr als nur eine Menge verstehen. Es liegt auf der Hand, dass Firmen wie Microsoft an ihnen interessiert sein müssten. Genau hier setzen wir an: Wir versuchen auch in diesem Fall beide Seiten, also Deutsche und unsere Leute zusammenzubringen, damit sie gegenseitig ihre Stärken kennen lernen und diese nutzen. Soll heißen: Wenn diese Jungs eines Tages bei Microsoft arbeiten, dann haben sich unsere Anstrengungen gelohnt.“ Eine weitere Aufgabe ist die Beratung von Existenzgründern. Während in Mönchengladbach dieses Thema gerade erst ins Blickfeld rückt, konnte Phoenix bereits zwei jungen russischen Modedesignerinnen den Weg in eine bisher erfolgreich verlaufene Selbstständigkeit bahnen; Phoenix hilft ihnen nach wie vor mit Rat und Tat.

Beide Vereine führen neben ihrer umfangreichen Beratungstätigkeit eine Reihe kultureller Veranstaltungen durch. Weihrauch: „Besonders stolz sind wir auf unseren Literaturkreis, der immer zweisprachig durchgeführt wird. Zuweilen zählen wir dabei 300 Gäste! Außerdem organisieren wir Liederabende, denn wir haben in unserem Verein Mitglieder, die eine hervorragende Gesangsausbildung haben“. Ihr Kollege Anatoli Hermann leitet die etwa 15 Mitglieder starke Seniorengruppe, die sich regelmäßig trifft, viele Reisen unternimmt und eine ganz besondere Qualität hat. Hermann: „Es ist eine Freude zu sehen, wie sich diese Leute gegenseitig immer wieder tatkräftig unterstützen!“ Es gibt eine Fußballgruppe, die mit einem Mönchengladbacher Verein zusammen spielt und eine Volleyballgruppe. Natürlich darf in beiden Vereinen auch ein Schachclub nicht fehlen. Phoenix organisiert außerdem Ausstellungen russischer Künstler im Integrationszentrum.

Viktor Ostrowski hofft, dass sein Zentrum durch die tägliche, nicht immer einfache Arbeit mit Migranten und Behörden Know-how erwirbt, das er eines Tages als Dienstleistung anderen Städten anbieten kann: „Unser Know-how ist unser Kapital!“ Er denkt daran, die Integrationsvereine zu vernetzen und zu einem regelmäßigen Austausch von Informationen zu gewinnen. Schaut man bei Phoenix genau hin, sieht man vieles, was sich im positivem Sinn entwickeln ließe. Dazu gehört eine kleine Zeitschrift, in der zum Beispiel auf einer ganzen Seite das umfangreiche Beratungsangebot des Zentrums aufgelistet ist.

Kontakte:

Phoenix-Köln e.V.,
Dechen Str.20, 
50825 Köln. Tel. 0211-500 68 52
www.phoenix-cologne.com,
info@phoenix-cologne.com 

Deutsch-russischer Integrationsverein Mönchengladbach,
Tel.: 02161-819922,
www.driv-mg.de, info@driv.-mg.de 


Autor: Peter Andratschke

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Zwischenwelten

Russlanddeutsche Jugendliche

Berlin. Immer wieder tauchen junge russlanddeutsche Aussiedler in den Medien auf. Ihr Image ist schlecht – Drogen, Kriminalität und Gewalt assoziiert man mit ihnen, nicht selten werden sie ausgegrenzt oder sogar Opfer rechtsextremer Übergriffe. Die Situation erscheint aufgeheizt, junge Russlanddeutsche kämpfen mit Vorurteilen, Einheimische üben sich in Nichtwissen und unbestimmte Fakten geistern durch den Medienwald. Das Berliner „Archiv der Jugendkulturen“ hat daher am 28. April 2004 zu einer Veranstaltung in die „Werkstatt der Kulturen“ eingeladen, bei der russlanddeutsche Jugendliche selbst zu Wort kamen, von ihrem Alltag, ihren Träumen, ihrer Geschichte erzählten. Die vom Journalisten Eberhard Seidel moderierte Veranstaltung wurde als Kooperationsveranstaltung mit der „Körber-Stiftung“ und „Schule ohne Rassismus“ durchgeführt. Konkreter Anlass der Veranstaltung war die Veröffentlichung des Buchtitels „Zwischenwelten. Russlanddeutsche Jugendliche in der Bundesrepublik“ in der Publikationsreihe des Archivs der Jugendkulturen (ISBN 3-936068-65-8). Das Buch liefert Fakten zur Integrationsdebatte ebenso wie Beiträge zu Geschichte, Politik, Kultur und Selbstverständnis junger Frauen. Ein eigenes Kapitel widmet sich Kunst, Musikszene und Sport. Nicht zuletzt kommen auch in diesem Buch zahlreiche Jugendliche selbst in Interviews und eigenen Beiträgen zu Wort. Ein Großteil davon beruht auf Arbeiten von Schülerinnen und Schülern, die zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten „Weggehen – Ankommen. Migration in der Geschichte“ der Körber-Stiftung 2003 eingereicht wurden.

Kontakt:
Archiv der Jugendkulturen e.V.,
Fidicinstraße 3, 10965 Berlin,
Tel.: 030/6942934, Fax: 030/6913016, presse@jugendkulturen.de, www.jugendkulturen.de 


Autor: Klaus Farin, Archiv der Jugendkulturen

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Studienreisen in Herkunftsländer der Aussiedler

 

Bonn. Informationen aus erster Hand, unvergessliche Eindrücke über Land und Leute sowie Erfahrungen über das Leben der Deutschen in Russland und Kasachstan vermitteln Studienreisen, die vom 12. - 19. September 2004 von der Otto Benecke Stiftung e.V. durchgeführt werden. Die Reisen finden im September statt, der schönsten Reisezeit in diesen Ländern. Zielorte sind Omsk und Asowo in Russland und Almaty in Kasachstan. Die Studienreisen werden als Fortbildung für Mitarbeiter von Institutionen und Organisationen, die im Bereich der Eingliederung von Aussiedlern tätig sind, angeboten. Aber auch andere Interessierte können teilnehmen.

Die Teilnehmer besuchen Schulen und Sozialeinrichtungen, sprechen mit Schülern, Lehrern und Sozialpädagogen Sie diskutieren mit offiziellen Vertretern der Jugend-, Bildungs- und Sozialverwaltung über Problemlagen und Entwicklungschancen der Jugend. Wo notwendig, stehen Dolmetscher bereit. Darüber hinaus ist die Begegnung mit deutschen Familien vorgesehen. Abgerundet werden die Programme durch Gespräche und Diskussionen mit Organisationen der Deutschen in den jeweiligen Ländern. Der Gewinn dieser Reisen liegt im besseren Verständnis der Situation, des Denkens und Handelns der Aussiedler und eröffnet damit neue Möglichkeiten der Optimierung von Integrationsangeboten. Nicht zuletzt verleiht die Reise in die Herkunftsländer den Teilnehmern mehr Autorität und Glaubwürdigkeit gegenüber ihrer Zielgruppe.

Infos:
Otto Benecke Stiftung e.V.,
Akademie für Migration und Integration,
Kennedyallee 105 – 107, 53175 Bonn, Tel.:0228/8163-208, peter.rummel@obs-ev.de 


Autor: Peter Rummel, Otto Benecke Stiftung e.V.

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Jugend-Aussiedler-
Kongress

 

Berlin. Auf Einladung des Bundes der Vertriebenen nahm der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Jochen Welt, am 28. April 2004 am Jugend-Aussiedler-Kongress in Düsseldorf teil. In einer Aussprache mit jungen Aussiedlern informierte er über die Politik der Bundesregierung zur sprachlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Integration junger Spätaussiedler. Er regte sie zur aktiven Mitgestaltung der Integrationspolitik an und bat sie, ihre konkreten Erfahrungen und Ideen in die Diskussion einzubringen. „Integration ist und bleibt eine der wichtigsten innenpolitischen Aufgaben der kommenden Jahre.“

Von den zugewanderten Aussiedlern verlangte Welt mehr Integrationsbereitschaft. Er forderte, die Deutschkenntnisse zu verbessern, Ghettos zu vermeiden, die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Integration z. B. im Sport und in Vereinen zu nutzen sowie verstärkte Eigeninitiative zu entwickeln. Als innovativen Ansatz der Integrationspolitik erwähnte Welt neun erfolgreich durchgeführte Modellprojekte zur Erprobung von Integrationsvereinbarungen nach dem Grundprinzip „Fördern und Fordern“. Die Projektteilnehmer zeichneten sich durch eine geringere Sozialstaatsabhängigkeit und schnellere Arbeitsaufnahme, verbesserte Sprachkompetenz, sichereres Auftreten, mehr Eigenständigkeit, aktivere Freizeitgestaltung und mehr persönliche Kontakte zu Einheimischen aus.

Welt unterstrich, wie wichtig die deutsche Sprache als Schlüssel für Ihre gesellschaftliche Integration sei, regte aber auch an, Kenntnisse und Erfahrungen aus zwei Kulturen in den Arbeitsmarkt einzubringen. Die jungen Aussiedler sollen sich über die allen offen stehenden Möglichkeiten der Arbeitsverwaltung und auch die speziell auf Migranten zugeschnittenen Angebote informieren und sie nutzen. Abschließend plädierte Welt dafür, mehr Erfolgsgeschichten von Aussiedlern an die Öffentlichkeit zu bringen, um den Negativschlagzeilen von den auffälligen, kriminellen, drogen- und alkoholabhängigen Aussiedlerjugendlichen, die nicht repräsentativ für die Mehrheit sind, etwas Positives entgegenzusetzen und einen Imagewandel zu erreichen. (esf/BMI)

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