Integration in Deutschland 2/2004, 20.Jg., 30. Juni 2004

BESCHÄFTIGUNG

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Zwischen Sushi und Würstchen

Warum Japaner nach Deutschland kommen...


Fumie Miyata

"Mein Traum war es immer, im Ausland zu leben", doch an ein Leben in Deutschland hatte die Japanerin Fumie Miyata nie gedacht, eher an Australien oder die USA. Vor acht Jahren wollte sie weg aus ihrem Heimatland, hatte Sehnsucht nach der Fremde, doch wohin es dann schließlich ging, bestimmte schließlich der Zufall.

Die 34-jährige, die in der Kleinstadt Chitosie auf der Insel Hokaido in der Verwaltung eines Restaurants arbeitete, fand über mehrere Umwege Kontakt zu dem in Deutschland lebenden Kasuyuki Hashimoto. Der Besitzer eines japanischen Restaurants in Saarbrücken lud sie in die Stadt nahe der französischen Grenze ein. Dabei sprach Fumie kein Wort deutsch und hatte gerade einmal ein paar Fotos von dem fremden Land gesehen. "Aber die sahen sehr schön aus." Darüber hinaus erkannte sie die Gelegenheit als ein Wink des Schicksals. "Wenn die Chance kommt, ist das meine Zeit zu gehen", dachte sie damals.

Fumie ist eine von 800.000 Japaner, die in den vergangenen zehn Jahren nach Deutschland gereist sind und entweder für ein paar Tage oder auch länger blieben. Umgekehrt waren es gerade einmal 90.000 Deutsche, die ihren Fuß in das fernöstliche Land setzten. Deutschland scheint für die Japaner viel interessanter zu sein als es anders herum der Fall ist: Derzeit studieren 2000 Japaner an deutschen Universitäten, während in Japan gerade einmal 400 Deutsche die Vorlesungen besuchen. Nach Informationen des Auswärtigen Amtes lernen 360.000 Japaner Deutsch. Nur 16.000 Deutsche lernen Japanisch. Selbst in der deutschen Nationalsportart Fußball sind die Japaner längst vertreten. Nicht nur in der Bundesliga (Hamburger SV) sondern auch in den Amateurklassen stehen immer mehr Kicker aus dem Land der aufgehenden Sonne auf dem Platz.

...und wie sie sich zurecht finden

Eine erste Anlaufstelle für frische Einwanderer sind die 45 Deutsch-Japanische Gesellschaften. Für Japaner führt der Weg nach Deutschland meist über Düsseldorf. In der Region um "Nippons Hauptstadt am Rhein" leben rund 5.500 Japaner, 420 japanische Firmen haben sich hier angesiedelt. Gut 40 Jahre, nach dem die ersten Geschäftsleute aus dem fernöstlichen Land hier eintrafen, hat sich eine ganze japanische Infrastruktur entwickelt: Einzelhandel, Banken, Ärzte, Buchhändler, Spediteure, Versicherer, Industrie- und Handelskammer sowie Generalkonsulat, dazu eine japanische Schule und japanische Kindergärten.

Auch der Saarbrücker Restaurantbesitzer Hashimoto landete 1987 zuerst in Düsseldorf. Der gelernte Koch sah in Deutschland bessere Chancen für ein eigenes Restaurant, denn "in Japan gibt es zu viel Konkurrenz." In einem japanischen Speisehaus in der Königsallee arbeitete er zuerst als zweiter Chefkoch, bevor er sechs Jahre danach in der saarländischen Hauptstadt sein eigenes Restaurant eröffnete. Jedes Jahr kommen inzwischen junge Japaner, meist Anfang 20, zu ihm, um in der Küche oder als Kellner zu arbeiten. "Die Motivation ist meist, die Welt kennen zu lernen", meint der Restaurant-Chef, denn bei der Rückkehr nach Japan sei die Tätigkeit "beruflich nicht unbedingt eine Erfolgshilfe".

Einen ähnlichen Beweggrund, um die Heimat zu verlassen, hatte auch Fumie Miyata. "In Japan ist alles geregelt, das Land ist klein", meint sie. Vieles würde nach Familientradition geregelt, dazu sei es normal, dass viele junge Menschen mit 27 Jahren noch zu Hause wohnen. In Deutschland hat Fumie nun auch mehr über die ganze Welt erfahren: "Von Afghanistan oder dem Irak hatte ich vorher nie etwas gehört." 15 Japaner haben derzeit bei Hashimoto einen Vertrag. Um sie nach Saarbrücken zu holen, stellt er in der Regel einen Antrag bei der Botschaft in Tokio, nach drei Monaten gebe es die nötigen Papiere. Allerdings ist das "viel Arbeit." Wenn ein neuer Mitarbeiter in Saarbrücken eintrifft, zeigt Hashimoto zuerst einmal die Stadt, bevor es an die Arbeit geht. Meist bleiben die jungen Japaner zwei Jahre. Einige stünden aber nicht die vereinbarte Zeit durch, einmal sei sogar ein junger Japaner schon nach einem Tag in Saarbrücken wieder zurück zum Flughafen geflohen. "Nicht alle sind fleißig, und viele haben erstmal einen Kulturschock", vermutete Hashimoto als Ursachen für die vorzeitige Abreise.

Der 43-jährige Hashimoto hat in Deutschland mittlerweile seine neue Heimat gefunden. "Ich will hier blieben. Ich bin hier zufrieden." Auch für seinen 21-jährigen Sohn Issey kommt eine Rückkehr nach Japan nicht mehr in Frage. "Das wäre mir zu hart." Angepasst haben sich die Hashimotos auch kulturell. Streng japanisch geht es eigentlich nur noch im Restaurant zu. Beim gemeinsamen Abendessen der Familie stehen statt Sushi auch Nudeln und Würstchen auf dem Tisch, statt Saké gibt es französischen Wein oder deutsches Bier.


Restaurantbesitzer Hashimoto

Untergebracht sind fast alle Angestellten in Wohnungen oberhalb des Restaurants, nur einige Meter abseits der Saarbrücker Fußgängerzone. Weil viele kaum deutsch sprechen, hat das Zusammenwohnen laut Hashimoto den Vorteil, "dass die nicht so hilflos sind". Eine große Familie seien die Hashimotos und ihrer Angestellten aber nicht, erzählt sein 21-jährige Sohn Issey. Abgesehen von einigen gemeinsamen Feiertagen verbringe jeder die Freizeit für sich, aber "die Mitarbeiter untereinander sind schon befreundet."

Als einzige nicht im "japanischen Haus" wohnt Fumie, die mit acht Jahren "Betriebszugehörigkeit" die dienstälteste Japanerin im Restaurant ist. Inzwischen leitet sie den Ableger Brasserie am Sankt Johanner Markt. Einsam fühle sie sich eigentlich nicht, denn die Arbeit lasse kaum Zeit zum Nachdenken. Das sie vielleicht auch gut so, denn Angst hat sie eigentlich nur davor, "allein zu Hause zu sein".

Sie arbeitet von 10 Uhr bis mittags und abends von 18 bis 23 Uhr. Nur sonntags hat sie frei, dazu drei Wochen Urlaub im Jahr. Ihre Kollegen trifft sie oft auch nach Feierabend. Weil die japanischen Angestellten aber nicht zu den Großverdienern gehören gibt es dann meist Döner Kebab. Für sie sind die anderen Japaner in Saarbrücken wie eine Familie fernab der Heimat. Zumal sie von Japan nicht mehr viel sieht: In acht Jahren war sie gerade dreimal in Japan.

Zurück nach Asien möchte sie erst einmal nicht. "Ich weiß nicht, ob ich da noch Arbeit bekomme, ich bin schon ziemlich alt für Japan." Für immer möchte sie allerdings nicht in der Brasserie in Saarbrücken arbeiten. Manchmal denkt sie daran, eine Familie zu gründen, "aber nur mit einem Japaner". Sicher sei das aber nicht, vielleicht gehe sie auch noch einmal in ein anderes europäisches Land, vielleicht auch irgendwann wieder zurück nach Japan. "Wenn sich die Chance ergibt, ist es Zeit zu gehen."


Autorin: Parvina Tadjibaeva

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"Jeden Tag stirbt ein Teil von mir"

Das Beispiel des Pakistaners Mohammed Tariq zeigt die persönlichen Errungenschaften und die Opfer der Integration

Seine pakistanischen Kleider trägt Mohammed Tariq nur noch in den eigenen vier Wänden, am besten wenn nur seine Frau und die fünf Kinder anwesend sind. Nicht, dass er sonst kein Verlangen danach spürte - aber Tariq will nicht auffallen, er will fernab von seiner asiatischen Heimat ein ganz normaler Bürger sein. Obwohl der 45-jährige Pakistaner schon gut zwei Jahrzehnte in Deutschland lebt und auch einen deutschen Pass hat, fühlt er sich manchmal immer noch schwebend zwischen den kulturellen Fronten; zwischen Wohlstand und geregelten Leben auf der einen Seite und der Sehnsucht nach Heimat und Verwandten auf der anderen. Richtig verarbeitet hat er diesen Konflikt auch in den vergangenen 20 Jahren nicht. "Ich komme einfach nicht dazu".

Im Alter von 18 Jahren kam Tariq aus der Kleinstadt Jalal Pur Jattan im Bundesland Punjab nach Deutschland, weil er in Pakistan keine Perspektive und in Europa viele Möglichkeiten sah. Nach dem Schulabschluss und zwei Jahren College "wollte ich nicht als Sachbearbeiter 50 Dollar im Monat verdienen." Eigentlich wollte er nur drei oder höchstens fünf Jahre bleiben, doch dann ließ ihn Europa nicht mehr los: Nach seiner ersten Station in Frankfurt ging er 1985 nach Frankreich, wo er drei Jahre arbeitete. 1988 kam er zum zweiten mal nach Deutschland, diesmal aus dem Westen und auch schon verheiratet, "und da fing die Geschichte eigentlich erst richtig an."

Fünf Jahre lebte und arbeitete Tariq in der Region Frankfurt - in Restaurants oder in der Metallindustrie. Der Kontakt zu einem Bekannten verleitete ihn zum Umzug ins saarländische Saarlouis. Doch auch hier musste er sich und seine Familie vorerst weiter mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Alle sechs Monate hatte er einen neuen Arbeitgeber bis er erkannte, "dass man nur mit einer abgeschlossenen Ausbildung eine Chance" hat. Also begann er eine Umschulung zum Restaurantfachmann und eröffnete vor zwei Jahren in Saarbrücken sein eigenes indisch-pakistanisches Restaurant "East West".

Von außen gesehen ist Tariq so etwas wie ein Musterbeispiel für gelungene Zuwanderung: Er hat ein kleines Unternehmen gegründet, sorgt für Umsatz und Steuern und mit seinen fünf Kindern auch noch für eine bessere Bevölkerungsentwicklung. Er hat die Sprache gelernt, und bereichert das Saarland mit seinen exotischen Kochkünsten. Dazu schätzt er das deutsche Rechtsystem als eines der besonderen Vorzüge des Landes im Vergleich zu seiner Heimat, "hier kann man für seine Rechte an die Tür klopfen, ob man Deutscher oder Ausländer ist."

Der Familienvater hat sich immer bemüht, seine Kinder "bewusst deutsch" zu erziehen. Er geht mit ihnen zu McDonalds oder zum Italiener Pizza essen, nimmt auch die Mädchen mit ins Schwimmbad - was in Pakistan undenkbar wäre - und hat in der eigenen Familie den Kleinen zuliebe Weihnachten und Ostern als Feiertag eingeführt. "Damit haben wir vollen Erfolg gehabt", meint Tariq. Weil die Kinder sich mit den ihren deutschen Freunden gut unterhalten könnten, gehen sie nun gern in den Kindergarten oder in die Schule.

Doch trotz aller Bemühungen sind für den pakistanischen Kochkünstler Deutschland und das Saarland immer noch nicht zur gefühlten neuen Heimat geworden, immer noch hat Tariq das Gefühl, mit einem Bein neben der Gesellschaft zu stehen; immer noch sieht er die gesellschaftlichen Prozesse in Deutschland eher aus der Position des neutralen Beobachters als aus der des Betroffenen.

Einige wenige Dinge hat sich der Pakistaner aus seinem alten Leben aber aufgehoben: unter anderem auch seine Religion. Die könne man auch gar nicht loswerden, "das liegt im Blut". Im Vergleich zu seiner Jugendzeit sei er heute sogar noch religiöser geworden. Fünfmal am Tag gebetet hatte er zwar früher auch schon, "aber heute mache ich das viel bewusster." Wenn es um das Verhältnis zur eigenen Familie geht, hat der Restaurantchef die pakistanische Sichtweise bewahrt. "Ob die Eltern arm oder reich sind, die Kinder fühlen sich immer für sie und die Geschwister verantwortlich." Das sei Teil des pakistanischen Systems, die Familie steht dort noch anstelle der Sozialversicherung. Er selbst aber werde von einer Unterstützung in dieser pakistanischen Form durch seine Kinder später nicht profitieren können, da ist er sich jetzt schon sicher. Das macht ihn aber nicht traurig, Tariq erzählt das ganz nüchtern, so als wäre es die ganz normale Folge seines Wechsel der Kulturen. Betroffener machen ihn da eher die Erinnerungen an die vielen Feste und Hochzeiten in Pakistan. Hier vermisst er das, und wird daran trotz deutscher Freunde auch nichts ändern können: "Es ist einfach niemand von der Familie da", mit denen er feiern könnte.

"Jeden Tag stirbt ein Teil von mir, und ich merke das gar nicht", beschreibt Tariq seinen Preis der Integration. Die bewusste Aufgabe des Pakistanischen - auch bei der Erziehung seines Sohns und seiner vier Töchter - habe er vielleicht sogar etwas zu weit betrieben, bedauert er heute. Denn die Kinder verstehen heute kein Pakistanisch mehr. Als letztens seine eigene Mutter aus Pakistan zu Besuch nach Deutschland kam, konnte sie sich mit ihren Enkeln nicht unterhalten.

Deshalb fragt er sich oft, ob der dauerhafte Wechsel nach Europa der richtige Schritt in seinem Leben war. Oder ob er vielleicht nicht wieder zurück gehen sollte in das Land, wo man seine Muttersprache spricht, zur Mutter, den Geschwistern und den Verwandten. Immer wieder kommen diese Gedanken, die sich in seinem Gedächtnis eingenistet haben, bohrend an die Oberfläche. Aber um nicht den ganzen Tag darüber zu grübeln, besänftigt er sich damit, "dass ich das alles ja so gewollt habe."


Autorin: Parvina Tadjibaeva

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