Integration in Deutschland 2/2004, 20.Jg., 30. Juni 2004

MEDIEN

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Bettina von Arnim und die Praxisgebühr

Eine deutsch-russische Radiosendung


Gleich geht's "On Air"

Die Frauen reichen einander die Kaffeekanne, der Teller mit den Lebkuchen geht reihum, es wird über die Ehemänner und Enkel geplaudert. Zufällig ist die Redaktionskonferenz der Radiosendung „Dobry Wetscher“ („Guten Abend“) diesmal eine reine Frauenrunde. Dann rückt Valentina Iljevskaja ihre Brille zurecht und packt die mitgebrachten Manuskripte aus. Vergessen ist der gemütliche Ton: In der Konferenz wird hart, beinahe ruppig verhandelt, um jedes Datum und jeden Begriff. Die Autorin wähnt sich auf der sicheren Seite, sie hat vorher in den Lexika alle strittigen Stellen geprüft. Die Mühe war trotzdem vergeblich, am Ende wird der Beitrag verworfen: Dann heißt es, nicht mehr aktuell.

Die ehrenamtliche Redaktion sendet eine Stunde an jedem vierten Freitag auf der Welle des Radio Bonn/Rhein-Sieg. Gemacht wird das Kulturmagazin beim Bonner Bürgerfunk. Der Start war im Juli 2001. Es hatten sich ein paar Leute zusammengefunden, die gerne schrieben. Es waren Ingenieure oder Ökonomen aus der früheren Sowjetunion, die meisten als jüdische „Kontingentflüchtlinge“ seit wenigen Jahren in Deutschland und zu alt für den hiesigen Arbeitsmarkt. Ein ehemaliger Regisseur, Jan Mulear, war der einzige mit Mikrofon-Erfahrung. Per Flugblatt warb die Initiative in der jüdischen Gemeinde und in russischen Läden um Hörer und Mitstreiter. Eine deutsche Bekannte stellte den Kontakt zum Bürgerfunk her, dessen Idee ist, gerade Nicht-Profis Gehör zu verschaffen.

Hin und wieder ploppt das Mikrofon, der Interviewer räuspert sich, und mancher Beitrag erinnert an den verblichenen sowjetischen Schreibstil. Die Witwe eines Bonner Malers russischer Herkunft hat den selbstverfassten Nachruf auf ihren Ehemann geschickt. Ihr zuliebe winkt die Redaktion die trockene Auflistung der Preise und Ehrungen des Verstorbenen ohne Korrekturen durch. Man kann aber auch anders: Die Features über die Dichterin Anna Achmatowa oder über die Jahre des jungen Gesandten Bismarck in Russland würden auch einem öffentlich-rechtlichen Sender zu Ehre gereichen. Die Autoren dürfen schreiben, wozu sie Lust haben. Das ist vor allem Kultur, und das ist es auch wohl, was ihr Stammpublikum will. Bei politischen Themen beschwerten sich Hörer, davon gebe es in den Zeitungen schon genug, vielen Dank.

Valentina Zevelyeva, die zweite Reporterin, hat im Haus der Geschichte die Ausstellung „Spuren“ über deutsch-russische Beziehungen besucht. Sie steht noch ganz unter dem Eindruck des Gesehenen: „Mädels, ihr müsst unbedingt hin!“ Ihr Bericht umfasst an die 10 Seiten. Da hat Irmgard Mews viel zu tun, bis sie ihn ins Deutsche übersetzt hat. Denn die Sendung wird zweisprachig ausgestrahlt.

Der jungen Redaktionsleiterin Natascha Mulear, Jans Tochter, ist es aber wichtig, „Dobry Wetscher“ mal aus den Wolken der Hochkultur herunterzuholen. Sie berichtet auch über den „Harry Potter“-Rummel und will mehr moderne Musik einschmuggeln. Vielleicht lassen sich auch die Kinder und Enkeln von Selbstmacher-Programm mitreißen. Natascha würde gerne eine Jugendredaktion auf die Beine stellen. Service und Soziales tun ebenfalls Not. Nützliche Informationen können die Neueinwanderer gar nicht genug bekommen, und Mulear bemüht sich so oft wie möglich eine Institution von Belang vorzustellen: die Verbraucherzentralle z.B. oder den Ausländerbeirat.

Valentina Iljevskaja reicht der Redaktionsleiterin eine Diskette im Briefumschlag: „Du weißt schon.“ Den Text über die Gesundheitsreform, wohl auch die eigenen Erfahrungen mit dem System hat sie zusammen mit ihrem Mann geschrieben. Eine Auftragsarbeit. 10 Euro Praxisgebühr, 5 Euro Arzneizuzahlung: Ihre Leidenschaft sind solche trockenen Zahlen nicht. Damit hat sie 40 Jahre lang in einem volkswirtschaftlichen Institut in der Ukraine hantiert. Jetzt schreibt sie lieber Szenen über historische Persönlichkeiten, wie etwa Bettina von Arnim, und bereitet ein Hörspiel vor, „über unsere Integration hier“, aber es sei noch nicht spruchreif. Die zweite Valentina hat ebenfalls eine ehrgeizige Idee: Sie schlägt vor, über die Liebesbeziehung der Maler Wassily Kandinsky und Gabrielle Münter zu erzählen. Das Thema wird begeistert angenommen und Zevelyeva in die Unibibliothek zur Recherche geschickt. Die Aufgabe freut sie: Das ist wie ein Sprachkurs, den sie dringend braucht, schließlich muss sie mit dem Enkelkind Deutsch reden.

„Warum machen wir nicht auch eine Reihe über bekannte Juden?“ fragt Iljevskaja. Nein, Valja, laß das, wir wollen keinen Ärger, versuchen die anderen sie von der Idee abzubringen. Nicht, dass sie keine Portraits berühmter Persönlichkeiten bringen würden, doch, sie hatten schon zahlreiche Musiker, Maler und Theaterleute im Programm, aber ohne deren jüdische Herkunft zu überbetonen. Natascha Mulear hält dies ewige „Unsichtbar-bleiben-wollen“ für schädlich. Die „Kontingentflüchtlinge“ sollten sich in Deutschland als genauso gleichberechtigt wie die Russlanddeutschen betrachten. Sie will nicht nur historische Personen, sondern auch jetzige jüdische Einwanderer vorstellen, die in Deutschland etwas erreicht haben. Das würde die Zuhörer motivieren: Es gebe so viele Leute mit Depressionen hier, weil sie keinen Einsatz für ihre Fähigkeiten fänden.

Bonner Bürgerfunk: www.locom.net 


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Schülervideo “...wie wir nach Süd kamen!”

 

Ludwigshafen am Rhein. Im Projekt “...wie wir nach Süd kamen!” haben Schülerinnen und Schüler der Wittelsbachschule in Ludwigshafen am Rhein von September 2003 bis Februar 2004 ein Stück Migrationsgeschichte - ein Stück ihrer eigenen Geschichte - erforscht und ihr Wissen über Einwanderungszusammenhänge vermehrt. Während der Dauer dieser Geschichtsvideowerkstatt haben die Jugendlichen an vier zweitägige Kompaktseminaren teilgenommen und Grundlegendes über den richtigen Umgang mit der Kamera, zur Gesprächsführung und Interviewtechnik, zur Erstellung eines interessanten Scripts und zum gelungenen Schnitt des Filmmaterials gelernt. Am 11. Februar 2004 wurde das Video im „Offenen Kanal“ präsentiert. Träger des Projektes ist der Verein Kultur Rhein-Neckar e.V. Gefördert wurde es im Rahmen des ENTIMON - Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (esf)

Kontakt:
Kultur Rhein-Neckar e.V., 
Eleonore Hefner, Brucknerstr. 13,
67061 Ludwigshafen, 
Tel.: 0621/5877648 oder 0621/567266 oder 0163/4719990,
Fax: 0621/562970,
www.KulturRheinNeckar.de 


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Deutschen Programmmachern fehlt der Mut zum Risiko

 

Was türkische Ehefrauen davon halten, wenn ihre Männer den lieben langen Tag im Cafe sitzen? Erfährt man im WDR Funkhaus Europa. Zum 5. Jahrestag der „Migranten“-Radiowelle hatte der Westdeutsche Rundfunk zu der Tagung „Vielfalt als Stärke“ eingeladen. Eine Untersuchung bescheinige, dass der WDR Einwanderer nicht auf Probleme beschränke und in vielfältigen Situationen und Zusammenhängen zeige, sagte der Intendant Fritz Pleitgen. Das reicht aber noch nicht: Die größte deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt will die zahlreichen heranwachsenden Zweisprachigen auch in den Mainstreamprogrammen mehr berücksichtigen. Bei Stellenausschreibungen sollen Bewerber mit Migrationshintergrund bevorzugt werden. Der Leiter vom Funkhaus Europa, Gualtiero Zambonini, ist schon als Integrationsbeauftragten benannt worden. Auf dem Tagungspodium saßen jedoch nur die üblichen Verdächtigen: Redakteure und Autoren des WDR, der SZ und der taz. Wie Massenmedien wie RTL oder die „Bild-Zeitung“ es mit den Migranten halten, bleibt im Dunklen.

„Wir brauchen keine Multikultiabteilung“, sagte Frans Jennekens, Integrationsbeauftragter beim Niederländischen Programm-Service (NPS). „Multikulti“ soll selbstverständlich jedes Programm sein, sowohl die Nachrichten als auch die Unterhaltung. Mindestens jedoch 20 Prozent von dem, was in der besten Sendezeit auf der Mattscheibe flimmert. Dieses Ziel haben sich die Niederländer für die kommenden drei Jahre gesetzt. Quoten oder Selbstverpflichtungen, wenn auch kleinere, haben sich die öffentlichen Sender auch in Frankreich oder Großbritannien auferlegt. „Hier in Deutschland sieht man zwischen 20 und 23 Uhr keinen Türken im Fernsehen, nicht zu fassen!“, wundert sich Jennekens.

Aus seiner Sicht denken die deutschen Programmmacher allzu sehr darüber nach, welche Zielgruppe sie bedienen und was diese gucken würde. Es lassen sich auch tausend statistische, wirtschaftliche und technische Gründe anführen, warum die Einwanderer in der Medienforschung kaum berücksichtigt werden. Mehr Mut zum Risiko, empfiehlt der niederländische „Mr. Multikulti“. Jungen Menschen und Quereinsteigern Spielwiesen für ihre Ideen geben: Daraus seien mehrere neue Formate entstanden. Einige seien sehr populär und würden beileibe nicht nur von Eingewanderten eingeschaltet. Was dagegen eine Zeit lang schlecht lief, wurde vom Sender heruntergenommen.

Als Beispiel für ein gelungenes Experiment nennt Jennekens „Die Türken sind besser“. Das sei eine Art Comedy-Soap, in der eine Surinamesin und eine Türkin mit Kopftuch den niederländischen Alltag kommentieren und sich lautstark über Verschiedenes streiten, jeweils aus dem Blickwinkel ihrer Ethnie. So erlebten die Zuschauer übrigens eine Frau mit Kopftuch plötzlich ganz anders: als intelligentes, humorvolles, bissiges Wesen.
Einen ähnlichen Weg geht auch die BBC: In kleinen Szeneclubs wurden Talente gesucht, z.B. für Kabarettsendungen für und über Muslime. Herausgekommen sind Shows, bei denen die Migranten sich selbst und die Vorurteile der Aufnahmegesellschaft erfrischend frech auf die Schippe nehmen. Ein paar Video-Ausschnitte hat der BBC-Executive Director Paresh Solanki gleich mitgebracht. Es sei schlecht, wenn die Leute alle ihre Kenntnisse über Muslime aus dem TV beziehen und zwar nur im Zusammenhang mit Krieg und Terror, sagt der langjährige Leiter der Asiatischen Programme des britischen Senders.

Das A und O einer Sendung ist laut NPS-Beauftragten der gute Moderator. Der farbige Moderator aus Surinam könne sich z.B. erlauben, die eigene oder andere Minderheiten zu kritisieren. „Für ihn ist es leichter zu sagen, Marokkaner sind faul, sie tun dies und das nicht. Wenn ich das mache, bin ich ein Rassist“, scherzt Jennekens. „Aber seitdem gucken auch mehr Marokkaner unsere Sendung“. Sie meinten: Endlich sagt einer, was Sache ist.

Einwanderer einstellen, damit sie das tun, was die Einheimischen nicht dürfen: Monika Piel, Hörfunkdirektorin beim WDR, kann sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden. Gleichwohl glaubt sie, dass Journalisten aus lauter politischer Korrektheit Probleme oft unter den Teppich kehrten. Sie fürchteten, mit kritischen Berichten über Einwanderer die Ausländerfeindlichkeit zu verstärken. (mjd)


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TV-Integrationskanal für Migranten gefordert

 

Berlin. Bremens Bürgermeister Henning Scherf hat Anfang Juni 2004 ein eigenständiges Integrations-Fernsehprogramm für die in Deutschland lebenden 7,3 Millionen ausländischen Mitbürger vorgeschlagen. „Wir müssen die Integrationsangebote verbessern“, sagte Scherf in Berlin. Dies folge auch aus dem Parteienkompromiss zum Zuwanderungsgesetz. Denkbar wäre eine Mischung aus Unterhaltung und Lebenshilfe. Dazu könnten Ratgeber zum Gesundheits- oder Schulsystem zählen. Die Pisa-Studie über die Schulleistungen habe extreme Probleme bei den Kindern aus Migrantenfamilien gezeigt. Scherf denkt vorerst an einen zweisprachigen Kanal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das Angebot soll sich zunächst auf die hier lebenden türkisch-stämmigen Mitbürger konzentrieren, welche die größte Gruppe unter den Ausländern bilden. Das Programm soll zu Beginn täglich zwei bis drei Stunden ausgestrahlt werden. Scherf sieht trotz der aktuellen und noch nicht abgeschlossenen Debatte über die Fernsehgebühren eine Chance für das neue Integrationsangebot. Man könne Sparen und Innovation zusammenbringen. Die Kosten für das Programm schätzt er auf 20 bis 25 Millionen Euro. Nach seiner Vorstellung könnte das Programm von Radio Bremen mit Unterstützung der ARD realisiert werden. (esf)


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