Integration in Deutschland 2/2004, 20.Jg., 30. Juni 2004

REINTEGRATION

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Rückkehr nach Afghanistan

Ein Gespräch mit Georg David

Georg David, Mitarbeiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl), wurde im August 2002 zunächst für zwei Jahre beurlaubt, um für die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Kabul zu arbeiten. Seine Hauptaufgabe besteht darin, aktuell über die Situation in Afghanistan zu berichten und den Rückkehrern aus Deutschland Hilfestellung bei der gesellschaftlichen, beruflichen und schulischen Reintegration zu leisten.


Georg David (li.) in Herat

AiD: Für die in Deutschland lebenden ausreisepflichtigen afghanischen Staatsangehörigen haben Bund und Länder ein Rückführungskonzept erarbeitet. Abhängig von der Sicherheitslage vor Ort sowie von aufenthaltsrechtlichen Kriterien sollte im Frühjahr 2004 mit der Rückführung begonnen werden. Wie hat sich das entwickelt?

David: Nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) Ende des vergangenen Jahres, sollte dieses Rückführungskonzept erarbeitet werden. Jedoch sollte erst bei der IMK in diesem Jahr (Anfang Juli) darüber entschieden werden, ob tatsächlich eine große Anzahl von Afghanen abgeschoben werden sollten. Bisher trifft es nur rechtskräftig verurteilte Straftäter. Innenminister Otto Schily hat in der vergangenen Woche in Afghanistan die afghanische Regierung darauf hingewiesen, dass bis zu 16.000 Flüchtlinge, die in Deutschland kein Bleiberecht mehr haben, wieder aufgenommen werden müssten. Eine Expertenrunde aus afghanischen und deutschen Fachleuten soll in naher Zukunft in Berlin ein entsprechendes Abkommen erarbeiten.

Freiwillige Rückkehrer werden ja mit deutschen und europäischen Rückkehrprogrammen unterstützt. Wie geschieht das konkret?

Es gibt verschiedene Rückkehrförderprogramme, die von der EU aber auch direkt von der deutschen Regierung bzw. den Bundesländern finanziert werden. Das REAG/GARP-Programm (über Bund und Länder) finanziert die Ausreise hilfsbedürftiger Afghanen und gewährt einen einmaligen Zuschuss für jeden Rückkehrer. Dieses Programm wird von der IOM ausgeführt.

IOM bietet auch ein Reintegrationsprogramm (RANA) an, das von der EU finanziert wird und zu dem auch Deutschland einen entsprechenden finanziellen Beitrag leistet. Neben der Organisation der Reise und Übernahme der Transportkosten zu den Heimatregionen vom Kabuler Flughafen aus, werden befristete und kostenlose Unterkunftsmöglichkeiten angeboten und eine medizinische Erstversorgung vorgenommen. Daneben werden Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten angeboten, für die zum Teil die Kosten ganz übernommen bzw. Lohnkostenzuschüsse gezahlt werden Für schulpflichtige Kinder wurde im Mai ein Förderkurs begonnen, der die sprachlichen Fähigkeiten verbessern und somit die Integration in den normalen Schulbetrieb erleichtern soll. Auch bietet dieses Programm die Möglichkeit, sich in Afghanistan selbstständig zu machen und gewährt dazu eine einmalige Start-up-Hilfe von bis zu 1.500 Euro.

IOM hat auch für beruflich hochqualifizierte Rückkehrer aus den EU-Staaten ein Programm, das aber in erster Linie dazu gedacht ist, die öffentliche Verwaltung Afghanistans aufzubauen. Die Rückkehrer können bis zu 12 Monate einen Gehaltszuschuss von je 300 Euro (für Frauen 50 Euro zusätzlich) und eine einmalige Hilfe von 600 Euro erhalten. Auch die Kosten für den Flug werden übernommen. Dieses Programm bietet vielen Afghanen die Möglichkeit, sich vor Ort über die aktuellen Verhältnisse zu informieren und dann zu entscheiden, ob eine dauerhafte Rückkehr für sie persönlich möglich ist. Außerdem ist seit kurzer Zeit eine neue Komponente in dieses Programm aufgenommen worden, die ebenfalls für diesen Personenkreis eine Start-up-Hilfe bis zu 5000 Euro gewährt. Daneben gibt es ein Reintegrationsprogramm von AGEF, dass vom Bund getragen wird und in Afghanistan den Rückkehrern Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten anbietet und auch finanzielle Hilfe bei der Selbständigmachung gewährt.

Der deutsche und der afghanische Innenminister waren sich bei ihrem Gespräch im Januar 2004 darüber einig, dass Bürgerkriegsflüchtlinge stets nur auf die Zeit Zuflucht erhalten sollen, für die in ihrer Heimat eine Gefahrenlage besteht. Besteht in Afghanistan keine Gefahrenlage mehr?

Grundsätzlich wird die Lage für afghanische Staatsangehörige anders zu bewerten sein, als für die hier im Lande befindlichen Armeeangehörigen und die Mitarbeiter von westlichen Hilfsorganisationen. Denn überwiegend sind diese Ziel der Anschläge extremistischer Kräfte. Die hier während des 23-jährigen Kriegszustandes lebenden Afghanen, aber auch Rückkehrer und afghanische Besuchsreisende, empfinden die Sicherheitslage weit weniger gefährlich. Bisher sind keine Fälle bekannt geworden, wonach Übergriffe auf Rückkehrer stattgefunden haben.

Der Aufbau der afghanischen Polizei (mit deutscher Hilfe) und der Nationalen Armee entwickelt sich stetig und positiv und auch die Anwesenheit der ISAF und der Koalitionsstreitkräfte tragen zur Verbesserung und Stabilisierung der Sicherheitslage in Afghanistan bei. Wobei im Süden und Südosten des Landes im Grenzgebiet zu Pakistan die Lage durch Kampfhandlungen der Koalitionsstreitkräfte gegen extremistische Gruppierungen (Al Quaida, Taliban und Hekmatyar-Milizen) geprägt ist. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sollte daher auch immer wieder abgewogen werden, in welche Region des Landes und mit welchem persönlichen Hintergrund diese geplant ist.

Wieviele afghanische Flüchtlinge leben in Deutschland, wieviele sind bereits zurückgekehrt?

In Deutschland leben ca. 80.000 Afghanen. Viele haben jedoch bereits die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Es sollen ca. 16.000 Afghanen in Deutschland leben, die kein dauerhaftes Bleiberecht genießen und damit rechnen müssen, wieder in ihre Heimat zurück kehren zu müssen. Die Zahl derer, die bisher aus Deutschland nach Afghanistan zurückgekehrt sind, lässt sich nicht eindeutig beziffern. Obwohl die meisten von ihnen mit Hilfe von Organisationen in ihre Heimat zurückgekehrt sind, gibt es aber auch solche, die auf eigene Faust und ohne jegliche Unterstützung nach Afghanistan gekommen sind. Mit der Hilfe von IOM sind bisher seit Beginn der verschiedenen Programme im März 2002 ca. 290 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die statistische Entwicklung zeigt bisher jeweils eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Über die Rückkehrerzahlen von AGEF habe ich leider keine Kenntnis. Diese müssten dort nachgefragt werden.

Unterstützt die afghanische Regierung diese Rückkehrer?

Die afghanische Regierung ist sehr daran interessiert, dass Afghanen aus der Diaspora wieder in ihre Heimat zurückkehren. Diese verfügen in den überwiegenden Fällen über eine gute Berufsausbildung bzw. sind häufig auch Akademiker. Das Land ist in der Entwicklungsphase insbesondere daran interessiert, Afghanen mit Erfahrungen im westlichen Ausland zum Aufbau des öffentlichen Lebens aber auch zum Aufbau der Wirtschaft für Afghanistan zu gewinnen, da durch die langjährigen Kriegsereignisse viele dieser Kenntnisse bei den hier lebenden Afghanen naturgemäß verloren gegangen sind.

In Kürze wird zwischen afghanischen und deutschen Experten ein Übernahmeabkommen erarbeitet, dass die Grundlage für eine Rückkehr der ohne einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Deutschland lebenden Afghanen regeln soll. Dies ist Mitte Mai zwischen den Fachministern vereinbart worden.

Wie kam es eigentlich zu dieser Irrfahrt der afghanischen Fußballer?

Leider kenne ich auch keine näheren Einzelheiten zu den Umständen des Verbleibens der afghanischen Fußballnationalspieler. So weit mir bekannt ist, haben insgesamt drei Afghanen in Deutschland um Asyl nachgefragt. Hier in Afghanistan wird aber öffentlich die Meinung vertreten, dass dieses Verhalten dem Sport und auch den gewünschten Auslandskontakten geschadet hat.

Vielen Dank für das Gespräch

Die Fragen stellte
Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan


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Schily für Rückkehr afghanischer Flüchtlinge

 

Berlin. Etwa 16.000 Flüchtlinge aus Afghanistan sollen nach Auffassung von Bundesinnenminister Otto Schily und des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz der Länder, Klaus Buß, so bald wie möglich in ihre Heimat zurückkehren. Diese Haltung habe man auch bei den Gesprächen in Kabul Mitte Mai 2004 gegenüber dem afghanischen Flüchtlingsminister „mit klaren Worten“ zum Ausdruck gebracht, sagte Schily. Beide Seiten seien dabei, eine gemeinsame Vereinbarung über die „Ausreisepflichtigen“ zu treffen. Er wisse, dass man Afghanistan nicht überfordern dürfe, sagte Schily. Allerdings gebe es für die deutsche Seite Grundsätze, die nicht zur Verhandlung stünden. Bürgerkriegsflüchtlinge, die Deutschland oft auch rasch aufnehme, wenn es die Not gebiete, genössen ein Bleiberecht auf Zeit, nicht auf Dauer. Die Berechtigung von einwänden des Auswärtigen Amtes, wonach es für die Flüchtlinge noch zu gefährlich sei, in ihre Heimat zurück zu kehren, könne er „so nicht erkennen“. (esf)


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