Integration in Deutschland 2/2004, 20.Jg., 30. Juni 2004

RELIGION

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


In Asien hat Gott viele Namen

Alle Weltreligionen sind in Asien entstanden. Neben dem Judentum und dem Christentum sind für asiatische Migrantinnen und Migranten einige in Deutschland wenig bekannte Religionen von Bedeutung.

Hinduismus

Der Hinduismus umfasst als vielgestaltigste der großen Religionen beinahe alle religiösen Ausdrucksformen der Menschheit: von der Naturgottverehrung über den Polytheismus bis hin zu einem philosophisch anspruchsvollen Monotheismus und dem Glauben an ein über alles herrschendes Weltgesetz (dharma). Er ist eng mit sozialen Ordnungen (Kastenwesen) verknüpft und fordert ausgeprägte Opferriten. Es werden keine allgemein verbindlichen Anschauungen vorgeschrieben. Stattdessen wird das Wirken des auch sittlich verstandenen Weltgesetzes betont. Kennzeichnend ist die Vergeltungskausalität der Karma-Lehre mit ihrem Kreislauf der Wiedergeburten und Weltzeitalter (Yugas). Der Hinduismus (auch: Brahmanismus) ist vor allem in Indien verbreitet. Die indische Götterwelt wird beherrscht von Brahma (dem Schöpfer), Shiva (dem Zerstörer) und Vishnu (dem Erhalter). Es gibt unzählige Gottheiten, die oft als Gemahlin, Kinder oder Diener dieser drei angesprochen werden, zum Beispiel Krishna. Hinduistische Tempel stehen in Hamburg, Berlin und Hamm.

Sikhismus

Die Sikhs waren ursprünglich eine hinduistische Sekte, gegründet von Guru Nanak (1469 - 1538), die sich um eine Verständigung von Hinduismus und Islam bemühte. Nanak wollte eine Synthese aus Hinduismus und Islam schaffen, inzwischen hat sich daraus aber eine völlig eigenständige Religion entwickelt. Ihre Verfolgung in der Zeit der Islamisierung Indiens durch die Mogulenheere bewegte ihren Guru Govind Singh, den letzten der zehn Sikh-Gurus, 1699 dazu, die ursprünglich pazifistische Vereinigung in eine kämpferische Organisation umzuwandeln. Um zu verhindern, dass man am Namen die Herkunft eines Menschen erkennen kann, heißen alle männlichen Sikhs mit Nachnamen Singh (Löwe), alle weiblichen Kaur (Prinzessin). Auch das gemeinsame Essen und die gemeinsame körperliche Arbeit am Tempel sollen deutlich machen, dass soziale Unterschiede für die Sikhs keine Bedeutung haben sollen.

Das Erkennungszeichen dieser religiösen "Gemeinschaft der Reinen" ist der Turban. Sie leben etwa zur Hälfte im nordwestlichen Bundesstaat Punjab mit der Hauptstadt Amritsar, deren "Goldener Tempel" ihr religiöses Zentrum ist. Hier wird das heilige Buch "Granth", in dem die Lehren niedergeschrieben sind, aufbewahrt. Nach ihnen richtet sich die Mehrzahl der Gläubigen bis heute. Die bekannteste davon: Als Zeichen für ihre Religionszugehörigkeit dürfen sie weder ihr Kopf- noch ihr Barthaar abschneiden. Das lange Haupthaar wird unter großen Turbanen versteckt, ihre Bärte werden oft hochgebunden. Weitere strenge Vorschriften sind das Rauch- und Alkoholverbot. In Abgrenzung zum Hinduismus glauben die Sikhs nur an einen Gott, und sie lehnen das Kastenwesen strikt ab. Die Karmalehre und die Lehre vom Geburtenkreislauf gilt für sie jedoch ebenso. Eine echte Besonderheit der Religion ist ihr fast schon kriegerischer Habitus, der aus dem 16. Jahrhundert stammt. Jeder gläubige Sikh soll immer einen Kamm dabeihaben - er steht für Disziplin und Ordnung - sowie einen eisernen Armreif als Zeichen der Solidarität. Er soll auch bequeme Baumwollhosen tragen, die Bewegungsfreiheit garantieren, und immer ein Schwert mit sich führen - das allerdings heute meist auf eine symbolische Größe zusammengeschrumpft ist.

Weltweit hat der Sikhismus heute etwa 20 Millionen Anhängerinnen und Anhänger, in Indien stellen sie knapp zwei Prozent der Bevölkerung. Seit Mitte der 1980er-Jahre kommt es immer wieder zu Kämpfen von Unabhängigkeitsbewegungen im Punjab und in Kaschmir. Viele nach Deutschland geflohene Sikhs haben ihre Religion mit nach Deutschland gebracht. Schätzungsweise 12.000 Sikhs leben inzwischen hier, rund 5.000 allein im Rhein-Main-Gebiet. Viele sind mit deutschen Frauen verheiratet.

Buddhismus

Der Begriff Buddhismus stammt vom Sanskrit-Wort "buddh" (=erwachen) und meint das Erwachen aus der Finsternis des Nicht-Wissens zum Licht der Lehre. Der ursprüngliche Buddhismus vernachlässigte die erst später dominierende Gestalt des Gautama Buddha und betonte die Wissens-Erlangung aus eigener Kraft, ohne göttliche Offenbarung. Dies vor allem durch die Meditation entlang der "Vier Heiligen Wahrheiten". Diese streben eine innere Gleichmut und die Auslöschung des Glaubens an die eigene Individualität an. Betont wird die Vergänglichkeit alles Irdischen. Die spätere Lehre machte große Zugeständnisse an den Volksglauben und die magischen Heilspraktiken. An Bedeutung gewann der Glaube an Götter, Buddhas und hilfreiche Wesen, wie die Boddhisatvas als Erlösungshelfer des Menschen. Der Buddhismus ist heute vor allem in Südostasien verbreitet. In Tibet kam es zur besonderen Ausprägung des Lamaismus. Buddhistische Tempel stehen in Norddeich, Hamburg, Berlin, Hannover, Münster, Düsseldorf, Bonn, Wiesbaden, Langenselbold, Frankfurt/Main, Nürnberg, Göppingen und München.

Die Religionen Chinas

Das uralte metaphysisches Prinzip des Universismus liegt allem chinesischen Denken zugrunde: Himmel, Erde und Menschen gelten als drei Komponenten eines einheitlichen Alls. Alle Erscheinungen in der Natur haben ihre Entsprechung im menschlichen Körper und die kosmische Ordnung gilt auch als moralisches Gesetz. Das Zusammenleben aller Elemente und Kräfte ist bei dieser "universellen Harmonie" in ständiger Wechselbewegung. Als "Motor" fungieren die Grundprinzipien Yin und Yang, die antagonistisch, aber doch komplementär zueinander alles in Bewegung halten. Das oberste kosmische Prinzip wird verschieden gefaßt: als "Oberster Herr" (Shang-ti), als "Himmel" (Tien) oder auch als "Weg" (Tao). Der Taoismus sieht das Tao als Urquell und Urkraft allen Seins. Er propagiert eine kontemplative Haltung weitgehender Abstinenz von weltlichen Geschäften. Dagegen fordert der Konfuzianismus, der eher einem Staatskult gleicht, die Beachtung der gesellschaftlichen Tradition und die aktive Mitarbeit des Menschen zum Wohl des Ganzen.

Die Religionen Japans

Die archaischen Urreligionen Chinas, Japans und Koreas weisen einige Gemeinsamkeiten auf - wie Elemente des Ahnenkultes und des Schamanismus. Der Shintoismus, die ursprüngliche Religion Japans, ist eine animistische Naturreligion. Die Denkweise der Japaner prägte er mit seiner ästhetisierenden Naturverehrung, seiner Bewunderung für herausragende Ereignisse, Menschen und Handlungen, seinen Herkunftsmythen und seinem Ahnen- und Seelenkult bis heute. Der Shintoismus wurzelt pragmatisch in den Bedürfnissen des täglichen Lebens und hat in der Geschichte Japans eine sehr wechselvolle Rolle gespielt, zumal er keinen Wert auf Dogmen legt und sehr verschiedenartige Ausprägungen hat. Seit dem 6. Jahrhundert breitete sich in Japan auch der Buddhismus aus, der hier eine sehr eigene Ausgestaltung erfuhr und auf vielfache Weise mit dem japanischen Denken verschmolz.

Islam

Islam bedeutet "Hingabe an Gott". Die jüngste der großen Weltreligionen betont als kompromissloser Monotheismus die Einzigkeit Allahs und das Hineinwirken Gottes in das tägliche Leben der Menschen. Der Koran gilt als ewige und umweglose Offenbarung Gottes, die im Propheten Mohammed - dem Vorbild des gottgefälligen Lebens - vom Erzengel Gabriel überbracht wurde. Die "5 Säulen des Islam" regeln das religiöse Leben: Das Glaubensbekenntnis, das fünfmalige tägliche Gebet, die Pilgerfahrt nach Mekka, das Fasten im Monat Ramadan und die Almosensteuer. Der Islam verbindet das Religiöse stark mit sozialen und gesellschaftspolitischen Komponenten. Schon früh spalteten sich die stärker charismatischen Schiiten vom mehr legalistischen Mehrheitsislam (Sunniten) ab. Durch die Geschichte des Islam, dessen erste kulturelle Hochblüte im Mittelalter liegt, zieht sich eine enge Verbindung von Religion und Politik. Die Suche nach dem rechten Verhältnis beider Komponenten zueinander bestimmt auch die heutigen Auseinandersetzungen. Die Bandbreite reicht von der strikten Trennung von Staat und Religion im türkischen Laizismus bis zum iranischen Gottesstaat.

Ahmadiyya

Die Ahmadiyya sind als muslimische Bewegung im 19. Jahrhundert in Indien entstanden. Mirza Ghulam Ahmad (1835-1908) wird als Prophet Gottes verehrt. 1914 kam es über der Frage, ob er Prophet oder nur Reformer ist zur Spaltung. Der Koran gilt den Ahmadiyya zwar als abschließende göttliche Offenbarung, auch in der Glaubenspraxis unterscheiden sie sich wenig von den Sunniten. Ein Großteil glaubt aber, in Ahmad verkörpere sich Jesus als der Messias, der islamische Mahdi (dessen Erscheinen Mohammed prophezeit hatte) und der indische Gott Krishna. Die Anhänger dieses Glaubens werden auch "Quadiyani Bewegung" genannt. 1976 wurden sie vom pakistanischen Parlament und später auch von der islamischen Weltliga aus der Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen, ihre Mitglieder wurden deshalb v.a. von den sog. Koran-Schülern als Häretiker verfolgt und ermordet. Seitdem kamen viele als Asylbewerber nach Deutschland. Schon 1949 waren sie in Deutschland organisiert gewesen, zunächst in Hamburg, seit 1969 in der Nuur-Moschee in Frankfurt am Main, wo 1988 der Verein "Ahmadiyya Muslim Jamaat in der Bundesrepublik Deutschland e.V." gegründet wurde. In ihrem Selbstverständnis sind sie nicht häretisch, sondern "die beste aller muslimischen Gemeinden". Sie gelten als elitär, konservativ und agieren als exklusive Vereinigung streng gegen Zuwiderhandlungen. Nur mehr eine Minderheit - die "Lahore-Ahmadis" - teilt diesen Glauben nicht. Sie verehren Ahmad als einen Erneuerer und sind im Verein "Insha'at-i Islami Lahore" in Berlin organisiert. Ahmadis dürfen nicht hinter einem sunnitisch-muslimischen Vorbeter beten, daher entstanden eigene Moscheen. Eine erste Moschee der Lahore-Ahmadis war schon 1923/24 in Berlin-Wilmersdorf entstanden. In Frankfurt am Main wurde auch ein eigenes Gräberfeld eingerichtet, zu dem Ahmadis aus ganz Europa überführt werden. Insgesamt leben etwa 60.000 Ahmadis indischer und pakistanischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Ihr bekanntester deutscher Vertreter ist Hadayatullah Hübsch. Die Ahmadis agieren missionarisch und sind sehr publikumsaktiv, ihre Organisationen erstellen verschiedene Zeitschriften und Bücher.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Feste feiern

Fest im Kalender eingetragen sind vielen Asiaten einige traditionelle und religiöse Feste. Zu nennen sind das chinesische Neujahrsfest und sein vietnamesisches Pendant, das "Tet-Fest". Thailänder feiern seit 1994 in Frankfurt/Main das Fest Loi Krathong zu Ehren der Wassergöttin. Viele dieser Feste bekommen deutsche Nachbarn kaum mit. Anders beim Hindu-Tempelfest in Hamm-Uentrop, bei dem unter anderem eine Zeremonie im Datteln-Hamm Kanal stattfindet (Fotos).

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Uni Münster startet Studiengang Islamische Religionspädagogik

 

Münster. Im Zentrum für Religiöse Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wird mit Beginn des Sommersemesters der Betrieb im Studiengang Islamischer Religionspädagogik aufgenommen. Der Lehrstuhl wird mit dem deutschen Muslim Prof. Dr. Muhammad Kalisch besetzt, der vorher am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg tätig war. Die Errichtung des Lehrstuhls ist Bestandteil der so genannten Integrationsoffensive, die vor Jahren vom NRW-Landtag durch alle Parteien verabschiedet worden ist. Er ist auch eine wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung von Lehrern für einen regulären islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.
Nicht zuletzt deswegen wurde diese Nachricht bei den muslimischen Verbänden positiv aufgenommen. Der Generalsekretär des Zentralrates der Muslime, Dr. Ayyub Axel Köhler, sagte nach Angaben der Islamischen Zeitung dazu: "Seit zwei Jahrzehnten ringen wir um die Einführung eines islamischen Religionsunterricht. Mit diesem Lehrstuhl kommen wir der Erfüllung dieses wichtiges Anliegens der Muslime einen riesigen Schritt näher" Neben der wissenschaftlichen Arbeit kommt eine zusätzliche Bedeutung dieses Amtes auf Prof. Kalisch zu, kann er doch durch den zu erwartenden Zulauf muslimischer Studenten einen wichtigen Beitrag für ihre Integration leisten. (esf)

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"Toleranz der Kulturen - Toleranz der Religionen"

 

Istanbul/Essen. Am 21. April 2004 hat die Stiftung Zentrum für Türkeistudien (ZfT) gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul die Tagung "Toleranz der Kulturen - Toleranz der Religionen" veranstaltet. Die Tagung war ein erster Schritt in einer neu verabredeten Kooperation mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zur Förderung des interkulturellen Dialogs. "Obwohl alle vor einem ‚Kampf der Kulturen' als neue internationale Konfliktlinie im 21. Jahrhundert warnen, reden wir seit dem 11. September doch fast nur noch über die konfrontative Seite von Kulturkontakt. Wir beteuern, dass es den ‚Clash of Civilizations' nicht geben darf, verlieren aber zugleich den Blick für unserer Gemeinsamkeiten", sagte ZfT-Direktor Sen zum Hintergrund der Tagung. Dem will die Kultur - und religionswissenschaftliche Tagung eine neue Suche nach Gemeinsamkeiten gegenüberstellen: Wo sind die Toleranzpotentiale in Islam und Christentum, im Morgen- und Abendland?

"Der Türkei kommt eine wichtige Brückenfunktion im Dialog zwischen westlichen und islamischen Staaten zu, da das Land stellvertretend für den Versuch der Versöhnung eines liberalen Islam mit der Modernisierung nach westlichem Muster steht", sagte Bundestagspräsident Thierse. Ausdrücklich bezeichnetet er den möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union als wichtigen Schritt auch zu einer Befriedung des Verhältnisses zwischen Islam und Westen. Die Integration der Türkei könnte Signalfunktion sowohl nach Innen - mit Blick auf das Zusammenleben mit 14. Mio. Muslimen innerhalb der heutigen Unionsgrenzen - wie nach Außen haben. Es würde durch einen Beitritt deutlich, dass die Welt des 21. Jahrhunderts nicht aus unterschiedlichen kulturell-religiösen Blöcken bestehen muss.

Das Tempo der politischen und rechtsstaatlichen Reformen in der Türkei sei beeindruckend, so Thierse. Zugleich kritisierte er das Urteil des türkischen Staatssicherheitsgerichts gegen die kurdische Politikerin Leyla Zana. Das Gericht hatte am 22. April 2004 ein zuvor vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Rechtsmängeln "kassierte" Urteil aus dem Jahr 1994 zu 15 Jahren Haft bestätigt. Das Urteil könnte einen empfindlichen Rückschlag für die Bitrittsbemühungen der Türkei bedeuten, so Thierse.

ZfT-Direktor Faruk Sen, der die Veranstaltung moderierte, hob die führende Rolle Thierses im Dialog zwischen Islam und Christentum hervor, was sich in zahlreichen Aktivitäten niedergeschlagen habe, etwa in der Teilnahme an der Eröffnung von Moscheen in Deutschland. Auch hob Sen Thierses Engagement für das Thema interkultureller Dialog in der Grundwertekommission der SPD hervor. Thierses Arbeit würde inzwischen auch in der türkischen Öffentlichkeit weithin wahrgenommen.

Dr. Dirk Halm, ZfT

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Islam-Organisationen nehmen Stellung zum "Kopftuch-Streit"

 

Bonn. Mehr als 60 islamische Organisationen in Deutschland haben eine gemeinsame Stellungnahme zur "Kopftuch- Debatte" veröffentlicht. In dem Mitte April 2004 vom Islamrat in Bonn verbreiteten Schreiben betonten die Unterzeichner, dass das Tragen oder Nicht-Tragen eines Kopftuches nicht über die Zugehörigkeit eines Menschen zum Islam entscheide. Gleichwohl fordere der Islam das Einhalten bestimmter Bekleidungsvorschriften. In diesem gemeinsamen Dokument nehmen die Organisationen Stellung zu der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) und die darauf folgenden Gesetzesvorhaben in verschiedenen Bundesländern Stellung. Sie wollen damit einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. Im Wortlaut heißt es nach Angaben der Islamischen Zeitung vom 21. April 2004 weiter:

"Der säkulare deutsche Rechtsstaat hat sich gemäß seinem in der Verfassung verankerten Selbstverständnis in religiösen, nicht dem Grundgesetz widersprechenden Fragen neutral zu verhalten. Diese Neutralität bedeutet, dass der Staat sich weder für noch gegen eine bestimmte Religion engagieren darf. Gemäß dem Grundgesetz liegt demnach die Deutungshoheit über Inhalte einer Religion und die Definition darüber, was ein zwingendes religiöses Gebot ist, nicht beim Staat und dessen Volksvertretern, sondern einzig bei den Religionsgemeinschaften.

Die unterzeichnenden Organisationen stimmen darin überein, dass das Tragen oder Nicht-Tragen eines Kopftuches nicht über die Zugehörigkeit eines Menschen zum Islam entscheidet. Die Befolgung des islamischen Bekleidungsgebotes darf auch nicht als Maßstab für die ethisch-moralische Bewertung, die Integrationsbereitschaft oder gar die Verfassungstreue eines Muslims herangezogen werden.

Gleichwohl gebietet der Islam, nach allen islamischen Rechtsschulen, das Einhalten bestimmter Bekleidungsvorschriften, und zwar für Mann und Frau. Der Frau ist geboten, sich bis auf Hände, Füße und Gesicht zu bekleiden, dazu gehören einstimmig die Kopfhaare.

Sinn dieses Gebotes ist es nicht, die Frau in irgendeiner Form zu unterdrücken. Für die unterzeichnenden islamischen Organisationen in Deutschland ist das Kopftuch nur ein religiöses Gebot, und kein politisches oder religiöses Symbol. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu folgerichtig festgestellt, dass das Tragen eines Kopftuches unter den Schutz der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgten Glaubensfreiheit fällt und nicht gegen den grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz zwischen den Geschlechtern verstößt und dass die Deutung des Kopftuchs nicht auf ein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau verkürzt werden darf.

In jedem Fall sollten Frauen nach unserer Überzeugung ein Kopftuch nur aus freiem Willen tragen. Diskriminierungen wegen des Nicht-Tragens eines Kopftuches lehnen wir genauso ab, wie Diskriminierungen wegen des selbstgewählten und selbstbestimmten Tragens eines Kopftuches.

Gegenstand des Urteils des BVerfG war das aus Sicht des Gerichtes berechtigte Anliegen einer muslimischen Lehrerin mit dem Kopftuch unterrichten zu können. Inzwischen umfasst die aktuelle Debatte um das Kopftuch den gesamten Bereich des öffentlichen Dienstes und dient auch zur Legitimation für Diskriminierungen im privaten Sektor, obwohl das Bundesarbeitsgericht und das Bundesverfassungsgericht für den privatwirtschaftlichen Bereich eine endgültige Entscheidung zugunsten der freien Religionsausübung bereits getroffen haben.

Das BVerfG hat wiederholt betont, dass jede gesetzliche Regelung die verschiedenen Religionsgemeinschaften gleichbehandeln muss, d.h. dass eine einseitige Privilegierung von Religionsgemeinschaften zu unterbleiben hat. Ein grundsätzliches Verbot religiöser Bezüge in der Schule beträfe deshalb nicht nur den Islam, sondern auch das Christentum und das Judentum und wäre praktisch der Einstieg in die laizistische Gesellschaft, die nach wie vor mehrheitlich abgelehnt wird.

Die unterzeichnenden islamischen Organisationen in Deutschland appellieren hiermit an alle Landesregierungen und die Bundesregierung, die Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts zur Aufnahme der religiösen Pluralität in die Schule ‚als Mittel für die Einübung von gegenseitiger Toleranz' zu beherzigen und darüber hinaus in Zusammenarbeit mit den Vertretern der Muslime in Deutschland ein ganzheitliches Konzept zur Integration und ‚Einbürgerung' des Islams in unserem Land zu erarbeiten.

Wir danken denjenigen Personen und Institutionen, die in der bisherigen Debatte einen versöhnenden und sachlichen Beitrag geleistet haben.

Es gilt eine weise und zukunftsträchtige Politik zu gestalten, die der Vielfalt und Pluralität unserer Gesellschaft gerecht wird und in der auch die Muslime als Bereicherung angenommen werden." (esf)

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Dokumentation zu Islam und Schule

 

Berlin. Nachdem die Grundsatzentscheidung über das Verbot religiöser Symbole an Berliner Schulen gefallen ist, hat Berlins Beauftragter für Integration und Migration, Günter Piening, einen neuen Dialog mit dem Islam gefordert. "Kritischer Dialog hat die Gleichbehandlung des Islam mit den anderen Religionen zur Basis und schließt die kritische Nachfrage an die Religion selbstverständlich ein" erklärte Piening anlässlich der Vorlage der Dokumentation "Wie verändert der Islam die Schule im Kiez" im April 2004.

Die Einigung der Berliner SPD/PDS-Koalition, in Berlin keine "Lex Kopftuch" einzuführen, sondern alle Religionen gleich zu behandeln, werde die Diskussion um den Islam versachlichen. Der Gesetzentwurf bringe Rechtssicherheit auf der Basis der Gleichbehandlung der Religionen und biete eine gute Plattform zur Weiterentwicklung des Dialoges mit den islamischen Gemeinden in Berlin. "Dialog auf gleicher Augenhöhe" heiße nicht, dass kritische Nachfragen ausgespart oder tabuisiert würden. Gerade an Schulen bedeute religiöse Vielfalt konkrete Konflikte, wenn Eltern ihre Töchter nicht am Sportunterricht teilnehmen lassen wollen, wenn Klassenfahrten nicht mehr stattfinden können oder versucht wird, Sexualkunde- und Biologieunterricht zu boykottieren.

Wie wichtig es sei, auch in solchen Kontroversen miteinander statt übereinander zu reden, so Piening, zeige auch die Veranstaltungsreihe "Under Construction - Einwanderungsstadt Berlin", die im Oktober 2003 mit dem Thema "Moscheebauten in Berlin" startete. Die Ergebnisse der zweiten Veranstaltung zum Thema "Wie verändert der Islam die Schule im Kiez" sind jetzt als Dokumentation erhältlich.

Auf dem offenen Diskussionsforum des Integrationsbeauftragten hatten Anfang März 2004 weit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Schulen, Nachbarschaft, Vereinen und Religionsgemeinschaften über Positionen und Erfahrungen debattiert. Als Fazit der zum Teil sehr kontrovers geführten Veranstaltung zieht der Integrationsbeauftragte: "Religiöse Vielfalt ist an vielen Schulen praktizierte Realität. Sie stellt auch nicht demokratische Errungenschaften oder gar die verfassungsgemäß garantierte Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen in Frage. Die Schule hat im großen und ganzen gelernt, mit ‚dem Islam' umzugehen und in vielen Fälle sehr pragmatische Lösungen gefunden. Wenn Einflussnahme seitens aggressiv-fundamentalistischer Gruppen spürbar ist, dann müssen Eltern, Schüler, Lehrerschaft, Migrantenorganisationen und die demokratisch orientierten islamischen Gemeinden zusammenarbeiten".

Die Ergebnisse der Veranstaltung "Wie verändert der Islam die Schule" stehen als kostenloses Download auf der Internetseite des Integrations- und Migrationsbeauftragten (www.berlin.de/auslb) allen Interessierten zur Verfügung

John Röhe, Büro des Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration

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