Integration in Deutschland 3/2004, 20.Jg., 28. September 2004

Bildung

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Sprache ist auch eine Sache des Herzens

Zweisprachige Grundschulen als Modell für das Europa von Morgen


Die deutsch-italienische Grundschule Wolfsburg

„Es ist nicht länger möglich, die Beherrschung von Fremdsprachen einer Elite vorzubehalten oder solchen Menschen, die Sprachen erwerben wegen ihrer geographischen Mobilität. In Übereinstimmung mit der Resolution des Rats der Erziehungsminister vom 31.3. 1995 ist es für jeden notwendig, unabhängig von der schulischen oder beruflichen Laufbahn in wenigstens zwei europäischen Sprachen zusätzlich zur Muttersprache entsprechende Kenntnisse zu erwerben und aufrechtzuerhalten."

Europäische Kommission, Weißbuch zu Erziehung und Ausbildung: Lehren und Lernen für die lernende Gesellschaft, 1995, S.67

„Im Vertrieb unserer Firma berate ich telefonisch unsere Kunden in Italien. Der Chef wollte dafür unbedingt einen Italiener oder eine Italienerin einstellen“, sagt Ines Falco aus Wermelskirchen im Bergischen Land in makellosem Deutsch. Ihr Italienisch hat dieselbe Qualität. Die 26Jährige ist als Tochter italienischer Eltern hier geboren und zur Schule gegangen. „Eine solche Zweisprachigkeit ist aber bei jungen Migranten, die das deutsche Schulsystem durchlaufen haben, eher selten“, weiß Rosella Benati, Lehrerin für muttersprachlichen Italienisch-Unterricht in Köln. Denn Zweisprachigkeit wird in der Regel nur über muttersprachlichen Unterricht gefördert. Ines Falco besuchte ihn zehn Jahre lang an zwei Nachmittagen in der Woche, obwohl er auch in NRW nur freiwillig ist. Soll heißen: nicht alle jungen Migranten besuchen ihn, und längst nicht alle können am Ende der Schule nach der Sprachprüfung eine Note vorweisen, die gute oder sehr gute Kenntnisse in der Muttersprache belegt und sogar eine mangelhafte Note in einer anderen Fremdsprache ausgleichen kann. In Niedersachsen z.B. hat muttersprachlicher Unterricht keine Bedeutung für den Schulabschluss.

„Zweisprachigkeit kann für junge Migranten durchaus eine Chance im Berufsleben darstellen. Aber auch hier gilt: Qualität und Niveau müssen stimmen“, urteilt Dr. Reinhold Weiß, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Bildung und Arbeitsmarkt am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Stellenanzeigen der Tageszeitungen zeigen, dass die Nachfrage offenbar vorhanden ist. So suchte der BGS Kommissaranwärter mit dem Zusatz „Angehörige aus einem Mitgliedsland der EU sind erwünscht“, eine deutsche Computerfirma einen Projektleiter „per il mercato italiano“ und eine Firma aus NRW in einer auf italienisch abgefassten Anzeige einen Verkaufsleiter mit ausgezeichneten Deutsch und Italienischkenntnissen in Wort und Schrift.

Systematische Förderung

Warum also sollte man Zweisprachigkeit nicht systematisch fördern? Es geschieht bereits in einigen Grundschulen im Bundesgebiet, die biligualen Unterricht vom 1. Schuljahr an vorsehen.

Beispiel: Die Grundschule Zugweg in der Kölner Südstadt. Hier wird seit dem Schuljahr 2001/02 jedes Jahr eine weitere deutschitalienische Klasse eingerichtet. Je ein Drittel der insgesamt 92 Kinder kommt aus deutschen, italienischen und zweisprachigen Familien. Benati: „Wir benötigen einige Stunden mehr als „normale“ Grundschulen. Die Kinder haben am Anfang jeden Tag zusätzlich eine Stunde italienisch. Dazu wird die Gruppe geteilt, aber nicht nach Nationalitäten, sondern gemischt. Die Hälfte der Klasse erhält Italienischunterricht in der italienischen Klasse, die andere Hälfte bleibt bei der deutschen Kollegin und lernt dort deutsch. In der nächsten Stunde ist es umgekehrt, die Gruppen tauschen die Räume, und nun passiert dasselbe mit der zweiten Gruppe. Die Kinder lernen also in beiden Sprachen lesen und schreiben.“ Hinzu kommen drei Unterrichtsstunden in Doppelbesetzung für den Sachunterricht. Bestimmte, zuvor abgesprochene Themen werden zweisprachig unterrichtet. Im zweiten Schuljahr kommt das Fach Kunst zweisprachig hinzu. Im dritten Jahr wird mit dem Englischunterricht begonnen und deshalb gibt es kein weiteres zweisprachiges Fach, wohl aber im 4. Schuljahr. Über die Wirkung des Unterrichts ist sich Benati mit anderen Fachleuten wie etwa Helga Büchel vom Hamburger Amt für Bildung einig: „Die Sprachentwicklung dieser Kinder ist einfach beeindruckend!“ Büchel resümiert damit die Erfahrungen aus gleich vier zweisprachigen Hamburger Grundschulen; 1999 wurde dort eine Deutsch-Italienische Grundschule eingerichtet, 2000 eine Deutsch-Portugiesische, 2001 eine Deutsch-Spanische und 2003 zwei Deutsch-Türkische Grundschulen. Auf längere Erfahrungen kann Peter Noss, Direktor der Deutsch-Italienischen Grundschule (DIG) Wolfsburg, zurückblicken: „In den zehn Jahren des Bestehens unserer Schule haben wir praktisch keinen italienischen Schüler auf die Sonderschule überwiesen. Zuvor lag die Zahl in Wolfsburg bei etwa 14%. Der zweite Punkt: Dank der interkulturellen Erziehung, mit der wir das gegenseitige Kennenlernen der Schüler mit ihrer unterschiedlichen ethnischen und sozialen Herkunft und Biografie fördern, haben wir es erreicht, dass – im Gegensatz zu sehr vielen anderen Schulen – es keine Auseinandersetzungen gibt, die sich an den Sprachgruppen oder Sozialverhältnissen orientiert hätten. Drittens: Dank des intensiven zweisprachigen Unterrichts konnte die Qualität der Schulabschlüsse der italienischen Schüler deutlich verbessert werden, und damit auch ihre Chancen beim Einstieg ins Berufsleben. Die guten Schulabschlüsse haben auch damit zu tun, dass junge Migranten auf unserer zweisprachigen Schule mit dem Bewusstsein aufwachsen, dass ihre Sprache nicht etwas Minderwertiges ist, das in den muttersprachlichen Unterricht in die Nachmittagsstunden abgeschoben wird, sondern genauso wichtig wie die deutsche ist, weil sie dieselbe Stundenzahl und dieselbe Bedeutung hat.“

Für Thomas Jaitner, Fachberater für Migranten in der Bezirksregierung Köln mit dem Arbeitsschwerpunkt Migranten und Schule, ist das ein zentraler Punkt: „Länder wie z.B. Schweden, das in der PISA-Studie sehr gut abgeschnitten hat, haben längere Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit, sehen sie viel positiver als wir und entwickeln daraus ihre Programme. Dahinter steckt von vornherein der Gedanke, dass andere Sprachen als z.B. die schwedische keine Störfaktoren sind, die Kinder daran hindern, schwedisch zu lernen; man sieht in dieser zweiten Sprache die potentielle Chance.“ Jaitner sieht aber auch mit Blick auf das zusammenwachsende Europa die absolute Notwendigkeit, mehr zweisprachige Grundschulen einzurichten. Dass das jedoch ein langer Prozess sein wird, wissen alle Beteiligten. Helga Büchel: „Als wir die Deutsch-Türkische Grundschule einrichten wollten, gab es Berührungsängste auf deutscher Seite. Man hatte kein Vertrauen in die etwas bildungsferneren türkischen Eltern. Ähnliches war uns zuvor mit der Deutsch-Portugiesischen Grundschule passiert, aber da können wir uns jetzt kaum noch vor Anmeldungen retten.“ Doch die zweisprachigen Grundschulen könnten gerade bildungsferneren deutschen und Migrantenfamilien eine Möglichkeit bieten, die beruflichen Chancen ihrer Kinder nach Abschluss des Schulbesuchs deutlich zu verbessern. „Und schließlich – so Rosella Benati – ist Sprache auch eine Sache des Herzens.“

Kontakt: 
Deutsch-Italienische Grundschule Wolfsburg
www.home.wolfsburg.de/digs 


Autor: Peter Andratschke

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„Engagement macht Schule“

 

Zum Beginn des neuen Schuljahres startet die multinationalen Initiative „Engagement macht Schule“. Gesucht werden innovative und vorbildliche Praktiken bei der Integration von Grundschulkindern von Zuwanderern. 36.000 Grundschulen und Jugendeinrichtungen in Österreich, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden sind aufgerufen, innovative Konzepte einzusenden. Die interessantesten Projekte werden überarbeitet, damit sie auf andere Schulen und Länder übertragbar werden. Auf einer CD-ROM werden sie EU-weit kostenlos Lehrern, Erziehern und Meinungsbildern zur Verfügung gestellt. Einsendeschluss ist der 31. Januar 2005. Insgesamt sind Preisgelder in Höhe von 21.000 €Euro zu verteilen. Mehr zur Aktion auf www.engagement-macht-schule.de. Der Zeitbild Verlag führt die Aktion im Auftrag der Europäischen Kommission und des Bundesministerium des Innern durch. Eine Lehrerzeitung zum Projekt kann beim Verlag bestellt werden.

Marina Kadner, Zeitbild Verlag

Kontakt:
Zeitbild Verlag GmbH, Kaiserdamm 20,
14057 Berlin, Fax: 030-320019-11,
www.zeitbild.de, bestellung@zeitbild.de 

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Ausländerkinder werden systematisch benachteiligt

 

Stuttgart. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat gefordert, in einem ersten Schritt die Zahl ausländischer Kinder an Sonderschulen für Lernbehinderte bis 2010 zu halbieren. Weitergehend seien diese Schulen vollständig abzuschaffen. Die am 25. Juni 2004 während einer Pressekonferenz in Stuttgart vorgelegten Daten zeigten, dass „ausländische Schüler systematisch benachteiligt werden“. „Das Risiko ausländischer Kinder und Jugendlicher, in eine Sonderschule für Lernbehinderte abgeschoben zu werden, ist doppelt so hoch wie bei deutschen Mädchen und Jungen. Baden-Württemberg ist Spitzenreiter dieser unrühmlichen Rangliste“, sagte GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange. Im Südwesten sei für ausländische Kinder die Gefahr, aussortiert zu werden dreieinhalb Mal höher als für deutsche Schüler/innen. 2,3 % aller deutschen Kinder und Jugendlichen besuchten 2002 eine Sonderschule für Lernbehinderte. Bei den ausländischen Schülern liege dieser Anteil bei 4,7 %.

44.700 ausländische Kinder und Jugendliche seien zur Zeit an Schulen für Lernbehinderte abgeschoben worden. Realschulen und Gymnasien blieben diesen Schülerinnen und Schülern dagegen meist verschlossen. Im Vergleich zu deutschen Mädchen und Jungen besuchten sie diese Schulformen nur halb so häufig. „Ausländische Kinder müssen schon früh mit integrativen Maßnahmen individuell gefördert werden“, verlangte Stange. Dazu gehöre auch das Erlernen der eigenen Muttersprache. Die „Lernprobleme“ ausländischer Kinder würden oft durch nicht ausreichende Deutschkenntnisse verursacht. „Diese Defizite müssen früh behoben werden. Sie haben jedoch nichts mit einer echten Lernbehinderung zu tun“, betonte die GEW-Chefin.

Das Abschieben in die Sonderschulen sei der erste Schritt, ausländischen Kindern einen erfolgreichen Bildungsweg und damit Berufs- und Lebenschancen zu verbauen. Die Lehrpläne und Bedingungen dieser Schulen seien nicht auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen ausgelegt.

Die Überweisungsquote ausländischer Schüler an Sonderschulen für Lernbehinderte sei in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. Die größten Steigerungsraten gebe es im Saarland, in Niedersachsen und Hessen. Diese Daten, so Stange, würden von der PISA-Studie bestätigt. Das deutsche Schulsystem sei nicht in der Lage, soziale Benachteiligungen auszugleichen, im Gegenteil: Diese würden verstärkt. „Im Interesse aller Kinder müssen wir endlich weg von unserem gegliederten Schulsystem und uns in Richtung ‚Einer Schule für alle’ aufmachen“, unterstrich Stange. (gew/esf)

Weitere Informationen: www.gew-bw.de

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FIF: Integration durch Fortbildung Lehrender

Mainz. In der derzeitigen integrationspolitischen Debatte steht die sprachliche Integration der Zugewanderten im Vordergrund. Das zeigt unter anderem die gesetzliche Verankerung des Integrationskurses im Zuwanderungsgesetz, an die sich die Hoffnung auf entscheidende Verbesserungen der sozialen Situation der Zugewanderten knüpft. Integration versteht sich also einerseits als eine Aufgabe, die eng mit dem Erlernen einer Zweitsprache verbunden ist. Integration ist andererseits mehr als Sprachförderung, nämlich eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche der Gesellschaft umfasst. Das Projekt „Förderung von Integration durch Fortbildung Lehrender (FIF), das am 1. Juli 2004 seine Arbeit aufgenommen hat, legt in diesem Zusammenhang seinen Schwerpunkt auf die Qualitätsverbesserung des Integrationsangebots durch die Förderung der Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung sowie aller Personen, die in der Integrationsarbeit tätig sind oder sich für eine Tätigkeit in diesem Bereich interessieren. Für diese wird ein grundständiges, modulares Fortbildungskonzept entwickelt und erprobt, um durch zielgerichtete Weiterqualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren die berufliche und soziale Integration von Arbeitskräften ausländischer Herkunft zu verbessern. Dazu werden Pilotseminare konzipiert und durchgeführt. Ziel ist die Unterstützung von Kursleitenden in den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförderten Integrationskursen sowie aller in der Integration Tätigen. Insofern hat das Projekt nicht nur für Rheinland-Pfalz Bedeutung, sondern will beispielgebend für die anderen Bundesländer sein.

Bei der Entwicklung und Umsetzung des Konzepts kann auf die Erfahrungen der drei Antragsteller zurückgegriffen werden. Die Landesarbeitsgemeinschaften der Katholischen und Evangelischen Erwachsenenbildung haben ein MultiplikatorInnenpaket für zukünftige Dozentinnen und Dozenten von Orientierungskursen für Zugewanderte entwickelt. Der Verband der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz e.V. hat mit dem Projekt „Fortbildung für Integration“ (in Kooperation mit der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) ein Fortbildungs-Portfolio entwickelt und erprobt, das Lehrkräfte auf die Anforderungen der Integrationskurse vorbereitet.

Das Projekt wird in gemeinsamer Trägerschaft der Katholischen Erwachsenenbildung Rheinland-Pfalz, des Verbandes der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz e.V. und der Evangelischen Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung mit Förderung durch das Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur Rheinland-Pfalz und dem Europäischen Sozialfonds bzw. dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit durchgeführt. Projektpartner sind die Universität Koblenz-Landau, Institut für Interkulturelle Bildung, die Arbeitsgemeinschaft der Caritasverbände Rheinland-Pfalz und das Diakonische Werk Pfalz.

Susan Kaufmann, FIF

Kontakt: 
Projekt FIF,
c/o KEB Rheinland-Pfalz, Welschnonnengasse 2- 4, 55116 Mainz, 
Tel.: 06131/225718, Fax: 06131/236792,
bracale@fif-rlp.de, kaufmann@fif-rlp.de,
www.fif-rlp.de.

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