Integration in Deutschland 3/2004, 20.Jg., 28. September 2004

Schwerpunkt: INTERKULTURELLE KONFLIKTE UND KRIMINALITÄT

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Kaplan in der Keupstraße?

 

Bei einem Anschlag mit einer Rohrbombe im Kölner Stadtteil Mülheim wurden am 9. Juni 2004 22 Personen verletzt. Die Rohrbombe war mit Hunderten etwa zehn Zentimeter langen Nägeln gefüllt und an einem Fahrrad befestigt. Zwar wurde niemand getötet, aber der Täter muss mit vielen Toten gerechnet haben, hieß es seitens der Polizei. 

Vier der durch die teils hundert Meter weit herumfliegenden Nägel getroffenen Personen wurden schwer verletzt. Der Sachschaden betrug mehrere hunderttausend Euro. Es wurde Großalarm ausgelöst. In einer ersten Reaktion wurden Vermutungen und Spekulationen laut, die Tat könnte einen islamistisch-terroristischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund haben. Beides schien naheliegend. Schließlich waren einerseits erst drei Monate seit den Madrider Anschlägen vergangen, andererseits leben in der weit über Mülheim hinaus bekannten Straße überwiegend Menschen, die aus der Türkei stammen. Deshalb kommen die meisten Opfer auch aus dieser Gruppe. Hier geht es lebendig zu, es gibt viele kleine Läden, eine Moschee und Restaurants. Das Viertel ist durch nahe gelegene Fernsehsender und gute Restaurants durchaus "hip" geworden. Nach einem Tag intensiver Recherche ging die Polizei nur noch von einem "allgemeindeliktischen Hintergrund" aus. Dieser hätte mit der anderen Seite des bunten orientalischen Flairs zu tun: Glücksspiel, Schutzgelderpressung, Rauschgifthandel und Machtkämpfe zwischen kriminellen Organisationen mit türkischem, albanischem oder bosnischem Hintergrund. "Typisch Ausländer", mögen viele reflexartig gedacht haben, wenngleich auf das erste Entsetzen eine gewisse Erleichterung folgte, dass es sich wohl nicht um einen terroristischen Anschlag handelt, der die Auseinandersetzung mit radikalen Islamisten bis vor die eigene Haustür getragen hätte. Es gab jedoch auch Proteste, dass man gleich kleinkriminelle Migranten verdächtigt. Einige Monate später geht man nun doch von deutschen Tätern aus. Der Fall bleibt ungelöst.

Verwundert hätte ein Anschlag von Islamisten in Köln in diesen Monaten wenig, machte doch der "Fall Kaplan" gerade Schlagzeilen. Der "Hassprediger", wie ihn die Boulevardpresse in diesen Tagen bezeichnete, hatte sich dieser Tage zwar nichts Konkretes zu Schulde kommen lassen, sollte aber abgeschoben werden. Mit der Abschiebung des vor vielen Jahren wegen eines Aufrufs zum Mord an einem religiösen Konkurrenten verurteilten radikalen Hodscha, der sich selbst zum Kalifen auszurufen erdreistet hatte, sollte ein Exempel statuiert werden. Man wollte - ähnlich wie vor Jahren beim "Fall Mehmet" - exemplarisch demonstrieren, dass sich die deutsche Aufnahmegesellschaft nicht alles gefallen lässt. Denn seit dem 11. September stand der Vorwurf nicht zu Unrecht im Raum, hierzulande sei die Gefährlichkeit von Islamisten bislang unterschätzt worden. Kaplan habe man früher nur als "Spinner" gesehen, der von hier aus gegen die demokratische Ordnung der Türkei agiert. Und nun gelingt es - durch juristische Tricks seiner Verteidiger und der unklaren Antwort auf die Frage, ob er in der Türkei mit einem rechtsstaatlichen Verfahren rechnen kann - nicht, ihn abzuschieben.

Wie sind diese Fälle im Kontext des Zusammenlebens von Einheimischen und Migranten zu interpretieren?

Zum einen zeigt sich, dass durch jahrelange Prozesse der Desintegration gefährliche Milieus, vielleicht auch Parallelgesellschaften entstanden sind. Jugendliche mit Migrationshintergrund scheinen gewaltbereiter als in früheren Jahren. "Kriminelle Ausländer" sind nicht mehr nur ein Vorurteil, gegen das mit Aufklärung anzugehen ist, sondern eine Realität geworden, der mit Präventionsmaßnahmen zu begegnen ist.

Zum anderen zeigt sich, dass der "Zusammenprall der Kulturen" sehr viel konkreter geworden ist, als sich das so genannte alte Europa dies noch vor wenigen Jahren hätte träumen lassen. Kulturen und Menschen verteidigen ihnen wichtige Werte, wenn sie diese von anderen bedroht sehen. Es geht ganz banal um die Kehrwoche, lärmende Kinder um 22 Uhr, aber auch um die Stellung der Frau oder den Gebetsruf von der Moschee - aus Sicht vieler Einheimischer. Es geht um die bauchfreie Mode der letzten Sommer, um Pornokinos, Ausgrenzungserfahrungen und fehlende Herzlichkeit - aus Sicht vieler Zuwanderer.

Was die einen als Erbe oder Errungenschaft verteidigen, brüskiert andere. Interkulturelle Missverständnisse und Konflikte im Alltag, die nicht gelöst werden, können letztlich den Nährboden für Agitatoren bilden. Ebenso wie Phänomene von Gewalt und Kriminalität. Insofern können die Fälle Kaplan und Keupstraße durchaus in einem Zusammenhang gesehen werden.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Wenn sich Peter und Ali prügeln...

Interkulturelle Konflikte haben oft soziale Wurzeln

"Einwanderungsgesellschaften und Prozesse der Integration haben in der Regel keinen idyllischen und harmonischen Charakter", so Prof. Axel Schulte von der Universität Hannover. ""Sie gehen vielmehr mit vielfältigen Konflikten und Spannungen einher, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt gefährden (können)". Konflikte - in sehr unterschiedlicher Intensität - existieren zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Zugewanderten, aber auch zwischen unterschiedlichen Gruppen auf jeder der beiden Seiten.


Missverständnisse als Konfliktquelle: "Das macht man nicht", denkt die Deutsche; "Wo soll ich sonst Baumwolle für Kissen schlagen?" denkt die Türkin

Ein Konflikt ist ein Aufeinanderprallen von Interessen, Bedürfnissen oder Wünschen von zwei oder mehr Individuen oder Gruppen, das mit oder ohne Gewalt ausgetragen werden kann. Bei Konflikten zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Einwanderungsminderheiten geht es um Fragen des politischen Selbstverständnisses, des rechtlichen Status, der sozialen Lage sowie um Möglichkeiten und Formen der kulturellen Entfaltung. Sie können aber auch mit Phänomenen der sozialen Diskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und mit Erscheinungsformen des "Islamismus" in Zusammenhang stehen.

Je dunkler die Hautfarbe, desto leichter gerät man in Deutschland in Polizeikontrollen. Wie lange nimmt ein unbescholtener Bürger das hin, bis er sich verbal zu dem dahinter stehenden Verdacht, er habe zum Beispiel keine gültigen Papiere, äußert? Solche Situationen können schnell eskalieren, gehen doch die Polizeibeamten nur "effizient" ihrer Arbeit nach, wie sie meinen. Wäre dies ein interkultureller Konflikt? "Erhalten Sie gerne Ohrfeigen? Teilen Sie gerne Ohrfeigen aus?", fragt Elisabeth Bálint-Cherdron, Trainerin für interkulturelle Kommunikation und Kooperation in München. "Vermutlich weder noch! Aber so entstehen interkulturelle Missverständnisse und Probleme: Wenn der eine sich unberechtigterweise geohrfeigt fühlt, während der andere gar nicht merkt, dass er eine Ohrfeige ausgeteilt hat! Der "Geohrfeigte" wird sich natürlich revanchieren wollen, womit aus dem Missverständnis ein Problem bzw. ein Konflikt wird.

Die in Deutschland auftretenden Konflikte lassen sich unter sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten interpretieren und beurteilen. Mit Blick auf die zugrundeliegenden Motive unterscheidet Prof. Schulte zwischen Interessenkonflikten und ethnisch-kulturellen Konflikten. Bei der Art ihrer Erscheinungsform trennt er latente und manifeste sowie echte und unechte Konflikte. Latente Konflikte sind oft nicht als solche erkennbar. Sie werden nicht ausgetragen und können daher oft nicht mit zulässigen Mitteln geführt werden.

"Du kommst mit denen klar, ne?", fragt Lidia. Sie meint Muslime, speziell Türken in Deutschland. Die spanische Medizinisch-Technische Assistentin aus Heidelberg hat da so ihre Probleme. "Wie die ihre Frauen behandeln..." gefällt ihr nicht, deutet sie unumwunden an. Sie trägt diesen latenten Konflikt mit ihren Nachbarn jedoch nicht offen aus. Vielleicht, weil der Anlass zur Bearbeitung fehlt. Noch ist sie persönlich von dieser unterschiedlichen Haltung nicht betroffen. Verbal eskalieren könnte die Situation jedoch jederzeit. Vielleicht werfen ihr die Nachbarn dann - stellvertretend für die westliche Kultur - eine viel zu freizügige Haltung vor, die sie dann wiederum verteidigen will. Ob beide in der Lage wären, die Auffassung des anderen und damit das Dilemma zu akzeptieren, dass zwischen ihnen kulturelle Unterschiede bestehen? Und dass jeder für sich in seinem Kontext richtig handelt?

Wenn Tobias und Peter sich schlagen, dann waren sie besoffen oder in der Pubertät - wenn sich aber Ali und Peter schlagen, dann ist das plötzlich ein "interkultureller Konflikt". Doch bei weitem nicht jeder Konflikt, in dem die Parteien unterschiedlicher nationaler bzw. kultureller Herkunft sind, ist automatisch ein interkultureller Konflikt. Ein solcher besteht nur dann, wenn die Unterschiede im Verhalten der Konfliktbeteiligten - im Konflikt und bei der Bearbeitung des Konflikts - tatsächlich auf unterschiedliche Werte und Normen der Kulturen zurückzuführen sind, stellt die Berner Soziologin Caecilia Ebeling klar. Oft sind die Beteiligten von der Richtigkeit ihres kulturellen Wertmusters überzeugt und streben dem entsprechend ihre Konfliktlösung an.

Die verbreitetste Auffassung zur Entstehung interkultureller Konflikte ist die These vom "Kulturkonflikt". Der zu Folge geraten Menschen aneinander, weil ihre Kommunikation durch Missverständnisse und/oder unterschiedliche Werteauffassungen gestört ist. "Sie verstehen sich nicht, weil sie sich nicht verstehen", heißt es dann bei Ali und Peter. Es handelt sich ausdrücklich nicht um Konflikte zwischen den Kulturen, Religionen oder anderen abstrakten Größen, sondern um Konflikte, die im Kontext des interkulturellen Zusammenlebens zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer, sprachlicher und/oder religiöser Herkunft entstehen. Ein alternatives Konzept ist das vom "Kampf um Anerkennung". Hier wird der kulturelle Aspekt auch als wichtig gesehen, ist aber nicht die einzige Komponente. Gemeinsamer Bezugspunkt ist meist die Frage, wer die Macht hat. Das zeigt den eigentlichen Kernpunkt der meisten Konflikte: Es geht für jedes Individuum darum, seinen Platz innerhalb der Statushierarchie zu erkämpfen. Ali und Peter tragen auf dem Schulhof einen Hierarchiekampf aus.

Helmuth Schweitzer, Leiter der RAA/Interkulturelles Büro in Essen, nennt ein weiteres Beispiel. So wurde in einer Wohnsiedlung von libanesischen Familien immer wieder Müll aus den Fenstern auf die Straße geworfen oder Abfalltüten von kleinen Kindern neben die Container gestellt. Die Kinder reagierten auf entsprechende "Zurechtweisungen" der deutschen Nachbarn mit Schimpfwörtern wie "Du Nazischwein". Dies wiederum löste Gegenreaktionen insbesondere bei älteren alteingesessenen Menschen im Stadtviertel aus. "Einer dialogisch orientierten Auseinandersetzung mit den libanesischen Familien gehen die einheimischen Bewohner verständlicherweise - ohne wirksame Unterstützung durch interkulturelle Vermittler und den Staat - möglichst aus dem Weg", hat Schweitzer beobachtet. Bei den beteiligten Bürgern entstand eine brisante Mischung aus unterdrückten Aggressionen, Ohnmachtserfahrungen und dem Gefühl, von der Stadtverwaltung nicht ernst genommen zu werden. Diese führe schnell "zu jener Form von Politikverdrossenheit, die bei wirtschaftlicher und sozialer Not von populistischen Agitatoren bei Wahlen leicht ausgenutzt werden kann", warnt Schweitzer. Unter diesen Umständen könne latente "Fremdenabwehr" in manifeste Fremdenfeindlichkeit umschlagen. Entscheidend dabei sind soziale Ursachen: Die mangelnde Wohnqualität der Häuser hat mangels Alternativen eine von nichtdeutschen Sozialhilfeempfängern dominierte Mieterstruktur hervorgerufen. Da deren Lebensgestaltung durch einen ungesicherten Aufenthaltsstatus und ihre Nicht-Integration bislang auf Überlebensstrategien ausgerichtet war, sei die genannte Problemlage letztlich provoziert worden.

Konfliktlösungswege

Konflikte sollten nicht vermieden, sondern bewusst, konstruktiv und phantasievoll geregelt werden. Dies erfordert, dass die Beteiligten in einer vertrauensvollen Atmosphäre solange ihre vorrangigen Bedürfnisse zurückstellen, bis eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann. Lösungsansätze für Konflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten sind meist im Bereich vielschichtiger ungelöster sozialer und struktureller Probleme oder auch rassistischer Einstellung auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft zu suchen. Daher ist ihre Lösung oft schwierig.

Als Ursachen spielen auch Ungleichheiten, Wertvorstellungen und gegensätzliche Lösungsstrategien eine Rolle. Sie können dazu beitragen, dass Gruppen-Grenzen gesetzt, der innere Zusammenhalt gefördert oder aber auch - im Gegenteil - die Auflösung der Gruppe befördert wird. Die Folgen solcher sozialer Konflikte werden unterschiedlich beurteilt. Negativ werden sie dann gesehen, wenn ein Harmonie- bzw. Gemeinschaftskonzept der Betrachtung zugrunde liegt und der Erhalt der bestehenden Ordnung bewusst oder unbewusst im Vordergrund des Interesses steht. Konflikte erscheinen dann als Resultat abweichenden oder irrationalen Verhaltens. Geht man jedoch davon aus, dass die Gesellschaft durch Unterschiede und Gegensätze gekennzeichnet ist, so wird der Konflikt positiv gesehen: als Ausdruck sozialen Wandels. Insofern sagt die Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Konfliktaustragung auch etwas über die Starrheit oder Flexibilität eines sozialen Systems aus.

Es wird deutlich, dass diese Konflikte aufgrund ihrer Vielzahl und Intensität eine der großen Herausforderungen darstellen, mit denen die Integrationspolitik konfrontiert ist. Von zentraler Bedeutung ist daher, sich mit der von Anthony Giddens formulierten Frage nach den Bedingungen auseinander zu setzen, unter denen Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen oder kultureller Gemeinschaften miteinander auskommen können.

In Demokratien bemüht man sich um den gewaltfreien Umgang mit Konflikten. Gesucht wird ein Minimalkonsens im Sinne von Verfahrensregeln und Werten der Demokratie, wie beispielsweise den Menschenrechten (insbesondere der Religionsfreiheit). Diesen auszuhandeln ist jedoch schwierig. So hat ein durch sein Gewissen dem Tierschutz verpflichteter Bürger unerlässliche religiös bedingte Schlachtrituale zu ertragen. Ein nicht-christlicher Gläubiger hat umgekehrt jedoch auch zu akzeptieren, dass er einen Arbeitsvertrag nicht mit Hinweis auf Fasten- oder Feiertagsregeln brechen kann. Eine Lehrkraft muss aushalten, dass ein muslimisches Mädchen nicht in den koedukativen Sportunterricht gezwungen werden kann. Umgekehrt hat ein Muslim hinzunehmen, dass von der Moschee in seinem Stadtteil vor Sonnenaufgang kein Gebetraufruf erschallt, weil damit die Nachtruhe anderer verletzt würde.

Eine seit einem Jahrzehnt vor allem in Schulen erprobte Möglichkeit, Alltagskonflikte konstruktiv zu einer Lösung hinzuführen, ist die Mediation. Ein Mediator hinterfragt den Konflikt, um versteckte Ursachen aufzudecken. Die Streitenden erfahren so die Hintergründe ihres Streits. Das ermöglicht ihnen, gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu finden, bei denen keiner benachteiligt wird. Die Grundregeln der Mediation gelten für alle - unabhängig von Alter, Geschlecht oder kultureller Zugehörigkeit. Mediation ist ein kulturübergreifendes Prinzip. Die humanitären Werte, die in ihr gelebt werden, sind im Prinzip für jede Kultur kompatibel, betont Ebeling. Gleichwohl ist über die Wirksamkeit dieser Methode in interkulturellen Konflikten noch zu wenig bekannt. Schwierig erscheint durch die Sozialisation in einer anderen Kultur der Abgleich von Zukunftsvorstellungen. Zudem kann die Rolle des unparteiischen Mediators durch die Nationalität oder durch andere Machtfaktoren ins Wanken geraten.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

Literaturtipps:

  • Wilhelm Heitmeyer, Reimund Anhut (Hg.): Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen, Weinheim und München 2000

  • Catrin Herfet, Maximilian Achtelik: Interkulturelle Mediation und Konfliktlösung, Seminararbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, 2004

  • Geert Hofstede: Lokales Handeln, globales Denken, Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management. 2. Auflage, München 2001

  • IZA. Zeitschrift für Migration und soziale Arbeit: Schwerpunktthema: Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft, 3-4/2000, S. 14-85

  • Axel Schulte: Multikulturelle Einwanderungsgesellschaften in Westeuropa: Soziale Konflikte und Integrationspolitiken. Expertise, herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1998

  • Axel Schulte: Integrations- und Antidiskriminierungspolitik in Einwanderungsgesellschaften; Zwischen Ideal und Wirklichkeit der Demokratie. Expertise, herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2002

  • Helmuth Schweitzer: "Ich lass' mich von denen doch nicht als Nazi beschimpfen!" Erfahrungen mit einem ganzheitlichen Konzept interkultureller Konfliktbearbeitung in einer Kommune. In: NaSch - Zeitschrift für Community Education, Nr. 15/Mai 2000

  • Anja Weiß: Was macht interkulturelle Konflikte aus? Kulturelle Differenzen, ethnische Identitäten und die Frage der Macht. In: Journal für Konflikt- und Gewaltforschung, 2/2001, S. 87-110

  • Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (Hg.): Mit Kulturkonflikten konstruktiv umgehen. Methoden für die Jugendhilfe für den Umgang mit interkulturellen Konflikten, München 2004

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Vorurteilskriminalität auf allen Ebenen bekämpfen

 

Das Deutsche Forum für Kriminalprävention hat zum ersten Mal in Deutschland einen umfassenden Bericht zum Abbau von Hasskriminalität vorgelegt. Vorurteilsbedingte Gewaltkriminalität ist besonders gefährlich, weil sie die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens in der zivilisierten Gesellschaft - die Unantastbarkeit der Menschenwürde als Gemeinschaftswerte - angreift. Brutale Gewalt, die das konkrete Opfer zufällig und gesichtslos auswählt, um eine ganze Bevölkerungsgruppe (Ausländer, Behinderte, Obdachlose, Homosexuelle u.s.w.) symbolisch zu erniedrigen und einzuschüchtern, darf nicht toleriert werden. Die Wirkungen dieser Taten sind verheerend, da sie zum einen auf Merkmale abzielen, welche das einzelne Opfer nicht beeinflussen kann, und zum anderen allen potenziellen Opfern die einschüchternde Botschaft der Ablehnung, des Hasses und der Angst signalisieren. Nicht nur das unmittelbare Opfer wird schwer traumatisiert, wie bei jeder Gewalttat, sondern es geht um die Verunsicherung und Verängstigung der gesamten Opfergruppe. Betroffen ist darüber hinaus die rechtsstaatliche Gemeinschaft, denn die Täter senden durch ihre Tat die Botschaft aus, dass die gesamte Gruppe auszugrenzen sei. Auch leichte Delikte können so erhebliche Konsequenzen haben.

Hasskriminalität - ein synonymer Ausdruck für Vorurteilskriminalität - ist ein weltweites Problem, das bei uns kaum erforscht ist. Das Deutsche Forum für Kriminalprävention (DFK) in Bonn legt im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz jetzt zum ersten Mal in Deutschland eine Bestandsaufnahme, eine Analyse des Problemfelds und vor allem Überlegungen zur primären Prävention vor. Dadurch sollen die kriminalpolitische Diskussion versachlicht und wirkungsvolle Gegenstrategien entwickelt werden.

Zahlenmäßig treten in der statistisch erfassten Hasskriminalität in Deutschland die auch in der Öffentlichkeit am stärksten beachteten rechtsradikalen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten hervor. So werden derzeit etwa 700 rechtsextremistische, vorurteilsbedingte Gewaltdelikte pro Jahr in Deutschland bekannt. Hinzu kommt ein Vielfaches an vorurteilsbedingten Delikten im Vorfeld der Gewalt wie Volksverhetzung, Verbreitung von Propagandamitteln und Schändung von Friedhöfen. Bei den Tätern fällt auf, dass ihre Vorurteile zum großen Teil nicht im engen Sinn politisch reflektiert und motiviert und schon gar nicht organisiert sind. Es handelt sich fast ausschließlich um männliche Täter und überwiegend um Jugendliche und Heranwachsende, die ihre allgemeine Gewaltbereitschaft mit einer rechtsradikalen Ideologie der Gewalt verbinden. Für die Bundesrepublik Deutschland ist nach begründeten Schätzungen der Verbrechenswirklichkeit davon auszugehen, dass jährlich etwa 80.000 fremdenfeindliche Vorurteilsdelikte begangen werden. Das Ausmaß der übrigen Bereiche der Vorurteilskriminalität ist unbekannt.

Der Bericht der Arbeitsgruppe "Primäre Prävention von Gewalt gegen Gruppenangehörige - insbesondere: junge Menschen" enthält umfassende Empfehlungen zur Bekämpfung von Vorurteilskriminalität. Ziel der anzustrebenden nachhaltigen und langfristigen primären Prävention, ist die Ausbildung bzw. Änderung der inneren Einstellung zum Umgang mit dem "Anders-Sein". Die Ausbildung von Mitgefühl ist ein wesentlicher Schutzfaktor gegen Vorurteilskriminalität. In diesen Zusammenhang gehören vor allem auch das kulturelle Bewusstseinstraining (Culture-Awareness-Training) und entsprechende Kontaktprogramme mit dem "Fremden". Ein sogenanntes Mehr-Ebenen-Konzept hat sich in Schulen schon weltweit bewährt. Dabei werden Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam auf das Ziel der Gewaltfreiheit verpflichtet, indem die Probleme thematisiert, Vorfälle bearbeitet, Opfer unterstützt und immer wieder auffällige Schüler behandelt werden. Nach vielfach wiederholten internationalen wissenschaftlichen Studien konnte die Gewaltkriminalität an Schulen dadurch um etwa 30 % gesenkt werden. In solchen Konzepten spielt auch der Sport eine wichtige Rolle, da hier physische Kraft wie nirgends sonst regelgeleitet und sozial verträglich bei jungen Männern eingesetzt werden kann.

Der Botschafts- und Aufforderungscharakter der Vorurteilskriminalität erfordert klare gesamtgesellschaftliche Unterstützungssignale an die Opfer und ein striktes Vorgehen gegen die Täter. Auf die angstmachende Botschaft muss mit einer starken Gegenbotschaft der Gemeinschaft reagiert werden, um die potentiellen Opfer zu ermutigen. Wie an keiner anderen Stelle wirkt das Strafrecht hier als Schutzschild für Menschenrechte. Eine "Kriminalpolitik der Zurückhaltung" gegenüber Verletzungen von Menschenrechten wäre fatal und würde das friedliche Leben in einer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr erlauben.

Konkret wird in der Studie unter anderem empfohlen, die vertragsärztliche psychotherapeutische Versorgung durch Kinder- und Jugendpsychotherapeuten mit einer Gesetzesänderung zu verbessern, indem diese als besondere Arztgruppe gegenüber den allgemeinen Psychotherapeuten anerkannt werden. Den Ländern wird empfohlen, interkulturelles Lernen im Kindergarten / KITA-Bereich auszubauen. Den Sportverbänden wird geraten, Aktionen wie die des Württembergischen Fußballverbandes "Für Toleranz und Fairness. Gegen Gewalt" auszubauen. Bund und Ländern wird empfohlen, in ihren Richtlinien sowohl die besondere Förderung multiethnischer Vereine als auch die Qualifizierung und Stärkung der Vereine von Migranten vorzusehen.

Kooperation und Vernetzung sollten - so eine weitere Empfehlung der Untersuchung - groß geschrieben werden, wenn Vorurteilskriminalität besser bekämpft werden soll. Deshalb wird dem Bund nahegelegt, durch eine Gesetzesänderung ähnlich wie in Dänemark, Kindergärten, Schulen, Jugendamt, Träger der Jugendhilfe sowie die Polizei und Justiz zur Kooperation bei der Prävention auch in Einzelfällen und nicht nur bei der Planung wie bisher zu verpflichten. Bund und Ländern wird nahegelegt, die besondere Situation der Strafverfolgung bei Vorurteilskriminalität in die Aus- und Fortbildung der Kriminaljustiz aufzunehmen, insbesondere in die polizeiliche Aus- und Fortbildung und in Veranstaltungen der Deutschen Richterakademie.

Weitere Informationen zur Studie und zur Arbeit des Deutschen Forums zur Kriminalprävention: www.kriminalpraevention.de


Autor: Karl-Heinz Meier-Braun, SWR Stuttgart

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"Wer sein Kind nicht schlägt..."

 

In einer Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wurden Jugendliche der neunten Jahrgangsstufe danach gefragt, ob sie in den letzten zwölf Monaten Opfer von Gewalt wurden. Es konnte eindeutig belegt werden, dass Jugendliche türkischer Herkunft zwei bis drei Mal häufiger von elterlicher Gewaltanwendung betroffen sind als die anderen Jugendlichen. Das heißt: Gewaltanwendung in türkischen Familien ist ein verbreitetes Mittel, um Kinder und Jugendliche zu bändigen. Unter dem Titel "Wer sein Kind nicht schlägt hat später das Nachsehen" ist 2004 eine neue Publikation von Dr. Ahmet Toprak zu elterlicher Gewaltanwendung in türkischen Migrantenfamilien und Konsequenzen für die Elternarbeit beim Centaurus-Verlag erschienen (ISBN 3-8255-0478-6). In seiner 152-seitigen Untersuchung ergänzt Toprak die Ergebnisse aus Niedersachsen durch eine Befragung von acht Elternpaaren. Diese wurden danach gefragt, welche Erziehungsziele sie bevorzugen und welche Bestrafungsrituale sie bei der Erziehung der Kinder anwenden.

Die angewandte Interviewform bietet ein breiten Einblick in die Erziehungswirklichkeit. Der Autor versteht es zunächst, die Familien in Deutschland hinsichtlich ihrer Struktur und den Belastungsfaktoren darzustellen und zieht hierbei hilfreiche Vergleiche zwischen Migrantenfamilien und Einheimischen". Im anschließenden Teil werden die Rollen- und Autoritätsstrukturen türkischer Migrantenfamilien verständlich beleuchtet. Dabei legt Toprak besonderen Wert auf die Rolle von Geschlecht, Geschwisterkonstellationen und Generationen. Hieran schließt ein - mit vielen Interviewauszügen unterlegter - Einblick in die verschiedenen Erziehungsstile und Bestrafungsrituale sowie in Unterschiede des türkischen und deutschen Bildungssystems an.

Beim Thema Bestrafungsrituale wird "Gewalt" - sowohl physisch als auch psychische - als Disziplinierungsmittel gegen Kinder explizit angesprochen und breit gefächert diskutiert. "Eins kann bereits im Vorfeld gesagt werden: türkische Eltern sind sich in vielen Fällen nicht darüber im Klaren, dass sie Gewalt anwenden", so Toprak. Zum Abschluss seiner Studie erörtert der Autor die Rolle von Kindergärten und Schulen und Konsequenzen für die Elternarbeit. Ein gut recherchiertes Literaturverzeichnis rundet das Buch ab. Es ist allen in pädagogischer Verantwortung stehenden Personen, die mit türkischen Familien bzw. deren Kindern zu tun haben, zu empfehlen. Sie erhalten vielfältige Anregungen zu einem bewussteren und einfühlsameren Umgang mit türkischen Migrantenfamilien. Toprak verdeutlicht aber auch, dass die pädagogische Wirklichkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen, wohnräumlichen, sprachlichen und politischen Situation sowohl in der Türkei als auch in Deutschland gesehen werden muss. Der Autor ist Lehrbeauftragter an den Universitäten Eichstätt und Passau sowie Autor mehrerer Bücher zu ähnlichen Themen. Darüber hinaus ist er tätig in der Weiter- und Fortbildung für Multiplikatoren mit interkulturellem Ansatz und Referent für Gewaltprävention bei der Aktion Jugendschutz Bayern e.V. Die Publikation kostet 18,50 Euro. (esf)

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Der Mut einer Frau gegen das Ehrverständnis

 


Serap Cileli (re.) auf einer Tagung in Stuttgart im Mai 2004

Ihr Schicksal ist eigentlich Tabu. Türkische Medien ignorierten Serap Cileli einfach, denn sie erhob als eine Frau ihre Stimme gegen die Zwangsverheiratung, gegen die Ungerechtigkeit im Namen der Ehre. Dagegen zeigten bisher die deutschen Medien viel mehr Interesse an ihrem Leben, an ihrem Bruch mit der Familie und ihrem Kampf gegen den türkischen Patriarchalismus. Auch ihre Vorlesungen wurden hauptsächlich von Deutschen besucht. Wenn unter den Zuhörern Türken anwesend waren, protestierten einige gegen die angeblich "zersetzenden Behauptungen gegen die Tradition". Andere wiederum bedrohten sie sogar. Für sie gibt es keine Zwangsverheiratung unter den Türken oder die Problematik, dass Frauen im Namen der Familienehre zur Personen zweiter Klasse degradiert werden. Selbst türkische Frauen kritisierten Cilelis mutigen Schritt, die Problematik der Zwangsverheiratung öffentlich zur thematisieren.

Aber Serap Cileli möchte auch keine Klischees bedienen. Sie macht immer wieder darauf aufmerksam, dass die Zwangsverheiratung kein islamisches oder türkisches Phänomen ist und Frauen oftmals selbst Schuld an der Misere sind. Ihnen empfiehlt sie, gegen die patriarchalische Familienordnung zu rebellieren. Viele schrecken aber aus Angst zurück, wollen den Zorn der Familie nicht auf sich ziehen und nehmen so ihr Schicksal hin. Für Serap Cileli gibt es trotzdem keine religiöse sowie kulturelle Rechtfertigung von Gewalt gegenüber Frauen. Zudem engagiert sich Cileli zurzeit sehr für die Integration der türkischen Frauen in die deutsche Gesellschaft, um ihnen einen Ausweg aus der Isolation im eigenen Haus zu bieten. Deshalb wurde im September 2001 in einer Erbacher Volkshochschule der erste "Deutschkurs für Frauen aus der Türkei" gestartet. 21 türkische Mütter und junge Frauen zwischen 18 und 40 Jahren nahmen daran teil. Dieser Unterricht soll den Frauen mehr Mut und Selbstständigkeit vermitteln. Für die türkischen Frauen sind die Deutschkurse häufig die erste Öffnung hin zur deutschen Umgebung und ein erster Schritt zu mehr Selbstachtung.

Ihre Erfahrungen im Kampf gegen das Ehrverständnis hatte Serap Cileli in dem Buch "Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre" niedergeschrieben. Es ist ein sehr emotional verfasstes Buch. Nach ihren eigenen Worten war das Verfassen des Buches wie eine Therapie für ihr Seelenleben. Dass sie sich dafür entschied, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, die auf Zwang beruhende Heirat aufzulösen und sich für die Liebe zu entscheiden, wurde ihr von der Familie bisher nicht verziehen. Rückhalt findet sie jedoch durch ihren Mann und ihre drei Kinder.

Ali Sirin

Infos: http://www.serap-cileli.de/

vgl.: "Zwangsverheiratungen nicht tatenlos hinnehmen" in AiD 4/02

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Kampagne gegen Ehrverbrechen

 

Tübingen. Von "Gewalt im Namen der Ehre" sind weltweit tausende Frauen betroffen, auch junge Frauen innerhalb von Migrantenfamilien. Oft wissen die Mädchen und Frauen nicht, mit welchen Mitteln sie sich wehren und an wen sie sich wenden können, wenn sie innerhalb ihrer Familie unterdrückt und misshandelt werden. Das Referat "Gewalt im Namen der Ehre" des Vereines Terre des Femmes informiert über die Hintergründe dieser Verbrechen gegen Frauen und Mädchen und unterstützt Betroffene. Mit einer breit angelegten Öffentlichkeitskampagne unter dem Motto "NEIN zu Verbrechen im Namen der Ehre" will der Verein ab dem 25. November 2004 darauf aufmerksam machen, dass Ehrenmorde auch in Deutschland verübt werden. Damit setzt der Verein die Arbeit fort, die er im Jahr 2002/03 mit der Kampagne "STOPPT Zwangsheirat" begonnen hat. Jugendämter und Beratungsstellen in Deutschland sollen im Umgang mit Betroffenen sensibilisiert werden, Politiker sollen Schutzmassnahmen umsetzen und in den entsprechenden Ländern Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen. Zu häufig würden dort Frauen nicht geschützt und Täter nicht verurteilt, betont Geschäftsführerin Christa Stolle. Im Rahmen des EU-Projekts "Shehrazad" gegen Gewalt im Namen der Ehre bemüht sich der Verein um nationale und internationale Vernetzung, damit wirksamer gegen diese Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen vorgegangen werden kann. (esf)

Infos: Terre des Femmes e.V., Postfach 2565, 72015 Tübingen, Tel.: 07071/7973-0, Fax: -22, tdf@frauenrechte.de, www.frauenrechte.de


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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