Integration in Deutschland 4/2004, 20.Jg., 30. November 2004

FLÜCHTLINGE

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


"... sonst haben sie keine Chance"

Projekte für jugendliche Flüchtlinge

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge brauchen nicht nur Schutz, sondern auch eine besondere Unterstützung. Da diese im Regelsystem der Flüchtlingsbetreuung nicht immer gewährleistet ist, haben sich Initiativen gegründet, um bestehende Lücken zu füllen.

 


Klaus S. und Nelson

Ehrenamtliche Vormünder 
für die "Kids"

Klaus hat mit Fußball nichts am Hut. Aber wenn Nelson und seine Mannschaft spielen, geht der 46jährige gelegentlich hin - als Zuschauer. Klaus S. ist seit einem Jahr Nelsons Vormund. Zwanzig Jahre war er OP-Pfleger, vier Jahre davon in einer Kinderklinik. Dann arbeitete er im kaufmännischen Bereich und befindet sich nun in einer Umschulung. Seinen Nachnamen möchte S. in diesem Artikel nur abgekürzt lesen. Das passt gleichzeitig zu der unkomplizierten Art, wie er auf die Kinder und Jugendlichen im Heim zugeht: "Ich bin der Klaus, und wer bist du?", stellt er sich den "Kids" vor. "Der Klaus" kam zu seinem Ehrenamt durch eine Internet-Suchmaschine: "Ich wollte mich in meiner Freizeit ehrenamtlich betätigen, da stieß ich auf AKINDA und habe mich dann mit der Organisation in Verbindung gesetzt." AKINDA steht für "Ausländische Kinder in Deutschland - Allein" und tritt seit einigen Jahren für Kinder und Jugendliche ein, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin leben. Außerdem begann AKINDA im Sommer 2004 mit der Vermittlung von Mentorinnen und Mentoren für Menschen, die neu nach Berlin eingereist sind und Begleitung bei ihren ersten Schritten im Exil wünschen. Dazu gehören auch junge Flüchtlinge von 18 bis 27 Jahren, die Unterstützung bei ihrer beruflichen Integration erhalten sollen, zum Beispiel beim Verfassen von Bewerbungen oder durch Vermittlung eines Praktikumsplatzes.

Mehr als tausend minderjährige unbegleitete Flüchtlinge leben allein in der deutschen Hauptstadt. Nelson ist eines dieser Kinder. Seine Lieblingsmannschaft ist Real Madrid. Und sein Vorbild als Balltreter der Brasilianer Ronaldo. Was den Fußball angeht, mag der 15jährige aus Angola eben Spitzenkönner! Die Wände seines Zimmers im Jugendwohnheim sind mit Fußballpostern tapeziert. In der Bundesliga bevorzugt der Junge das Team von Bayern München. Er selbst kickt in einem Berliner Stadtteilverein, zweimal die Woche. Kennt Nando Rafael - den Spieler von Hertha BSC - von einem Besuch im Stadion. Der ist ebenfalls Angolaner. Na klar, eine Fußballerkarriere wäre schon ein prima Berufsziel, meint Nelson. Wenn er nicht über Fußball redet, wirkt der schmale Junge ängstlich. In den Ferien will er mehr für die Schule tun und - natürlich - Fußball spielen. Währenddessen klären die deutschen Behörden weiter, ob der als minderjähriger Flüchtling eingereiste Junge in Deutschland bleiben darf.

Minderjährige sind grundsätzlich nicht handlungsfähig, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Das bedeutet, dass sie z.B. in einem Verwaltungsverfahren nicht selbst wirksam teilnehmen können. Sie können also zum Beispiel keine Anträge stellen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Kinder einen Vormund brauchen, der sie in allen rechtlichen Angelegenheiten vertritt. Das ist entweder der Amtsvormund, zum Beispiel vom Jugendamt, oder eine Privatperson als Einzelvormund. Sie werden durch das zuständige Vormundschaftsgericht (beim Amtsgericht) bestellt. Amtsvormünder haben meist hohe Fallzahlen, und können sich deshalb oft kaum persönlich mit einem einzelnen Kind befassen. Besser wäre es dagegen, meinen die InitiatorInnen von AKINDA, wenn minderjährige Flüchtlinge einen Menschen haben, der sie begleitet und unterstützt und zu dem sie Vertrauen aufbauen können. AKINDA gründete sich deshalb innerhalb der psychotherapeutischen Beratungsstelle XENION e.V. als Netzwerk für Einzelvormundschaften und berät rund 90 Vormünder. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen.

Klaus S. war bei seiner Entscheidung für die Übernahme der Vormundschaft wichtig, dass die Kinder gut versorgt sind und dass alles Mögliche getan wird für sie: "Wenn wir es nicht versuchen, haben sie keine Chance." Gegen Ausländerfeindlichkeit wollte er damit ebenfalls ein Zeichen setzen. Das Jugendamt hatte auch bei ihm vorher geprüft, ob er als Vormund geeignet ist. So musste er zum Beispiel ein polizeiliches Führungszeugnis vorzeigen. Nelson lebt weiterhin in einem Jugendwohnheim, aber er sieht nun seinen Vormund regelmäßig und bespricht mit ihm unter anderem amtliche und schulische Fragen. Zu den wichtigsten Aufgaben eines Vormunds gehört die Betreibung des Asylverfahrens - falls ein Asylantrag gestellt wurde - und die Vertretung des Kindes gegenüber der Ausländerbehörde, zum Beispiel bei Schriftstücken, wenn es um die Legalisierung des Aufenthalts geht.

Nelson kam als Flüchtling aus dem kriegsverwüsteten Angola ins fremde Deutschland - ohne Eltern, ohne Angehörige, ohne Verbindungen nach Hause. Für Klaus S. ist es jetzt am wichtigsten, dafür zu sorgen, dass es Nelson den Umständen entsprechend gut geht. Eine möglichst gute Ausbildung soll er bekommen. Natürlich hat Nelson sehr gute Noten im Sport. Für andere Fächer gibt es Nachhilfe. Der Junge spricht außer Portugiesisch, wie in Angola üblich, Deutsch, er lernt Englisch, Mathematik, Erdkunde, hat gleichaltrige Freunde. Klaus S. nimmt Anteil an seinen Lernerfolgen, lässt sich die Schulhefte zeigen, lädt ihn zum Essen ein und kauft auch schon mal eine neue Jacke für ihn. "Natürlich habe ich Nelson gleich am Anfang auch gezeigt, wo und wie ich wohne, und wie er da mit der U-Bahn hinkommen kann." Er kocht gern selbst, hat Nelson und seinen Freunden auch schon angeboten, für sie zu kochen. Angenommen haben sie es noch nicht, sie gehen lieber mit ihm Hamburger essen. Klaus S. will nichts aufzwingen, sondern Angebote machen und überzeugen. Dabei hätte er als Vormund rechtlich alle Möglichkeiten dazu, kann zum Beispiel das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausüben. Aber er setzt sich dann lieber dazu, wenn die Kinder in ihrem Wohnheim Musik hören, lernt HipHop und Rap kennen, hört im Auto mit ihnen den Radiosender KISS FM, tauscht seine DVDs mit Spielfilmen gegen ihre Musikclips schwarzer Rapper: Kulturaustausch. Das Verhältnis ist herzlich, aber auch von Distanz geprägt. Man macht Späße, aber umarmt sich nicht. Hintergrundinformationen über Nelsons Leben in Angola sind spärlich. Als Vormund kennt Klaus S. Nelsons Geschichte aus den Akten und nur soviel, wie der Junge ihm selbst über sein Leben erzählen möchte.

Häufig erscheinen die Vormünder den Minderjährigen als eine weitere "offizielle" Person der deutschen Behörden, die eben nicht "zur Familie" gehört. Und deshalb bleiben sie in ihren Erzählungen vorsichtig und zurückhaltend. Klaus S. ist darüber nicht enttäuscht, sondern hatte das erwartet, als er sein Amt antrat. Es hindert ihn nicht, sich in Zukunft noch um zwei weitere minderjährige Flüchtlinge zu kümmern, diesmal Kinder aus Nigeria.

Kontakt: AKINDA - Netzwerk Einzelvormundschaften Berlin, c/o XENION e.V., Paulsenstr. 55-56, 12163 Berlin, Tel. 030/32709340, einzelvormund@yahoo.de, www.xenion.org/projekt/akinda.html

Das Projekt lebt von Spenden und Zuschüssen. Spendenkonto: Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V., Kennwort AKINDA, Postbank Berlin BLZ 100 100 10, Konto: 495308106


Autorin: Marianne Lange

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Ausbildung statt Abschiebung

 

Eulalia Domingos will Hebamme werden. Zur Zeit ist sie noch mitten in ihrer Ausbildung als Arzthelferin in Bornheim und hofft, eine gute Prüfung abzulegen. Damit enden die klaren Zukunftsperspektiven zunächst. Die 21jährige Eulalia ist Kriegsflüchtling aus Angola und hat eine Duldung bis zum nächsten Jahr. Vor sechs Jahren kam sie nach Deutschland und fand Unterschlupf bei ihrer Tante, der einzigen verbliebenen Verwandten. Mit der Heimat verbindet sie nichts mehr.

Jugendlichen wie Eulalia Domingos hilft der mehrfach ausgezeichnete Bonner Verein "Ausbildung statt Abschiebung" (AsA), einen Beruf zu erlernen. Dafür brauchen geduldete Flüchtlinge eine Arbeitsgenehmigung, und sie wird nur erteilt, wenn kein Deutscher, EU-Bürger oder Drittländer mit gesichertem Aufenthaltsstatus sich um den Ausbildungsplatz bewirbt. Solche offene Stellen finden sich immer noch, wenn auch schwer: Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Verkäuferin - diese Berufe schrecken die Kandidaten mit niedriger Bezahlung, unregelmäßigen Arbeitszeiten und geringen Aufstiegschancen ab. Die ausländischen Jugendlichen sind bereit, auch Abstriche bei ihrem Berufswunsch zu machen und zu nehmen, was verfügbar ist. Mit dem Lehrgeld können sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen und brauchen keine Sozialhilfe. Damit haben sie bessere Chancen, bleiben zu dürfen. Und wenn nicht, dann haben sie zumindest einen Beruf.

An der südlichen Stadtgrenze von Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis ist es Schluß mit der Lehrstellensuche. Dort fängt Rheinland-Pfalz an, die Geduldeten dürfen das Land NRW jedoch nicht verlassen, erklärt Markus Krohm, Mitarbeiter von AsA. Für die Ausbilder ist die Aufenthaltserlaubnis, die alle paar Monate verlängert wird, ein Unsicherheitsfaktor. Deshalb beschränkt sich AsA nicht nur auf die Vermittlung von Ausbildungsplätzen. Der Verein hilft bei Behördengängen und der Beschaffung von Arbeitsgenehmigungen und gibt Nachhilfeunterricht, damit die jungen Leute auch die theoretischen Inhalte gut meistern können. Seit der AsA-Gründung vor 3 Jahren werden ca. 70 Flüchtlinge im Alter von 13 bis 27 Jahren betreut, 10 davon sind zur Zeit in Ausbildung. AsA wird durch den EU-Flüchtlingsfonds gefördert. 25 Helfer bringen ihre ehrenamtliche Arbeit als Kofinanzierung ein. (mjd)

Kontakt: 
Verein Ausbildung statt Abschiebung (ASA) e.V., Friesdorfer Str. 91, 53173 Bonn, Tel. 0228/9691816, Fax: 0228/9659283, e-mail: geschaeftsstelle@asa-bonn.org, Spendenkonto ASA e.V.: Kontonr.: 62356, BLZ: 38050000, Sparkasse Köln/Bonn

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Qualifizierung im Rahmen von EQUAL

 

Im Rahmen des EQUAL-Projektes, einem Gemeinschaftsprojekt zum Abbau von Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt, von denen Flüchtlinge und Asylbewerber betroffen sind, fand am 17. September 2004 eine Konferenz in Maastricht statt. Unter dem Titel "Vocational training for asylum seekers: effects & methods" stellten die Projekte HIT und "Back to Work" aus den Niederlanden, Eneas aus Spanien, Job Shop aus Österreich und SEPA aus Deutschland Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen vor. Die Konferenz diente dem Erfahrungsaustausch und der Vertiefung der transnationalen Zusammenarbeit. Im November 2004 sind ein 26-seitiger englischsprachiger Report sowie eine Zeitschrift im Posterformat mit den Ergebnissen der Konferenz erschienen. Sie können bei HIT bestellt werden. (esf)

Bezug: Foundation HIT, Tel.: +31 (0)45 576 84 32fbastiae@coa.minjus.nl, www.european-conference-maastricht.net

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Gesundheit von Flüchtlingen

 

Im Oktober 2004 ist die zweite Dokumentation des EU-geförderten Gesundheitsprojektes SPUK (Sprache und Kultur im Gesundheitswesen) als Sonderheft 99 der Zeitschrift "Flüchtlingsrat" des Niedersächsischen Flüchtlingsrats erschienen. Unter dem Titel "Gesundheit von Flüchtlingen - zwischen Staatsinteresse und Patientenwohl" werden auf 300 Seiten ausgehend von 150 dokumentierten Einzelfällen und auf der theoretischen Grundlage der Ottawa Charta der WHO, Probleme in der Gesundheitsversorgung und im Aufenthaltsrecht für besonders belastete und kranke Flüchtlinge erörtert. Das Buch thematisiert mit vielen Praxisbeispielen, dass Gesundheit Information, Kommunikation, Sicherheit, eine unterstützende soziale Umwelt und Lebensmut braucht. Neben Fachbeiträgen enthält die Publikation auch einen umfangreichen Adressenteil sowie zahlreiche Literaturhinweise. Das sehr lesenswerte Buch ist gegen Erstattung der Portogebühr bei SPUK zu beziehen. (esf)

Bezug: Equal-SPUK, Niedersächsischer Flüchtlingsrat, Langer Garten 23 B, 31137 Hildesheim

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Roter Faden für Flüchtlinge

 

Das schweizerische Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) hat 2004 einen an Flüchtlinge gerichteten Leitfaden durch die Schweiz erstellt. Die handliche 52-seitige Broschüre mit dem Titel "Der rote Faden" weist neben zahlreichen Informationen zu Land und Bevölkerung einen Weg durch die Lebensbereiche Alltag und Politik, Gesundheit und Bildung sowie Asyl und Integration. Die in Deutsch, Französisch, Italienisch und englisch erschienene Publikation erläutert Themen wie Steuerpflicht, Arbeitsbewilligung, Fahrerlaubnis oder Meldepflicht. (esf)

Bezug: Bundesamt für Flüchtlinge, Quellenweg 6, CH-3003 Bern-Wabern, ++031/3251111, info@bff.admin.ch, www.bff.admin.ch/deutsch/publ2d.htm

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